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Art. 79 GG - Änderung des Grundgesetzes (Kommentar)
(1) ¹Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. ²Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.
(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.
(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.
- 1. Art. 79 Abs. 1 GG
- 2. Art. 79 Abs. 2 GG
- 3. Art. 79 Abs. 3 GG
- 3.1. Systematische Einordnung
- 3.2. Tatbestandliche Voraussetzungen
- 3.3. Funktion und Bedeutung der Ewigkeitsklausel
- 3.4. Dogmatische Einordnung
- 3.5. Rechtsvergleich
- 3.6. Praktische Relevanz
1. Art. 79 Abs. 1 GG
1.1. Allgemeines und Normzweck
Art. 79 Abs. 1 GG regelt das Verfahren zur Änderung des Grundgesetzes und stellt damit eine zentrale Vorschrift des verfassungsrechtlichen Änderungsrechts dar. Die Norm konkretisiert das in Art. 79 Abs. 2 GG verankerte Prinzip der Ewigkeitsgarantie, indem sie formelle und materielle Anforderungen an Verfassungsänderungen festlegt. Der Zweck des Art. 79 Abs. 1 GG besteht darin, die Stabilität und Kontinuität der verfassungsrechtlichen Ordnung zu gewährleisten, indem Änderungen des Grundgesetzes an klare und transparente Verfahren gebunden werden. Gleichzeitig soll durch die Regelung sichergestellt werden, dass Verfassungsänderungen nicht leichtfertig oder ohne hinreichende demokratische Legitimation vorgenommen werden können.
1.2. Tatbestandsvoraussetzungen
1.2.1. Änderung des Grundgesetzes durch Gesetz (Satz 1)
1.2.1.1. Formelle Anforderungen
Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG verlangt, dass das Grundgesetz nur durch ein Gesetz geändert werden kann, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Dies bedeutet, dass Verfassungsänderungen in formeller Hinsicht dem Gesetzesbegriff des Grundgesetzes entsprechen müssen. Das Änderungsgesetz bedarf somit der Zustimmung des Bundestages und des Bundesrates gemäß den in Art. 77 GG geregelten Verfahren. Die Anforderungen an das Zustandekommen eines solchen Gesetzes sind damit identisch mit denen für einfache Bundesgesetze, allerdings mit der Besonderheit, dass eine qualifizierte Mehrheit erforderlich ist (Art. 79 Abs. 2 GG).
1.2.1.2. Materielle Anforderungen
Das Änderungsgesetz muss den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändern oder ergänzen. Dies bedeutet, dass die Änderung oder Ergänzung in einem klaren und nachvollziehbaren Text zum Ausdruck kommen muss. Eine implizite Änderung des Grundgesetzes, etwa durch einfache Gesetze, die im Widerspruch zum Grundgesetz stehen, ist unzulässig. Die explizite Änderung des Verfassungstextes dient der Rechtssicherheit und der Transparenz, da sie sicherstellt, dass alle Beteiligten über die Änderungen informiert sind und diese nachvollziehen können.
1.2.1.3. Verhältnis zu anderen Verfassungsbestimmungen
Die Anforderungen des Art. 79 Abs. 1 GG stehen in engem Zusammenhang mit den in Art. 79 Abs. 3 GG verankerten Schranken der Verfassungsänderung. Danach sind Änderungen des Grundgesetzes unzulässig, die die in Art. 1 und Art. 20 GG niedergelegten Grundsätze berühren. Art. 79 Abs. 1 GG schafft somit einen Rahmen, innerhalb dessen Verfassungsänderungen möglich sind, der jedoch durch die Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG begrenzt wird.
1.2.2. Sonderregelung für völkerrechtliche Verträge (Satz 2)
1.2.2.1. Anwendungsbereich
Art. 79 Abs. 1 Satz 2 GG enthält eine Sonderregelung für völkerrechtliche Verträge, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik dienen sollen. Diese Regelung ist vor dem historischen Hintergrund der Nachkriegszeit zu verstehen, in der die Bundesrepublik Deutschland in ein System internationaler Verträge eingebunden war, die eine Friedensordnung in Europa zum Ziel hatten.
1.2.2.2. Erleichterte Änderungsmöglichkeit
Für die genannten völkerrechtlichen Verträge genügt zur Klarstellung, dass die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluss und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt. Dies bedeutet, dass in diesen Fällen keine umfassende Änderung des Grundgesetzes erforderlich ist, sondern lediglich eine punktuelle Ergänzung, die sicherstellt, dass die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für den Vertragsschluss gegeben sind. Diese Regelung soll die Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik im Bereich der internationalen Beziehungen gewährleisten, ohne die verfassungsrechtliche Ordnung grundlegend zu verändern.
