Menschenrechte

US-Gipfel: Gesetze zu ausländischen Terrorkämpfern überarbeiten

Human Rights Watch: Vereinte Nationen - Di, 26.05.2020 - 21:51

Die Länder, die an dem von den Vereinigten Staaten geleiteten Gipfel zur Terrorbekämpfung teilnehmen, sollen sicherstellen, dass alle Maßnahmen internationalen Menschenrechtsstandards entsprechen, die Menschen davon abhalten sollen, sich extremistischen Gruppierungen anzuschließen. Am 29. September 2015 wird US-Präsident Barack Obama am Rande der UN-Vollversammlung zu einem Gipfel treffen empfangen, an dem mehr als 100 Staats- und Regierungschefs teilnehmen.

Mehr als 30 Länder haben Gesetze oder Maßnahmen eingeführt, um gegen sogenannte ausländische Terrorkämpfer vorzugehen. Die meisten dieser Maßnahmen wurden verabschiedet, nachdem der UN-Sicherheitsrat das Thema in seiner Resolution 2178 vom September 2014 behandelt hatte. Recherchen von Human Rights Watch ergaben, dass die zu weit gefasste Terminologie in diesen Gesetzestexten gegen bestimmte religiöse Gruppen gerichtet werden könnte. Ebenso könnte hierdurch die Meinungsfreiheit unterdrückt werden. Auch könnte das Recht auf Freizügigkeit übermäßig eingeschränkt werden und Verdächtigte könnten ohne offizielle Anklage für einen langen Zeitraum in Haft genommen werden.

„Regierungen müssen die Bevölkerung vor Gewalt durch extremistische Gruppen schützen. Doch dies ist kein Freibrief dafür, grundlegende Menschenrechte mit Füßen zu treten”, so Letta Tayler, Expertin für Terrorismus und Terrorbekämpfung von Human Rights Watch. „Die Staats- und Regierungschefs sollen sicherstellen, dass die sogenannten Gesetze zu ausländischen Terrorkämpfern überarbeitet werden, damit diese kein Werkzeug zur Unterdrückung werden.“ 

Resolution 2178 hält alle UN-Mitgliedstaaten dazu an, Straftatbestände einzuführen für jene Personen, die ins Ausland reisen oder zu reisen beabsichtigen, um sich dort einer ausländischen Terrororganisation anzuschließen oder eine solche zu unterstützen. Die Resolution sieht ebenfalls vor, dass die Mitgliedstaaten die Rekrutierung und Finanzierung von mutmaßlichen ausländischen Terrorkämpfern unter Strafe stellen. Zudem sollen sie Informationen über mutmaßliche ausländische Terrorkämpfer untereinander austauschen und Maßnahmen gegen gewalttätigen Extremismus entwickeln.

Mindestens 33 Länder haben seit 2013 Gesetze, Verordnungen oder Maßnahmen erlassen, um dem Strom von Menschen, die ins Ausland reisen, um sich extremistischen Gruppen anzuschließen, Einhalt zu gebieten. 24 Länder haben diese Maßnahmen eingeführt, nachdem der UN-Sicherheitsrat Resolution 2178 verabschiedet hatte.

Die Staats- und Regierungschefs sollen den Gipfel dazu nutzen, um die Umsetzung der Resolution 2178 zu prüfen, damit das jeweilige Vorgehen der Staaten im Einklang mit internationalen Menschenrechtsstandards und humanitärem Völkerrecht steht, so Human Rights Watch.

Resolution 2178 verlangt, dass alle Maßnahmen im Einklang mit dem Menschenrechtsschutz stehen, zu dem sich das jeweilige Land verplichtet hat. Jedoch werden die Begriffe „Terrorismus“ oder „terroristische Handlungen“ nicht definiert, sodass Regierungen viel Spielraum haben, um Definitionen festzulegen oder beizubehalten, die zum Beispiel die Ausübung des Rechts auf Meinungsfreiheit und anderer Menschenrechte unter Strafe stellen.  

