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Fragestunde am 3. Dezember

Mi, 03.12.2025 - 15:40
Im Anschluss an die Regierungsbefragung folgte am Mittwoch, 3. Dezember 2025, die Fragestunde. Getrennt nach Ressorts haben Vertreter der Bundesregierung 45 Minuten lang Fragen (21/2980) beantwortet, die von den Abgeordneten vorab schriftlich eingereicht worden waren. AfD-Abgeordnete mit den meisten Fragen 29 der insgesamt 73 Fragen wurden von Abgeordneten der AfD-Fraktion gestellt, gefolgt von Abgeordneten der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit 27 Fragen und Abgeordneten der Fraktion Die Linke mit 15 Fragen. Der fraktionslose Abgeordnete Stefan Seidler vom Südschleswigschen Wählerverband (SSW), der Partei der dänischen und friesischen Minderheit in Deutschland, stellte zwei Fragen. Von CDU/CSU- und SPD-Abgeordneten wurden keine Fragen gestellt. 19 der 73 Fragen richteten sich an das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. Das Bundesministerium des Innern war mit 16 Fragen vertreten, das Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend mit 15 Fragen. Sechs Fragen sollte das Bundesfinanzministerium beantworten, fünf Fragen das Bundeskanzleramt. Mit vier Fragen musste sich das Bundesministerium für Verkehr auseinandersetzen, drei Fragen gingen an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Das Bundesministerium für Umwelt, Klimaschutz, Naturschutz und nukleare Sicherheit sollte sich zu zwei Fragen äußern. Je eine Frage ging an das Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat, an das Auswärtige Amt und an das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Was die Abgeordneten wissen wollen Beispielsweise erkundigte sich der thüringische AfD-Abgeordnete Stefan Schröder beim Bundesjustizministerium, wie das Ministerium auf die Warnung des Deutschen Richterbundes reagiert, man müsse die Justiz vor politischem Missbrauch schützen. Schröder fragte weiter, wie das Ministerium vor allem die von Richterbund kritisierte Weisungsgebundenheit der Staatsanwaltschaft durch die Justizministerien bewertet. Die rheinland-pfälzische Abgeordnete Misbah Khan (Bündnis 90/Die Grünen) wollte vom Bundesfamilienministerium erfahren, bis wann die Bundesregierung die Ankündigung aus dem Koalitionsvertrag umsetzen will, das Kindergeld nur noch zur Hälfte auf den Unterhaltsvorschuss anzurechnen. Im Haushalt 2026 sei dies nicht vorgesehen. Khan fragte, welche konkreten Schritte die Regierung zur Umsetzung plant. Die bayerische Abgeordnete der Linken Nicole Gohlke fragte das Bundesfinanzministerium, ob die Bundesregierung verbindlich beziffern kann, mit welchem konkreten Betrag eine einzelne Schule im Bundesdurchschnitt aus dem Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität rechnen kann. Gohlke verwies darauf, dass das Sondervermögen inzwischen für eine Vielzahl unterschiedlicher Bereiche verwendet werden soll, von Frauenhäusern bis zur Verkehrsinfrastruktur, während der Schulsanierungsbedarf laut KfW-Kommunalpanel 2025 allein 67,8 Milliarden Euro betrage. Sie wollte wissen, ob die Regierung sicherstellen wird, dass diese Mittel tatsächlich zweckgebunden für Schulen eingesetzt werden, und wenn ja, wie. Der fraktionslose Abgeordnete Stefan Seidler (SSW) aus Schleswig-Holstein erkundigte sich beim Innenministerium, welche Bau- und Umbaumaßnahmen die Bundespolizei an den deutsch-dänischen Grenzübergängen vornimmt und wie viele unerlaubte Einreisen seit Beginn der Grenzkontrollen an den deutschen Außengrenzen am 16. September 2024 an der deutsch-dänischen Grenze festgestellt wurden. Zusatzfragen sind möglich Jeder Abgeordnete kann für die Fragestunde vorab bis zu zwei Fragen an die Bundesregierung einreichen. Nach der regelmäßig durch einen Parlamentarischen Staatssekretär oder einen Bundesminister erfolgenden Beantwortung können der Fragesteller, aber auch andere Abgeordnete des Deutschen Bundestages Zusatzfragen stellen und so die Bundesregierung zu weiteren Stellungnahmen zwingen. Reicht die Zeit nicht aus, werden noch nicht aufgerufene Fragen von der Regierung schriftlich beantwortet. Ebenso kann vorab bereits um schriftliche Beantwortung gebeten werden. (vom/03.12.2025)

13. Sitzung des Ausschusses für Sport und Ehrenamt

Mi, 03.12.2025 - 15:30
Der Ausschuss für Sport und Ehrenamt ist am Mittwoch, 3. Dezember 2025, zu einer öffentlichen Sitzung zusammengekommen. Die 14 Mitglieder des Ausschusses beschäftigen sich unter anderem mit Regelungen zur Bekämpfung von Doping und Manipulation im Sport sowie mit der gesellschaftlichen Bedeutung des Sports für andere Lebensbereiche wie Bildung, Gesundheit, Integration und Wirtschaft. Darüber hinaus befassen sie sich mit dem Ehrenamt in Deutschland. Bürgerinnen und Bürger hierzulande engagieren sich in großem Umfang freiwillig und unentgeltlich für gesellschaftliche Belange. (03.12.2025)

Sachverständige kritisieren Rahmenbedingungen für Geschäftsreisen

Mi, 03.12.2025 - 15:00
Sachverständige kritisierten in einer Anhörung im Tourismusausschuss eine reformbedürftige Verkehrsinfrastruktur und fehlende Digitalangebote für Geschäftsreisende in Deutschland. Die Meeting- und Messewirtschaft ist ein starker und zentraler Motor für Geschäftsreisen, Wertschöpfung und Standortattraktivität, darin waren sich die Sachverständigen am Mittwoch, 3. Dezember 2025, einig, doch es brauche dringende Verbesserungen, damit das auch in Zukunft so bleibt. "Internationale Übernachtungsgäste besonders wirksam" Jakob Reitinger, Geschäftsführer der Regensburg Tourismus GmbH, erklärte in der Anhörung: „Das Beispiel Regensburg zeigt eindrücklich, dass auch außerhalb klassischer Messestädte substanzielle ökonomische Impulse entstehen – und dass gezielte Investitionen in geeignete Infrastruktur und Erreichbarkeit diese Effekte deutlich verstärken.“ Im Jahr 2023 – Daten für 2024 stehen erst Ende Dezember 2025 zur Verfügung – habe der Regensburger Tagungs- und Kongressmarkt direkte Teilnehmerausgaben von 84,7 Millionen Euro generiert; davon seien 50 Millionen Euro als „relevante Ausgaben“ unmittelbar wirksam für die Stadt, weil sie als „neues Geld“ von außen zugeflossen seien. Besonders wirksam seien dabei internationale Übernachtungsgäste – mit durchschnittlichen Ausgaben von rund 2.000 Euro pro Aufenthalt und Gesamtausgaben von 38,15 Millionen Euro, einem Plus von 102 Prozent gegenüber 2022. Vor allem die Leitbranchen Regensburgs wie die Automobilwirtschaft, die Sensorik, die Biotechnologie sowie IT würden durch Messen, Kongresse und Fachtagungen den Standort stärken und dienten als Kontaktplattformen für neue Kooperationen und Investitionen. "47 Milliarden Euro für geschäftlich motivierte Mobilität" Christoph Carnier, Präsident beim Verband Deutsches Reisemanagement (VDR), verdeutlichte, wie groß der Beitrag von Geschäftsreisen zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sei. In der aktuellen VDR-Geschäftsreiseanalyse 2025 seien über 107 Millionen Geschäftsreisen pro Jahr gezählt worden. „Damit leisten Unternehmen durch ihre Reisetätigkeit einen wesentlichen Beitrag zu Wertschöpfung, Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit sowie zu Export, Innovation und internationalen Partnerschaften“, sagte Carnier. Jährlich gäben allein deutsche Unternehmen über 47 Milliarden Euro für geschäftlich motivierte Mobilität aus, was einen unmittelbaren Nutzen für die deutsche Wirtschaft habe. Damit das auch in Zukunft so bleibe, müssten die Rahmenbedingungen für Geschäftsreisen verbessert werden. Internationale Fachbesucher und Aussteller kämpften nicht nur mit klassischen Hürden wie Visumsverzögerungen, sondern auch mit steigenden Kosten, logistischer Komplexität, unsicherer Planung und strukturellem Wettbewerbsdruck. Diese Faktoren machten kurzfristige Messeauftritte in Deutschland deutlich aufwändiger und riskanter. „Hier gilt es, passende Rahmenbedingungen zu schaffen, um einer Verlagerung großer Messen ins Ausland entgegenzuwirken“, forderte Carnier. „In veranstaltungsrelevante Infrastruktur investieren“ Matthias Schultze, Managing Director beim German Convention Bureau, erweiterte den Forderungskatalog. Deutschland müsse stärker als bisher „in eine veranstaltungsrelevante Infrastruktur investieren“, sagte Schultze. Veranstalter und Teilnehmer erwarteten, dass Veranstaltungsstätten „möglichst nahtlos zu erreichen sind – dazu gehört ein überzeugendes Mobilitätsangebot in der Luft, auf der Straße und auf der Schiene“. Barrierefreie Zuwege und ebensolche Veranstaltungsstätten seien ein weiteres Kriterium für zeitgemäße Destinationen. Außerdem sei eine „moderne, zukunftsorientierte technologische Infrastruktur unabdingbar für einen Veranstaltungsstandort“, mahnte Schultze an. Forderung nach "einfachen und schnellen" Visumverfahren Jörn Holtmeier, Geschäftsführer Ausstellungs- und Messe-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft (AUMA), unterstrich, neben einer „verlässlichen Schienen-, Straßen- und Flugverkehrs-Infrastruktur“ brauche es vor allem „einfache und schnelle Visumverfahren“, dazu sei eine „moderne, leistungsstarke digitale Infrastruktur notwendig". "Das Zieljahr 2028 der Europäischen Union zur Digitalisierung des Schengen-Visumverfahrens ist viel zu spät", kritisierte Holtmeier. Außerdem betonte er, dass eine "ausgeprägte Willkommenskultur" für Messeteilnehmer aus dem Ausland "unerlässlich ist", um den Exporterfolg sowie die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Mittelstands "nachhaltig zu gewährleisten". (nki/03.12.2025)

11. Sitzung des Ausschusses für Kultur und Medien

Mi, 03.12.2025 - 14:30
Der Ausschuss für Kultur und Medien ist am Mittwoch, 3. Dezember 2025, zu einer öffentlichen Sitzung zusammengekommen. Im Mittelpunkt stand ein Fachgespräch zu den deutsch-israelischen Kulturbeziehungen und den Antisemitismus im Kulturbereich. Als Sachverständige geladen sind Hetty Berg vom Jüdischen Museum Berlin, die israelische Botschaft, Olaf Zimmermann vom Deutschen Kulturrat, Stella Leder vom Institut für Neue Soziale Plastik, Prof. Dr. Meron Mendel von der Bildungsstätte Anne Frank, der Schriftsteller und Journalist Chaim Noll, Dr. Josef Schuster vom Zentralrat der Juden in Deutschland, Dr. Marcus Funck vom Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin und der Bundesbeauftragte für Kultur und Medien, Staatsminister Dr. Wolfram Weimer. Der Ausschuss für Kultur und Medien mit seinen 18 Mitgliedern ist auf der Bundesebene für den gesamten Themenkomplex zuständig. So kontrolliert er beispielsweise die kulturpolitische Förderpolitik der Bundesregierung, berät über die Zukunft der Deutschen Welle und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, entscheidet über die nationale Filmförderung mit oder diskutiert die Förderung geschichtlicher Lernorte von nationaler Bedeutung. (03.12.2025)

Tempo bei der Initiative „Forschung & Anwendung“ gefordert

Mi, 03.12.2025 - 10:25
Damit Deutschland sein Innovationspotenzial künftig besser entfalten kann, muss die Bundesregierung schnell handeln. Darüber waren sich die Sachverständigen bei einem öffentlichen Fachgespräch im Ausschuss für Forschung, Technologie, Raumfahrt und Technikfolgenabschätzung zum Thema "Initiative Forschung und Anwendung" des Bundesforschungsministeriums am Mittwoch, 3. Dezember 2025, einig. Um den Transfer zwischen Forschung und Wirtschaft zu stärken und zu beschleunigen, setzt die Bundesregierung unter der Dachmarke „Initiative Forschung und Anwendung“ laut ihrem Koalitionsvertrag auf drei Säulen: (1) die Programme ZIM, IGF und INNO-KOM, (2) einen „Transferbooster“ und (3) die Gründung einer „Deutschen Anwendungsforschungsgemeinschaft“ (DAFG). In dem Fachgespräch erläuterten die Experten unter anderem ihre Ideen, wie eine solche DAFG aussehen könnte. Rolle der Hochschulen Geht es nach Karim Khakzar von der Hochschule Fulda, dann muss eine DAFG einen starken Fokus auf die Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW) setzen. Die Mehrheit der Absolventen in Bereichen wie Ingenieurswissenschaften oder BWL macht laut Khakzar mittlerweile ihren Abschluss an einer HAW. Auch Forschung könne dort auf hohem Niveau stattfinden. Dennoch stünden die Forschungsmittel für HAWs in keinem Verhältnis zu diesem „enormen Potenzial“. So gebe es dort etwa auch keine Grundfinanzierung für Forschung. Khakzar forderte daher von der Politik, durch eine auf HAWs zugeschnittene „Förderkulisse“ gleiche Rahmenbedingungen zu schaffen. Anders sah dies Andreas Zaby von der Hochschule für Wirtschaft und Recht. Auch er mahnte zwar, dass in Deutschland ein dringender Bedarf an Innovationsförderung bestehe, die über Sprunginnovationen hinausgehe. Dennoch müssten HAWs nicht separat gefördert werden. Zaby schlug hingegen vor, die zusätzlichen Gelder der DAFG allen Hochschultypen und auch außeruniversitären Einrichtungen zur Verfügung zu stellen, denn „auf die Ideen kommt es an, nicht woher sie kommen“. Allerdings sollten die existierenden Programmlinien für HAWs bestehen bleiben. Laut Zaby müsse außerdem zwingend eine neue Institution für das Vorhaben geschaffen werden, da die bereits bestehenden Strukturen nicht die notwendige Agilität auswiesen. Diskussion über die Förderung Kira Kastell von der Hochschulallianz für den Mittelstand e. V., Hochschule Hamm-Lippstadt forderte, dass die Bundesregierung bei ihrem Vorhaben zum „Transferbooster“ die Vorarbeit aus der „Dati-Gründungskommission“ berücksichtigen solle. Kastell war selbst Teil dieser Kommission, die in der vergangenen Legislaturperiode die Linien und Ziele einer Deutschen Agentur für Transfer und Innovation (Dati) ausgearbeitet hat. Das Programm wurde Anfang Oktober von der schwarz-roten Bundesregierung eingestellt. Kastell mahnte, dass, „egal, wie es nun weitergeht“, schnell etwas passieren müsse. Sie ermutigte die Bundesregierung beispielsweise dazu, eine Förderlinie auszuprobieren und sie bei Bedarf notfalls „in einer Zweitausschreibung anzupassen“. Denn es gebe keine 100-prozentige Lösung für das Thema. Auch Klaus Jansen von der Deutschen Industrieforschungsgemeinschaft Konrad Zuse e. V. forderte Tempo bei der Umsetzung. „Die Innovationskraft in Deutschland hat dramatisch nachgelassen“, schilderte er. Mit Blick auf die industrienahen Forschungseinrichtungen der Zuse-Gemeinschaft forderte er „echte Akteursoffenheit“ bei Innovationsvorhaben und -förderung. Anstatt bestimmte Akteure in der Forschungswertschöpfungskette auszuschließen, müsse es darum gehen, „die Besten“ zusammenzubringen und ihre Stärken zu nutzen. Jansen sagte außerdem, dass es für die geförderten Projekte klar definierte Ziele sowie eine Erfolgskontrolle brauche. Dabei müsse die Frage im Vordergrund stehen, ob durch die Förderung und Innovation wirklich ein Nutzen für Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) und die Gesellschaft entstehen. Andrea Frank, Stifterverband Berlin, schlug im Fachgespräch unter anderem eine Modernisierung und Entschlackung der deutschen Förderarchitektur vor. Derzeit umfasse das Handbuch des Bundesministeriums zur Projektförderung etwa 1.000 Seiten. Hier müsse „mutig entschlackt“ werden, um den Geförderten die Abwicklung zu erleichtern. Allein im Bereich „Forschung und Transfer“ gibt es laut Frank aktuell 63 Fördermaßnahmen vom Bund. Diese hohe Fragmentierung sorge für eine „große Unübersichtlichkeit“ bei den Nachfragenden. (des/03.12.2025)

