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Art. 11 GG - Freizügigkeit (Kommentar)

(1) Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet.

(2) Dieses Recht darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes und nur für die Fälle eingeschränkt werden, in denen eine ausreichende Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und der Allgemeinheit daraus besondere Lasten entstehen würden oder in denen es zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes, zur Bekämpfung von Seuchengefahr, Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen, zum Schutze der Jugend vor Verwahrlosung oder um strafbaren Handlungen vorzubeugen, erforderlich ist.

1. Art. 11 Abs. 1 GG – Freizügigkeit

„Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet.“

1.1. Einleitung

Art. 11 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) stellt ein fundamentales Grundrecht dar, das die Freizügigkeit der deutschen Staatsbürger innerhalb des Bundesgebiets garantiert. Die Norm ist Ausdruck der persönlichen Freiheit und Mobilität und spielt eine zentrale Rolle im deutschen Verfassungsrecht. Sie ermöglicht den Bürgern, ihren Wohnsitz und Aufenthaltsort frei zu wählen und sich im gesamten Bundesgebiet zu bewegen. Der vorliegende Kommentar analysiert die verschiedenen Aspekte dieser Regelung, einschließlich ihres historischen Kontextes, ihrer rechtlichen Bedeutung sowie der sich daraus ergebenden Implikationen für das Zusammenleben in einer demokratischen Gesellschaft.

1.2. Historischer Hintergrund

Die Entwicklung des Freizügigkeitsrechts ist eng mit der Geschichte der deutschen Nation verbunden. In der Zeit vor der Gründung des Deutschen Reiches 1871 war die Mobilität der Bevölkerung häufig durch lokale Vorschriften und Regulierungen eingeschränkt, obwohl gemäß Artikel 4 RV die Freizügigkeit der Reichsgesetzgebung unterstand. In der Weimarer Reichsverfassung gewährte Artikel 111 die Freizügigkeit.

Artikel 111 WRV
(1) Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Reiche. Jeder hat das Recht, sich an beliebigem Orte des Reichs aufzuhalten und niederzulassen, Grundstücke zu erwerben und jeden Nahrungszweig zu betreiben.
(2) Einschränkungen bedürfen eines Reichsgesetzes.

Art. 11 GG steht in der Tradition der Weimarer Reichsverfassung und unterstreicht mit seinem Tenor ein einheitliches deutsches Staatsgebiet, in dem die Bürger in allen Teilen des Landes ihre Rechte und Freiheiten genießen können. Der Artikel betont damit die Werte der Freiheit und der Einheit.

1.3. Persönlicher und sachlicher Schutzbereich

1.3.1. Persönlicher Schutzbereich

Der persönliche Schutzbereich des Art. 11 Abs. 1 GG umfasst „alle Deutschen“. Damit sind sowohl deutsche Staatsbürger als auch Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit gemeint. Dies schließt Bürgerinnen und Bürger ein, die im Ausland leben, sofern sie die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen.

Es ist wichtig zu beachten, dass der Begriff „Deutsche“ im Sinne des Grundgesetzes auch die rechtlichen Rahmenbedingungen zur Staatsangehörigkeit berücksichtigt. Personen, die aufgrund von Einbürgerung die deutsche Staatsbürgerschaft erlangt haben, genießen ebenfalls die Freizügigkeit, während Ausländer, die sich legal im Bundesgebiet aufhalten, nicht in den Schutzbereich fallen.

1.3.2. Sachlicher Schutzbereich

Der sachliche Schutzbereich umfasst die Freizügigkeit, also das Recht, sich im gesamten Bundesgebiet frei zu bewegen und seinen Wohnsitz zu wählen. Dieses Recht schließt sowohl das Verweilen an einem Ort als auch den Wechsel des Wohnsitzes ein. Es ermöglicht den Bürgern, ihre Lebensumstände nach eigenen Vorstellungen zu gestalten und die Wahl des Wohnorts nicht an behördliche Genehmigungen oder Einschränkungen zu knüpfen.

Die Freizügigkeit wird oft als Voraussetzung für die Ausübung anderer Grundrechte angesehen, insbesondere im Hinblick auf das Recht auf Arbeit (Art. 12 GG) und das Recht auf soziale Sicherheit. Die Möglichkeit, frei zu reisen und sich an einem Ort niederzulassen, ist eng verbunden mit der Selbstbestimmung und der Verwirklichung individueller Lebensentwürfe.

