Nachrichten der Wirtschaftskanzleien

DOL’s Final Rule Increases Salary Thresholds for Overtime Exempt Employees

Dentons Insights - Mi, 01.05.2024 - 02:00

United States: The Department of Labor announced a final overtime rule, Defining and Delimiting the Exemptions for Executive, Administrative, Professional, Outside Sales, and Computer Employees, on April 23, 2024.

Hong Kong Court of Final Appeal affirmed the constitutionality of the "No Consent" regime

Dentons Insights - Mi, 01.05.2024 - 02:00

China: We have previously reviewed the Court of Appeal's judgment in Tam Sze Leung v. Commissioner of Police. In that judgment, the court revisited its previous decision in Interush Ltd v. Commission of Police and confirmed the lawfulness of the police's use of the letter of no consent (LNC) under the "No Consent" regime.

Navigating uncharted waters: key challenges in the data centre boom

Dentons Insights - Mi, 01.05.2024 - 02:00

United Kingdom: In the rapidly evolving data centre industry, the surge in demand is unprecedented. Driven by large cloud service providers (known as "hyperscalers"), the development of AI technologies and high-performance computing, planned deployment in the UK is expected to reach 982MW over the next five years with development costs currently estimated at £9-10 billion. However, such a rapid expansion has exposed limitations in existing public resources, processes and policies and presents investors, developers, operators and their respective advisers with new and complex legal and strategic challenges.

Serving up Standards: The dish on two new Advertising Codes

Dentons Insights - Mi, 01.05.2024 - 02:00

New Zealand: After going through three rounds of consultation, the Advertising Standards Authority (ASA) has announced that the following codes have been adopted and will replace the existing Children and Young People’s Advertising Code and the food rules in the Advertising Standards Code.

Enforcement and disputes

Norton Rose Fulbright - Di, 30.04.2024 - 19:10
FCA and Pensions Regulator activity and decisions

In-house Legal Forum | Pensions

Norton Rose Fulbright - Di, 30.04.2024 - 17:47
This webinar will help in-house teams make sense of the changing pensions landscape and what it might mean for sponsoring employers.

“Big Read Book series”

Norton Rose Fulbright - Di, 30.04.2024 - 14:09
Welcome to Volume 18 of Norton Rose Fulbright’s Big Read Book series, Norton Rose Fulbright’s review of Zimbabwe’s insurance judgments (2003-2023).

Gesamtvergabe statt Losaufteilung – Anforderungen an die Begründung

Beiten Burkhardt // BLOG - Di, 30.04.2024 - 14:00

Die Vergabekammer des Bundes hat sich in einer kürzlich ergangenen Entscheidung (Beschluss vom 29. Februar 2024, VK 2-17/24) mit der in der Praxis immer wiederkehrenden Frage auseinandergesetzt, unter welchen Voraussetzungen vom Grundsatz der losweisen Vergabe abgewichen werden darf. Die Entscheidung betrifft einen Zwiespalt, in dem sich öffentliche Auftraggeber regelmäßig wiederfinden: Einerseits haben sie die Verpflichtung zur Erfüllung der Vorgabe des Vergaberechts, grundsätzlich eine Losaufteilung vorzunehmen, andererseits fordert die Fachseite häufig eine Gesamtvergabe und behauptet häufig, dies sei unvermeidbar.

Der Sachverhalt

Mit dem zu vergebenden Auftrag wollte die Auftraggeberin durch eine Vielzahl von Bauarbeiten einen Autobahnabschnitt erneuern, bei dem es sich um einen stark frequentierten Teil handelt, welcher im Bundesverkehrswegeplan 2030 mit der Dringlichkeitsstufe "Vordringlicher Bedarf – Engpassbeseitigung" ausgewiesen wurde.

Sie schrieb diese unionsweit aus und wählte dabei eine Gesamtvergabe. Auf eine Aufteilung in Fachlose (Verkehrssicherung, Markierungsarbeiten, passive Schutzeinrichtungen) verzichtete die Auftraggeberin, um Synergieeffekte zu erzielen und die Bauzeit so gering wie möglich zu halten. Die Gründe hierfür dokumentierte die Auftraggeberin in einem Vermerk. Als wesentliche Gründe wurden dort aufgeführt:

  • Verkürzung der Bauzeit bei Anwendung des Verfügbarkeitskostenmodells;
  • Partizipation der Fachlos-Auftragnehmer an einer möglichen Beschleunigungsvergütung des Generalunternehmers;
  • höhere Wirtschaftlichkeit in der Beschaffung;
  • deutliche Verringerung von Sicherheitsrisiken;
  • Vermeidung von Kompatibilitätsproblemen;
  • zu erwartender erheblicher volkswirtschaftlicher Nutzen einer Bauzeitverkürzung.

Die Auftraggeberin hat in ihrem Vergabevermerk die geschätzten Bauzeiten bei den Modellen Gesamtvergabe/Verfügbarkeitskosten (Variante 3), Fachlosvergabe/Verfügbarkeitskosten (Variante 2) und Fachlosvergabe (Variante 1) gegenübergestellt. Dabei kam sie zu dem Ergebnis, dass die von ihr präferierte Variante 3 mit der Gesamtvergabe die Bauzeit um 21 Tage (gegenüber Variante 2) bzw. 38 Tage (gegenüber Variante 1) verkürzen könnte.

Das Verfügbarkeitskostenmodell zeichnete sich dadurch aus, dass die Auftraggeberin dem zukünftigen Auftragnehmer die Beanspruchung der Fahrbahn zum Zwecke der Erledigung der Bauarbeiten gegen die Entrichtung von Verfügbarkeitskosten zur Verfügung stellt. Die Auftraggeberin gibt lediglich einen zeitlichen Rahmen vor, innerhalb dessen die Bauarbeiten fertiggestellt werden sollen. Die tatsächlich erforderliche Bauzeit ist Gegenstand der Angebote der Bieter und
wird - im Falle der Auftragserteilung - mit konkreten Baufristen vertraglich vereinbart. Kann der Auftragnehmer die Bauarbeiten früher abschließen als im Angebot vorgesehen, erhält er von der Auftraggeberin im Rahmen der Schlussrechnung einen Bonus, der umso höher ausfällt, je kürzer die tatsächliche Bauzeit im Vergleich zur angebotenen Bauzeit war.

Zuschlagskriterium ist ein fiktiver Wertungspreis. Dieser wird ermittelt aus der Wertungssumme des Angebots zuzüglich der anhand der angebotenen Anzahl an Werktagen zu wertenden Verfügbarkeitskosten.