So gelten etwa laut Saudi Arabiens 2014 verabschiedeten Gesetzen und Verordnungen zur Terrorbekämpfung auch jene Taten als „terroristisch”, die „dem Ansehen des Staates schaden”, ohne dass bei solchen Taten Gewalt angewendet wird. Gleiches gilt für „die Teilnahme an Konferenzen, Seminaren oder Treffen innerhalb oder außerhalb [des Königreiches], die auf die Sicherheit der Gesellschaft abzielen oder darauf, Unfrieden zu stiften.”

Demokratische Staaten haben ebenfalls Bestimmungen erlassen, die Anlass zur Sorge um die Einhaltung der Menschenrechte geben. Die 2014 und 2015 in Großbritannien erlassenen Gesetze erlauben es den Behörden, eingebürgerten Briten, die aufgrund von Verstößen gegen die Gesetze zu ausländischen Terrorkämpfern verurteilt wurden, die Staatsbürgerschaft zu entziehen, selbst wenn dies die Betroffenen staatenlos macht. Zudem darf der Staat ein maximal zweijähriges Wiedereinreiseverbot gegen jene verhängen, die lediglich im Verdacht stehen, in derartige Aktivitäten verwickelt zu sein. Diese Maßnahmen könnten Menschen willkürlich das grundlegende Recht nehmen, in ihr eigenes Land einzureisen.

Ein 2015 in Deutschland verabschiedetes Gesetz erlaubt es den Behörden, Pässe und Personalausweise jener Bürger, die als ein Sicherheitsrisiko betrachtet werden, durch Ausweispapiere zu ersetzen, auf denen vermekt ist: „Berechtigt nicht zum Verlassen Deutschlands“. Kritiker mahnen, dass diese Ersatzdokumente zu einer Stigmatisierung der Betroffenen führten.

Mehrere Länder haben die Regelungen zu einer verlängerten Haft ohne Anklage oder Prozess ausgeweitet oder wiedereingeführt. Das vage und weit gefasste Sicherheitsgesetz, das 2015 in Malaysia verabschiedet wurde, führt eine Inhaftierung von bis zu zwei Jahren ohne Prozess für all jene Aktivitäten ein, die mutmaßlich in Verbindung zu ausländischen Terrorgruppen stehen wieder ein. Die Haft kann dann unbegrenzt immer wieder für zwei Jahre verlängert werden.

Die Verfügung von 2015 in Tadschikistan, die es allen Bürgern unter 35 verbietet, zu den heiligen Stätten des Islam Mekka und Medina zu reisen, um dort an der jährlichen Pilgerfahrt Haddsch teilzunehmen, schränkt die Religionsfreiheit massiv ein, so Human Rights Watch.

Der Sicherheitsrat soll eine Resolution verabschieden, die vorsieht, dass die Definitionen von „Terrorismus” und „terroristischen Handlungen” im Einklang mit internationalen Menschenrechtsstandards, dem Flüchtlingsrecht und dem humanitären Völkerrecht stehen, so Human Rights Watch. Diese Definitionen sollen beispielsweise jene Handlungen ausschließen, die nicht darauf abzielen, Menschen zu töten, ernsthaft körperlich zu verletzen oder als Geiseln zu nehmen.

„Die Resolution des Sicherheitsrats zu ‚ausländischen Terrorkämpfern’ lässt Regierungen freie Hand dabei, was oder wer für sie als terroristisch gilt”, so Tayler. „Anstatt die Welt sicherer zu machen, besteht durch die damit verbundenen repressiven Maßnahmen die Gefahr, dass genau die Menschen, die mit extremistischen Gruppen sympathisieren, verärgert und somit zusätzlich ermutigt werden, sich diesen Gruppen anzuschließen.“

Folgende Länder haben seit 2013 Maßnahmen gegen ausländische Terrorkämpfer verabschiedet:
Ägypten, Australien, Belgien, Bosnien und Herzegowina, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Großbritannien Irland, Italien, Jordanien, Kamerun, Kanada, Kasachstan, Kenia, Libyen, Malaysia, Marokko, Mazedonien, Neuseeland, die Niederlande, Norwegen, Österreich, Pakistan, Russland, Saudi Arabien, die Schweiz, Spanien, Tadschikistan, Tschad, Tunesien, Usbekistan und die Vereinigten Arabischen Emirate.