1.2.2.3. Verhältnis zu Satz 1
Die Sonderregelung des Satzes 2 steht in einem Spannungsverhältnis zu den allgemeinen Anforderungen des Satzes 1. Während Satz 1 eine ausdrückliche Änderung oder Ergänzung des Grundgesetzes verlangt, erlaubt Satz 2 eine vereinfachte Verfahrensweise, die sich auf die Klarstellung beschränkt, dass die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Vertragsschluss nicht entgegenstehen. Dies bedeutet, dass in den genannten Fällen keine umfassende Änderung des Grundgesetzes erforderlich ist, sondern lediglich eine punktuelle Ergänzung, die die Vereinbarkeit des Vertrages mit dem Grundgesetz sicherstellt.
1.3. Praktische Bedeutung
Die praktische Bedeutung des Art. 79 Abs. 1 GG liegt vor allem in der Sicherstellung, dass Verfassungsänderungen nur unter strengen formellen und materiellen Voraussetzungen vorgenommen werden können. Dies dient dem Schutz der verfassungsrechtlichen Ordnung vor willkürlichen oder leichtfertigen Änderungen. Gleichzeitig ermöglicht die Regelung des Satzes 2 eine flexible Handhabung im Bereich der internationalen Beziehungen, insbesondere im Hinblick auf völkerrechtliche Verträge, die eine Friedensordnung oder die Verteidigung der Bundesrepublik zum Gegenstand haben.
2. Art. 79 Abs. 2 GG
2.1. Allgemeines und Normzweck
Art. 79 Abs. 2 GG regelt die besonderen Anforderungen an die Zustimmung zu Gesetzen, die das Grundgesetz ändern. Die Vorschrift konkretisiert das in Art. 79 Abs. 1 GG verankerte Erfordernis eines förmlichen Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes, indem sie die erforderlichen Mehrheiten für die Zustimmung des Bundestages und des Bundesrates festlegt. Der Zweck der Regelung besteht darin, die hohe Hürde für Verfassungsänderungen zu verdeutlichen und sicherzustellen, dass Änderungen des Grundgesetzes nur mit breiter politischer Zustimmung erfolgen können. Dies dient dem Schutz der Verfassungsstabilität und verhindert, dass Verfassungsänderungen durch einfache Mehrheiten oder kurzfristige politische Konstellationen durchgesetzt werden können.
2.2. Tatbestandsvoraussetzungen
2.2.1. Zustimmungserfordernis im Bundestag
2.2.1.1. Zweidrittelmehrheit der Mitglieder
Art. 79 Abs. 2 GG verlangt, dass ein Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages bedarf. Dies bedeutet, dass nicht nur die anwesenden Abgeordneten, sondern die Gesamtheit der Mitglieder des Bundestages in die Berechnung der erforderlichen Mehrheit einbezogen werden. Die Regelung stellt damit eine qualifizierte Mehrheit dar, die über die für einfache Gesetze erforderliche absolute Mehrheit hinausgeht. Die hohe Hürde soll sicherstellen, dass Verfassungsänderungen nur mit breiter politischer Unterstützung erfolgen können.
2.2.1.2. Berechnung der Mehrheit
Die Berechnung der Zweidrittelmehrheit erfolgt auf der Grundlage der gesetzlichen Mitgliederzahl des Bundestages, unabhängig davon, wie viele Abgeordnete tatsächlich an der Abstimmung teilnehmen. Dies bedeutet, dass auch nicht anwesende oder sich der Stimme enthaltende Abgeordnete in die Berechnung der Mehrheit einbezogen werden. Die Regelung soll verhindern, dass Verfassungsänderungen durch eine geringe Beteiligung an der Abstimmung erleichtert werden.
2.2.1.3. Praktische Auswirkungen
Die Anforderung einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag hat erhebliche praktische Auswirkungen auf das Zustandekommen von Verfassungsänderungen. In der Regel ist eine solche Mehrheit nur dann zu erreichen, wenn eine breite politische Übereinstimmung zwischen den im Bundestag vertretenen Parteien besteht. Dies führt dazu, dass Verfassungsänderungen oft nur im Konsens oder zumindest mit einer breiten Mehrheit der politischen Kräfte durchgesetzt werden können.