Mit einem Nachprüfungsantrag wandte sich eine Bieterin - nachdem sie erfolglos gerügt hatte – gegen die Gesamtvergabe und beanstandete in erster Linie, dass die Verkehrssicherung nicht als separates Los ausgeschrieben worden war.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer des Bundes entschied, dass der Nachprüfungsantrag zwar zulässig, aber unbegründet sei. Die Auftraggeberin war im streitgegenständlichen Vergabeverfahren berechtigt, von einer Losaufteilung abzusehen.

§ 97 Abs. 4 S. 2 GWB normiere den Grundsatz der Losaufteilung. Dieser Grundsatz sei vorliegend zwar einschlägig, denn für die Teilleistung "Verkehrssicherung" bestehe, was auch auf Seiten der Auftraggeberin unbestritten war, ein eigenständiger fachlicher Markt. Daher sei nach § 97 Abs. 4 S.2 GWB grundsätzlich ein Fachlos zu bilden.

Allerdings gelte der Grundsatz nicht ausnahmslos. § 97 Abs. 4 S. 3 GWB erlaube die Gesamtvergabe, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern. Das habe die Auftraggeberin vorliegend beanstandungsfrei angenommen.

Hierbei habe die Auftraggeberin insbesondere die Gründe einer erhöhten Unfallgefahr im Baustellenbereich, volkswirtschaftliche Nachteile infolge von Zeitverlust durch Staugeschehen, ökologische Nachteile durch vermehrte staubedingte Emissionen sowie die Notwendigkeit von (vorübergehenden) Sperrungen von Anschlussstellen angeführt. Diese Gründe seien insgesamt geeignet, eine Ausnahme vom Grundsatz der Fachlosvergabe zu rechtfertigen. Die Vergabekammer hob zudem ausdrücklich hervor, dass (nicht berücksichtigungsfähige) verwaltungsinterne Eigeninteressen, wie etwa das Entfallen von Koordinierungsaufwand, der bei einer Gesamtvergabe nicht beim Auftraggeber, sondern beim Generalunternehmer läge, von der Auftraggeberin nicht angeführt wurden.

Die hinter dem besonderen Beschleunigungsinteresse stehenden Ziele seien wirtschaftlicher und technischer Natur im Sinne von § 97 Abs. 3 S. 3 GWB und gingen – soweit die erhöhte Unfallgefahr betroffen sei – sogar darüber hinaus, denn es gehe dabei um die Abwehr von Gefahren für Leib und Leben der Verkehrsteilnehmer.

Zwar stellte die Vergabekammer zunächst fest, dass die von der Auftraggeberin genannten Nachteile regelmäßig mit Baustellen einhergingen, denn Baustellen führten sehr häufig zu Verkehrsstaus und stellten unfallträchtige Bereiche dar. Wolle man diese Gründe pauschal als Argument für eine Gesamtvergabe gelten lassen, so könne sich die Auftraggeberin bei Bauarbeiten an Bundesautobahnen stets auf technische und wirtschaftliche Gründe für eine Gesamtvergabe berufen, wodurch das Fachlosgebot ins Leere liefe.

Im vorliegenden Fall läge jedoch nicht nur ein allgemeines, sondern ein streckenabschnittbedingt spezifisches Beschleunigungsinteresse mit Bezug zum konkreten Vorhaben vor. Die Auftraggeberin berufe sich gerade nicht pauschal auf die angeführten Gründe, sondern stelle schon im Vergabevermerk auf die ganz konkrete Baustelle und deren Besonderheit ab. Aufgrund der extrem zugespitzten Verkehrssituation, welche die Auftraggeberin nachweisen konnte und aufgrund derer auch die Bundesregierung dem Projekt ein überragendes öffentliches Interesse attestierte, sei das hinter dem besonderen Beschleunigungsinteresse stehende Ziel einer schnellstmöglichen Beendigung der Baumaßnahme ein legitimer Grund für eine Gesamtvergabe.

Der Verzicht auf die Fachlosvergabe sei auch geeignet, eine schnellere Abwicklung des Bauvorhabens zu gewährleisten. Die Beschleunigung sei mit dem Verfügbarkeitsmodell angestrebt worden. Die Bauzeit werde in den Wettbewerb gestellt, indem die Bauunternehmer auf Bieterseite die von ihnen für erforderlich gehaltene Bauzeit individuell berechnen. Je kürzer die angebotene Bauzeit, desto geringer sei der (fiktive) Wertungspreis. Die individuell angebotene Bauzeit werde Vertragsinhalt.

Ein solches Vorgehen, bei dem die Bauzeit nicht auftraggeberseitig vorgegeben wird, sei jedoch bei einer losweisen Vergabe der Verkehrssicherung nicht möglich, da nur ein der Bauvergabe zeitlich nachfolgendes Vergabeverfahren in Betracht kommen könne. Denn der Auftraggeber könne für ein Fachlos keine Ausführungsfrist vorgeben, wenn diese im Wettbewerb von den Bauunternehmen erst anzubieten und daher auch erst mit Öffnung der Angebote und letztendlich mit Auftragserteilung an das Bauunternehmen bekannt sei. So habe ein Bauunternehmer in einem ähnlichen Verfahren ein Angebot abgegeben, das die Durchführung der Baumaßnahme nicht am Ende der Bauzeit verkürzte, sondern wonach eine Verkürzung der Gesamtbauzeit über einen zeitlich späteren Baubeginn erreicht werde. Damit wären, den Zuschlag auf dieses Angebot unterstellt, auch die Verkehrssicherungsleistungen zeitlich später zu erbringen. Zu lösen wäre dies nur über eine konsekutive Durchführung von zwei Vergabeverfahren, die aber den Beginn der Baumaßnahmen wiederum erheblich verzögern würde; der Bauauftragnehmer müsste mit Beginn der Bauausführung warten, bis auch das Fachlos vergeben ist. Werde aber für das Fachlos keine Ausführungsfrist vorgegeben, so sei dies wiederum vergaberechtlich angreifbar unter dem Gesichtspunkt der nicht ausreichenden Bestimmtheit der Leistungsbeschreibung, § 121 GWB.