Folgende Ländern haben neue oder zusätzliche Maßnahmen gegen ausländische Terrorkämpfer vorgeschlagen: Albanien, Australien, Bulgarien, China, Großbritannien, Kanada, Kuwait, Lettland, Montenegro, die Niederlande, Norwegen, Schweden und Serbien.
 

Kategorien: Menschenrechte

Deutschland verschließt die Augen vor den Gräueln

Human Rights Watch: Vereinte Nationen - Di, 26.05.2020 - 21:51

Vor zehn Jahren erschossen Sicherheitskräfte in der Stadt Andischan, im Osten Usbekistans, Hunderte Demonstranten. Das Massaker am 13. Mai 2005 war einer der schlimmsten Massenmorde auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion seit dem Ende des Kommunismus. Es sandte eine Schockwelle um die Welt und warf ein Schlaglicht auf die grausamen Menschenrechtsverletzungen unter Usbekistans autoritärem Präsidenten Islam Karimow, der bis heute im Amt ist.

Da Taschkent sich weigerte, eine unabhängige Untersuchung des Massakers zuzulassen, verhängte die Europäische Union, und damit auch Deutschland, zunächst begrenzte Sanktionen gegen Usbekistan. Doch schon wenige Monate später unternahm Berlin den Vorstoß, die Sanktionen wieder aufzuheben. Die Bundesregierung behauptete, das beste Mittel zur Verbesserung der Menschenrechtslage sei es, mit solchen Regierungen in einen Dialog zu treten; offene Kritik würde zu keinem Erfolg führen.

Die meisten Beobachter sahen Deutschlands Haltung jedoch vielmehr in der kontroversen Entscheidung begründet, dass die Bundesregierung den usbekischen Luftwaffenstützpunkt Termes nutzte, um die deutschen Truppen in Afghanistan zu versorgen – eine Vereinbarung, die bis heute gilt.

Die Bundesregierung beteuert, die Förderung der Menschenrechte sei ein zentraler Bestandteil ihrer Außenpolitik. Doch im Hinblick auf Usbekistan und andere autoritär geführte Staaten steht sie vor einer grundsätzlicheren Frage: Wie fördert man die Menschenrechte und wahrt gleichzeitig wirtschaftliche und sicherheitspolitische Interessen? Welche Gefahren drohen, wenn man diese Frage falsch beantwortet, illustriert das vergangene Jahrzehnt deutscher Außenpolitik gegenüber Usbekistan. Doch es zeigt auch auf, wo sich etwas ändern muss.

In der Nacht vom 12. auf den 13. Mai 2005 brachen Bewaffnete in das städtische Gefängnis von Andischan ein und ließen 23 Kaufleute frei, die wegen "religiösem Extremismus" angeklagt waren. Am nächsten Morgen strömten deren Unterstützer und Tausende Unzufriedene auf den Bobur-Platz, um ihrem Unmut über die zermürbende Armut und die staatliche Unterdrückung in UsbekistanLuft zu verschaffen.

Die usbekischen Sicherheitskräfte schossen wahllos in die Menge. Später riegelten Soldaten den Platz ab und eröffneten das Feuer. Sie verletzten und töteten unzählige Zivilisten, die größtenteils unbewaffnet waren. Anschließend durchkämmten Sicherheitskräfte das Gebiet und erschossen am Boden liegende Verletzte.