2.2.2. Zustimmungserfordernis im Bundesrat
2.2.2.1. Zweidrittelmehrheit der Stimmen
Neben der Zustimmung des Bundestages verlangt Art. 79 Abs. 2 GG auch die Zustimmung von zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates. Dies bedeutet, dass nicht nur die Mehrheit der anwesenden Mitglieder des Bundesrates, sondern zwei Drittel aller Stimmen des Bundesrates erforderlich sind. Die Regelung berücksichtigt die föderale Struktur der Bundesrepublik Deutschland, indem sie den Ländern ein erhebliches Mitspracherecht bei Verfassungsänderungen einräumt.
2.2.2.2. Berechnung der Mehrheit
Die Berechnung der Zweidrittelmehrheit im Bundesrat erfolgt auf der Grundlage der gesetzlichen Stimmenzahl, die jedem Land entsprechend seiner Einwohnerzahl zugewiesen wird. Die Regelung stellt sicher, dass auch die kleineren Länder ein erhebliches Gewicht bei der Entscheidung über Verfassungsänderungen haben. Die hohe Hürde soll verhindern, dass Verfassungsänderungen gegen den Willen einer Mehrheit der Länder durchgesetzt werden können.
2.2.2.3. Praktische Auswirkungen
Die Anforderung einer Zweidrittelmehrheit im Bundesrat hat erhebliche praktische Auswirkungen auf das Zustandekommen von Verfassungsänderungen. In der Regel ist eine solche Mehrheit nur dann zu erreichen, wenn eine breite politische Übereinstimmung zwischen den im Bundesrat vertretenen Ländern besteht. Dies führt dazu, dass Verfassungsänderungen oft nur im Konsens oder zumindest mit einer breiten Mehrheit der Länder durchgesetzt werden können.
2.3. Praktische Bedeutung
Die praktische Bedeutung des Art. 79 Abs. 2 GG liegt vor allem in der Sicherstellung, dass Verfassungsänderungen nur mit breiter politischer Zustimmung vorgenommen werden können. Dies dient dem Schutz der verfassungsrechtlichen Ordnung vor willkürlichen oder leichtfertigen Änderungen. Gleichzeitig führt die hohe Hürde dazu, dass Verfassungsänderungen oft nur im Konsens oder zumindest mit einer breiten Mehrheit der politischen Kräfte durchgesetzt werden können. Verfassungsänderungen sind selten, da die qualifizierte Mehrheit oft schwer zu erreichen ist. Die Einhaltung der qualifizierten Mehrheit erfordert häufig lange Verhandlungen zwischen den Parteien und zwischen Bund und Ländern. Beispiele für erfolgreiche Verfassungsänderungen sind:
- Einführung der Wehrpflicht (1956),
- Änderung der Finanzverfassung (1969),
- Einführung der Schuldenbremse (2009).
2.4. Kritik und Reformdiskussion
In der rechtswissenschaftlichen Diskussion wird die Regelung des Art. 79 Abs. 2 GG teilweise kritisch hinterfragt. Einige Stimmen argumentieren, dass die hohen Hürden für Verfassungsänderungen die Handlungsfähigkeit des Gesetzgebers unnötig einschränken und zu einer Verkrustung der verfassungsrechtlichen Ordnung führen könnten. Andere sehen in der Regelung jedoch einen notwendigen Schutzmechanismus, der die Stabilität der verfassungsrechtlichen Ordnung gewährleistet und vor politischen Kurzschlusshandlungen bewahrt.
2.5. Rechtsvergleich
2.5.1. Internationale Perspektive
Art. 79 Abs. 2 GG ähnelt den Verfassungsänderungshürden in anderen demokratischen Staaten. In den USA beispielsweise erfordert eine Verfassungsänderung die Zustimmung von zwei Dritteln des Kongresses sowie die Ratifizierung durch drei Viertel der Bundesstaaten.
2.5.2. Vergleich zu einfachen Gesetzen
In zentralistischen Systemen (z. B. Frankreich) sind Verfassungsänderungen häufig einfacher zu erreichen. Art. 79 Abs. 2 GG zeigt dagegen die föderale Struktur Deutschlands.
2.5.3. Europäische Integration
Im Kontext der europäischen Integration stellt Art. 79 Abs. 2 GG sicher, dass Kompetenzübertragungen auf die EU nur bei breitem Konsens erfolgen können (vgl. Art. 23 GG).