1.4. Inhaltliche Auslegung

1.4.1. Allgemeines Freizügigkeitsrecht

Art. 11 Abs. 1 GG garantiert den Deutschen ein allgemeines Recht auf Freizügigkeit. Dies beinhaltet das Recht, sich ohne Einschränkungen innerhalb des Bundesgebiets zu bewegen, zu reisen und sich niederzulassen. Es schützt die Bürger vor staatlichen Eingriffen, die ihre Bewegungsfreiheit einschränken könnten.

Im Kontext der Europäischen Union hat das Freizügigkeitsrecht zusätzliche Dimensionen erhalten. Die EU-Bürger genießen ebenfalls ein Recht auf Freizügigkeit, was die Bewegungsfreiheit innerhalb der EU-Staaten und damit die soziale und wirtschaftliche Integration fördert. Art. 11 GG bleibt jedoch spezifisch auf die deutschen Staatsbürger ausgerichtet.

1.5. Eingriffe in die Freizügigkeit

Eingriffe in die Freizügigkeit können grundsätzlich nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen. Diese Anforderungen sind in den nachfolgenden Artikeln des Grundgesetzes und durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts klar umrissen. Insbesondere ist zu beachten, dass Einschränkungen der Freizügigkeit in einer demokratischen Gesellschaft nur dann zulässig sind, wenn sie dem Schutz eines überragenden Gemeinschaftsguts dienen, wie etwa der öffentlichen Sicherheit oder der Gesundheit.

1.6. Verfassungsrechtliche Bedeutung

Art. 11 Abs. 1 GG hat eine herausragende verfassungsrechtliche Bedeutung, da er das individuelle Recht auf Bewegungsfreiheit in einem demokratischen und sozialen Rechtsstaat sichert. Dieses Recht ist nicht nur für die persönliche Freiheit entscheidend, sondern auch für die soziale und wirtschaftliche Teilhabe der Bürger.

Die Bedeutung der Freizügigkeit zeigt sich insbesondere im Kontext von Migration und Integration. Das Grundrecht auf Freizügigkeit wird zur Basis für die Aufnahme und Integration von Migranten, die in Deutschland leben und arbeiten möchten.

1.7. Verhältnis zu anderen Grundrechten

Art. 11 Abs. 1 GG steht in einem engen Verhältnis zu anderen Grundrechten, insbesondere dem Recht auf freie Wahl des Wohnsitzes (Art. 12 GG) und dem Recht auf Meinungsfreiheit (Art. 5 GG). Die Freizügigkeit ermöglicht es den Bürgern, nicht nur physisch zu reisen, sondern auch an verschiedenen Orten an demokratischen Prozessen teilzunehmen, ihre Meinungen zu äußern und sich politisch zu engagieren.

Darüber hinaus ist die Freizügigkeit auch mit dem Recht auf Asyl (Art. 16a GG) verknüpft. Flüchtlinge nach Genfer Flüchtlingskonvention und subsidiär Schutzberechtigte rechtmäßig im gesamten Bundesgebiet auf und genießen auch Freizügigkeit in den Schengen-Staaten gemäß Art. 21 Schengener Durchführungsübereinkommen.1

2. Art. 11 Abs. 2 GG – Schranken der Freizügigkeit

„Dieses Recht darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes und nur für die Fälle eingeschränkt werden, in denen eine ausreichende Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und der Allgemeinheit daraus besondere Lasten entstehen würden oder in denen es zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes, zur Bekämpfung von Seuchengefahr, Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen, zum Schutze der Jugend vor Verwahrlosung oder um strafbaren Handlungen vorzubeugen, erforderlich ist.“

2.1. Einleitung

Art. 11 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) regelt die Bedingungen, unter denen das Grundrecht auf Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG) eingeschränkt werden kann. Während der erste Absatz das allgemeine Recht auf Freizügigkeit für alle Deutschen gewährleistet, konkretisiert der zweite Absatz die Voraussetzungen für mögliche Einschränkungen. Diese Vorschrift ist von entscheidender Bedeutung für das Verständnis der Balance zwischen individuellen Freiheiten und den Erfordernissen des Gemeinwohls in einer demokratischen Gesellschaft.

2.2. Systematische Einordnung

Art. 11 GG gehört zu den Grundrechten, die im Grundgesetz verankert sind und dem Schutz der Menschenwürde sowie der individuellen Freiheiten dienen. Die Möglichkeit, Grundrechte einzuschränken, ist in verschiedenen Artikeln des Grundgesetzes vorgesehen, wobei die Schrankenregelungen stets einer strengen Prüfung unterzogen werden müssen. Art. 11 Abs. 2 GG ist besonders wichtig, da er spezifische Umstände beschreibt, unter denen die Freizügigkeit eingeschränkt werden kann, ohne die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit zu verletzen.