Das Verfügbarkeitskostenmodell setze zudem voraus, dass der Bauunternehmer die Möglichkeit zu flexiblem Handeln und zu flexibler Absprache mit den anderen Gewerken habe, da die verschiedenen Gewerke auf der Baustelle ineinandergreifen. Diese Möglichkeit sei im Sinne einer Wahrscheinlichkeit eher gegeben, wenn das Bauunternehmen selbst Vertragspartner der Fachgewerke ist und die verschiedenen Unternehmen vor Ort auf der Baustelle flexiblere Absprachen treffen können, als wenn die Auftraggeberin als Vertragspartnerin der Fachgewerke zwischengeschaltet ist.

Der Verzicht auf Fachlose sei auch als "erforderlich" im Sinne von § 97 Abs. 3 S. 3 GWB zu bezeichnen. Die Erforderlichkeit sei nicht erst dann gegeben, wenn ein Losverzicht vollkommen alternativlos wäre, denn eine Alternativlosigkeit dürfte bei der Frage nach der Losaufteilung in der Praxis kaum vorkommen. Die Erforderlichkeit im Sinne der Norm, aus wirtschaftlichen oder technischen Gründen von einer Losaufteilung abzusehen, sei vielmehr zu verstehen als eine konkrete Ausprägung des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.

Der Vergabekammer sei sich dabei durchaus bewusst, dass ein Verzicht auf die Losvergabe bei Fachlosen besonders schwer wiege, da die interessierten Fachunternehmen weitgehend ausgeschlossen seien und vornehmlich als Nachunternehmer am Auftrag partizipieren könnten. Zwar würde der konkrete Auftrag der Verkehrssicherung schlussendlich bei den Fachunternehmen ankommen, da die Bauunternehmen regelmäßig nicht auf die Erbringung dieser Leistungen eingerichtet seien, diese seien aber keine öffentlichen Auftragnehmer und damit in ihrer Entscheidung frei, welchen Nachunternehmer sie für die Verkehrssicherung einbinden wollen.

Die Vergabekammer hat bei ihrer Entscheidung zudem das vorliegende Vergabeverfahren sowohl im Kontext mit den übrigen Vergabeverfahren der Auftraggeberin – also in einer Gesamtschau – als auch isoliert betrachtet und diesbezüglich eine verhältnismäßige Anwendung des Ausnahmetatbestandes (über alle Vergabeverfahren der Auftraggeberin hinweg) angenommen. 90 Prozent aller Bauprojekte der Auftraggeberin seien konventionell, also losweise ausgeschrieben und beauftragt worden. Der besondere Beschleunigungsansatz werde nach der Auftraggeberin nur bei Abschnitten mit besonderer Belastung gewählt, an denen eine schnelle Abwicklung besonders wichtig sei. Etwas anderes ergebe sich auch nicht bei isolierter Betrachtungsweise. Das Projekt unterliege zulässigerweise einer besonderen Priorisierung mit der Folge eines besonderen und spezifischen Beschleunigungsbedürfnisses.

Praxistipp

Der Beschluss der Vergabekammer des Bundes stellt klar, dass die Ausnahme vom Gebot der losweisen Vergabe nach § 97 Abs. 4 S. 3 GWB einen eng auszulegenden Ausnahmetatbestand darstellt und zeigt anschaulich, welch hoher Begründungsaufwand betrieben werden muss, um einen Verzicht auf eine losweise Vergabe zu rechtfertigen. Die Aspekte, die bei jeder (losweisen) Vergabe auftreten und den Vergabestellen üblicherweise von der Fachseite als unüberwindbare Hindernisse und zwingende Gründe für eine Gesamtvergabe präsentiert werden, genügen in aller Regel nicht. Insbesondere die üblichen "Lästigkeiten" einer losweisen Beauftragung wie Koordinationsaufwände beim Auftraggeber, unterschiedliche Haftungssubjekte im Fall der Schlechtleistung, aber auch üblicherweise in Kauf zu nehmende zeitliche Verzögerungen, können ein Absehen vom Gebot der losweisen Vergabe nicht rechtfertigen. Vielmehr ist ein über den Normalfall hinausgehender besonderer Grund für die Gesamtvergabe nötig. Hierfür sind – insbesondere von den fachlichen Abteilungen - stichhaltige Gründe zu nennen. Diese sind – am besten wie hier geschehen in einem Vermerk, der zur Vergabeakte genommen wird – zu dokumentieren. Ein weiterer Grund für eine Gesamtvergabe wäre im Übrigen dann gegeben, wenn es (europaweit!) keinen entsprechenden Markt für die für ein Fachlos in Betracht kommenden Teilleistungen gibt. Dies kann im Einzelfall durch eine entsprechende Markterkundung vor Einleitung des Vergabeverfahrens ermittelt werden, die ebenfalls sorgfältig zu dokumentieren wäre.

Auffällig ist die zumindest ergänzend von der Vergabekammer des Bundes über die verschiedenen von der Auftraggeberin durchgeführten Verfahren hinweg angestellte Gesamtbetrachtung im Sinne der Frage, ob die Auftraggeberin insgesamt maßvoll mit dem Ausnahmetatbestand umgeht. Damit blickt sie in äußerst ungewöhnlicher Weise (vermutlich aufgrund entsprechenden Vortrags der Auftraggeberin) über den Tellerrand des zu beurteilenden Vergabeverfahrens hinaus auf die gesamte Vergabepraxis der Auftraggeberin. Welche Bedeutung dieser Aspekt für die Zulässigkeit der Gesamtvergabe im konkreten Fall aus vergaberechtlicher Sicht haben soll, lässt die Vergabekammer des Bundes aber offen. Tatsächlich ist nicht erkennbar, welche Relevanz das Vorgehen in anderen Verfahren, wenngleich derselben Auftraggeberin, für die Prüfung im konkret zu entscheidenden Fall haben sollte, da nur hinreichende Gründe im Einzelfall die Gesamtvergabe rechtfertigen können.

Katrin Lüdtke
Korbinian Goll

Data Act und Cloud Service Provider (Teil 1): Vertragsgestaltung und Informationspflichten 

CMS Hasche Sigle Blog - Di, 30.04.2024 - 11:54

Mit dem neuen Datenrecht möchte die Europäische Union (EU) einen europäischen Binnenmarkt für Daten schaffen, den Wettbewerb rund um datengetriebene Geschäftsmodelle öffnen und in dem Zuge Anbieterwechsel für Kunden* erleichtern, nachdem Versuche der Selbstregulierung durch die Industrie nicht zum gewünschten Erfolg geführt haben. Zu der Digitalisierungs- und der Datenstrategie der EU gehören daher auch die Erleichterung des Wechsels eines Cloud-Service-Providers (CSP), die Verbesserung der Markteintrittschancen für neue Anbieter sowie die schrittweise Abschaffung von Datenübertragungskosten. Am 11. Januar 2024 ist als wichtige Säule der Digitalisierungs- und der Datenstrategie der Data Act (Verordnung über harmonisierte Vorschriften für einen fairen Datenzugang und eine faire Datennutzung, DA) in Kraft getreten. Der DA wird nach einer Übergangsfrist von 20 Monaten ab dem 12. September 2025 unionsweit anwendbar sein. 