Ungeachtet dieser Brutalität und des harten Vergehens gegen Menschenrechtler und Augenzeugen des Massakers argumentierte die deutsche Diplomatie mit Frank-Walter Steinmeier als damaligem Außenminister an der Spitze, dass die EU-Sanktionen, einschließlich des Waffenembargos und der Visasperre gegen Schlüsselfunktionäre, nichts weiter bewirkten, als Taschkent vor den Kopf zu stoßen.

Von 2005 bis 2009, dem Jahr, in dem die Sanktionen wieder aufgehoben wurden,zahlte Deutschland für die Nutzung von Termes 67,9 Millionen Euro an Taschkent und setzte damit ein ganz und gar falsches Zeichen, wie eine glaubwürdige Menschenrechtspolitik aussehen sollte. So erstaunt es auch kaum, dass Berlin versuchte, diese Zahlen zurückzuziehen, nachdem sie im Jahr 2011 an die Öffentlichkeit gelangt waren.

Die Bundesregierung hat immer wieder beteuert, die Förderung der Menschenrechte in Usbekistan sei ein vorrangiges Ziel ihrer Außenpolitik. Sie rief Menschenrechtsdialoge ins Leben, initiierte Schulungsprogramme und behauptete, man dränge die usbekische Regierung beharrlich dazu, ihre Menschenrechtsverletzungen abzustellen. Anders als ihr Vorgänger Gerhard Schröder lehnte Angela Merkel es ab, sich mit Präsident Karimow zu treffen.

Es ist eine bittere Ironie, dass der einzige Punkt, in dem deutsche Diplomaten und Menschenrechtsorganisationen sich weitgehend einig sind, die Feststellung ist, dass sich die Menschenrechtslage in Usbekistan im zurückliegenden Jahrzehnt nicht verbessert oder sogar verschlechtert hat. Im Außenministerium argumentiert man, es sei schwierig, derart isolierte und autoritäre Regierungen zu beeinflussen. Wenn es der Bundesregierung jedoch wirklich um die Menschenrechte geht, muss sie sich der Frage stellen, warum ihre Politik in dieser Frage gescheitert ist.

Für Human Rights Watch ist es nicht mehr möglich, in Usbekistan zu arbeiten. Dennoch erhielt ich im November ein Einreisevisum – offenbar ein Versuch, Fortschritte bei den Menschenrechten vorzuspiegeln. Was ich bei meinen Gesprächen mit den wenigen Menschenrechtlern erfuhr, die trotz ständiger Schikanen noch arbeiten können, war niederschmetternd: Die unabhängigen Medien und die politische Opposition sind vollständig zum Schweigen gebracht worden, in den Baumwollfeldern des Landes herrscht Zwangsarbeit, und Kritiker werden verhaftet und gefoltert.

Ich erinnere mich noch lebhaft an mein Treffen mit Osoda Jakubowa, deren Ehemann Asam Farmonow, ein inhaftierter Menschenrechtler, im Gefängnis mit einer geschlossenen Gasmaske gefoltert worden war, die Ersticken simulieren sollte. Osoda hatte gehofft, man werde ihren Mann in diesem Frühjahr nach neun Jahren Haft endlich entlassen. Doch nun deutet alles darauf hin, dass seine Haftdauer wegen fingierter "Verstöße gegen Gefängnisregeln" verlängert wird.

Internationaler Druck kann Wirkung zeigen

Die Kritiker des dialogorientierten Ansatzes in der deutschen Außenpolitik gelangen üblicherweise zu dem Schluss, dass Berlin die Menschenrechte für weniger wichtig erachtet als die Kooperation mit Taschkent, wenn es um die Nutzung von Termes und andere sicherheitspolitische Fragen geht. Deutschlands Unwille, der Führung in Taschkent mit handfesten Konsequenzen zu drohen, falls sie ihre Menschenrechtsbilanz nicht verbessert, erlaubt es Usbekistan, sich gegenüber mahnenden Worten aus Berlin gleichgültig zu zeigen.