Kritik an geplantem Gasförderverbot in Meeres­schutz­zonen

Mi, 03.12.2025 - 09:30
Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf zur Einschränkung der Aufsuchung und Gewinnung von Bodenschätzen in Meeresschutzgebieten (21/1860, 21/2457) stößt auf Kritik bei Experten. In einer öffentlichen Anhörung des Umweltausschusses am Mittwoch, 3. Dezember 2025, begrüßten die Sachverständigen mehrheitlich zwar das Ziel, die Gas- und Ölförderung in Schutzgebieten im Bereich der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) und des Festlandsockels zu verbieten, um Meeresschutzgebiete besser zu schützen. Allerdings zeigten sich gerade die von der Linksfraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen benannten Sachverständigen skeptisch, ob mit den konkret geplanten Änderungen tatsächlich der gewünschte Schutz erreicht werden könne. Der Entwurf lasse „Hintertüren“ für Gas- und Ölfördervorhaben offen, so ihre Einschätzung. Von Seiten der von der Unionsfraktion benannten Sachverständigen wurde das Gesetzesvorhaben auch hinsichtlich seiner Zielsetzung kritisch bewertet. Sie argumentierten, dass ein Ausschluss der Öl- und Gasförderung mit Blick auf die Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie nachteilig sei. Den geltenden rechtlichen Schutzrahmen für Meeresschutzgebiete für werteten sie zudem als ausreichend. Zustimmung zum Gesetzesvorhaben signalisierten dagegen die von der SPD benannten Experten. Gesetzentwurf der Regierung Der von Bundesumweltminister Carsten Schneider (SPD) vorgelegte Gesetzentwurf sieht vor, schädliche Nutzungen infolge der Aufsuchung und Gewinnung von Bodenschätzen in den geschützten Gebieten im Bereich der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone und des Festlandsockels zu reduzieren. Dazu soll zum einen die Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen zum Schutz von Meeresgebieten geändert werden. Zum anderen sind Anpassungen der geltenden Verordnungen über die Festsetzung von Naturschutzgebieten im Bereich der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone und des Festlandsockels der Nord- und Ostsee vorgesehen. Relevanz der Förderung in Deutschland Dr. Ludwig Möhring vom Bundesverband Erdgas, Erdöl und Geoenergie betonte, dass Deutschland in der Transformation noch für viele Jahre große Mengen Erdgas benötige. Wer die Förderung in Deutschland reduzieren wolle, müsse berücksichtigen, dass sich dadurch der Verbrauch nicht verringere. „Es wird lediglich mehr LNG-Gas benötigt, das einen um bis zu 30 Prozent schlechteren CO2-Fußabdruck hat als Gas aus heimischer Produktion“, sagte der Sachverständige. Deutschland akzeptiere damit zugleich eine geringere Versorgungssicherheit und Preisrisiken. „Weder geeignet noch erforderlich“ Dr. Fritz von Hammerstein, der als Einzelsachverständiger Stellung zum Gesetzentwurf nahm, bestritt zudem den von der Bundesregierung angeführten Handlungsbedarf. Es gebe bereits ein sehr strenges Schutzregime, das in marinen Schutzgebieten schon heute nachteilige Auswirkungen der Rohstoffgewinnung verhindere. Auch würden Umweltauswirkungen genannt, die in der Praxis gar nicht auftreten, monierte von Hammerstein. So seien im Schutzgebiet „Borkum Riff“ zum Beispiel keine seismischen Erkundungen und damit auch kein Einsatz von „Airguns“ notwendig. Darüber hinaus führte der Sachverständige verfassungsrechtliche Bedenken an: Ein einseitiges Verbot der Gas- und Ölförderung bei gleichzeitiger Erlaubnis der Sand- und Kiesgewinnung greife in die unternehmerische Freiheit ebenso wie in die Eigentumsrechte der Unternehmen ein, die bereits über bergrechtliche Berechtigungen verfügten und verstoße zudem gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes. Sein Fazit: Das Gesetz sei „weder geeignet noch erforderlich“. Verfassungsrechtlich "kein Problem" Dem widersprach Prof. Dr. Gerold Janssen vom Leibnitz-Institut für ökologische Raumentwicklung. Er beurteilte das geplante Verbot der Öl- und Gasförderung für rechtlich zulässig. Aus seiner Sicht verstoße es weder gegen völkerrechtliche Abkommen wie etwa das Übereinkommen zum Schutz der Meeresumwelt des Nordost-Atlantiks (Ospar) noch europarechtliche Regelungen. Auch verfassungsrechtlich und „einzelgesetzlich“ sah Janssen „kein Problem“: Anders als vom Sachverständigen von Hammerstein bemängelt, verstoße die geplante Regelung im Gesetzentwurf nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz in Artikel 3, Absatz 1 des Grundgesetzes. Das Verbot betreffe keinen Einzelfall, denn sie beschränke sich nicht auf das Gebiet „Borkum Riffgrund“. Als großes Manko unterstrich Janssen aber, dass es bislang an einer Planung für den Meeresuntergrund völlig fehle. Zu viele bergbauliche Nutzungen würden zugelassen, ohne dass überhaupt die Frage nach den Umweltauswirkungen gestellt würde. Umweltschutz und Rohstoffversorgung Der Einzelsachverständige Dr. Robert Dörband unterstrich, dass bislang im Rahmen der Einzelfallprüfung von bergbaulichen Vorhaben der Interessenausgleich zwischen Meeresschutz und Rohstoffversorgung „sehr gut“ herzustellen sei. Die Einzelfallprüfung durch die Fachbehörden und die beteiligten Umweltbehörden ermögliche, dass das geltende Regelwerk etwa von Ospar sowie Kompensationsmaßnahmen angewendet werden könnten. Ein Verbot der Rohstoffförderung würde dazu führen, dass die Einzelfallprüfung künftig wegfalle – und damit auch die Abwägung zwischen Umweltschutz und Rohstoffversorgung. Stärkere Priorisierung in der Politik gefordert Sven Koschinski, der ebenfalls als Einzelsachverständiger Stellung nahm, drang auf einen besseren Schutz der Meeresschutzgebiete. Trotz zahlreicher gesetzlicher Vorgaben seien Nord- und Ostsee in einem schlechten Zustand, so der Biologe. Grund dafür sei, dass sich eine „Vielzahl anthropogener Belastungen kumulativ auf die Ökosysteme" auswirke. Belastungsfaktoren addierten und verstärkten sich. „Nur ein wirksamer Schutz von Schutzgebieten biete der Natur Rückzugsräume“, betonte Koschinski und kritisierte, dass gesetzliche Vorgaben bislang viele Nutzungen in Schutzgebieten erlaubten – „trotz hinlänglich bekannter negativer Auswirkungen auf die Erhaltungsziele“. Die Meeresökosysteme könnten sich nicht mehr ausreichend regenerieren. Daher müsse der wirksame Schutz in Schutzgebieten in der Politik eine höhere Priorisierung erfahren, empfahl der Sachverständige. Es brauche Nutzungseinschränkungen in Schutzgebieten zum Schutz der Biodiversität. Öffentliches Interesse in der Abwägung Auch Jürgen Akkermann, der als Bürgermeister der Stadt Borkum, begrüßte den Gesetzentwurf grundsätzlich, kritisierte aber, dass dieser Öl- und Gasförderprojekte in Meeresschutzgebieten nicht vollends unterbinde. Noch immer sei es möglich, eine Befreiung nach dem Bundesnaturschutzgesetz zu bekommen, wenn ein überwiegendes öffentliches Interesse bestehe. Auch der Schutz der Umwelt sei aber öffentliches Interesse, so Akkermann in seiner schriftlichen Stellungnahme mit Verweis auf eine Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag. In Abwägung müsse daher sichergestellt werden, „dass das öffentliche Interesse nicht nur über wirtschaftliche Aspekte oder Aspekte der Versorgungssicherheit definiert wird“. "Hintertür" für fossile Förderprojekte schließen Eike Hinrichsen von der Deutschen Umwelthilfe betonte angesichts des schlechten Zustands der Meere die Notwendigkeit einer Verschärfung der Gesetzeslage. Dem vorliegenden Gesetzentwurf allerdings, so argumentierte sie, gelinge es nicht, die „Schutzlücke für die geschützten Meeresgebiete“ ausreichend zu schließen. Für ein effektives Verbot von Öl- und Gasförderungen müsse nicht nur die Ausnahmemöglichkeit abgeschafft, sondern auch klargestellt werden, dass keine Befreiungen erteilt werden können. Um die „Hintertür für neue fossile Förderprojekte“ zu schließen, müsse gesetzlich festgelegt werden, dass Aufsuchung und Gewinnung von Kohlenwasserstoffen nie das Interesse des Meeresschutzes überwiegen. Kritisch beurteilte Hinrichsen zudem, dass der Abbau von Kiesen und Sanden oder der Bau von Windkraftanlagen in Meeresschutzgebieten auch weiterhin nicht ausgeschlossen sein sollen. (sas/03.12.2025)

Finanzminister Klingbeil: Wir müssen auf Reformkurs bleiben

Mi, 03.12.2025 - 09:00
Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) hat in der Befragung der Bundesregierung am Mittwoch, 3. Dezember 2025, die Prioritäten der Bundesregierung hervorgehoben. Dazu zählen für ihn die Sicherung von Arbeitsplätzen und der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit. Im Ausland werde positiv bewertet, was die Bundesregierung bisher unternommen habe, von der Errichtung des neuen Sondervermögens Infrastruktur und Klimaneutralität über den Wachstumsbooster bis zu besseren Abschreibungsmöglichkeiten für die Unternehmen. Der Standort gewinne an Attraktivität. Die internationale Lage sei schwierig, chinesische Überkapazitäten und Exportkontrollen machten es der deutschen Wirtschaft schwer. Besonders schwierig sei die Lage in der Stahl-, Automobil- und Chemiebranche. „Wir müssen auf Reformkurs bleiben, die Modernisierung des Landes weiter vorantreiben“, sagte der Minister und kündigte an, in den nächsten Tagen zusammen mit Wirtschaftsministerin Reiche den Deutschlandfonds vorzustellen. Zu den Verhandlungen über einen Frieden in der Ukraine bekräftigte Klingbeil das „klare Signal“ als größter Unterstützer der Ukraine: „Wir stehen an ihrer Seite.“ Eine Entscheidung über die Deutschen und die Europäer hinweg dürfe es nicht geben. Frei: Die Lage ist mehr als herausfordernd Neben dem Finanzminister stellte sich auch der Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes, Thorsten Frei (CDU), den Fragen der Abgeordneten. Er nannte die Lage „mehr als herausfordernd“. Die Unterstützung für die Ukraine gelte dem Schutz des Landes und der Friedens- und Freiheitsordnung. Frei sprach die hybriden Angriffe Russland von Cyberangriffen über Sabotage bis zu Desinformation an und nannte als Gegenmaßnahmen das in der parlamentarischen Beratung befindliche Kritis-Dachgesetz. Um die Sicherheit weiter zu erhöhen, kündigte er an, einen Gesetzentwurf zur IP-Adressenspeicherung vorzulegen. Die Asylbewerberzahlen seien im November um 50 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat zurückgegangen und lägen um 75 Prozent unter denen von November 2023. Frei nannte die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, den Rückbau von Bürokratie und die Senkung von Strom- und Energiepreisen und kündigte eine Kraftwerksstrategie an, um Strom nicht nur klimaneutral, sondern auch zu wettbewerbsfähigen Preisen zur Verfügung stellen zu können. Mit den Ministerpräsidenten der Länder werde über eine „föderale Modernisierungsagenda“ gesprochen. Investitionen und Deutschlandfonds Dr. Michael Espendiller (AfD) konfrontierte den Finanzminister mit der „aufgeweichten“ Schuldenbremse und der OECD-Prognose von einem Prozent Wirtschaftswachstum. Klingbeil betonte, das Geld werde in die Modernisierung und den Schutz des Landes investiert. Man hole einen Rückstau über Jahre damit auf. „Wir werden die Erfolge dieser Investition sehen“, zeigte sich der Minister zuversichtlich. Die Wirtschaft und der gesellschaftliche Zusammenhalt würden gestärkt. Der CDU-Abgeordnete Lukas Krieger erkundigte sich nach dem geplanten Deutschlandfonds, der Start-up-Unternehmen einen besseren Zugang zu Kapital eröffnen soll. Noch in diesem Jahr wolle man damit starten, erwiderte Klingbeil. Das Problem sei, dass Start-ups in der Wachstumsphase Probleme hätten, genügend Kapital zu erhalten. Auch privates Kapital solle „gehebelt“ werden. Er hoffe auf eine schnelle Unterstützung des Deutschlandfonds im Parlament, sagte der Minister. Armutsbekämpfung, Sondervermögen, Kommunen Nach der Entlastung der unteren Mittelschicht, die vom Abrutschen in die Armut bedroht sei, erkundigte sich Doris Achelwilm (Die Linke). Am wichtigsten, um nicht in Armut abzurutschen, sei einen Arbeitsplatz zu haben, antwortete der Minister. Die Milliardeninvestitionen und die Senkung der Energiepreise für die Unternehmen sichere Arbeitsplätze. Das sei ein wichtiger Beitrag zur Armutsbekämpfung. Klingbeil kündigte darüber hinaus an, Vorschläge zur Einkommensbesteuerung zu machen. Ruppert Stüwe (SPD) fragte nach den Impulsen, die das neue Sondervermögen auslöst. Das Wachstum komme zurück, entgegnete der Minister, die ersten Schritte zur Modernisierung des Landes würden dazu führen, „dass die Dinge wieder besser funktionieren“. Es müsse Druck gemacht werden, dass die Milliarden schnell abfließen und die Bagger rollen. 100 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen gingen an die Länder. Karoline Otte (Bündnis 90/Die Grünen) griff das Thema der finanziellen Entlastung der Kommunen auf. Das habe für ihn „oberste Priorität“, erklärte Klingbeil. Der Bund mache sich durch die 100 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen mit den Ländern auf den Weg, die Kommunen zu entlasten. Der Bund übernehme die Zinsen. Beim Treffen mit den Ministerpräsidenten der Länder am 4. Dezember würden zusätzliche Entscheidungen für die Kommunen getroffen. Europäisches Recht und Zivilgesellschaft Die Ministerpräsidentenkonferenz thematisierte auch Dr. Julia Verlinden (Bündnis 90/Die Grünen). Sie sprach gegenüber Kanzleramtsminister Frei Forderungen aus Hamburg an, europäische Vereinbarungen im Hinblick auf die EU-Gebäuderichtlinie wieder „aufzubohren“. Frei sagte, die Regierung halte sich an europäische Absprachen und europäisches Recht. Die Gebäuderichtlinie müsse umgesetzt werden, bürokratiearm und unter Berücksichtigung der Wettbewerbsfähigkeit. Der SPD-Abgeordnete Felix Döring fragte nach Freis Botschaft an die „demokratische Zivilgesellschaft“. Der Minister verwies auf das vor der Abstimmung im Plenum stehende Jahressteuergesetz 2025, das Punkte zur Stärkung der Zivilgesellschaft enthalte. Schutzmaßnahmen seien schon auf den Weg gebracht worden. Die Mittel für die Bundeszentrale für politische Bildung seien aufgestockt worden. Es handele sich um eine gesellschaftliche Herausforderung, der sich auch Länder und Kommunen widmeten. Extremismus, Rechtsstaat, Abschreibungen Maximilian Kneller (AfD) sprach Protestaktionen anlässlich der Gründung der neuen Jugendorganisation der AfD am zurückliegenden Wochenende in Gießen an. Frei machte deutlich, dass Extremismus in jeder Form eine Gefahr für Staat und Gesellschaft seien. In Gießen habe es Grenzüberschreitungen gegeben. Der Staat müsse sicherstellen, dass alle Förderungen der Stützung der Verfassung dienen. Es sei nicht akzeptabel, das Gewaltmonopol infrage zu stellen, der Rechtsstaat werde durchgesetzt, betonte Frei auf eine Nachfrage des AfD-Abgeordneten Stephan Brandner. Luke Hoß (Die Linke) griff das Thema ebenfalls auf und sagte, es sei demonstriert worden, um den „Aufstieg des Faschismus zu stoppen“. Jeder dürfe für und gegen alles demonstrieren, wenn er sich an geltendes Recht hält, erwiderte Frei. Der Zweck heilige nicht die Mittel. Es habe auch konkrete Rechtsverstöße gegeben, die mit der Härte des Rechtsstaats verfolgt würden. Wer gegen etwas protestieren wolle, der müsse nicht demonstrieren. Es gebe vielfältige Möglichkeiten, seine Position deutlich zu machen. „Wir arbeiten an einer guten Politik in der Mitte“, so der Minister. Der CDU-Abgeordnete Dr. Matthias Hiller fragte nach den steuerlichen Abschreibungen. Frei sagte, damit solle die aktuelle Investitionsschwäche überwunden werden. Zudem werde es eine Absenkung der Körperschaftssteuer von 15 auf 10 Prozent geben. Auf Hillers Frage nach der Erhöhung der Pendlerpauschale antwortete der Minister, damit solle die Mobilität der Pendler gestärkt werden, um auch weiter entfernt liegende Arbeitsplätze besetzen zu können. Dies sei eine gute Möglichkeit, die Arbeitnehmer zu unterstützen, und sie diene auch der Wettbewerbsfähigkeit des Landes. (vom/03.12.2025)