Neben neuen Datenzugangsansprüchen und einem eigenständigen Vertragsrecht stellt der DA neue Anforderungen an CSP u.a. hinsichtlich Informationspflichten und Vertragsgestaltung, die wir in diesem Beitrag unserer CMS Blog-Serie „#CMSdatalaw“ beleuchten wollen. 

Kapitel VI des DA: Erleichterung des CSP-Wechsels und der Parallelnutzung

Der DA soll mit seinen Regelungen insb. in Kapitel VI („Wechsel zwischen Datenverarbeitungsdiensten“, Art. 23 bis 31 DA) zum Abbau von Hindernissen beitragen, denen sich Kunden, die den Anbieter wechseln möchten, ausgesetzt sehen, und einen Übergang von einem Datenverarbeitungsdienst auf den anderen erleichtern (vgl. EG 79 des DA). Solche Hindernisse können z.B. aufgrund fehlender offener Schnittstellen, unzureichender Interoperabilität und fehlender technischer Standards bestehen. Mit dem Wechsel gehen oftmals hohe Kosten für Datenmigration, Formatanpassungen oder Neuentwicklungen einher, insb. wenn bereits im Vorfeld Abhängigkeiten geschaffen wurden, die den Wechsel erschweren. Aufgrund der hohen Hürden kann ein Wechsel unterbleiben oder verzögert werden, obwohl dieser sinnvoll wäre. 

Dem soll u.a. mit Art. 23 DA entgegengewirkt werden, der festlegt: Die Regelungen des Kapitels VI sollen Kunden den Wechsel zwischen CSP ermöglichen und diese zur gleichzeitigen Nutzung mehrerer CSP befähigen. Hierfür sind Art. 23 DA zufolge „vorkommerzielle, gewerbliche, technische, vertragliche und organisatorische“ Hindernisse für einen Wechsel und die damit zusammenhängenden Handlungen zu beseitigen und das Erreichen der sog. „Funktionsäquivalenz“ nicht zu verhindern. Außerdem sollten Infastructure-as-a-Service (IaaS) Anbieter gemäß Art. 23 lit. e) DA im Rahmen des technisch Möglichen für eine Entkoppelung der von ihnen auf Basis der IaaS Dienste erbrachten weiteren Services sorgen.

Detaillierte Vorgaben für die Vertragsgestaltung enthält Art. 25 DA, der CSP dazu verpflichtet, ihre Kundenverträge anzupassen, während die Art. 26 und Art. 28 DA neue Informationspflichten schaffen, welche CSP gegenüber Kunden zukünftig einhalten müssen. Eine an Treu und Glauben orientierte und übergreifende Zusammenarbeitspflicht der Beteiligten sieht der DA in Art. 27 vor, die im Falle eines Anbieterwechsels gewährleisten soll, dass die Datenübertragung in einem verbindlichen Zeitrahmen erfolgt und die Fortführung des Dienstes während eines Wechsels sichergestellt ist. Sofern Entgelte für einen CSP-Wechsel vorgesehen sind, werden diese gemäß Art. 29 DA Schritt für Schritt aufgehoben und dürfen ab dem 12. September 2027 gar nicht mehr verlangt werden.

Art. 30 DA differenziert zwischen Anbietern von IaaS, Platform-as-a-Service (PaaS) und Software-as-a-Service (SaaS) und gibt für diese technische Anforderungen an die Durchführung eines Anbieterwechsels vor: IaaS Anbieter sollen gemäß Art. 30 Abs. 1 S. 2 DA „die erforderlichen Instrumente“ bereitstellen, um einen Anbieterwechsel zu ermöglichen, PaaS und SaaS Anbieter sollen gemäß Art. 30 Abs. 1 S. 2 DA „unentgeltlich offene Schnittstellen“ zur Durchführung des Umzugs bereithalten.

Doch wen treffen die neuen Pflichten?

Die neuen Regelungen des DA: Datenverarbeitungsdienste als Verpflichtete, Kunden als Berechtigte 

Die Adressaten der neuen Pflichten der Art. 23 ff. DA sind Anbieter von Datenverarbeitungsdiensten, also gemäß Art. 2 Nr. 8 DA diejenigen, die Kunden eine „digitale Dienstleistung“ bereitstellen. Die umfassten Dienstleistungen zielen laut Erwägungsgrund 80 DA technologieoffen darauf ab, insb. (aber nicht ausschließlich) CSP zu umfassen, die IaaS, PaaS und SaaS Dienste anbieten. Nach der Definition müssen die Dienste „einen flächendeckenden und auf Abruf verfügbaren Netzzugang zu einem gemeinsam genutzten Pool konfigurierbarer, skalierbarer und elastischer Rechenressourcen“ gewährleisten, der „zentralisierter, verteilter oder hochgradig verteilter Art“ ist und mit „minimalem Verwaltungsaufwand oder minimaler Interaktion“ mit dem Anbieter „rasch bereitgestellt“ werden kann. Zwar bietet Erwägungsgrund 80 des DA einige Anhaltspunkte zur Auslegung all dieser unbestimmten Rechtsbegriffe, allerdings dürfte absehbar sein, dass es letztlich Gerichten obliegt, in streitigen Fällen zu entscheiden, ob ein Angebot als „digitale Dienstleistung“ und „Datenverarbeitungsdienst“ im Sinne des DA mit all seinen Pflichten einzustufen ist.

Demgegenüber werden die Kunden durch den DA mit einer Reihe neuer Rechte ausgestattet. Kunde ist gemäß Art. 2 Nr. 30 DA jede „natürliche oder juristische Person, die mit einem Anbieter von Datenverarbeitungsdiensten eine vertragliche Beziehung eingegangen ist, um einen oder mehrere Datenverarbeitungsdienste in Anspruch zu nehmen“. Die Pflichten des DA für CSP gelten demnach nicht nur im B2C-, sondern auch im B2B-Bereich. Im Folgenden geben wir einen Überblick über diese neuen Pflichten.