Konzertierter internationaler Druck auf Usbekistan kann jedoch Wirkung zeigen. Dass Taschkent im Jahr 2013 entschied, weniger Kinder zur alljährlichen Baumwollernte auf die Felder zu schicken, war ein Ergebnis des Drucks, der von Nichtregierungsorganisationen ausging. Einige Regierungen stützten dieses Vorgehen mit Handelseinschränkungen und drohten mit anderen Sanktionen.

Deutschland könnte nicht nur einen konsequenteren Kurs in seinen bilateralen Beziehungen einschlagen, sondern auch gemeinsam mit anderen EU-Staaten darauf hinwirken, dass der UN-Menschenrechtsrat einen Sonderberichterstatter für die Menschenrechtslage in Usbekistan ernennt. Dies würde dazu führen, dass Usbekistan zu seiner katastrophalen Menschenrechtsbilanz öffentlich Stellung nehmen müsste, was die Regierung um jeden Preis verhindern will.

Die Bundeswehr hat ihr Engagement in Afghanistan bereits deutlich reduziert. Die Bundesregierung muss jetzt endlich entscheiden, ob der Schutz der Menschenrechte tatsächlich ein Kernelement ihrer Beziehung zu Taschkent ist. Wenn dem so ist, muss Berlin handeln. Heute, zehn Jahre nach Andischan, ist es höchste Zeit dafür.

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Deutschland kann aus Bunkern wieder Klassenzimmer machen

Human Rights Watch: Vereinte Nationen - Di, 26.05.2020 - 21:51

„Das ist der Matheraum, aber jetzt ist es kein Unterrichtsraum mehr, jetzt ist es ein Militärbunker", ruft das junge Mädchen aus Südasien, als sie in ein Klassenzimmer blickt. In ihrer Stimme liegt ein Anflug von Verzweiflung, gepaart mit einem Hauch von Abscheu. Schließlich klingt sie enttäuscht, als sie sagt: „Ich war immer sehr stolz auf meine Armee, die Armee, die uns beschützt. Aber wenn ich sehe, was sie mit meiner Schule gemacht haben, dann schäme ich mich für meine Armee."

Eben jenes Mädchen wird jetzt in Oslo mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Der Augenblick in dem Klassenzimmer ist in der Dokumentation über Malala Yousafzais Leben zu sehen, die 2009 entstand, noch bevor die Taliban ihr nach dem Leben trachteten. In der Szene erfährt Malala, dass die pakistanische Armee eine der Schulen ihres Vaters übernommen hatte, um diese für militärische Zwecke zu nutzen, während sich ihre Familie wegen Kämpfen in ihrer Heimat im Exil aufgehalten hatte.

Bei meinen weltweiten Recherchen für Human Rights Watch habe ich häufig erlebt, dass Schulen von Kriegsparteien zu Militärstützpunkten gemacht werden. Sportplätze werden von Stacheldraht umzäunt, und es werden Feldbetten für die Soldaten in den Klassenzimmern aufgestellt.
Beobachtungsposten auf den Dächern der Schulgebäude dienen der Überwachung, und es werden Scharfschützen an den Fenstern der Klassenzimmer positioniert. In den Fluren werden Gewehre gestapelt, Granaten unter den Schreibpulten versteckt und gepanzerte Fahrzeuge in den Turnhallen abgestellt.

Das bringt Schüler und Lehrer in Gefahr, da ihre Schulen so zu Zielen gegnerischer Angriffe werden. Schüler und Lehrer wurden bereits bei derartigen Angriffen verletzt oder getötet. Auch werden Schüler dem Risiko ausgesetzt, Opfer von sexueller Gewalt, Zwangsarbeit oder Zwangsrekrutierung durch die Soldaten zu werden.

Die Schüler müssen entweder zu Hause bleiben und ihre Ausbildung unterbrechen oder inmitten von bewaffneten Kämpfern lernen, wobei sie jederzeit in die Schusslinie geraten können.