Krisenpläne und Frühwarnsysteme im Fokus

Di, 02.12.2025 - 14:00
Wie Politik und das Gesundheitssystem auf mögliche Pandemien vorbereitet sind, war am Montag, 1. Dezember 2025, Thema der zehnten Sitzung bei der Enquete-Kommission des Bundestags zur Aufarbeitung der Corona-Pandemie gewesen. „Das deutsche Gesundheitswesen hat die Herausforderung der Patientenversorgung größtenteils bewältigt“, sagte Dr. Johannes Nießen, kommissarischer Leiter des Bundesinstituts für Öffentliche Gesundheit, mit Blick auf die Infektionen mit dem Coronavirus. „Gleichzeitig hat die Pandemie aber strukturelle Defizite in der Vorsorge und der Krisensteuerung offengelegt.“ Es habe eine fehlende Datenlage bei der Versorgung gegeben, was die wissenschaftliche Analyse sehr erschwert habe. Ein schnelles Informationsnetzwerk sei zu gewährleisten, mahnte er an. Das sei untrennbar mit der Digitalisierung verbunden. „Hier spielt die elektronische Patientenakte eine zentrale Rolle.“ Experte: Behörden als proaktive Koordinatoren Die Enquete-Kommission will in einem Austausch mit Sachverständigen prüfen, ob es bei der Bewältigung der Pandemie Versäumnisse und Fehler gegeben hat – und was in Zukunft besser gemacht werden könnte. Bei dieser Sitzung standen Vorsorge, Krisenpläne und Frühwarnsysteme im Fokus. „Die Pandemie hat gezeigt, dass eine Pandemie keine reine medizinische Krise ist“, sagte Prof. Dr. Peter Tinnemann, Leiter des Gesundheitsamtes in Frankfurt am Main, und verwies auf die Abhängigkeiten von Lieferketten. „Die Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes müssen auf allen Ebenen von reaktiven Behörden zu proaktiven, strategischen Koordinatoren weiterentwickelt werden.“ Szenarien seien zu planen und bessere Datensysteme anzuschaffen. Die bisherige fragmentierte Datenerfassung müsse überwunden werden. Tinnemann warb für den Aufbau von Kompetenzzentren für Krisenmanagement, wo Expertise gebündelt werden könne. Der öffentliche Gesundheitsdienst im föderalen System Mehrfach gingen die Sachverständigen auf die föderale Struktur der Bundesrepublik ein. „Der öffentliche Gesundheitsdienst als Einheit existiert in Deutschland nicht“, berichtete Dr. Kristina Böhm, Leiterin des Amtes für Gesundheit und Prävention in Dresden. „Nicht jedes Bundesland hat ein Landesgesundheitsamt.“ Und Pläne auf Papier würden niemandem nutzen, „wenn man nicht weiß, wo die Papiere liegen“. Dr. Peter Schäfer gab zu bedenken, dass es keine Blaupause gegeben habe. „Die bestehenden Pandemiepläne bezogen sich vor allem auf Influenza“, so der Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes. „Zusätzlich erschwerten die bestehenden Vorgaben des Datenschutzes die Kontaktpersonen-Nachforschung.“ Schäfer kritisierte starre Regelungen, die es den Kommunen nicht erlaubt hätten, auf Hotspots zu reagieren. Experte: Nächtliche Ausgangssperren waren Fehler „Während der Pandemie und auch jetzt in der Aufarbeitung werden Grundprinzipien des methodischen Weges von Datenwissens nicht angewendet“, kritisierte Prof. Dr. Gerd Antes, Mathematiker und Medizinstatistiker. Er mahnte ein kontrafaktisches Denken an, das die Wirksamkeit von Maßnahmen daran messe, wie sich die Realität ohne diese entwickelt hätte. Es reiche nicht, allein auf verhinderte Infektionen und Todesfälle zu schauen, man müsse gleichzeitig medizinische, soziale, psychische und wirtschaftliche Schäden in den Blick nehmen. Die nächtlichen Ausgangssperren während der Lockdowns bezeichnete er beispielhaft als Fehler. Und: „Das Ausbleiben einer Katastrophe wurde als Beleg einer Wirksamkeit von Maßnahmen gedeutet“, was Antes als nicht zulässig beschrieb, „weil der notwendige Vergleich durch eine Behauptung ersetzt wurde“. „Gefahr ging von dynamischer Übertragbarkeit aus“ Prof. Dr. Christian Drosten verwies auf die internationale Perspektive, indem er sagte: „Es gibt keine deutsche Pandemie, die Fachexpertise ist international.“ Die Vorstellung, dass in den Gesundheitssystemen vieler Länder dieselben groben Fehler gemacht worden seien und dies von der internationalen Fachgemeinschaft bis heute nicht bemerkt worden sei, diese Vorstellung sei nicht mit der Realität abzugleichen, so der Direktor des Institutes für Virologie an der Charité Berlin. „Die Gefahr der Pandemie ging von der dynamischen Übertragbarkeit des Virus aus“, sagte Drosten. „In jedem Szenario einer unkontrollierten ersten Welle hätten sich aufgrund der enormen Übertragbarkeit in kurzer Zeit unvorstellbar hohe Verstorbenen- und Patientenzahlen ergeben.“ Die Effizienz der Pandemiekontrolle in Deutschland sei international anerkannt und hervorgehoben worden. Er verteidigte die damalige Entscheidung, Maßnahmen nicht vor allem nur auf ältere Menschen zu konzentrieren. Ohne eine allgemeine Infektionskontrolle hätten sich auch andere vulnerable Gruppen nicht angemessen schützen können. "Investieren in öffentliches Gesundheitswesen" Einig waren sich die Sachverständigen, dass in den Ausbau des öffentlichen Gesundheitswesens weiter mehr investiert werden müsse. „Es braucht ein Bekenntnis des Bundestags für den ÖGD-Pakt, wir brauchen bald Klarheit“, sagte Schäfer mit Blick auf den Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst. Drosten warb für eine engere Zusammenarbeit mit dem von der Weltgesundheitsorganisation in Berlin gegründeten Data Hub zur Entwicklung von Frühwarnsystemen und bewertete Abwassertestungen als „neue Verfahren, die erstaunlich gut funktionierten“. Nießen, der auch Leiter des Kölner Gesundheitsamtes war, berichtete über den Aufbau einer Geodatenbank. „So konnten wir die Sicht auf sozial Benachteiligte lenken“. Prekäre Arbeitsverhältnisse mit wenig Möglichkeit für das Homeoffice zum Beispiel, beengter Wohnraum und häufigere Vorerkrankungen zählte er als Faktoren dafür auf, warum Bürger in sozial benachteiligten Orten überdurchschnittlich an Corona erkrankt seien. Im Laufe der Sitzung entwickelten sich einige Wortbeiträge zunehmend zu einer Auseinandersetzung zwischen den von der AfD benannten Sachverständigen-Mitgliedern der Enquete-Kommission und Drosten. „Das sind meine fünf Minuten“, sagte der Sachverständige Michael Nehls, als Kritik an der Länge seiner Ausführungen aufkam. „Die Höflichkeit im gemeinsamen Umgang bedeutet auch, dass Gäste, die hier freiwillig sind, die Gelegenheit bekommen, dazu Stellung zu beziehen“, sagte Franziska Hoppermann (CDU/CSU), die Vorsitzende der Kommission. Es handle sich um ein Fachgespräch, und nicht um eine Zeugen-Einvernahme in einem Untersuchungsausschuss. (ahe/02.12.2025)

Aktivrentengesetz wird von Sachverständigen unterschiedlich bewertet

Mo, 01.12.2025 - 16:00
Die von der Bundesregierung geplante Aktivrente, mit der ältere Menschen länger im Arbeitsmarkt gehalten werden und dafür einen steuerlichen Freibetrag erhalten sollen, ist von den Sachverständigen in einer Anhörung des Finanzausschusses am Montag, 1. Dezember 2025, unterschiedlich beurteilt worden. Zum Teil wurden massive Bedenken laut. "Gesamtwirkung schwer abzuschätzen" Die Gesamtwirkung sei schwer abzuschätzen, sagte Prof. Dr. Tabea Bucher-Koenen (Universität Mannheim). Eine Signalwirkung sei möglich, dass es wichtig sei, lange am Arbeitsmarkt beteiligt zu sein, erklärte sie zum Gesetzentwurf der Bundesregierung „zur steuerlichen Förderung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Rentenalter“ (Aktivrentengesetz, 21/2673). Danach sollen Rentner bis zu 2.000 Euro im Monat steuerfrei dazuverdienen. Das soll aber nicht für Selbstständige oder Beamte gelten. Gegenstand der Anhörung war auch ein Antrag der AfD-Fraktion mit dem Titel "Steuerfreier Hinzuverdienst für Senioren – Neuen 12.000-Euro-Freibetrag zusätzlich zum bestehenden Grundfreibetrag einführen" (21/1620), der Steuerfreibeträge für alle arbeitenden Rentner fordert. Laut Bucher-Koenen sind die Erhöhung des Rentenalters und Abschaffung von Frühverrentungsregelungen Möglichkeiten, das Erwerbspotenzial besser zu nutzen. Bei Fördermaßnahmen wie der Aktivrente sei das aber viel schwerer abzuschätzen. Es könne zu Mitnahmeeffekten kommen. Grundsätzlich sei die steuerliche Möglichkeit aber positiv zu sehen. Insgesamt könne die Aktivrente einen positiven Impuls setzen. "Große Chancen auf höheres Erwerbspotenzial" Dr. Rainer Kambeck von der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) bewertete die Aktivrente positiv. Es gebe große Chancen, das Erwerbspotenzial zu erhöhen. Aus Sicht der Wirtschaft sei das richtig. Die Unternehmen würden händeringend Fachkräfte suchen. Er empfahl, die Arbeitgeber von der Zahlung von Sozialbeiträgen zu entlasten, denen keine Leistungen für Arbeitnehmer gegenüberstehen. Prof. Dr. Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung erklärte, für die fiskalischen Auswirkungen sei entscheidend, wie viele Menschen zusätzlich arbeiten würden und wie groß das Arbeitsvolumen sei. Das sei schwer abschätzbar. Eine Befragung habe ein Potenzial von 25.000 bis 33.000 zusätzlichen Vollzeitäquivalenten ermittelt. Andererseits seien 410.000 Personen bereits heute ab der Regelaltersgrenze sozialversicherungspflichtig beschäftigt, von denen knapp die Hälfte mehr als 2.000 Euro im Monat verdiene. Dadurch entstünden Mitnahmeeffekte, deren Umfang Weber auf 2,2 Milliarden Euro im Jahr bezifferte. Um die Mitnahmekosten auszugleichen, seien insgesamt deutlich über 100.000 zusätzliche Beschäftigte notwendig. "Größere Vorteile für Höherverdienende" Höherverdienende hätten durch den geplanten Freibetrag erhebliche größere Vorteile als Geringerverdienende, kritisierte Prof. Dr. Simon Kempny (Universität Bielefeld), der dies als „grob sozialstaatswidrig“ und als nicht verfassungsgemäß bezeichnete. Wenn Subventionen verteilt würden, dürften diese nicht mit dem Einkommen steigen. Kempny erklärte zur unterschiedlichen steuerlichen Behandlung von Arbeitnehmern und Selbstständigen, das könne beim Bundesverfassungsgericht ein „großes Prozessrisiko“ werden. Er kritisierte auch die steuerliche Ungleichbehandlung von Personen unterhalb und oberhalb der Regelarbeitszeitgrenze. "Sonderausgaben müssen abziehbar bleiben" Jana Bauer vom Bundesverband Lohnsteuerhilfevereine lehnte den Vorschlag des Bundesrates ab, den Abzug von Werbungskosten erst oberhalb des neuen Steuerfreibetrages zuzulassen. Damit käme der Werbungskostenfreibetrag faktisch nicht mehr zur Anwendung. Auch Sonderausgaben müssten abziehbar bleiben. In der Stellungnahme der Lohnsteuerhilfevereine heißt es, es sei von zentraler Bedeutung, dass die Aktivrente gleichmäßig für Arbeitnehmer sowie Selbstständige gelte. Eine einseitige Begünstigung abhängig Beschäftigter wäre nicht gerechtfertigt und würde dem Grundsatz der Gleichbehandlung zuwiderlaufen. "Vorhaben ist in der Praxis umsetzbar" Boris Kurczinski von der Bundessteuerberaterkammer sagte, das Abstellen auf die Regelaltersgrenze bei der Aktivrente sei in der Bearbeitung leicht nachzuvollziehen. Der Steuerfreibetrag sei leicht zu handhaben. Das Vorhaben der Koalition sei in der Praxis umsetzbar. Steuersystematisch wäre es aber richtiger, den Progressionsvorbehalt anzuwenden. Dieser Auffassung schloss sich der Bundesverband der Lohnsteuerhilfevereine an. Prof. Dr. Martin Brussig (Universität Duisburg-Essen) erklärte, die Alterserwerbstätigkeit sei in den letzten Jahren ohnehin stark gestiegen. Viele Menschen hätten aber die Anhebung der Altersgrenzen nicht mitgehen können, weil sie aus gesundheitlichen Gründen aus dem Erwerbsleben ausgeschieden seien. Wer die Erwerbstätigkeit im Alter steigern wolle, müsse erst für bessere Arbeitsbedingungen sorgen. So lasse sich ein Potenzial von Hunderttausenden erschließen und nicht nur von einigen Zehntausend, wie das bei der Aktivrente erwartet werde. s gebe auch erhebliche Unterschiede zwischen den Branchen. So gebe es im öffentlichen Dienst viele ältere Beschäftigten, aber eine Weiterbeschäftigung über die Regelaltersgrenze hinaus sei wegen der Tarifverträge schwer möglich. "Teure Maßnahme für ein begrenztes Volumen" Ingo Schäfer vom Deutschen Gewerkschaftsbund sagte, es würden nur sehr wenige Arbeitnehmer Angebote von Arbeitgebern bekommen, über die Regelaltersgrenze hinaus zu arbeiten. Wer das ändern wolle, müsse ein sehr dickes Brett bohren. Es gebe sehr viel größere Potenziale vor der Regelaltersgrenze wie Erwerbsgeminderte oder Arbeitslose. Dort könnten wesentlich mehr Fachkräfte für Jahrzehnte gewonnen werden. Die Aktivrente sei eine sehr teure Maßnahme für ein sehr begrenztes Volumen. (hle/02.12.2025)