Die Informationspflichten für CSP nach dem DA im Überblick

CSP haben zukünftig eine Reihe neuer Informationspflichten gegenüber Kunden oder gegenüber der Allgemeinheit bzw. Öffentlichkeit zu erfüllen, dazu zählen Informationen zum Anbieterwechsel, zu internationalen Datentransfers, zu Entgelten sowie zu Ausnahmen von gesetzlichen Pflichten.

Welche Inhalte sollen auf einen neuen Dienst übertragen werden? Welche Datenformate unterstützt der Anbieter? Auf welche Weise soll die Datenübermittlung erfolgen? Damit Kunden hierzu eine fundierte Entscheidung treffen und ihren Anbieterwechsel planen können, sieht der DA diverse Informationspflichten des Anbieters gegenüber den Kunden vor (Art. 26 DA, Erwägungsgrund 95 des DA). 

Der CSP ist entsprechend Art. 26 DA zunächst dazu verpflichtet, detaillierte Informationen über die verfügbaren Wechselverfahren und die Übertragung von Inhalten für den Kunden bereitzustellen. Hiervon umfasst sind sowohl Angaben zu den verfügbaren Methoden und Formaten des Wechselvorgangs und der Datenübermittlung als auch Angaben zu den dem Anbieter bekannten (technischen) Einschränkungen (vgl. Art. 26 lit. a) DA). Außerdem muss der Anbieter den Kunden gemäß Art. 26 lit. a) und lit. b) DA auf ein aktuelles „Online-Register“ hinweisen, in dem Einzelheiten zu sämtlichen Datenstrukturen und -formaten sowie zu den einschlägigen Normen und offenen Interoperabilitätsspezifikationen beschrieben sind, in denen die exportierbaren Daten gemäß Art. 25 Abs. 2 lit. e) DA verfügbar sind. Dieses Register muss nicht für die Allgemeinheit zugänglich im Internet verfügbar sein; ausreichend kann auch ein ausschließlich für Kunden zugängliches Portal sein. Nicht ausdrücklich bestimmt der DA, ab welchem Zeitpunkt diese Informationspflichten greifen sollen.

Gegenüber der Öffentlichkeit besteht außerdem eine Informationspflicht aus Art. 28 DA, die CSP auferlegt, auf ihren Websites stets aktualisierte Informationen bereitzustellen hinsichtlich der Gerichtsbarkeit, der die für die Bereitstellung der Dienste genutzte IKT-Infrastruktur unterliegt (Art. 28 Abs. 1 lit. a) DA), inkl. einer Beschreibung der technischen, organisatorischen und vertraglichen Vorkehrungen, welche der Anbieter zur Verhinderung möglicher internationaler staatlicher Zugriffe oder staatlicher Weitergaben von in der EU gespeicherten nicht-personenbezogenen Daten ergriffen hat (Art. 28 Abs. 1 lit. b) DA). Mit diesen Informationspflichten einher geht die Verpflichtung des Anbieters aus Art. 32 Abs. 1 DA, angemessene technische und organisatorische Maßnahmen zu ergreifen, um den Zugriff von staatlichen Stellen aus Drittländern zu verhindern, soweit die Zugriffsbefugnis im Widerspruch zum Unionsrecht oder dem Recht eines EU-Mitgliedsstaates steht. 

Art. 29 Abs. 4 und Abs. 5 DA enthalten darüber hinaus vorvertragliche Informationspflichten des Anbieters, wonach dieser etwaige Kunden vor Vertragsschluss in leicht abrufbarer Form und öffentlich verfügbar hinsichtlich der erhobenen Entgelte für den Dienst, der bei vorzeitiger Vertragsbeendigung berechneten Gebühren sowie mögliche Wechselentgelte (Abs. 4) und – soweit ein Wechsel des Dienstes zu einem anderen Provider hochgradig komplex oder kostspielig ist – über diesen Umstand (Abs. 5) unterrichten muss. 

Soweit der Anbieter partiell von den gesetzlichen Pflichten nach dem DA befreit ist, hat dieser gemäß Art. 31 Abs. 3 DA potentielle Kunden auch hierüber vor Vertragsschluss zu unterrichten. 

Der DA enthält außerdem Vorgaben für die Vertragsgestaltung

Art. 25 DA legt für den Vertrag zwischen Anbieter und Kunden die Pflicht zum Abschluss eines „schriftlichen Vertrages“  fest. Außerdem muss der Vertrag dem Kunden vor der Unterzeichnung so bereitgestellt werden, dass dieser ihn dauerhaft speichern kann. Weiterhin hält Art. 25 DA CSP dazu an, Verträge unter Berücksichtigung der teilweise sehr detailreichen gesetzlichen Anforderungen des DA zu überarbeiten. Hierdurch kann die Überarbeitung bestehender Cloud-AGB von Anbietern notwendig werden.

Zwingend in dem Vertrag geregelt bzw. vorgesehen werden müssen gemäß Art. 25 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 5 DA u.a. das Recht des Kunden zum Anbieterwechsel oder zur Übertragung aller Daten in eine kundeneigene Umgebung (Art. 25 Abs. 2 lit. a) DA), die Pflicht des Anbieters, bei einem Wechsel „für ein hohes Maß an Sicherheit“ insb. während der Datenübertragung zu sorgen (Art. 25 Abs. 2 lit. a) iv) DA), eine „maximale Kündigungsfrist für die Einleitung des Wechsels, die zwei Monate nicht überschreiten darf“ (Art. 25 Abs. 2 lit. d) DA), eine konkrete und abschließende Liste aller Datenkategorien, die während eines Anbieterwechsels übertragen werden, konkrete und abschließende Angaben, welche Daten „für die interne Funktionsweise des Datenverarbeitungsdienstes spezifisch sind“ und bei der „Gefahr einer Verletzung von Geschäftsgeheimnissen“ nicht übertragen werden (Art. 25 Abs. 2 lit. e) und f) DA), zum Recht des Kunden, von dem Anbieter („nach Ablauf der maximalen Kündigungsfrist“ von zwei Monaten) den Wechsel zu einem anderen Anbieter, den Umzug in eigene Räumlichkeiten oder die Löschung seiner Daten zu verlangen (Art. 25 Abs. 3 DA), sowie zum Recht des Kunden zur einmaligen angemessenen Verlängerung des Übergangszeitraums (Art. 25 Abs. 5 DA). 