3. Art. 79 Abs. 3 GG
3.1. Systematische Einordnung
Art. 79 Abs. 3 GG, die sogenannte „Ewigkeitsklausel“, ist eine der zentralen Normen des deutschen Verfassungsrechts. Sie legt materielle Grenzen für die Änderbarkeit des Grundgesetzes fest und bildet damit einen Kontrapunkt zur in Art. 79 Abs. 1 und 2 GG geregelten Änderungsmöglichkeit. Art. 79 Abs. 3 GG steht im Abschnitt VII des Grundgesetzes und ist eng verbunden mit den Prinzipien der Staatsstruktur, wie sie in Art. 20 GG definiert sind, sowie mit der Menschenwürdegarantie in Art. 1 Abs. 1 GG.
Diese Norm schützt die Grundpfeiler der Verfassungsordnung und stellt sicher, dass bestimmte verfassungsrechtliche Prinzipien und Werte der politischen Disposition entzogen sind. Damit hat Art. 79 Abs. 3 GG eine doppelte Funktion: Einerseits sichert er den Bestand des demokratischen und föderalen Rechtsstaates, andererseits schützt er die Würde des Menschen und die grundlegenden Prinzipien der Staatsorganisation vor verfassungsändernden Mehrheiten.
3.2. Tatbestandliche Voraussetzungen
Art. 79 Abs. 3 GG nennt drei zentrale Schutzgüter, die durch Verfassungsänderungen nicht angetastet werden dürfen:
- Die Gliederung des Bundes in Länder
- Die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung
- Die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze
3.2.1. Die Gliederung des Bundes in Länder
3.2.1.1. Begriff der Gliederung des Bundes in Länder
Der Begriff „Gliederung des Bundes in Länder“ bezieht sich auf die föderale Struktur der Bundesrepublik Deutschland. Diese Struktur ist durch die Existenz eigenständiger Länder mit eigener Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und Gerichtsbarkeit geprägt (vgl. Art. 30 GG, Art. 70 ff. GG). Art. 79 Abs. 3 GG schützt somit die föderale Ordnung und die Eigenstaatlichkeit der Länder.
3.2.1.2. Bedeutung des Föderalismus
Der Föderalismus dient der Machtverteilung zwischen Bund und Ländern und der Berücksichtigung regionaler Unterschiede. Er bildet einen zentralen Bestandteil des deutschen Verfassungsverständnisses. Eine Änderung, die beispielsweise die Auflösung der Länder oder ihre Reduzierung zu rein administrativen Einheiten vorsähe, wäre mit Art. 79 Abs. 3 GG unvereinbar.
3.2.1.3. Abgrenzung zur Neuordnung des Bundesgebiets
Art. 79 Abs. 3 GG schließt nicht jede Veränderung der Ländergrenzen aus. Maßnahmen nach Art. 29 GG zur Neugliederung des Bundesgebiets, die durch Volksentscheide legitimiert sind, bleiben zulässig, da sie die föderale Grundstruktur nicht infrage stellen.
3.2.2. Die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung
3.2.2.1. Begriff der Mitwirkung
Die „grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung“ umfasst die Rechte der Länder, über den Bundesrat an der Bundesgesetzgebung teilzunehmen (vgl. Art. 50 GG). Dies schließt sowohl die Zustimmungs- als auch die Einspruchsgesetze ein.
3.2.2.2. Unzulässigkeit der Abschaffung des Bundesrates
Art. 79 Abs. 3 GG schützt die institutionelle Existenz des Bundesrates und seine Funktion als Vertretung der Länderinteressen auf Bundesebene. Eine Verfassungsänderung, die den Bundesrat abschaffen oder seine Rechte wesentlich einschränken würde, wäre unzulässig.
3.2.2.3. Einschränkungen und Reformen
Reformen, die die Kompetenzen des Bundesrates im Detail verändern, bleiben im Rahmen des Art. 79 Abs. 3 GG möglich, solange sie die grundsätzliche Mitwirkung nicht infrage stellen. Beispielsweise wäre die Reduzierung der Anzahl der zustimmungspflichtigen Gesetze zulässig, solange der Bundesrat als Institution bestehen bleibt und weiterhin Einfluss auf wesentliche Gesetzgebungsprozesse hat.
3.2.3. Die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze
3.2.3.1. Schutz der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG)
Die Garantie der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG ist unantastbar und bildet den obersten Wert des Grundgesetzes. Änderungen, die die Unantastbarkeit der Menschenwürde infrage stellen oder relativieren, sind unzulässig. Dies umfasst sowohl direkte Eingriffe in die Menschenwürdegarantie als auch indirekte Veränderungen, die ihre Wirksamkeit beeinträchtigen könnten.