Finanzbranche lobt Standort­förderungs­gesetz

Mo, 01.12.2025 - 14:00
Der von der Bundesregierung eingebrachte Entwurf eines Standortförderungsgesetzes (21/2507) ist in einer öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses am Montag, 1. Dezember 2025, von der Finanzwirtschaft begrüßt worden. Andere Sachverständige mahnten Verbesserungen an oder bezweifelten die erwartete Wirkung der in dem Entwurf enthaltenen Maßnahmen. Die Bundesregierung will mit dem Entwurf umfassende Maßnahmen zur Erleichterung des Finanzierungszugangs für Unternehmen, zur Förderung des Fondsmarktes und damit auch des Venture-Capital-Ökosystems sowie zur Verschlankung aufsichtlicher Vorgaben umsetzen. Unter anderem sollen Investmentfonds künftig unbegrenzt in Wagniskapitalfonds investieren können. "Entwurf stellt nötige Rechtssicherheit her" „Der Gesetzentwurf entspricht absolut unserer Forderung und stellt die nötige Rechtssicherheit her“, lobte Thomas Richter (Bundesverband Investment und Asset Management, BVI) in der vom amtierenden Vorsitzenden Christian Görke (Die Linke) geleiteten Anhörung. Immobilienspezialfonds sei es bisher nicht möglich gewesen, Solaranlagen auf Dächer von Büro- und Gewerbegebäuden zu errichten. Den Fonds hätte ein Verlust ihres Rechtsstatus gedroht. Jetzt gebe es Möglichkeiten dafür, und für den Fondsstandort Deutschland sei das von überragender Bedeutung. Prof. Dr. Jens Südekum (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf) sah den Gesetzentwurf „sehr positiv“. Es werde mehr Wagniskapital für junge Unternehmen gebraucht und mit dem Gesetz würden die Möglichkeiten dazu geschaffen. Zur Infrastrukturfinanzierung sagte Südekum, das Sondervermögen setze einen erheblichen Impuls, aber der Mittelbedarf könne nicht allein über die öffentliche Finanzierung abgedeckt werden, sondern es werde privates Kapital gebraucht. Jeder öffentlich investierte Euro könne durch das Gesetz jetzt „gehebelt“ werden, so dass die „Unmengen von Kapital“ in Deutschland auch für Infrastrukturprojekte genutzt werden könnten. Durch das Gesetz würden bestehende Hürden abgebaut. Sachverständige sehen Verbesserungsbedarf Tim Ockenga vom Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) sagte, die Verschlankung aufsichtsrechtlicher Prozesse bei der Finanzaufsichtsbehörde BaFin sei sinnvoll. Er schlug einige Änderungen an dem Entwurf vor. Wie schon der BVI begrüßte Ockenga ebenfalls die verbesserten Möglichkeiten für Solaranlagen auf Dächern von Büro- und Gewerbegebäuden. Dr. Gerrit Fey (Deutsches Aktieninstitut) sprach von kleinen Schritten durch das Gesetz. Es fehle eine grundsätzliche Aktienrechtsreform, um die Finanzierung von Unternehmen zu verbessern. René Lorenz (Deutsche Kreditwirtschaft) begrüßte die im Entwurf vorgesehenen Abschaffungen von Meldepflichten im Kreditbereich. Man vermisse aber Regelungen zur rechtssicheren und praxistauglichen Anpassung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, hieß es in der Stellungnahme der Kreditwirtschaft. Verena Pausder (Bundesverband Deutsche Startups) verwies auf die Probleme der Startups vor allem in späteren Phasen nach der Gründung. Da könne und müsse noch mehr gemacht werden. Startups seien Innovationsmotoren. Wichtig seien auch mehr Möglichkeiten zur Mitarbeiterbeteiligung, die unbürokratisch sein müsse, und ein leichterer Zugang zum Kapitalmarkt. Sie erhoffe sich einiges vom geplanten Deutschlandfonds. Risiken durch Förderung von Wagniskapital Dr. Franziska Maria Cooiman (Technische Universität Berlin) nannte Wagniskapital ein sehr spezifisches Instrument, das nur für bestimmte Unternehmen in Frage komme und auch Risiken habe. Durch die Konstruktion von Fonds müssten geförderte Startups ein „Hyperwachstum“ hinlegen, um für eine solche Finanzierung in Frage zu kommen. Damit komme es oft nur zu einer Förderung erprobter Technologien in Bereichen wie Software und Plattformen und nicht im Bereich neuer Technologien, die für einen grünen Umbau der Wirtschaft gebraucht würden. Außerdem werde die Mehrheit des Kapitals von Männern verwaltet „und geht auch an diese“. Statt radikale technologische Neuerungen im Bereich Materialien und grüne Energien zu fördern, bringe Wagniskapital eher softwarebasierte Geschäftsmodelle hervor. Kritik an geplanten Maßnahmen Anderer Auffassung als die Investmentbranche war Prof. Dr. Fritz Söllner (Technische Universität Ilmenau), der von Ernüchterung beim Betrachten des Entwurfs sprach. Ein großer Sprung sei das nicht. Zwar gebe es leichte Verbesserungen, allerdings würden nur bestimmten Teile der Wirtschaft profitieren, wie die Finanz- und Fondswirtschaft sowie erneuerbare Energien. In der Breite der Wirtschaft komme nichts an. Die Maßnahmen seien dazu viel zu kleinteilig. Prof. Dr. Heribert M. Anzinger (Universität Ulm) nannte es hochproblematisch, dass sich das Investmentrecht vom Aufsichtsrecht löse. Die steuerbegünstigten Fonds könnten gar nicht von allen Investoren genutzt werden. Er finde es auch problematisch, dass Kapitalverwaltungsgesellschaften der Betrieb von Kraftwerken und Energieerzeugungsanlagen erlaubt werden solle. Prof. Ekkehard Wenger (Universität Würzburg) sagte, in dem Entwurf sei von Venture Capital fast nicht die Rede. Der Entwurf sei vielmehr stark auf erneuerbare Energien ausgerichtet, was die Energiewende noch teurer machen werde. Der einseitige Fokus auf erneuerbare Energien missfalle ihm. Antrag der AfD Ebenfalls Gegenstand der Anhörung war ein Antrag der AfD-Fraktion (21/2544) auf Streichung der Wegzugsbesteuerung. Die AfD-Fraktion hält diese Wegzugsbesteuerung für eine faktische Strafe für den Wunsch, in einem anderen Land zu leben. Wenger sagte dazu, es würden keine Unternehmer neu nach Deutschland kommen, wenn sie damit rechnen müssten, dass ihnen bei einem Wegzug nach sieben Jahren ein Teil ihres Vermögens weggesteuert werden würde. (hle/01.12.2025)

Kritische Anmerkungen zum Resilienz-Gesetzentwurf

Mo, 01.12.2025 - 14:00
Zum Gesetzesvorhaben der Bundesregierung zur Stärkung der physischen Sicherheit kritischer Anlagen haben Experten eine Reihe von Einwänden. Das zeigte sich am Montag, 1. Dezember 2025, bei einer Anhörung im Innenausschuss. Es ging um einen Gesetzentwurf der Bundesregierung „zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2022 / 2557 und zur Stärkung der Resilienz kritischer Anlagen“ (21/2510) sowie um einen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Deutschland resilient machen – Für einen ganzheitlichen Schutz unserer kritischen Infrastruktur“ (21/2725). Kritik am Regierungsentwurf Manuel 'HonkHase' Atug, Gründer und Sprecher der AG Kritis, meinte, auch mit dem aktuellen Entwurf zum Kritis-Dachgesetz bleibe Deutschland weiterhin peinlich hinter dem Ziel zurück, das sich aus den EU-Vorgaben zu defensiver physischer Resilienz und Cyberresilienz ergebe. Die Verantwortlichen für die Sicherheit in Deutschland scheinen nach seiner Ansicht mit Vorsatz keine Handlungen aus den hybriden Gefährdungen der letzten Monate ableiten zu wollen. Dem Bundesinnenministerium warf er vorsätzliche Arbeitsverweigerung und damit vorsätzliche Gefährdung von Menschenleben vor. Alexander Averhoff vom Deutschen Städte- und Gemeindebund erklärte, Resilienzstrategien, umfassende Prävention und effektiver Bevölkerungsschutz seien große Herausforderungen für die Kommunen und die Betreiber kritischer Infrastruktur. Er sehe kritisch, dass im Gesetzentwurf aber „die Kommunen komplett raus“ seien. Die vorgesehenen Umsetzungsfristen seien den Kommunen zu kurz. Sie wünschten sich eine Verlängerung auf 24 Monate. Bund und Länder müssten den Kommunen angemessene finanzielle Mittel bereitstellen. Ergänzung des IT-Sicherheitsrechts Mathias Böswetter vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) befand, der Gesetzentwurf schaffe erstmals einen sektorenübergreifenden Rechtsrahmen für den physischen Schutz kritischer Anlagen und ergänze damit das bestehende IT-Sicherheitsrecht für die kritischen Infrastrukturen. Dieses Ziel begrüße sein Verband ausdrücklich. Insbesondere die wirtschaftliche Umsetzung der Maßnahmen sei entscheidend für eine nachhaltige Resilienzsteigerung bei den kritischen Infrastrukturen und eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wirtschaft und Gesellschaft seien auf eine wirtschaftliche Versorgung mit Energie und Wasser sowie eine gesicherte Abwasserentsorgung angewiesen. Der Bund dürfe die Betreiber bei der akuten Drohnenbedrohung nicht allein lassen. Drohnenabwehr müsse hoheitliche Aufgabe bleiben. Transparenzpflichten neu bewerten Sylvia Borcherding von der 50Hertz Transmission GmbH wies darauf hin, dass der aktuelle Rechtsrahmen die Betreiber kritischer Infrastruktur in zahlreichen Verfahren zur umfassenden Offenlegung von Planungs- und Infrastrukturunterlagen verpflichte. Häufig müssten detaillierte Karten, technische Parameter, Standortinformationen, Leitungs- und Trassenverläufe sowie Infrastrukturen öffentlich zugänglich gemacht werden. Hier bestehe ein dringender gesetzgeberischer Handlungsbedarf, der durch das Kritis-Gesetzgebungsvorhaben nicht angegangen werde. Die bestehenden Transparenzpflichten seien im Lichte der aktuellen Bedrohungslage neu zu bewerten und anzupassen. Sie wünsche sich klare Regelungen für Finanzierung und Kosten, so Borcherding. Sie forderte einen bundesweit einheitlichen Rahmen zur Anerkennung und Refinanzierung von Resilienzkosten. Unterstützung von Industrie und Mittelstand Prof. Dr. Clemens Gause vom Verband für Sicherheitstechnik legte dar, für große Konzerne sei die Umsetzung des Kritis-Dachgesetzes ein Kraftakt, für viele kleine und mittlere Unternehmen indes nicht umsetzbar, weil es an finanziellen Mitteln mangele. Diese Unternehmen bildeten aber das Rückgrat der deutschen Wirtschaft und seien zunehmend ein Schlüssel zur Inneren Sicherheit, auch im Operationsplan Deutschland der Bundeswehr. Sein Verband fordere die Bundesregierung und die Abgeordnete auf, klare Maßnahmen zur Unterstützung der Industrie und des Mittelstands zu ergreifen. Dazu zählte er neben zinsgünstigen KfW-Krediten gezielte Steuerentlastungen sowie direkte Förderprogramme. Er regte an, die Sicherheitswirtschaft als Wirtschaftsfaktor in Deutschland nach vorne zu bringen. "Kleine und mittlere Betriebe nicht überlasten" Dr. Jürgen Harrer von der Universität der Bundeswehr in München erklärte, der Gesetzentwurf sei mit den gesetzten Schwerpunkten grundsätzlich auf dem richtigen Weg. Neben den bereits vorhandenen Mindeststandards im Bereich der digitalen Sicherheit würden nun endlich auch Mindeststandards für den Bereich der physischen Sicherheit kritischer Infrastrukturen formuliert. Der Gesetzentwurf könne dazu beitragen, die Resilienz der Kritis-Betriebe und damit auch die Resilienz der Wertschöpfungs- und Lieferketten der deutschen Wirtschaft zu stärken. Harrer warf einen Blick auf die Kosten. Kleine und mittlere Betriebe dürften nicht überlastet werden. Unterstützungen etwa durch Sonderkredite oder Sonderabschreibungen hielt er für sinnvoll. "Digitale und physische Sicherheit bündeln" Prof. Dr. Dennis-Kenji Kipker (Universität Bremen), Research Director der cyberintelligence.institute GmbH in Frankfurt am Main, nannte den Entwurf des Kritis-Dachgesetzes einen wichtigen, aber bislang unvollständigen Schritt hin zu einem kohärenten Schutz kritischer Infrastruktur. So sei eine einheitliche und integrierte Kritis- und IT-Sicherheitsarchitektur vonnöten. Das nationale IT-Sicherheitsrecht sei bislang fragmentiert und vielfach nicht hinreichend aufeinander abgestimmt. Die Einbeziehung der öffentlichen Verwaltung in den Schutzbereich müsse konsequent fortgeführt werden. Die bisherige Ausklammerung weiter Teile der Bundesverwaltung sowie der Landes- und Kommunalverwaltungen führe zu systematischen Schutzlücken und einem uneinheitlichen Resilienzniveau. Er machte sich stark für ein Kritis-Dachgesetz, das digitale und physische Sicherheit bündele. Dadurch sollten Doppelstrukturen vermieden werden. Schnittstellenprobleme und Doppelstrukturen Kerstin Petretto vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) monierte, dass es keine Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen den beteiligten Aufsichtsbehörden gebe. Insbesondere die Rolle der Bundesländer bleibe unklar. Da sie auch abseits des Kritis-Dachgesetzes über Regelungskompetenzen verfügten, drohten Schnittstellenprobleme und Doppelstrukturen. Sie kritisierte, dass ein erheblicher Teil der Bundesverwaltung vom Gesetz ausgenommen und Landesverwaltungen erst gar nicht adressiert worden seien. Infrastrukturen im Kritis-Sektor Staat und Verwaltung unterlägen damit keinen Anforderungen. Sie seien jedoch wie Unternehmen physischen Risiken ausgesetzt. Petretto beanstandete, dass die neuen Bedrohungen nicht adressiert würden. Im Zusammenhang mit Drohnenüberflügen sprach sie von einer Rechtslücke. Kommunale Finanzausstattung Christian Stuffrein vom Deutschen Landkreistag, der auch für den Deutschen Städtetag sprach, begrüßte, dass verbindliche nationale Regeln für Betreiber kritischer Infrastrukturen geschaffen werden sollen. Problematisch sei, dass im Gesetzentwurf der Bundesregierung der Bereich Staat und Verwaltung im Geltungsbereich fehle. Er müsse in die Auflistung der Kritis-Sektoren aufgenommen werden. Die Städte und Landkreise forderten eine angemessene kommunale Finanzausstattung und laufende Finanzierung zur Stärkung der Resilienz. Eine Finanzierung durch Anhebung der Kommunalabgaben sei nicht sachgerecht. Der Schwellenwert von 500.000 versorgten Einwohnern sei viel zu hoch. Damit würde das Gesetz keine Anwendung für Einrichtungen in der deutlichen Mehrheit der Kommunen enthalten. Denkbar sei der vom Bundesrat eingebrachte Schwellenwert von 150.000 versorgten Einwohnern. (fla/01.12.2025)

Viel Lob für deutsch-französische Freundschaft

Mo, 01.12.2025 - 14:00
Die Mitglieder der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung (DFPV) haben am Montag, 1. Dezember 2025, in Berlin die Besonderheit ihrer parlamentarischen Freundschaft hervorgehoben. Die DFPV zeige, wie parlamentarische Kontrolle und Initiative über Grenzen hinweg aussehen könne, und sei in der Lage, über unterschiedliche nationale Interessen hinweg politisch zusammenzukommen, sagte Bundestagspräsidentin Julia Klöckner, die die zwölfte Sitzung der Versammlung im Bundestag eröffnete. Dies sei wichtig, gerade auch in Zeiten, in denen die Friedens- und Werteordnung erschüttert werde. „Die Welt wartet nicht auf uns. Wenn wir nicht handeln, handeln andere“, mahnte Klöckner. Sie verwies auf den Vertrag von Lissabon, der heute vor 16 Jahren in Kraft trat und „viel verändert“ habe. Er habe sowohl das Europäische Parlament als auch die nationalen Parlamente gestärkt. Vor allem letztere seien seither „die Wächter der Subsidiarität“ in der Europäischen Union; sie trügen die Verantwortung dafür, „dass die EU dort handelt, wo sie einen Mehrwert schafft – und sich zurückhält, wo Entscheidungen besser vor Ort getroffen werden“. Dieser Verantwortung komme die DFPV nach. "Deutsch-Französischer Motor stottert nicht" Klöckners französische Amtskollegin, Parlamentspräsidentin Yaël Braun-Pivet, stimmte der Bundestagspräsidentin zu und bedankte sich für die „aufrichtige Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich“. In Zeiten der Polarisierung und des „strengen Windes gegen den Rechtsstaat“ zeigten beide Staaten, dass der „deutsch-französische Motor“ nicht stottere. Energie, Handel, Industrie, Verteidigung und Digitales – dies alles seien Themen, die die DFPV in der jüngsten Vergangenheit angegangen sei. Auch mit Blick auf die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten sei es wichtig, dass Deutschland und Frankreich eng zusammenarbeiteten, betonte Braun-Pivet. Digitale Souveränität Dass beide Staaten auch in Fragen der digitalen Souveränität an einem Strang ziehen, diesen Eindruck vermittelten die Bundesministerin für Forschung, Technologie und Raumfahrt, Dorothee Bär (CSU), und die beigeordnete Ministerin für Künstliche Intelligenz und Digitalisierung, Anne Le Hénanff (Horizons), in der Sitzung. Die enge Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich in Fragen der Digitalisierung schaffe Synergien und trage einen wichtigen Teil zu einem starken Europa bei, sagte Bär. Le Hénanff urteilte, die Freundschaft beider Länder sei grundlegend für die digitale Souveränität: „Sie ist entscheidend, um darauf hinzuwirken, dass die Philosophie der EU Früchte tragen kann.“ Umsetzung des Vertrags von Aachen Im zweiten Teil der Sitzung leiteten die Ko-Vorsitzenden des DFPV-Vorstands Brigitte Klinkert (Ensemble pour la République) und Andreas Jung (CDU/CSU) die Wahl neu benannter Mitglieder des Vorstands, riefen einen Bericht der Kurzmission zur Umsetzung des Vertrags von Aachen auf und ließen Vorlagen und Änderungsanträge beraten und abstimmen. Dabei ging es unter anderem um die Stärkung der deutsch-französischen Zusammenarbeit im Kampf gegen Antisemitismus und Judenhass sowie ein weltweites Abkommen gegen die Plastikverschmutzung. 251201_dt_fr_parl_versammlung_zwei Deutsch-Französischer Parlamentspreis Vor der Sitzung verliehen Klöckner und Braun-Pivet gemeinsam den Deutsch-Französischen Parlamentspreis an zwei Initiativen: das Programm „Artefaktory - Zukunst“, das zweisprachige Kunst-Workshops für Jugendliche organisiert, und den „Sport Pin Oberrhein“; damit werden sportliche Leistungen ausgezeichnet, die teilweise im Nachbarland – Deutschland, Frankreich oder der Schweiz – absolviert wurden. Beide Projekte brächten Deutsche und Franzosen auf „bewegende Weise“ zusammen, sagte Klöckner. „Sie ermöglichen Begegnungen miteinander im Sport, in der Kunst und auch im Alltag.“ Der Deutsch-Französische Parlamentspreis zeichnet herausragende zivilgesellschaftliche Projekte aus, die zum besseren gegenseitigen Verständnis oder zur Stärkung der Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich beitragen. Erstmalig wurden bei der diesjährigen Verleihung nicht mehr nur wissenschaftliche Arbeiten in Betracht gezogen, sondern bilaterales Engagement auf allen Ebenen. (mtt/1.12.25)