Bei Verstoß gegen die neuen Regelungen durch einen Anbieter können Bußgelder und zivilrechtliche Folgen drohen. Neben der Nichtigkeit von Regelungen sind zudem Ansprüche betroffener Kunden oder wettbewerbsrechtliche Ansprüche von Mitbewerbern des Anbieters denkbar.

In unserem nächsten Beitrag beschäftigten wir uns mit den neuen Pflichten für CSP im Rahmen eines Wechselprozesses nach dem Data Act. Mit unserer CMS Blog-Serie „#CMSdatalaw“ geben wir Ihnen einen Überblick über das Datenrecht wie z.B. den Data Act und den Data Governance Act. Den in unsere Blog-Serie einführenden Beitrag finden Sie hier. Besuchen Sie zum Datenrecht zudem gern unsere CMS Insight-Seite „Data Law“

Die Gesetzestexte und Erwägungsgründe zum Digital Services Act (DSA) und dem Data Governance Act (DGA) finden Sie für die Praxis kompakt aufbereitet bei CMS DigitalLaws.

* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Der Beitrag Data Act und Cloud Service Provider (Teil 1): Vertragsgestaltung und Informationspflichten  erschien zuerst auf CMS Blog.

UPC: Berufungsgericht klärt Fragen des Zugangs der Öffentlichkeit zu bestimmten Verfahrensdokumenten

CMS Hasche Sigle Blog - Di, 30.04.2024 - 06:38

In seiner Entscheidung vom 10. April 2024 (UPC_CoA_404/2023, ORD_19369/2024) hat das Berufungsgericht des Einheitlichen Patentgerichts (UPC) über die Voraussetzungen des öffentlichen Zugangs zu Schriftsätzen und Beweismitteln entschieden.

Auf Grundlage der Verfahrensordnung (VerfO) des UPC sind Entscheidungen und Anordnungen des UPC – vorbehaltlich etwaig erforderlicher Schwärzungen, etwa betreffend personenbezogene Daten – stets zu veröffentlichen, vgl. Regel 262.1 (a) VerfO. Das UPC hat für die Veröffentlichung von Entscheidungen und Anordnungen eine eigene Seite auf seiner Website eingerichtet. Schwieriger zu beurteilen ist die Frage, wann die am jeweiligen Verfahren nicht beteiligte Öffentlichkeit Zugang zu Verfahrensdokumenten in Form von Schriftsätzen und Beweismitteln erhält. Regel 262.1 (b) VerfO sieht insoweit vor, dass Schriftsätze und Beweismittel, die beim UPC eingereicht und von der Kanzlei des UPC aufgenommen worden sind, der Öffentlichkeit auf einen an die Kanzlei zu richtenden, begründeten Antrag hin zugänglich zu machen sind. Die Entscheidung der Zugänglichmachung wird dabei vom Berichterstatter* des jeweiligen Spruchkörpers des UPC nach Anhörung der Parteien getroffen. Zu den konkreten Voraussetzungen einer solchen Offenlegung hat sich das Berufungsgericht des UPC nun erstmals geäußert.

Antrag nach Regel 262.1 (b) VerfO bei der nordisch-baltischen Regionalkammer, Begründung und Anträge der Parteien des Verfahrens

In Bezug auf ein Patentverletzungsverfahren vor der nordisch-baltischen Regionalkammer (Überblick über die Standorte des UPC) hatte die Kanzlei des UPC einen Antrag nach Regel 262.1 (b) VerfO erhalten, mit dem der nicht namentlich benannte Antragsteller Zugang zur Klageschrift und allen Entscheidungen der nordisch-baltischen Regionalkammer in diesem Verletzungsverfahren sowie zu den Entscheidungen in den Parallelverfahren vor der Lokalkammer Düsseldorf und der Lokalkammer Mailand begehrte.

Zur Begründung seines Antrags führte der Antragsteller u.a. aus, dass er an der Formulierung der bei der nordisch-baltischen Regionalkammer eingereichten Klage interessiert sei, da sie parallel in Verfahren bei anderen Lokalkammern eingereicht worden sei, und dass er der Ansicht ist, dass ein allgemeines öffentliches Interesse daran bestehe, dass diese Informationen im Zuge der Einführung und Entwicklung des neuen Gerichtssystems der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden und zur Diskussion stehen. 

Die Parteien des Verfahrens erhielten, wie von Regel 262.1 (b) VerfO vorgesehen, Gelegenheit zur Stellungnahme zum Antrag, einschließlich eines möglichen Antrags nach Regel 262.2 VerfO, nach dem eine Partei beantragen kann, dass bestimmte in Schriftsätzen oder Beweismitteln enthaltene Informationen vertraulich zu behandeln sind. Die Klägerin des Verletzungsverfahrens widersprach dem Antrag auf Zugänglichmachung der Klageschrift bzw. der Entscheidungen und beantragte, den Antrag zurückweisen. Zur Begründung führte sie aus, dass sich Regel 262.1 (b) VerfO nur auf „Schriftsätze und Beweismittel“ beziehe. Die Regel beziehe sich gerade nicht auf die Zugänglichmachung von Entscheidungen und Anordnungen. Der Antragsteller müsse wie jeder andere auch auf die Veröffentlichung der Entscheidungen auf der Website warten. Bei Schriftsätzen und Beweismitteln verlange Regel 262.1 (b) VerfO einen „begründeten Antrag“, d.h. es müsse ein konkreter, überprüfbarer und legitimer Grund vorliegen, um die Dokumente einem Mitglied der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Einem Dritten solle es nicht gestattet werden, die sorgfältig und mit nicht unerheblichem Aufwand erstellten Schriftsätze zur Durchsetzung eigener wirtschaftlicher Interessen zu verwenden, und die Klägerin habe keine Möglichkeit zu überprüfen, wie die aus der Überprüfung ihrer Klageschrift gewonnenen Erkenntnisse in der Praxis angewendet werden.

Für den Fall, dass dem Antrag auf Zugang u.a. zur Klageschrift stattgegeben wird, beantragte die Klägerin, dass die Zugänglichmachung der Dokumente an den Antragsteller bis zum Abschluss eines etwaigen Rechtsmittelverfahrens ausgesetzt wird, oder hilfsweise, dass die Dokumente dem Antragsteller erst 21 Tage nach dem Erlass einer Entscheidung bereitgestellt werden, um sicherzustellen, dass die Klägerin genügend Zeit hat, um beim Berufungsgericht die aufschiebende Wirkung gemäß Regel 223 VerfO zu beantragen. Die Beklagten des Verletzungsverfahrens äußerten sich zum Antrag auf Zugänglichmachung nicht. Keine der Parteien stellte einen Geheimnisschutzantrag nach Regel 262.2 VerfO.