2.3. Inhaltliche Auslegung

2.3.1. Einschränkungen nur durch Gesetz

Der erste Satz von Art. 11 Abs. 2 GG stellt klar, dass Einschränkungen des Freizügigkeitsrechts nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen dürfen. Dies bedeutet, dass jegliche Eingriffe in die Freizügigkeit eine gesetzliche Grundlage benötigen, die sich an den Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und der Gewaltenteilung orientiert.

Diese Anforderung ist grundlegend für den Schutz vor willkürlichen staatlichen Eingriffen und garantiert, dass Einschränkungen des Grundrechts nicht ohne demokratische Legitimation vorgenommen werden. Der Gesetzgeber muss sich dabei stets an die Vorgaben des Grundgesetzes halten und sicherstellen, dass jede Regelung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt.

2.3.2. Konkrete Einschränkungsvoraussetzungen

Die Norm nennt spezifische Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, um das Recht auf Freizügigkeit einzuschränken:

2.3.2.1. Ausreichende Lebensgrundlage

Eine der Hauptvoraussetzungen für eine Einschränkung ist das Fehlen einer ausreichenden Lebensgrundlage. Hierbei handelt es sich um Situationen, in denen Individuen oder Gruppen nicht in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Dies könnte beispielsweise bei Menschen in prekären wirtschaftlichen Verhältnissen der Fall sein. Der Staat hat in solchen Situationen die Pflicht, soziale Sicherheit zu gewährleisten, was die Freizügigkeit der Betroffenen temporär einschränken kann, um eine Überlastung der Sozialstruktur zu vermeiden.

2.3.2.2. Besondere Lasten für die Allgemeinheit

Einschränkungen können auch dann gerechtfertigt sein, wenn besondere Lasten für die Allgemeinheit entstehen. Diese Formulierung erfordert eine Abwägung zwischen individuellen Rechten und dem Schutz des Gemeinwohls. Solche Lasten können beispielsweise durch einen starken Anstieg von Zuwanderung oder durch massive soziale Probleme in bestimmten Regionen entstehen.

2.3.2.3. Abwehr drohender Gefahren

Ein weiterer zentraler Grund für die Einschränkung der Freizügigkeit sind drohende Gefahren, die den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung gefährden könnten. Hierunter fallen nicht nur äußere Bedrohungen wie Terrorismus oder militärische Angriffe, sondern auch innere Gefahren, die die öffentliche Ordnung oder den sozialen Frieden gefährden.

2.3.2.4. Seuchengefahr und Naturkatastrophen

Die Norm erwähnt ausdrücklich, dass auch die Bekämpfung von Seuchengefahren oder Naturkatastrophen als Rechtfertigungsgrund für Einschränkungen der Freizügigkeit dienen kann. In solchen Fällen kann der Staat Maßnahmen ergreifen, die eine temporäre Einschränkung der Bewegungsfreiheit zur Folge haben, um die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen und die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten.

2.3.2.5. Schutz der Jugend und Vorbeugung von Straftaten

Der Schutz von Minderjährigen vor Verwahrlosung sowie die Prävention von Straftaten sind weitere legitime Gründe, die eine Einschränkung des Freizügigkeitsrechts rechtfertigen können. Hierbei steht der Schutz besonders verletzlicher Gruppen im Vordergrund.

2.4. Verfassungsrechtliche Relevanz

Art. 11 Abs. 2 GG hat erhebliche Bedeutung für die Rechtsprechung und die rechtliche Praxis in Deutschland. Die enge Auslegung der in der Norm genannten Gründe für Einschränkungen stellt sicher, dass die Freizügigkeit als fundamentales Grundrecht nicht leichtfertig eingeschränkt werden kann.

Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat immer wieder betont, dass Einschränkungen der Grundrechte in einer demokratischen Gesellschaft nur im Rahmen strenger verfassungsrechtlicher Maßstäbe möglich sind. Die gesetzlichen Regelungen müssen konkret und transparent sein und die Eingriffe müssen stets das Prinzip der Verhältnismäßigkeit wahren.

2.5. Verhältnis zu anderen Grundrechten

Art. 11 Abs. 2 GG steht in einem engen Verhältnis zu anderen Grundrechten, insbesondere zum Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) und dem Recht auf Eigentum (Art. 14 GG). Eingriffe in die Freizügigkeit können oft auch Auswirkungen auf diese anderen Grundrechte haben.

Darüber hinaus ist die Norm auch mit den Regelungen zu Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) und Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) verknüpft, da eine Einschränkung der Freizügigkeit häufig auch die Möglichkeit einschränken kann, an öffentlichen Versammlungen teilzunehmen oder seine Meinung zu äußern.