Tobias Winkler: Über die Köpfe der Ukraine darf nicht hinweg verhandelt werden

Mo, 01.12.2025 - 12:47
Wir brauchen das Völkerrecht und den Multilateralismus als internationalen Ordnungsrahmen mehr denn je, sagt Tobias Winkler (CDU/CSU), Leiter der deutschen Delegation zur Parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE PV), die vom 17. bis 19. November 2025 zu ihrer Herbsttagung in Istanbul zusammenkam. In schwierigen Zeiten müsse man auf Organisationen wie die OSZE bauen, die dies, als Plattform des Dialogs, verkörperten. Auch Russland sitze dort weiterhin am Tisch, „der russische Vertreter kann jederzeit aufstehen und sagen: Wir beenden den Angriffskrieg.“ Im Interview spricht der Außenpolitiker aus Fürth über die Themen der Tagung, die Türkei als wichtigen strategischen Partner, eine tragende Rolle der OSZE in einer Nachkriegsordnung in der Ukraine und macht klar: „Es darf nicht über die Köpfe der Ukrainer hinweg verhandelt werden.“ Das Interview im Wortlaut: Herr Winkler, die Herbsttagung fand unter der Überschrift „50 Jahre OSZE: Multilateralismus wiederbeleben durch Dialog und Kooperation” statt. Die KSZE/OSZE (Konferenz/Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) konnte im Kalten Krieg dem Aufeinanderprallen der Großmachtinteressen etwas allgemein Akzeptiertes, Regelhaftes entgegensetzen. Ist es das, was momentan in der Weltpolitik fehlt, oder ist es derzeit völlig realitätsfremd, das Konzept des Multilateralismus, oder auch nur die Achtung des Völkerrechts, einzufordern? Auch wenn es so offensichtlich gebrochen wird wie jetzt von Russland in der Ukraine: Wir brauchen das Völkerrecht und den Multilateralismus als internationalen Ordnungsrahmen mehr denn je. Und es ist gut, dass wir über Institutionen verfügen, die das verkörpern. Institutionen sind nicht für die guten, sondern für die schwierigen Zeiten gedacht. Im Kern geht es dabei immer um die Würde des Menschen. Dies ist für mich Ausgangspunkt aller Politik. Man sollte die Institutionen nutzen und deren Prinzipien einfordern, um das Leben der Menschen zu verbessern und der Menschheit eine gute Zukunft zu ermöglichen. Dazu ist es notwendig, dass sich alle Staaten an die selbst gegebenen Regeln halten. Die Regeln zu brechen, darf nicht ohne Konsequenzen bleiben. Von Russland ist jedes der zehn Prinzipien von Helsinki, die die Souveränität von Staaten garantieren, gebrochen worden. Die allergrößte Mehrheit der OSZE-Teilnehmerstaaten verurteilt ganz klar diesen Rechtsbruch. Erfüllt die OSZE nicht mehr die Aufgaben, die ihr einst zugedacht wurden? Die Rolle der Organisation hat sich, seit ihrer Gründung als KSZE, mehrfach gewandelt. Die Welt und die internationale Ordnung hat sich in den letzten 50 Jahren stark verändert. Aus der Brücke zwischen Ost und West, der Sowjetunion und dem Westen, als die die KSZE/OSZE einst geschaffen wurde, hat sich die Organisation zu einem breiten multilateralen Forum entwickelt, dem heute weit mehr als die damaligen Gründerstaaten, nämlich 57 Länder, angehören. Wir haben damit heute ein starkes Forum, das Gespräche und Vermittlung zwischen all seinen Teilnehmern ermöglicht. Russland sitzt hier weiterhin mit am Tisch, auch wenn uns immer wieder Isolierung vorgeworfen wird. Im Rahmen der OSZE finden wöchentliche Treffen auf Botschafterebene statt. Jederzeit kann dort der russische Vertreter aufstehen und sagen: Wir beenden den Angriffskrieg. Ihren ursprünglichen Zweck, eine Plattform des Dialogs zu sein, erfüllt die OSZE somit nach wie vor. Um die Grundwerte der OSZE – Vertrauensbildung, Dialog und Ausgleich, einen regelbasierten Handel – ging es auch in weiteren Sitzungen der diesjährigen Herbsttagung. Wie ist derzeit die Stimmung unter den Parlamentariern angesichts der Krisen und Kriege rund um Europa und der globalen Spannungen: Kann sich die Versammlung irgendwie positionieren, um zur Konfliktbeilegung beizutragen? Während der Herbsttagung wird die Versammlung vor allem ihrer Rolle als Diskussionsplattform gerecht, während es bei der Jahrestagung im Sommer darum geht, gemeinsame Positionen zu erarbeiten und zu verabschieden. Aber es wurde natürlich jetzt auch über Russland und die Ukraine gesprochen. So sind wir beispielsweise nach wie vor in Sorge um das Schicksal von drei OSZE-Mitarbeitern, die von Russland 2022 entführt und inhaftiert beziehungsweise ins Arbeitslager geschickt worden sind. Momentan bemühen wir uns in der Versammlung darum, Gesprächsfäden nicht abreißen zu lassen, und dabei den Prinzipien treu zu bleiben, die wir uns alle gegeben haben, und die vor dem Machtmissbrauch einzelner Regierungen schützen sollen. Die Aufregung um das 28-Punkte-Papier zur Ukraine fällt in die Tage nach der Konferenz. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine war aber sicher auch ein Topthema in Istanbul. Lässt sich die aktuelle Eskalation irgendwie mit den Prinzipien und Mechanismen der OSZE einfangen? Das 28-Punkte-Papier, was oft fälschlicherweise als Friedensplan bezeichnet wird und dessen Zustandekommen und Veröffentlichungen als kurios bezeichnet werden können, war ein Bruch mit den Prinzipien staatlicher Souveränität, also den Prinzipien, die sich die OSZE gegeben hat. Die Belohnung von Krieg und die Entscheidung über die Regierung des angegriffenen Landes hinweg können kein Ausgangspunkt für einen dauerhaften Frieden sein. Dort wurde vielmehr eine Kapitulation der Ukraine skizziert. Mit den Veränderungen, die mithilfe der Ukrainer und der Europäer in Genf erzielt werden konnten, kommen die Forderungen einer realistischen Lösung sehr viel näher. Die Mitglieder der Versammlung haben auch während der Tagung in Istanbul immer wieder betont: Es darf nicht über die Köpfe der Ukrainer hinweg verhandelt werden, sondern diese müssen bei Verhandlungen mit am Tisch sitzen. Für die OSZE sehen wir in einer wie auch immer gearteten Nachkriegsordnung eine tragende Rolle, bei der Friedenssicherung – nicht mit militärischen Kräften, sondern beim Monitoring, der Waffenkontrolle, der rechtlichen Aufarbeitung oder der Unterstützung beim Aufbau akzeptierter Strukturen zur Streitbeilegung als Ausgangspunkt einer zivilen Aussöhnung. Welche Rolle spielte das Gastgeberland Türkei, das auf eine geopolitisch gewachsene Rolle verweisen kann? Die Türkei hat sich in Istanbul als ausgezeichneter Gastgeber präsentiert. Vom Tagungszentrum, über die Organisation und die inhaltlichen Beiträge wurde überall der Wille deutlich, als internationaler Konferenzort zu überzeugen. Die Türkei hat auch mit dieser Tagung ihr Selbstverständnis als Bühne und Akteur internationaler Verhandlungen unterstrichen, nicht nur als Brücke zwischen dem Westen und der arabischen Welt. Der eigene Anspruch ist in den letzten Jahren stark gewachsen und es wurde zurecht immer wieder auf die Erfolge beim Getreideabkommen für die Ukraine oder dem Austausch von Kriegsgefangenen verwiesen. Müssen sich Deutschland und die EU, trotz des autoritären Regierungsstils von Präsident Erdoğan, stärker um die Türkei bemühen? Die Türkei ist ein wichtiger strategischer Partner, als Nato-Mitglied, als Partner der EU, aber aus deutscher Perspektive auch bei der Kooperation in Kultur und Wirtschaft. Deutschland und die Türkei verbindet eine jahrzehntelange enge Partnerschaft, die Länder und Völker sind eng verwoben. Diese stabile Beziehung hält einiges aus. Mit dem wiedergefundenen Ansatz der interessengeleiteten Außenpolitik, muss es künftig besser möglich sein, in einigen Bereichen eng zusammenzuarbeiten und in anderen Bereich unterschiedlicher Auffassung zu bleiben. Selbstverständlich muss die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien angesprochen werden, wie die Menschenrechtslage, die Medienfreiheit oder der Umgang mit dem politischen Gegner. Moralische Außenpolitik mit dem erhobenen Zeigefinger hat nichts bewirkt. Vielmehr gilt: Nur wenn wir Vertrauen aufbauen, können wir auch dazu beitragen, die Lage der Menschen in anderen Ländern zu verbessern. Angesichts der Alternativen auf der Welt ist kaum ein Land mehr auf uns angewiesen, deshalb muss immer zuerst eine Verbindung aufgebaut werden. Kritik üben kann immer erst der zweite Schritt sein. Wie haben die Parlamentarier den von den USA ausgehandelten Friedensplan für Gaza aufgenommen? Gibt es Ideen wie sich dort die unterschiedlichen Interessen ausgleichen, der Frieden und das internationale Recht sichern lassen? An diesem Punkt lässt sich zeigen, dass sich die Versammlung wieder stärker auf ihre Kernaufgaben konzentrieren will. Die Lage in Nahost hat zweifellos große Auswirkungen auf einzelne Staaten und die Welt insgesamt. Dennoch ist die OSZE mit ihren 57 Teilnehmern in erster Linie eine regionale Sicherheitsorganisation mit wenig Einfluss außerhalb des eigenen Gebiets. Es ist schon schwer genug innerhalb der eigenen Grenzen für Sicherheit und Zusammenarbeit zu sorgen. Eine Zuständigkeit lässt sich aus dem Auftrag der OSZE nicht ableiten und wir verfügen auch nicht über die notwendigen Instrumente für ein wirksames Engagement. Den Vorschlag zur Einrichtung einer Ad-hoc-Arbeitsgruppe haben wir vergangene Woche folgerichtig mit großer Mehrheit abgelehnt. Es bleibt eine der entscheidenden Fragen der internationalen Außen- und Sicherheitspolitik, der Region und den Menschen Stabilität und eine friedliche Zukunft zu ermöglichen, doch es wäre unredlich, hier der OSZE eine tragende Rolle beizumessen. Unser Beitrag sollte vielmehr darin liegen, die eigenen Probleme zu lösen und damit einige der wichtigen Akteure vor Ort zu entlasten. In welchen Konflikten agiert die OSZE derzeit erfolgreich? Die OSZE agiert oft unter dem Radar deutscher Medien, beispielsweise mit den Stabilisierungsmissionen auf dem Balkan, wo die Kräfte der OSZE sehr wertgeschätzt werden. Auch am Zustandekommen des Friedensabkommens zwischen Armenien und Aserbaidschan, das US-Präsident Trump als seinen Erfolg proklamiert, hat die OSZE großen Anteil. Auch das Grenzabkommen zwischen Kirgisistan und Tadschikistan wurde von der OSZE maßgeblich mitverhandelt. In der gesamten OSZE-Welt, also potenziell in allen 57 Teilnehmerstaaten, sind die Organisation und die Versammlung immer wieder als glaubwürdige Akteure im Einsatz: ob bei Stabilisierungsmissionen und Grenzfragen, bei der Proliferationskontrolle, wenn es darum geht Waffenarsenale abzurüsten, oder als unabhängige Wahlbeobachter, die feststellen, wie sich die Demokratie in einzelnen Ländern entwickelt. Was hat die Parlamentarier während der Tagung noch beschäftigt? Wir haben zum Beispiel über die bedauerliche Entwicklung der politischen Lage in Georgien gesprochen. Wir haben zuletzt die Wahlen beobachtet und nicht nur dort die Abwendung von demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien beobachten müssen. Wir behalten aber auch andere Teilnehmerstaaten im Blick und setzen gegebenenfalls die Instrumente der Versammlung ein, wenn die regelbasierte internationale Ordnung bedroht ist. Diese Bedrohungen der gesellschaftlichen Ordnung kommen dabei nicht immer nur von politischen Akteuren. So haben wir uns beispielsweise mit den Auswirkungen der alternden Gesellschaft in westlichen Demokratien oder dem Einfluss von Angriffen auf kritische Infrastruktur befasst. Thematisiert wurde auch der zunehmende Einsatz von strategischer Desinformation oder der Kampf gegen den Klimawandel beziehungsweise der Umgang mit dessen Folgen. Bei der Sommertagung hat die Versammlung die Feierlichkeiten zum 50. Geburtstag der OSZE begangen. Hat man sich jetzt also wieder der Sacharbeit, der Konfliktlösung in und um Europa zugewandt? Es war richtig, das Jubiläum zum Anlass zu nehmen, an die Erfolgsgeschichte der OSZE zu erinnern, sich auf die gemeinsamen zehn Prinzipien zu besinnen und sich wieder der Kernaufgaben zu vergewissern. Wir haben im Juli Einigkeit darüber erzielt, dass wir als Versammlung und Organisation unseren Wurzeln treu bleiben und uns nicht thematisch oder regional verzetteln sollten. Das bedeutet, dass wir uns als Plattform des Dialogs für Herausforderungen und Probleme in Europa verstehen. Diese Klärung war wichtig. Von diesem Geist, das konnte man überall während der Konferenz in Istanbul spüren, wird nun unsere Zusammenarbeit getragen. Herr Winkler, kürzlich sind Sie von den Mitgliedern der Delegation zum Delegationsleiter für diese Legislaturperiode gewählt worden. Was ist Ihnen für Ihre Arbeit in der Versammlung wichtig? Wir müssen die internationalen Organisationen ernst nehmen. Unsere Arbeit als Parlamentarier in Versammlungen wie der OSZE PV ist ein wichtiges Instrument deutscher Außenpolitik. Der Wert unserer Arbeit dort besteht darin, Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit anderen Ländern aufzutun, Brücken zu bauen oder zu erhalten, als verlässlicher Partner aufzutreten und Vertrauen aufzubauen. Gemeinsam mit anderen starken Ländern, wie den USA, aber auch Frankreich, dem Vereinigten Königreich oder Italien treten wir auch den Teilnehmern auf Augenhöhe entgegen, die in einer Welt, in der das Recht des Stärkeren gilt, nicht gehört würden. Hier hat die deutsche Delegation als Ganzes, über Parteigrenzen hinweg, eine wichtige Verantwortung im Interesse unseres Landes. (ll/01.12.2025)