Auslegung der Regel 262.1 (b) VerfO durch die nordisch-baltische Regionalkammer

In ihrer Entscheidung vom 17. Oktober 2023 (UPC_CFI_11/2023, ORD_543819/2023) stellt die nordisch-baltische Regionalkammer nach dem Tatbestand zunächst ausführlich den für die Entscheidung relevanten rechtlichen Rahmen dar. Dabei stellt sie zunächst klar, dass nach Art. 10 Abs. 1 S. 3 des Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ) das von der Kanzlei geführte Register vorbehaltlich der im EPGÜ festgelegten Bedingungen und der Verfahrensordnung öffentlich ist.

Die nordisch-baltische Regionalkammer wirft sodann die Frage auf, ob sich Art. 10 EPGÜ auch auf den Inhalt des Registers bezieht. Zur Beantwortung dieser Frage zieht die Regionalkammer Art. 45 EPGÜ heran, nach dem die Verhandlungen öffentlich sind, es sei denn, das UPC beschließt, sie – soweit erforderlich – im Interesse einer der Parteien oder sonstiger Betroffener oder im allgemeinen Interesse der Justiz oder der öffentlichen Ordnung unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu führen. Der Anwendungsbereich des Art. 45 EPGÜ sei nicht auf Entscheidungen, Anordnungen oder mündliche Verhandlungen beschränkt, sondern beziehe sich allgemein auf das Verfahren als solches. Daraus folgert die Regionalkammer, dass u.a. auch das schriftliche Verfahren (zu den einzelnen Verfahrensabschnitten s. Art. 52 Abs. 1 EPGÜ) grundsätzlich öffentlich sei, vorbehaltlich etwaiger Einschränkungen im Sinne des Art. 45 EPGÜ. Dieses grundlegende Verständnis sei bei den Anforderungen an den „begründeten Antrag“ nach Regel 262.1 (b) VerfO zu berücksichtigen. Der Begriff sei auch in weiteren Regeln der Verfahrensordnung zu finden, etwa in Regel 9 VerfO, nach der das UPC auf einen begründeten Antrag hin Fristen verkürzen oder verlängern kann. Im Rahmen der Regel 262.1 (b) VerfO sei „begründeter Antrag“ dahin zu verstehen, dass der Antragsteller eine glaubhafte bzw. plausible Erklärung dafür beibringen müsse, weshalb er Zugang zu Schriftsätzen und/oder Beweismitteln begehrt. Diese Auslegung stütze sich auf Art. 45 EPGÜ und stehe im Einklang mit Regel 262.6 VerfO, welche klarstellt, dass das UPC ungeachtet eines möglichen Geheimnisschutzantrags nach Regel 262.2 VerfO dem Antrag auf Zugang zu Schriftsätzen/Beweismitteln grundsätzlich stattgibt, es sei denn, von der betreffenden Partei angeführte berechtigte Gründe für die Vertraulichkeit der Informationen überwiegen das Interesse des Antragstellers am Zugang zu diesen Informationen.

Auf Grundlage dieser Auslegung gewährte die Regionalkammer dem Antragsteller Zugang zur Klageschrift. Ebenso wies die Regionalkammer den Antrag auf Zugang zu Entscheidungen/Anordnungen in den Parallelverfahren mangels Zuständigkeit zurück. Offen lässt die Regionalkammer, ob es grundsätzlich möglich ist, über einen Antrag nach Regel 262.1 (b) VerfO Zugang zu bislang noch nicht veröffentlichten Entscheidungen/Anordnungen des UPC zu erlangen.

Da die Frage des öffentlichen Zugangs zu Dokumenten nach Regel 262.1 (b) VerfO umstritten ist, ordnete die die Regionalkammer an, dass die Klageschrift dem Antragsteller – nach Schwärzung von personenbezogenen Daten im Sinne der DSGVO – erst am 7. November 2023 zur Verfügung gestellt werden solle, um der Klägerin des Verletzungsverfahrens Gelegenheit zur Einlegung der Berufung und zur Beantragung der aufschiebenden Wirkung der Berufung zu geben.

Anwaltliche Vertretung bei einem Antrag nach Regel 262.1 (b) VerfO erforderlich

Die Klägerin des Verletzungsverfahrens legte gegen die Entscheidung der Regionalkammer Berufung ein. Bevor das Berufungsgericht in der Sache (dazu unten) entschied, verhielt es sich in seiner Entscheidung vom 8. Februar 2024 (UPC_CoA_404/2023, App_584498/2023) dazu, ob Antragsteller bei einem Antrag nach Regel 262.1 (b) VerfO (anwaltlich) vertreten sein müssen. Sowohl die Klägerin des Verletzungsverfahrens als auch der Antragsteller argumentierten, dass eine Vertretung nicht erforderlich sei, da der Antragsteller keine „Partei“ des Verfahrens im Sinne des Art. 48 Abs. 1, Abs. 2 EPGÜ bzw. Regel 8.1 VerfO sei. Das Berufungsgericht hingegen ist der Ansicht, dass auch der Antragsteller eines Antrags nach Regel 262.1 (b) VerfO „Partei“ im Sinne der Regel 8.1 VerfO sei. Dies ergebe sich u.a. daraus, dass Regel 8.1 VerfO nur Antragsteller von Opt-Out-Anträgen, von Anträgen auf Aufhebung oder Abänderung einer Entscheidung des Europäischen Patentamts (EPA) und von Anträgen auf Prozesskostenhilfe explizit und abschließend vom Vertretungserfordernis ausnehme, woraus im Umkehrschluss folge, dass für Antragsteller in allen anderen Verfahren das Vertretungserfordernis gelte. Das Vertretungserfordernis stelle für den Antragsteller auch keine unbillige Härte dar, da es nur im Eigeninteresse des Antragstellers liege, sich mit Hilfe eines Vertreters vor möglichen Konsequenzen von Prozesshandlungen zu schützen. Dementsprechend gab das Berufungsgericht dem Antragsteller auf, binnen 14 Tagen einen Vertreter zu benennen bzw. zu bestellen und im selben Zeitraum eine Berufungserwiderung einzureichen.