3.2.3.2. Grundsätze der Staatsstruktur (Art. 20 GG)
Art. 20 GG enthält die grundlegenden Prinzipien der Staatsordnung: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Sozialstaatlichkeit, Bundesstaatlichkeit und Republik. Diese Prinzipien sind durch Art. 79 Abs. 3 GG dauerhaft geschützt.
3.2.3.3. Dynamischer Schutz der Grundsätze
Die in Art. 79 Abs. 3 GG genannten Grundsätze sind nicht statisch, sondern dynamisch auszulegen. Dies bedeutet, dass sie im Lichte der fortschreitenden gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen interpretiert werden müssen, ohne ihren Kern zu verändern.
3.3. Funktion und Bedeutung der Ewigkeitsklausel
3.3.1. Verfassungspolitische Funktion
Art. 79 Abs. 3 GG stellt sicher, dass die Grundprinzipien des Grundgesetzes dauerhaft erhalten bleiben. Er wirkt als Schutzmechanismus gegen autoritäre Tendenzen und garantiert die Kontinuität der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.
3.3.2. Schutz vor Verfassungszerstörung
Die Norm zielt darauf ab, das Grundgesetz vor dem Missbrauch durch verfassungsändernde Mehrheiten zu schützen. Sie verhindert, dass demokratisch legitimierte Organe die Verfassung unter dem Deckmantel der Rechtsstaatlichkeit aushöhlen.
3.3.3. Langfristige Stabilität
Die Ewigkeitsklausel schafft Vertrauen in die Verfassungsordnung, indem sie die Grundstruktur der Bundesrepublik unangreifbar macht. Dies fördert die Stabilität des politischen Systems und die Rechtsbindung staatlichen Handelns.
3.4. Dogmatische Einordnung
Art. 79 Abs. 3 GG verkörpert eine Ausprägung des demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzips des Grundgesetzes. Die Norm verknüpft formelle und materielle Verfassungsrechtsschranken und stellt sicher, dass auch Verfassungsänderungen im Einklang mit den obersten Prinzipien der Verfassung stehen.
3.4.1. Verhältnis zu Art. 79 Abs. 1 und 2 GG
Art. 79 Abs. 1 und 2 GG regeln die formellen Anforderungen für Verfassungsänderungen. Art. 79 Abs. 3 GG setzt diesen Anforderungen materielle Grenzen und schließt bestimmte Änderungen kategorisch aus.
3.4.2. Verbindung zu Art. 1 und Art. 20 GG
Art. 79 Abs. 3 GG verweist explizit auf die in Art. 1 und Art. 20 GG niedergelegten Grundsätze. Diese Verknüpfung unterstreicht die Bedeutung der Menschenwürde und der Staatsstrukturprinzipien als unveränderliche Grundlagen der Verfassungsordnung.
3.5. Rechtsvergleich
3.5.1. Internationale Perspektive
Die Ewigkeitsklausel in Art. 79 Abs. 3 GG ist einzigartig und findet nur wenige Parallelen in anderen Verfassungen. In den USA gibt es keine vergleichbare Regelung, was zu einer stärkeren Abhängigkeit der Verfassung von der politischen Mehrheit führt. In Frankreich oder Großbritannien können Grundprinzipien der Verfassung grundsätzlich geändert werden.
3.5.2. Europäische Integration
Art. 79 Abs. 3 GG bildet eine Schranke für die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union (vgl. Art. 23 GG). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (z. B. Maastricht-Urteil, Lissabon-Urteil) dürfen auch integrationsfreundliche Änderungen die in Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Grundsätze nicht verletzen.
3.6. Praktische Relevanz
Art. 79 Abs. 3 GG ist in der Praxis von zentraler Bedeutung. Er wurde in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mehrfach herangezogen, insbesondere bei der Überprüfung von Verfassungsänderungen und internationalen Vereinbarungen. Beispielhaft sind Entscheidungen zu:
- Änderungen der föderalen Ordnung (z. B. Föderalismusreform),
- Übertragung von Kompetenzen auf die Europäische Union,
- Eingriffe in die Menschenwürde oder Grundrechte.
Die Norm dient als Maßstab für die Verfassungsmäßigkeit von Änderungen und begrenzt die Reichweite der Gesetzgebungsorgane.