Petitionen zu Tierversuchen und zur Vermögensteuer beraten

Mo, 01.12.2025 - 12:00
Tierversuche an Affen sollte es zukünftig aus Sicht von Melanie Seiler, Geschäftsführerin Öffentlichkeitsarbeit des Vereins Ärzte gegen Tierversuche, nicht mehr geben. „Wir fordern von der Bundesregierung konkrete Schritte, um Versuche an nicht-menschlichen Primaten zu beenden“, sagte Seiler am Montag, 1. Dezember 2025, während einer öffentlichen Sitzung des Petitionsausschusses, bei der eine von ihr initiierte Petition beraten wurde. Darin wird auch ein ausnahmeloses Verbot von Versuchen an Menschenaffen und eine jährliche Erhöhung der Förderung tierversuchsfreier Forschungsmethoden „um mindestens zehn Prozent“ verlangt. „Obwohl Affen unsere nächsten Verwandten sind und die Art, wie sie Gefühle empfinden, der unseren sehr ähnlich ist, müssen Tausende von ihnen jährlich als Versuchsobjekte herhalten“, heißt es in der Eingabe, die mehr als 40.000-mal innerhalb von sechs Wochen im Petitionsportal des Bundestages mitgezeichnet wurde. In den meisten Fällen würden sie anschließend getötet. Dabei ließen sich Ergebnisse aus Versuchen an Affen nicht prospektiv auf den Menschen übertragen, schreibt Seiler. Die Verwendung von Affen sei beispielsweise für die Entwicklung marktfähiger Impfstoffe gegen menschliche Krankheiten nicht entscheidend. „Tierversuchsfreie Forschung ist die Zukunft“ Mehr als 90 Prozent aller in Tierversuchen als sicher und wirksam eingeschätzten Medikamente scheiterten bei Menschen, „was vor allem auf die fehlende Übertragbarkeit der Daten zurückzuführen ist“, sagte die Petentin während der Sitzung. Weniger als ein Prozent der Ergebnisse aus der tierexperimentellen Grundlagenforschung erreichten eine klinische Anwendung. „Moderne tierversuchsfreie Verfahren können hingegen präzise humanrelevante Ergebnisse bringen – und zwar schneller und kostengünstiger“, betonte sie. Die Gefahr eines ethischen Dumpings, also der Abwanderung von Spitzenforschung in andere Länder mit niedrigeren Standards, müsse diskutiert werden, räumte die die Petentin begleitende Biotechnologin Sabrina Engel von der Tierschutzorganisation PETA ein. „Wir müssen aber auch bedenken, das wir unsere Spitzenforschung auch verlieren können, wenn wir bei den Innovationen nicht hinterherkommen“, fügte sie hinzu. Im Ausland würden viele Gelder in tierversuchsfreie Forschung investiert. „Tierversuchsfreie Forschung ist die Zukunft“, sagte sie. Die Frage sei, ob diese Zukunft mit oder ohne Deutschland passiere. Erforschung von Alternativmethoden Sowohl Silvia Breher (CDU), Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat, als auch Matthias Hauer (CDU), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium Forschung, Technologie und Raumfahrt, machten deutlich, dass die Bundesregierung auf verschiedenen Ebenen daran arbeite, die Anzahl der Tierversuche zu reduzieren. Beide Ministerien unterstützten finanziell die Strategien zu Alternativmethoden, sagte Breher. Auf die Frage, wie die Bundesregierung mit der noch innerhalb der Ampelregierung entwickelten nationalen Reduktionsstrategie umgeht, sagte Breher, diese sei „eingespielt und eingepreist in die EU-Strategie zur Reduktion, damit die Ergebnisse, die wir erarbeitet haben, eben nicht hier bleiben“. Schließlich würden die Regeln auf EU-Ebene gesetzt, sagte die Staatssekretärin. Das deutsche Engagement auf europäischer Ebene zur Erforschung von Alternativmethoden sei erfolgreich, befand Forschungs-Staatssekretär Hauer. In den letzten 17 Jahren seien auf europäischer Ebene 273 Millionen Euro in entsprechende Förderprogramme geflossen. Daran trage auch Deutschland seinen Anteil. "Rückfalloption als letztes Mittel" Ein gesetzliches Verbot von Versuchen an Menschenaffen lehnten Breher und Hauer ab. Es habe in Deutschland seit 34 Jahren keine Versuche an Menschenaffen mehr gegeben, sagte Breher. Es brauche aber „Rückfalloptionen“. Hauer führte als Beispiel Hepatitis C an. Hier könnten, „neben den Menschen, nur Schimpansen infiziert werden“. Ohne Forschungen an ihnen seien Therapien nicht entwickelbar gewesen. Eine Rückfalloption müsse daher „als letztes Mittel“ erhalten bleiben, sagte Hauer. Mit Blick auf Alternativmethoden sagte der Staatssekretär, damit könne gezeigt werden, wie ein Medikament auf einzelne Zellen wirke, nicht aber, wie es auf andere Zelltypen reagiert und ob Abbauprodukte entstehen, die Organe schädigen. Daher blieben Tierversuche zur Erforschung komplexer lebensbedrohender Krankheiten wie Krebs, HIV, Diabetes, Malaria und Alzheimer „bislang unverzichtbar“. Petentin fordert patientenspezifisches Arbeiten Die Petentin hielt dem entgegen, dass unter anderem mit KI, Miniorganen und „Minibrains“ bei Krankheiten wie etwa Alzheimer oder Demenz „patientenspezifisch Veränderungen dargestellt werden konnten“. Seiler weiter: „Wenn wir Patienten wirklich helfen wollen, wenn wir zu einer gendergerechten Medizin kommen wollen, müssen wir patientenspezifisch arbeiten können.“ Das gehe aber nicht mit Tieren. Patientenspezifisches Arbeiten sei möglich, müsse aber in die Anwendung gebracht werden, forderte sie. Das erfordere entsprechende Fördersummen. Petition zur Aktivierung der Vermögensteuer Darüber hinaus beschäftigte sich der Petitionsausschuss während seiner öffentlichen Sitzung mit der Forderung nach einer Aktivierung der Vermögensteuer auf alle Vermögensarten. Grundlage dafür war eine Petition von Julia Elwing vom Koordinierungskreis der Organisation Attac Deutschland, die von mehr als 68.000 Personen unterstützt wurde. Die Petentin spricht sich dafür aus, Vermögen über einem Freibetrag von einer Million Euro progressiv zu besteuern. Der Eingangssteuersatz solle ein Prozent betragen und schrittweise ansteigen: bei über fünf Millionen Euro auf zwei Prozent, bei über zehn Millionen Euro auf fünf Prozent, bei über 20 Millionen Euro auf zehn Prozent, bei über 200 Millionen Euro auf 15 Prozent und ab einer Milliarde Euro auf 20 Prozent. Damit würde aus ihrer Sicht der weitere Anstieg von „Überreichtum“ gestoppt. Zugleich würden riesige Vermögen schrittweise abgeschmolzen und Gelder für die Finanzierung öffentlicher Ausgaben für Infrastruktur, sozialen Ausgleich und Klimaschutz zur Verfügung stehen. „Durch den Freibetrag von einer Million Euro pro Person sind über 99 Prozent der Menschen in Deutschland nicht von der Vermögensteuer betroffen“, heißt es in der Eingabe. Vermögensungleichheit in Deutschland Deutschland gehöre zu den Ländern mit der größten Vermögensungleichheit in Europa, sagte Elwing vor den Abgeordneten. „Das reichste Prozent besitzt ungefähr ein Drittel des Gesamtvermögens, die ärmere Hälfte gerade einmal zwei Prozent“, so die Petentin. Ein sehr großer Teil der sehr großen Vermögen entstünde nicht durch Arbeit, sondern durch Erbschaften, Beteiligungen und Kapitaleinkünfte. Arbeit werde aber hoch besteuert und trage durch Abgaben das Sozialsystem. Eine „Mittelschichtsfamilie“ kommt laut der Petentin auf eine Abgabenquote von etwa 45 Prozent. „Die Einkünfte Überreicher, die großenteils aus Firmenbeteiligungen und Aktien stammen, werden dagegen oft nur mit 25 Prozent besteuert“, sagte Elwing. Gleichzeitig nutzten Überreiche die Infrastruktur, „die ihnen von der Gesamtgesellschaft zur Verfügung gestellt wird“. Sie griffen zudem auf ein Gesundheitssystem zurück, das von der Gesamtgesellschaft finanziert werde. „Sie nutzen das alles, ohne einen angemessenen Beitrag zu leisten“, befand die Petentin und konstatierte eine „gigantische Gerechtigkeitslücke, die von den Menschen nicht verstanden und nicht gewollt wird“. Die große Vermögensungleichheit sei nicht nur ungerecht. Sie schwäche auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt, da eine extreme Vermögenskonzentration zu ungleichen politischen Einflussmöglichkeiten führe, sagte Elwing. Die die Petentin begleitende Soziologin Silke Ötsch verwies auf anstehende Zukunftsaufgaben. „Wir brauchen Klimainvestitionen in Milliardenhöhe“, sagte sie. Schiebe man diese Investitionen auf, würden die Kosten steigen. „Wir müssen also jetzt investieren.“ Der Plan, dass privates Kapital die Transformation finanziert, sei nicht aufgegangen, so Ötsch. Der Großteil komme aus öffentlichen Mitteln. Zudem müsse die Transformation auch sozial abgefedert werden. „Das erfordert viele Gelder“, sagte sie. Petentin weist Einwände zurück Den Einwand, eine Vermögensteuer schade der Wirtschaft, wies die Petentin zurück. Es gebe zahlreiche Untersuchungen, die zeigten, „dass es gerade nicht so ist“. Vielmehr hemmten eine unfaire Verteilung von Vermögen und die sich daraus ergebende hohe Ungleichheit Innovationsprozesse und schadeten der Wirtschaft. Auch ein „Weggang der Reichen“ ist aus ihrer Sicht nicht zu befürchten. Mit der Wegzugsbesteuerung gebe es in Deutschland ein sehr effektives Mittel, um Wegzug zu verhindern. Studien zeigten zudem, dass sehr reiche Menschen „im Normalfall auch hierbleiben, egal wie die Steuern sind“. Eine Überforderung kleiner und mittelständischer Unternehmen vermochte Elwing ebenfalls nicht zu erkennen. Bis 1995 habe es schon einmal eine Vermögensteuer gegeben, sagte sie. „Da gab es nicht die große Welle der Betriebsschließungen.“ Mit Stundungen könne man da etwas machen, so Elwing. "Keine Erwähnung im Koalitionsvertrag“ Für die Bundesregierung ist die Aktivierung der Vermögensteuer aktuell kein Thema, machte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Michael Schrodi (SPD), deutlich. „Es gibt keine Erwähnung der Vermögensteuer im Koalitionsvertrag“, sagte er. Es ergebe sich insofern kein Auftrag an die Bundesregierung, dazu tätig zu werden. (hau/01.12.2025)

Aydan Özoğuz zum Tag der Freiwilligen: Wir sollten häufiger Danke sagen

Mo, 01.12.2025 - 07:35
Wir sollten häufiger Danke sagen und freiwilligem Engagement mehr Wertschätzung entgegenbringen, sagt Aydan Özoğuz (SPD), Vorsitzende des Ausschusses für Sport und Ehrenamt, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages a.D., anlässlich des Internationalen Tages der Freiwilligen am 5. Dezember 2025. „Diese gesellschaftliche Anerkennung wollen wir im Ausschuss anregen und widerspiegeln. Und ich möchte dazu beitragen, dass der Ausschuss dem Ehrenamt die ihm gebührende Plattform gibt.“ Ziel sei eine Politik, die Hürden abbaut, Wirkung entfaltet und das Ehrenamt nachhaltig stärkt. Im Interview spricht die SPD-Politikerin aus Hamburg über die unverzichtbare Rolle des Ehrenamts für die Gesellschaft, den Einzelnen und den Staat. Sie erläutert, was sie sich persönlich als Vorsitzende für die Arbeit des Ausschusses vorgenommen hat und welche Botschaft sie an alle hat. Das Interview im Wortlaut: Frau Özoğuz, freiwilliges Engagement ist eng verbunden mit dem Begriff der Gemeinnützigkeit, mit der Idee, etwas gemeinsam zu machen, das sich für alle auszahlt. Fast 30 Millionen Menschen in Deutschland engagieren sich. Dennoch wird viel über Risse gesprochen, die unsere Gesellschaft heute mehr denn je durchziehen. Welche Bedeutung hat freiwilliges Engagement 2025 in Deutschland für die Menschen, aber auch für Gesellschaft und Staat das Ganzes? Was kann diese Form der Beteiligung leisten und was nicht? Freiwilliges Engagement in Deutschland hat eine enorme Bedeutung – für unsere Gesellschaft, den Einzelnen und für den Staat. Denn wie wir wissen, ist freiwilliges Engagement ein tragendes Fundament des sozialen Zusammenhalts. Es stärkt das Miteinander, schafft Netzwerke, ermöglicht Teilhabe und es ist die Grundlage einer aktiven Bürgergesellschaft, in der Menschen sich an politischen Entscheidungsprozessen beteiligen und Mitverantwortung übernehmen. Neben den vielen formal organisierten Strukturen spielt auch das informelle Engagement eine wichtige Rolle. Für den Einzelnen bedeutet es auch, Verantwortung zu übernehmen und unmittelbar zu erleben, dass der eigene Einsatz etwas bewirkt. Das stiftet Sinn, schafft Zugehörigkeit und bereichert das eigene Leben. Und schließlich hat Engagement auch eine klare Bedeutung für den Staat und die öffentliche Hand. In vielen Bereichen ergänzt freiwilliges Engagement die Arbeit öffentlicher Einrichtungen. Ein klassisches Beispiel ist die Freiwillige Feuerwehr, die gerade in ländlichen Regionen unverzichtbar ist und die Berufsfeuerwehr ergänzt. Doch genau da kommen wir auch zu Grenzen: Freiwillige können und sollen die Aufgaben des Staates nicht komplett übernehmen, ihr Engagement ist aber wertvolle und unverzichtbare Ergänzung und Unterstützung. Wird die Politik diesem Stellenwert gerecht und wie wollen Sie das Thema Freiwilligkeit im Ausschuss „Sport und Ehrenamt“ aufgreifen? Wir haben uns fest vorgenommen, das Thema noch mehr als bisher hervorzuheben. Es gibt ja seit dieser Wahlperiode nicht nur unseren Ausschuss, der das Ehrenamt in seinem Titel trägt, sondern mit Dr. Christiane Schenderlein auch eine Staatsministerin für Sport und Ehrenamt im Bundeskanzleramt. Wir wünschen uns, dass damit die thematischen Enden aus den vielen Ressorts, die in irgendeiner Weise mit dem Ehrenamt in Berührung kommen, besser zusammengeführt werden. Und auch, wenn der Sport der mit Abstand größte Bereich des ehrenamtlichen Engagements in unserem Land darstellt, wissen wir sehr wohl, dass auch in den Blaulichtorganisationen, in der Jugendarbeit, in der Musik und in vielen anderen Bereichen das Ehrenamt unverzichtbar ist. Können Sie sich einen Badesommer ohne die Ehrenamtlichen der DLRG vorstellen? Verwaiste Sportplätze ohne Übungsleiter? Integrationsarbeit ohne ehrenamtliche Vormünder? Ich habe gerade auf die unverzichtbare Bedeutung des Ehrenamts hingewiesen. Diesem Stellenwert wollen wir auch hier im Bundestag gerecht werden. Bei der Vielfalt an Einsatzfeldern: Welche Schwerpunkte wollen Sie in der neuen Wahlperiode setzen? Sie sprechen es an: Engagement und Ehrenamt sind ein Querschnittsthema unserer Gesellschaft. Als Vorsitzende des Ausschusses für Sport und Ehrenamt ist es mir wichtig, das deutlich zu machen. Im Finanzausschuss geht es etwa um Übungsleiterpauschalen, im Familienausschuss um Demokratieförderung, im Innenministerium um die Blaulichtfamilie. Ich möchte diese Stränge bündeln und gemeinsam mit möglichst vielen Akteuren und Stakeholdern identifizieren, wo wir ansetzen können, um die Rahmenbedingungen für Engagierte spürbar zu verbessern. Ziel ist eine Politik, die Hürden abbaut, Wirkung entfaltet und das Ehrenamt nachhaltig stärkt. Ich bin froh, dass wir mit dem „Zukunftspakt Ehrenamt“ bereits erste Erfolge verankern konnten: Die Ehrenamts- und Übungsleiterpauschalen werden erhöht, die Einnahmegrenze für die zeitnahe Mittelverwendung bei Vereinen angepasst und die Haftungsregelungen für Vereinsvorstände verbessert. Das sind wichtige Schritte – und es sollen weitere folgen. Werden Sie regelmäßig Sitzungen zum Thema Ehrenamt/Freiwilligkeit durchführen? Selbstverständlich! Das wollen tatsächlich alle Ausschussmitglieder. Aber es ist auch eine Herausforderung, die Themenvielfalt in den Ausschusssitzungen zu platzieren. Anlässlich des Internationalen Tages der Freiwilligen beschäftigen wir uns natürlich mit passenden Themen: mit dem Vierten Engagement-Bericht der Bundesregierung und dem Sechsten Freiwilligensurvey. Wir hatten auch kürzlich eine Sitzung, in der wir uns über die aktuelle Situation des Ehrenamts in Deutschland informiert haben. Unsere Gäste – die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt, das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement, das Bündnis für Gemeinnützigkeit und die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen – haben uns dabei eine breite Palette an Themen und Herausforderungen präsentiert. Welche genau? Wo sollen Sie dem freiwilligen Engagement helfen? Was braucht es am dringendsten? Der Wunsch nach Bürokratieabbau ist groß. Engagierte müssen sich auf das Wesentliche konzentrieren können. Von Jan Holze von der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt habe ich neulich auf einem gemeinsamen Panel eine Zahl gehört, die das sehr deutlich macht: 42 Arbeitstage im Jahr, also rund sechseinhalb Stunden pro Woche, beschäftigt sich ein durchschnittlich großer Verein allein mit bürokratischen Aufgaben. Das ist viel zu viel. Da müssen wir ran. Ähnlich deutlich wurde es kürzlich in einem Gespräch mit der Deutschen Sportjugend: Sie hat mir geschildert, wie kontraproduktiv die jährlich notwendige Mittelbeantragung und die befristete Finanzierung ihrer Projekte im Bereich der Demokratieförderung sind. Da ist im vierten Quartal manchmal nicht klar, ob das Projekt im Folgejahr weitergeführt werden kann. Im schlimmsten Fall können Verträge nicht verlängert werden und es gehen dann viel Wissen, Engagement und das Netzwerk verloren. Mit dem bereits angesprochenen Zukunftspakt Ehrenamt wollen wir aber auch an andere Themen ran: Die Vereinfachungen des Datenschutzrechts und des Vereinsrechts und vereinheitlichte Förderbedingungen stehen auf der Agenda – um nur einige Vorhaben zu nennen. Wird es im neuen Ausschuss für Sport und Ehrenamt vor allem um das formale Ehrenamt gehen und fällt dabei nicht die Vielfalt weiterer Engagement-Formen unter den Tisch? In meinem Wahlkreis in Hamburg sehe ich, wie vielfältig Projekte sind, in denen Menschen sich engagieren. Da gibt es das klassische Ehrenamt als Vereinsvorstand oder Übungsleiter. Und es gibt eine bunte Palette von bürgerschaftlichem Engagement, wo sich Menschen weniger formalisiert für die Gesellschaft engagieren. Ich möchte diese Vielfalt auch im neuen Ausschuss sichtbar machen und dadurch auch in der Gesellschaft insgesamt mehr Wertschätzung für alle Engagement-Formen bewirken. Nicht alles lässt sich ja mit Änderungen von Gesetzen verbessern. Es geht ja auch um gesellschaftliche Anerkennung. Jeder, der sich engagieren möchte, sollte dafür eine passende Form finden – Engagement soll ja auch Freude machen. Und jede Art von Engagement sollte Wertschätzung erhalten. Diese gesellschaftliche Anerkennung wollen wir im Ausschuss anregen und widerspiegeln. Ein Bericht mit den zentralen Ergebnissen des jüngsten deutschen Freiwilligensurveys zur Entwicklung des freiwilligen Engagements (von 2024) ist gerade erschienen. Diese umfassende Datenerhebung will alle fünf Jahre ein umfassendes Bild der Entwicklung der Zivilgesellschaft geben. Was ist für Sie die wichtigste Botschaft des Surveys? Die wichtigste und erfreulichste Botschaft für mich ist, dass das freiwillige Engagement weiterhin auf einem hohen Niveau ist. Zwar ist im Vergleich zur Erhebung aus dem Jahr 2019 ein leichter Rückgang zu verzeichnen, doch gleichzeitig investieren Engagierte heute wieder etwas mehr Zeit in ihre freiwillige Tätigkeit. Besonders freut mich, dass die Beteiligung in den jüngeren Altersgruppen am höchsten ist: Von den 14- bis 49-Jährigen sind knapp 40 Prozent freiwillig engagiert. Interessant ist auch, dass Vereine weiterhin die etablierte Struktur für das Engagement sind, rund 50 Prozent der Engagierten üben dort ihre Tätigkeit aus. Alles in allem sind das Zahlen, die Mut für die Zukunft machen. Trägt die in der vergangenen Wahlperiode verabschiedete Engagementstrategie dazu bei, die Rahmenbedingungen für freiwilliges Engagement zu verbessern? Die Engagementstrategie spannt zunächst einen politischen Rahmen auf und definiert zentrale Ziele. Sie ist damit eine wichtige Orientierung für die Engagementpolitik des Bundes in den kommenden Jahren. Um mit Bildern des Sports zu sprechen: Sie hat sozusagen das Spielfeld abgesteckt und wir überlegen nun, mit welcher Aufstellung und Taktik wir die Ziele am besten erreichen können. Stichwort „international“: Schauen Sie sich an, wie engagementfreundlich andere Länder sind? Und: Wo steht Deutschland? Nehmen wir den Sport: Deutschland hat mit seinen zum allergrößten Teil ehrenamtlich geführten Sportvereinen eine großartige Struktur. So etwas gibt es längst nicht in allen Ländern. Und ja, der Blick nach Außen ist wichtig. Nicht nur wir stehen vor großen Herausforderungen. Lebenswelten verändern sich. Die Demografie ist ein wichtiges Thema. Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt. Chancen und Gefahren von Social Media werden deutlich. Nicht zuletzt spüren viele Bürgerinnen und Bürger angesichts globaler Krisen Unsicherheit. Das führt zu gesellschaftlichen Fliehkräften und wirft Fragen auf, die wir gemeinsam zu beantworten haben. Da schauen wir natürlich auch über den Tellerrand hinaus. Übrigens bietet die Europäische Union ja jungen Menschen mit Programmen wie dem „Europäischen Solidaritätskorps“ oder „Erasmus+Volunteering“ tolle Möglichkeiten. Und was gibt es besseres, als wenn junge Engagierte aus unterschiedlichen Ländern zusammenkommen und möglichst das Beste aus allen Welten mit nach Hause nehmen? Was haben Sie sich persönlich für die Legislaturperiode vorgenommen als Vorsitzende? Gern würde ich über all die unterschiedlichen Engagement-Formen einen bestmöglichen Überblick gewinnen und dabei auch lernen, was die Menschen im Einzelnen antreibt, was sie motiviert und woraus sie etwas für sich selbst ziehen können. Solche Motivationsfaktoren können wir ja wiederum stärker unterstützen. Ich habe kürzlich an der Preisverleihung „(M)ein Verein gegen Rassismus“ teilgenommen. Diese unmittelbare Begeisterung und Energie für eine gute Sache, die Überzeugung, das Richtige zu tun, haben mich sehr beeindruckt. Gern möchte ich mehr von solchen Projekten und den Menschen, die dahinterstehen, kennenlernen. Und ich möchte dazu beitragen, dass der Ausschuss auch dem Ehrenamt die ihm gebührende Plattform gibt. Übrigens: Wir sind einer der wenigen Ausschüsse des Bundestages, die grundsätzlich öffentlich tagen. Also, gern live vorbeikommen oder uns in der Mediathek des Bundestages über die Schulter schauen. Alle Infos zu unserem Ausschuss finden Sie unter https://www.bundestag.de/sport_ehrenamt. Was ist Ihre Botschaft zum Internationalen Tag der Freiwilligen? Ehrenamtliches Engagement ist unverzichtbar und kommt auf die eine oder andere Weise uns allen zugute. Hinter diese Aussage gehören drei Ausrufezeichen!!! Wir müssen Ehrenamt möglich machen. Dazu gehören politische und rechtliche Rahmenbedingungen, Arbeitgeber, die Arbeitszeit flexibilisieren, hauptamtliche Strukturen, die das Ehrenamt entlasten und organisieren. Dazu gehört aber auch ein gesamtgesellschaftliches Bewusstsein für dessen Bedeutung. Wir müssen den Menschen, die sich engagieren, unsere Wertschätzung deutlicher kommunizieren. Wir sollten häufiger Danke sagen. Das tue ich hiermit, auch mit drei Ausrufezeichen!!! Und für alle, die über ein Engagement nachdenken: Tun Sie es! Auch Ihre Zeit kann etwas bewirken – für Sie und viele andere! (ll/01.12.2025)