Auslegung der Regel 262.1 (b) VerfO durch das Berufungsgericht

In seiner Entscheidung vom 10. April 2024 weist das Berufungsgericht die Berufung zurück. Zunächst stellt das Berufungsgericht fest, dass es in Fragen nicht-technischer Natur – wie hier – in einer Besetzung von drei rechtlich qualifizierten Richtern ohne die Mitwirkung von technisch qualifizierten Richtern entscheiden kann. Hinsichtlich des Zugangs zu Dokumenten stellt das Berufungsgericht fest, dass aus Art. 10 und Art. 45 EPGÜ der allgemeine Grundsatz folge, dass sowohl das Register als auch die Verfahren öffentlich sind, es sei denn, die Abwägung der betroffenen Interessen ergibt, dass die in das Verfahren eingeführten Informationen vertraulich zu behandeln sind. Abzuwägen seien bei einem Antrag nach Regel 262.1 (b) VerfO das Interesse des Antragstellers auf Zugang zu den beantragten Dokumenten auf der einen Seite und das Interesse der Partei(en) des Verfahrens auf Schutz von vertraulichen Informationen und personenbezogenen Daten auf der anderen Seite. Auch das allgemeine Interesse der Justiz und der öffentlichen Ordnung müsse berücksichtigt werden. Zum allgemeinen Interesse der Justiz gehöre der Schutz der Integrität der Verfahren. Die öffentliche Ordnung sei etwa dann betroffen, wenn ein Antrag nach Regel 262.1 (b) VerfO missbräuchlich ist oder Sicherheitsinteressen auf dem Spiel stehen. Um dem über den Antrag entscheidenden Berichterstatter eine Interessenabwägung zu ermöglichen, müsse der Antrag nach Regel 262.1 (b) VerfO begründet werden. Nach dem Berufungsgericht ermögliche der öffentliche Zugang zu Dokumenten u.a. die Kontrolle des UPC durch die Öffentlichkeit, was wichtig sei für die Vertrauensbildung in das UPC. Dieses allgemeine Interesse der Öffentlichkeit bestehe regelmäßig insbesondere, nachdem eine Entscheidung durch das UPC erlassen wurde, da die Vorgehensweise und der Entscheidungsfindungsprozess des UPC anhand der getroffenen Entscheidung nachvollzogen werden könne. Der Schutz der Integrität des Verfahrens spiele regelmäßig nur so lange eine Rolle, bis das Verfahren abgeschlossen ist, sei es durch eine Entscheidung des UPC oder durch anderweitige Beendigung, z.B. durch Rücknahme der Klage. Sofern der Schutz der Integrität des Verfahrens keine Rolle mehr spielt, sei der Zugang zu Verfahrensdokumenten – vorbehaltlich etwaiger Schwärzungen – regelmäßig zu gewähren.

Ungeachtet der Situation der Verfahrensbeendigung kann ein Antragsteller nach dem Berufungsgericht auch ein spezifisches Interesse am Zugang zu den Schriftsätzen und Beweismitteln eines bestimmten Verfahrens haben. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn er ein unmittelbares Interesse am Streitgegenstand hat, wie z.B. am Rechtsbestand eines Patents, von dem er auch als Wettbewerber oder Lizenznehmer betroffen ist, oder wenn der Antragsteller ein ähnliches oder identisches (vermeintliches) Verletzungsprodukt benutzt oder zu benutzen beabsichtigt wie die beklagte Partei eines Patentverletzungsverfahrens vor dem UPC. Wenn ein Mitglied der Öffentlichkeit ein solches unmittelbares berechtigtes Interesse an dem Gegenstand eines bestimmten Verfahrens hat, entstehe dieses Interesse nicht erst nach Abschluss des Verfahrens, sondern könne auch während des laufenden Verfahrens gegeben sein.

Schließlich stellt das Berufungsgericht klar, dass auch bei Gewährung des Zugangs zu Schriftsätzen/Beweismitteln das UPC zum Zweck eines angemessenen Schutzes der Integrität des Verfahrens die Gewährung des Zugangs von bestimmten Bedingungen abhängig machen kann, wie etwa der Verpflichtung des Antragstellers, die Schriftsätze und Beweismittel, zu denen ihm Zugang gewährt wurde, vertraulich zu behandeln, solange das Verfahren nicht abgeschlossen ist.

Auslegung der Regel 262.1 (b) VerfO durch die Zentralkammer des UPC

Vor der Entscheidung des Berufungsgerichts hatte im März 2024 bereits die Zentralkammer (Paris) des Gerichts erster Instanz entschieden (UPC_CFI_262/2023, ORD_7460/2024), dass nach Regel 262.1 (b) VerfO Einsicht nur in Schriftsätze und Beweismittel gewährt werden könne, nicht auch in andere Verfahrensdokumente, die etwa die Kommunikation zwischen der Kanzlei und den Verfahrensparteien betreffen. Ebenso hatte bereits im September 2023 die Zentralkammer (Abteilung München) entschieden (UPC_CFI_75/2023, ORD_552745/2023) und sich in dieser Entscheidung auch zur Auslegung des „begründeten Antrags“ geäußert.

Zunahme von Geheimnisschutzanträgen nach der Entscheidung des Berufungsgerichts zu erwarten

Durch seine Entscheidung hat das Berufungsgericht die Position der Öffentlichkeit auf Zugang zu Schriftsätzen und Beweismitteln auch im Rahmen von noch nicht abgeschlossenen Verfahren gestärkt. Parteien der Verfahren und ihre Vertreter sind daher gut beraten, spätestens beim Eingang eines Antrags nach Regel 262.1 (b) VerfO geheimhaltungsbedürftige Informationen in Schriftsätzen und/oder Beweismitteln durch entsprechende Anträge vor dem (ggf. unerwünschten) Zugriff der Öffentlichkeit zu schützen. Es bleibt abzuwarten, wie das UPC konkret mit Anträgen auf Zugang zu Schriftsätzen/Beweismitteln in noch laufenden Verfahren umgehen bzw. diese bescheiden wird. Hier dürfte die Darlegung eines bloß allgemeinen Interesses auf Zugang voraussichtlich nicht ausreichen. Es ist ein spezifisches bzw. besonderes Interesse darzulegen, wie beispielsweise die eigene Betroffenheit im Hinblick auf das streitgegenständliche Patent.

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* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

Der Beitrag UPC: Berufungsgericht klärt Fragen des Zugangs der Öffentlichkeit zu bestimmten Verfahrensdokumenten erschien zuerst auf CMS Blog.

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