Arbeits- und Sozialetat macht mehr als ein Drittel des gesamten Haushalts aus

Fr, 28.11.2025 - 09:00
Der Bundestag hat am Freitag, 28. November 2025, nach 90-minütiger Debatte in zweiter Beratung den Etatentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales in der Fassung des Haushaltsausschusses (21/2011, 21/2061, 21/2063) angenommen. Dafür stimmten die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD, dagegen die Oppositionsfraktionen AfD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke. Der Einzelplan 11 bleibt der mit großem Abstand ausgabenstärkste Bereich des Bundeshaushalts 2026 (21/600, 21/602). Bundesministerin Bärbel Bas (SPD) kann mit Ausgaben von 197,34 Milliarden Euro rechnen, das ist mehr als ein Drittel des Gesamtetats und eine Steigerung im Vergleich zu 2025 um rund sieben Milliarden Euro. Diese Summe resultiert fast komplett aus steigenden Rentenzuschüssen. Ministerin: Koalition handelt gemeinsam In der Debatte hob Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas die Bedeutung des Sozialstaats hervor: „Unser Sozialstaat sorgt für Stabilität und für sozialen Frieden. Er stärkt die Binnenkonjunktur und die Kaufkraft und vor allem gibt er sehr vielen Menschen in diesem Land Sicherheit“. Alle in der Bundesregierung hätten das gleiche Ziel: „Wir wollen eine Altersvorsorge in Deutschland, die sicher und gerecht ist über alle Generationen, und wir wollen eine Rente, auf die sich die Menschen verlassen können“, sagte die Ministerin. Bas wies darauf hin, mit der Stabilisierung des Rentenniveaus, der Mütterrente, der Betriebsrente, der Frühstartrente, der Aktivrente und auch einer Reform der privaten Altersvorsorge würden bereits jetzt die richtigen Weichen gestellt. Die Koalition handele gemeinsam, versicherte Bas und sprach von einem „wichtigen Signal“, dass sich die Koalitionsfraktionen auf einen gemeinsamen Entschließungsantrag zur Rente geeinigt hätten und dass sich die Koalition auch einig sei, „dass wir jetzt sehr zeitnah eine Rentenkommission einsetzen, die umfangreiche und mutige Schritte bei der Rente gehen will“. AfD: Sozialsysteme systematisch überfordert In der Debatte warnte René Springer (AfD) vor einem Kollaps des Systems. Der Etat sei kein Schutzschild für die Leistungsgesellschaft, sondern das Protokoll einer Politik, „die unsere Sozialsysteme systematisch überfordert“. Allein die Ausgaben für das Bürgergeld würden über 50 Milliarden Euro betragen, was zehn Prozent des gesamten Bundeshaushalts entspreche. Die Hälfte der Ausgaben fließe an Nichtdeutsche. „Eine Regierung, die 700.000 Ukrainer, 500.000 Syrer, 200.000 Afghanen und 100.000 Irakern Bürgergeld, Krankenversicherungen und kostenlose Wohnungen finanziert und dafür den eigenen Bürger gnadenlos abkassiert, muss abgewählt werden“, forderte Springer. Den angekündigten Stopp des Bürgergeldes für Ukrainer bezeichnete der AfD-Politiker als reine Symbolpolitik. 700.000 Ukrainer würden weiterhin im Bürgergeld-System bleiben. Der Sozialstaatsmagnet Deutschland müsse abgestellt werden, forderte Springer. SPD: Wir investieren in Menschen Kathrin Michel (SPD) sagte, der Sozialstaat sei mehr als ein Kostenfaktor. 197 Milliarden Euro Ausgaben seien mehr als eine Zahlenkolonne. Das sei sei der Ausdruck eines Versprechens: „Wir investieren in Menschen, in gesellschaftlichen Zusammenhalt und gerechte Teilhabe“, so Michel, die auf Maßnahmen wie den inklusiven Digitalpakt und auf Berufssprachkurse verwies. Mit den Mitteln für die Work-and-Stay-Agentur werde Einwanderung in Arbeit beschleunigt und vereinfacht. Zugleich verteidigte Michel das Festhalten am Rentenniveau von 48 Prozent des aktuellen Durchschnittsverdiensts. Grüne: Wir stehen zur umlagefinanzierten Rente Leon Eckert (Bündnis 90/Die Grünen) warf der Koalition vor, angekündigte Reformmaßnahmen verschoben zu haben. Das kommende Maßnahmenbündel werde zu Mehrbelastungen für das Rentensystem führen, „und das muss uns allen Sorgen machen, wie das langfristig tragen wird“. Union und SPD hätten leistungsausweitende Leistungen hineinverhandelt, zum Teil mit extremen Unwuchten. Die Grünen würden zu 100 Prozent zur umlagefinanzierten Rente und dem Solidarprinzip stehen. Eckert fragte, ob die jungen Unionsabgeordneten das System reformieren oder kaputtmachen wollten und neoliberal auf mehr private Vorsorge setzen. Er verlangte, die starken Schultern in die Pflicht zu nehmen, zum Beispiel durch Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze und Ausweitung der Beitragszahler durch Einbeziehung von Abgeordneten, Beamten und Selbstständigen. „Wir wollen eine auskömmliche Rente ermöglichen“, so Eckert. CDU/CSU: Einsparungen bei der Grundsicherung Yannick Bury (CDU/CSU) ging zunächst auf die Reform der Grundsicherung ein: „Wir kommen hier zu Einsparungen.“ Zur Rentenversicherung erklärte Bury, die Rente müsse für den demografischen Wandel zukunftsfest gemacht werden. Erste Ansätze seien bereits zu sehen. So werde die Berechnung des Bundeszuschusses transparenter vorgenommen. Der Einzelplan dürfe aber nicht Dauerzustand bleiben, weil es sonst zu einer zunehmenden „Versteinerung“ der Bundesfinanzen komme mit der Konsequenz, dass die fiskalpolitische Handlungsfähigkeit zum Ende des Jahrzehnts massiv abnehmen werde. Diese Versteinerung müsse gebrochen werden, forderte Bury. Das werde die Koalition für die Generationengerechtigkeit angehen. Linke: Ein Haushalt der Reichen Millionen Menschen hätten ihr Leben lang gearbeitet und seien jetzt von Armut bedroht, konstatierte Tamara Mazzi (Die Linke). Die Koalition sage, es müsse gespart werden, gebe aber so viel Geld aus wie nie zuvor für die Bundeswehr. Mazzi sagte, mit den Vorschlägen der Linken ließe sich das Rentenniveau auf 53 Prozent erhöhen und eine solidarische Mindestrente einführen. Den jungen Unionsabgeordneten gehe es allein darum, die Beiträge für Reiche kleinzuhalten. Es handele sich um einen Klassenkonflikt. „Dieser Haushalt ist einer der Reichen und ihrer Freunde auf der Regierungsbank, und deswegen lehnen wir ihn entschieden ab“, sagte Mazzi. Änderungen im Haushaltsausschuss Der Haushaltsausschuss hatte im parlamentarischen Verfahren im Wesentlichen die Ausgabentitel angepasst, die sich an der Renten- und Steuerschätzung sowie an der Herbstprojektion orientieren. So fällt beispielsweise der Zuschuss des Bundes an die allgemeine Rentenversicherung um 421,67 Millionen Euro geringer aus als im Regierungsentwurf, beträgt aber immer noch 63,95 Milliarden Euro. Die im Regierungsentwurf ursprünglich veranlagten Mittel für die Work-and-Stay-Agentur wurden in das Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität umgesetzt. Insgesamt sehen die Änderungen ein Minus von 66,09 Millionen Euro vor. Rentenversicherung und Grundsicherung im Alter Der Löwenanteil im Einzelplan 11 entfällt wie immer auf die Rentenversicherung und die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Dafür sah der Regierungsentwurf insgesamt 140,23 Milliarden Euro vor (2025: 134,39 Milliarden Euro). Darin enthalten sind die Leistungen an die Rentenversicherung mit 127,84 Milliarden Euro (2025: 122,5 Milliarden Euro). 64,36 Milliarden Euro (2025: 48,21 Milliarden Euro) gehen als Zuschuss an die allgemeine Rentenversicherung. Der zusätzliche Zuschuss des Bundes an die allgemeine Rentenversicherung beläuft sich auf 33,67 Milliarden Euro (2025: 32,1 Milliarden Euro). Die Beitragszahlungen für Kindererziehungszeiten steigen ebenfalls und summieren sich auf 19,67 Milliarden Euro (2025: 19,2 Milliarden Euro). Die Erstattungen des Bundes für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung schlagen mit 12,45 Milliarden Euro zu Buche (2025: 11,75 Milliarden Euro). Für die Grundsicherung für Arbeitsuchende will der Bund im kommenden Jahr 51,02 Milliarden Euro ausgeben (2025: 51,96 Milliarden Euro). Die Beteiligung des Bundes an den Kosten für Unterkunft liegt wie im Vorjahr bei 13 Milliarden Euro 2025. Ausgaben für das Bürgergeld sollen leicht sinken Leicht sinkende Ausgaben sind bei den Kosten für das Bürgergeld geplant: Im Entwurf vorgesehen sind 28,05 Milliarden Euro (2025: 29,6 Milliarden Euro). Die Leistungen für Eingliederung in Arbeit steigen und sollen 4,7 Milliarden Euro kosten (2025: 4,1 Milliarden Euro). Steigen werden auch die Darlehen und sonstigen Leistungen an die Bundesagentur für Arbeit – auf 3,97 Milliarden Euro (2025: 2,35 Milliarden Euro). Deutlich sinken sollen die Ausgaben für das Bundesteilhabegesetz zur Förderung der Inklusion von Menschen mit Behinderungen: Statt 135,45 Millionen Euro wie 2025 sind für 2026 nun 69,96 Millionen Euro eingeplant, was die Regierung mit der planmäßigen Absenkung des Ansatzes für Modellvorhaben zur Stärkung der Rehabilitation erklärt. (hle/che/scr/hau/28.11.2025)

21,8 Milliarden Euro für das Raumfahrt- und Forschungsministerium

Fr, 28.11.2025 - 08:55
Dem Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt sollen im Jahr 2026 Ausgaben in Höhe von 21,8 Millionen Euro möglich sein (2025: 22,4 Milliarden Euro). Das sieht der Haushaltsentwurf 2026 (21/600, 21/602) in der durch den Haushaltsausschuss geänderten Fassung vor, über den am Freitag, 28. November 2025, nach 90-minütiger Debatte in zweiter Beratung abgestimmt wird. Der Etat von Bundesministerin Dorothee Bär (CSU) ist im Verlaufe der Haushaltsberatungen um gut eine halbe Milliarde Euro angestiegen. Im Regierungsentwurf waren noch Ausgaben in Höhe von 21,3 Milliarden Euro vorgesehen. Über das Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität und den Klima- und Transformationsfonds (KTF) sollen zusätzlich zum Einzelplan 30 Investitionen in Forschung, Technologie und Raumfahrt in Höhe von rund einer Milliarde Euro möglich sei. 50 Millionen Euro für das „1.000-Köpfe-Programm“ Der Ausgabenschwerpunkt des Einzelplans liegt im Programmbereich „Wettbewerbsfähigkeit des Wissenschafts- und Innovationssystems“. Mit 8,3 Milliarden Euro ist der Etat etwas höher als im Entwurf für das Jahr 2025 (8,1 Milliarden Euro). Davon entfallen beispielsweise 2,1 Milliarden Euro auf den Titel „Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken“ und 515 Millionen Euro auf die „Exzellenzstrategie zur Förderung von Spitzenforschung an Universitäten“. Für das im Koalitionsvertrag erwähnte „1.000-Köpfe-Programm“ sind 50 Millionen Euro veranschlagt. 8,2 Milliarden Euro für die Hightech-Agenda Deutschland Wie bereits im Vorjahr sind rund 8,2 Milliarden Euro für die Forschung für Innovationen und die Hightech-Agenda Deutschland vorgesehen. In diesem Bereich sind etwa die Zuschüsse an die Zentren der Hermann von Helmholtz-Gemeinschaft (HGF-Zentren) in Höhe von 3,1 Milliarden Euro sowie an die Fraunhofer-Gesellschaft mit insgesamt 838 Millionen Euro veranschlagt. BAföG ist größter Ausgabeposten Für den Programmbereich „Leistungsfähigkeit des Bildungswesens, Nachwuchsförderung“ sind 4,5 Milliarden Euro etatisiert – rund 1,5 Milliarden Euro weniger als für 2025. Der größte Ausgabenposten ist hier mit 1,1 Milliarden Euro das BAföG für Studierende, hinzu kommen 507 Millionen Euro für das BAföG für Schülerinnen und Schüler. Weniger Geld ist für die Begabtenförderung eingeplant. Während sie 2025 bei rund 496 Millionen Euro liegt, sind für 2026 rund 342 Millionen Euro veranschlagt. Wegen des auslaufenden Digitalpaktes Schule ist deutlich weniger Geld (80 Millionen Euro) für die „Zuweisungen an die Länder zur Förderung von Investitionen in die digitale Infrastruktur für Schulen“ eingeplant. 2025 sind hierfür rund 1,6 Milliarden verbucht. Zusätzliche Investitionen über Sondervermögen Zusätzlich zu den Ausgaben des Einzelplans sind auch im Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität und im Klima- und Transformationsfonds (KTF) Investitionen im Bereich Forschung, Raumfahrt und Technologie geplant. Mit Blick auf die Hightech-Agenda sind für den strategischen Ausbau der Forschungs-Ökosysteme und den Aufbau von Infrastruktur rund 698 Millionen Euro im Sondervermögen etatisiert. 50 Millionen Euro sollen in die nationale Raumfahrtinfrastruktur investiert werden. Aus dem KTF sollen 227 Millionen für Batterieforschung fließen. (des/hau/17.11.2025)

Abstimmung über einen Einspruch gegen einen Ordnungsruf

Fr, 28.11.2025 - 08:50
Der Bundestag stimmt am Freitag, 28. November 2025, ohne Aussprache über einen Einspruch ab, den der AfD-Abgeordnete Martin Reichardt gegen den ihm in der Plenarsitzung am Mittwoch, 26. November, durch den sitzungsleitenden Präsidenten Omid Nouripour (Bündnis 90/Die Grünen) erteilten Ordnungsruf eingelegt hat. Zur Begründung schreibt Reichardt, er habe lediglich seinem Fraktionskollegen Enrico Komning etwas gesagt und die Sitzungsleitung nicht kritisieren wollen. Im Bundestag lägen offensichtlich veraltete Geschäftsordnungen aus. Die von Nouripour angesprochene Änderung sei in diesen Exemplaren nicht enthalten. Er halte die Auslegung der aktualisierten Geschäftsordnung durch Nouripour bezüglich der Erteilung des Wortes an die SPD-Abgeordnete Frauke Heiligenstadt für falsch, schreibt Reichardt. (vom/27.11.2025)

Bundesschuld und Allgemeine Finanzverwaltung

Fr, 28.11.2025 - 08:45
Ohne Aussprache stimmt der Bundestag am Freitag, 28. November 2025, in zweiter Beratung über die Einzelpläne 32 der Bundesschuld und 60 der Allgemeinen Finanzverwaltung des Bundeshaushaltes 2026 (21/600, 21/602) ab. Dazu liegen Beschlussempfehlungen des Haushaltsausschusses vor (21/2832, 21/2060) vor. Einzelplan der Bundesschuld Im Einzelplan 32 der Bundesschuld sind Ausgaben von 33,65 Milliarden Euro vorgesehen im Vergleich zu 34,08 Milliarden Euro im Regierungsentwurf. Im laufenden Jahr liegen die Ausgaben bei 34,17 Milliarden Euro. Die Einnahmen summieren sich auf 99,36 Milliarden Euro gegenüber 91,23 Milliarden Euro im Regierungsentwurf. 2025 liegen die planmäßigen Einnahmen bei 83,94 Milliarden Euro. Der Haushaltsausschuss hatte den Regierungsansatz insofern verändert, als er im Wesentlichen die Zinsen für die Kreditaufnahme des Sondervermögens Infrastruktur und Klimaneutralität um 673 Millionen Euro anhob, die Entschädigungen und Kosten aus auslandsbezogenen Gewährleistungen und Umschuldungen sowie Zahlungen zur Abwendung oder Minderung von Schäden um 450 Millionen Euro absenkte. Zugleich verringerte er den Diskont für unverzinsliche Schatzanweisungen und die Zinsen für Bundesanleihen um jeweils 208 Millionen Euro, reduzierte die Zinsen für Bundesobligationen um 149 Millionen Euro und die Zinsen für Bundesschatzanweisungen um 135 Millionen Euro und erhöhte die Zinsen nach dem Gesetz zur Errichtung eines Sondervermögens „Vorsorge für Schlusszahlungen für inflationsindexierte Bundeswertpapiere“ um 113 Millionen Euro. Darüber hinaus senkte er die Zinsen für das Kassenmanagement des Bundes um 58 Millionen Euro. Kernbereich des Einzelplans ist einerseits die Kreditaufnahme und andererseits der Schuldendienst des Bundes. Außerdem sind die Einnahmen und Ausgaben aus Bürgschaften, Garantien und sonstigen Gewährleistungen des Bundes darin verortet. Mit diesen kann der Bund förderungswürdige oder im staatlichen Interesse liegende Vorhaben, Projekte und Programme unterstützen und finanzielle Verpflichtungen des Bundes gegenüber internationalen Finanzinstitutionen absichern. Einzelplan der Allgemeinen Finanzverwaltung Die Ausgaben im Einzelplan der Allgemeinen Finanzverwaltung betragen 47,35 Milliarden Euro gegenüber 46,07 Milliarden Euro im Regierungsentwurf. Im laufenden Jahr liegen die Ausgaben bei 46,76 Milliarden Euro. Die Einnahmen sollen sich 2026 auf 403,05 Milliarden Euro belaufen gegenüber 406,86 Milliarden Euro im Regierungsentwurf. 2025 liegt der Ansatz für die Einnahmen bei 394,9 Milliarden Euro. Die Verpflichtungsermächtigungen für künftige Haushaltsjahre werden mit 15 Milliarden Euro angegeben im Vergleich zu 12,79 Milliarden Euro im Regierungsentwurf und 16,71 Milliarden Euro im laufenden Jahr. Der Haushaltsausschuss hat den Einzelplan insofern verändert, als er die Unterstützung der Ukraine zur Sicherheit, Verteidigung und Stabilisierung um drei Milliarden Euro anhob und zugleich die Verpflichtungsermächtigungen dafür um 2,15 Milliarden Euro erhöhte. Zudem senkte er den Ansatz für die Zuschüsse zur Entlastung beim Strompreis um 1,04 Milliarden Euro. Die für die Verstärkung von Personalausgaben in der Bundesverwaltung im Regierungsentwurf geplanten 3,55 Milliarden Euro kürzten die Haushälter um 539 Millionen Euro, weitere 355 Millionen Euro kürzten sie bei der Globalen Mehrausgabe (Vorsorge), die im Regierungsentwurf mit 354,86 Millionen Euro veranschlagt war. Die Finanzhilfen nach dem Strukturstärkungsgesetz für die Kohleregionen wurden um 250 Millionen Euro erhöht. Im Geschäftsbereich des Wirtschaftsministeriums wurden die Hilfen für die Kohleregionen um 56 Millionen Euro und im Geschäftsbereich des Verkehrsministeriums um 44 Millionen Euro gekürzt. Dafür wurde sie im Geschäftsbereich des Forschungsministeriums um 84 Millionen Euro angehoben. Um 99 Millionen Euro gesenkt wurde hingegen der Zuschuss an die Postbeamtenversorgungskasse. Im Einzelplan der Allgemeinen Finanzverwaltung sind Einnahmen und Ausgaben zusammengefasst, die nicht einem einzelnen Ressort zugeordnet werden können oder den Bund insgesamt betreffen. Darunter fallen vor allem die Einnahmen aus den Bundessteuern und aus dem Anteil des Bundes an den Gemeinschaftsteuern. Die Zuweisungen des Bundes an die Länder im Rahmen des Finanzausgleichs sowie die Mehrwertsteuer-, Bruttonationaleinkommmen- und Kunststoff-Eigenmittel der EU werden darin als Absetzungen von den Einnahmen ausgewiesen. Darüber hinaus sind Einnahmen aus dem Verkauf von Beteiligungen und aus der Verwertung von sonstigem Kapitalvermögen des Bundes, Gewinne aus Unternehmen und Beteiligungen, der Anteil des Bundes am Reingewinn der Deutschen Bundesbank und die Erhebungskostenpauschale als Einnahmen veranschlagt. Als Ausgaben sind der Zuschuss an die Postbeamtenversorgungskasse und Beteiligungen der Bundesrepublik an inter- und supranationalen Einrichtungen enthalten. (vom/17.11.2025)

Haushaltsgesetz 2026 und Finanzplan des Bundes 2025 bis 2029

Fr, 28.11.2025 - 08:40
Ohne Aussprache stimmt der Bundestag am Freitag, 28. November 2025, in zweiter Beratung über den Regierungsentwurf für das Haushaltsgesetz 2026 (21/600, 21/602, 21/2669 Nr. 1) in der vom Haushaltsausschuss geänderten Fassung (21/2002, 21/2010, 21/2011, 21/2012, 21/2014, 21/2832, 21/2060, 21/2061, 21/2062, 21/2063) ab. Zuvor wird über Änderungsanträge der AfD-Fraktion (21/2986) und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (21/2955) abgestimmt. Die AfD fordert darin, die Zahl der Planstellen beim Bundesrechnungshof 2026 um zwei Prozent zu erhöhen. Die Grünen fordern, auf Stellenkürzungen beim Bundesrechnungshof zu verzichten. Zudem wird über die Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses (21/2064), den Finanzplan des Bundes 2025 bis 2029 (21/601, 21/602) zur Kenntnis zu nehmen, entschieden. Ausgaben in Höhe von 524,54 Milliarden Euro geplant Insgesamt soll der Bund 2026 524,54 Milliarden Euro ausgeben dürfen. Das sind 21,54 Milliarden Euro mehr als 2025 und ist zugleich ein Plus von 4,4 Prozent im Vergleich zum Regierungsentwurf (520,48 Milliarden Euro). Für Investitionen sind 58,35 Milliarden Euro ausgewiesen (2025: 62,73 Milliarden Euro) – 2,23 Milliarden Euro mehr als im Entwurf geplant. Für die kommenden Haushaltsjahre sind Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von insgesamt 449,91 Milliarden Euro vorgesehen – ein Plus von 18,93 Milliarden Euro im Vergleich zum Regierungsentwurf. Die Nettokreditaufnahme soll bei 97,96 Milliarden Euro liegen – rund acht Milliarden Euro höher als von der Bundesregierung geplant. Die Einnahmen aus Steuern und steuerähnlichen Abgaben werden mit 387,21 Milliarden Euro veranschlagt (2025: 386,84 Milliarden Euro) und liegen damit 3,38 Milliarden Euro über dem von der Regierung ursprünglich angenommenen Wert. Finanzplan des Bundes 2025 bis 2029 Die Bundesregierung plant in den Jahren 2027 bis 2029 Sachinvestitionen und Investitionszuschüsse von „knapp unter 120 Milliarden Euro“ pro Jahr. Das schreibt sie im Finanzplan des Bundes 2025 bis 2029 (21/601). 2026 sollen die Investitionen bei rund 126,7 Milliarden Euro liegen. Die bereinigte Investitionsquote des Kernhaushalts betrage damit im genannten Zeitraum mindestens zehn Prozent der bereinigten Ausgaben, heißt es. Aus dem Kernhaushalt sind für Investitionen im Jahr 2026 56,1 Milliarden Euro, für 2027 48,6 Milliarden Euro, für 2028 46,9 Milliarden Euro und für 2029 46,5 Milliarden Euro vorgesehen. Dazu kommen Ausgaben aus dem Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität (SVIK) in Höhe von 48,9 Milliarden Euro 2026, 47,1 Milliarden Euro 2027, 48,4 Milliarden Euro 2028 und 49,2 Milliarden Euro 2029 sowie aus dem Sondervermögen des Klima- und Transformationsfonds (KTF) Ausgaben von 21,7 Milliarden Euro 2026, 21,7 Milliarden Euro 2027, 23,4 Milliarden Euro 2028 und 23,8 Milliarden Euro 2029. Klima- und Transformationsfonds und Sondervermögen "Bundeswehr" Insgesamt sollen die Ausgaben des KTF von 35,7 Milliarden Euro im Jahr 2026 auf 39,5 Milliarden Euro 2029 steigen. Die Haupteinnahmen stammen dabei mit 27 Milliarden Euro aus der nationalen und europäischen Bepreisung von emittierten Klimagasen. Die Nato-Quote für die Verteidigung soll im kommenden Jahr bei 2,83 Prozent liegen und bis 2029 auf 3,56 Prozent anwachsen. Die Ausgaben für die Bundeswehr im Kernhaushalt steigen demnach von 55 Milliarden Euro auf 144,4 Milliarden Euro (ohne Versorgungsleistungen). Dazu kommen für das Jahr 2026 rund 25,5 Milliarden Euro aus dem 2022 beschlossenen 100 Milliarden Euro schweren Sondervermögen Bundeswehr. Steuersenkungen und Nettokreditaufnahme Die Ausgaben für die innere Sicherheit sollen im Vergleich zum Jahr 2025 um 660 Millionen Euro steigen. Das Deutschlandticket soll fortgeführt werden. Zugleich werden weitere Steuersenkungen angekündigt, etwa die Erhöhung der Pendlerpauschale oder die Senkung der Umsatzsteuer im Bereich der Gastronomie. Die Obergrenze der Schuldenregel im Grundgesetz soll „in jedem Jahr voll ausgeschöpft“ werden. Die Nettokreditaufnahme des Bundes soll 2026 bei 89,9 Milliarden Euro liegen, 2027 bei 88,1 Milliarden Euro, 2028 bei 116,5 Milliarden Euro und 2029 bei 126,9 Milliarden Euro. Dabei geht ein wesentlicher Teil zurück auf die Ausnahmen der Schuldenbremse für die Verteidigungsausgaben. Im Kernhaushalt liegt die Nettokreditaufnahme den Angaben zufolge 2026 bei 35,6 Milliarden Euro und sinkt bis 2029 auf 4,8 Milliarden Euro. Bei den Zinsausgaben des Bundes kalkuliert die Bundesregierung einen Anstieg von 30 Milliarden Euro in den Jahren 2025 und 2026 auf 66,5 Milliarden Euro im Jahr 2029 ein. Haushaltslücke von 34,4 Milliarden Euro 2027 Trotzdem weist der Bericht auf eine Haushaltslücke von 34,4 Milliarden Euro im Jahr 2027 hin. Der „Handlungsbedarf“ werde dann in Jahren 2028 und 2029 auf 64 respektive 74 Milliarden Euro steigen. Größter Anteil im Bundeshaushalt bleibt der Zuschuss an die gesetzliche Rentenversicherung. Dieser soll von 122,5 Milliarden Euro 2025 auf 154,1 Milliarden Euro 2029 ansteigen. Dabei sind ab 2027 fünf Milliarden Euro pro Jahr für die Mütterrente einkalkuliert. (hau/scr/27.11.2025)