Während der letzten zehn Jahre haben bewaffnete Truppen, darunter sogar Friedenstruppen, Schulen in mindestens 25 Ländern, in denen es zu bewaffneten Konflikten kam, militärisch genutzt. Zu diesen Staaten gehören Länder in Afrika, in Nord-, Mittel und Südamerika, in Asien, Europa und im Nahen Osten. Es handelt sich also um ein globales Phänomen, für das eine globale Lösung gefunden werden muss.

Zwar gibt es internationale Gesetze, die Parteien in bewaffneten Konflikten dazu anhalten, die Zivilbevölkerung so weit wie möglich vor den Kriegsgefahren zu schützen. Es mangelt jedoch an eindeutigen Standards und Normen, damit Schulen nicht für militärische Zwecke missbraucht werden. Dies führt dazu, dass die jeweiligen Kampftruppen häufig Bildungseinrichtungen für verschiedene Zwecke benutzen.

All das soll sich bald ändern.

Bei einer Konferenz der Vereinten Nationen nächste Woche in Genf werden die Botschafter Norwegens und Argentiniens einen Vorschlag vorstellen, wie Schulen besser vor militärischer Nutzung in bewaffneten Konflikten geschützt werden können. Dieser Vorschlag sieht vor, dass sowohl Regierungstruppen als auch nicht-staatliche bewaffnete Gruppen sechs klare Richtlinien in ihre Militärpraxis und in die entsprechende Ausbildung aufnehmen.

Diese Richtlinien wurden gemeinsam mit Experten aus allen Teilen der Welt erarbeitet, darunter mit Vertretern von Kampftruppen, Verteidigungsministerien bis hin zu Menschenrechtsorganisationen und UN-Einrichtungen.

Diese Richtlinien zum Schutz von Schulen vor militärischer Nutzung vereinen bereits bestehende Verpflichtungen, die sich aus dem Kriegsrecht und internationalen Menschenrechtsbestimmungen ableiten, und verbinden diese mit bereits von manchen Kampftruppen praktizierten, positiven Beispielen.

Somit erhalten die Richtlinien weder einen naiven noch einen idealistischen Charakter, sondern sind praktisch orientiert und realistisch. Sie berücksichtigen die Tatsache, dass die jeweiligen Parteien in einem bewaffneten Konflikt zwangsläufig mit schwierigen Situationen konfrontiert werden, die pragmatischer Lösungen bedürfen.

Deutschland nahm beim Schutz von Kindern und Schulen in Kriegszeiten immer eine führende Rolle ein. Und es war unter dem Vorsitz Deutschlands im UN-Sicherheitsrat, dass die negativen Folgen militärischer Nutzung von Schulen auf die Sicherheit von Kindern vom weltweit höchsten Organ für Frieden und Sicherheit aufgegriffen worden sind.

Bedauerlicherweise hat Deutschland keine konkreten Schritte unternommen, um einen derartigen Schutz für seine eigenen Schulen zu gewährleisten. Gleichzeitig aber forderte Deutschland im Sicherheitsrat lautstark die Etablierung eines solchen Schutzes in anderen Ländern. Bis heute haben 29 Länder weltweit öffentlich ihre Unterstützung für die Entwicklung dieser Richtlinien bekundet. Deutschland gehört jedoch nicht zu diesen Ländern. Dies sollte unverzüglich nachgeholt werden.

Der Einsatz für den Schutz von Schülern und Schulen ist ein Anliegen, bei dem Deutschland sich innerhalb Europas nicht isolieren sollte. Deutschland soll die Konferenz in Genf dazu nutzen, seine Bereitschaft zu verkünden, die Richtlinien im Rahmen einer von Norwegen organisierten internationalen Konferenz 2015 offiziell anzuerkennen.

Ferner soll Deutschland in den Monaten bis dahin die nötigen und angemessenen Mechanismen vorbereiten, um die Richtlinien in die deutsche Militärpolitik aufzunehmen. Auch wenn Deutschland erklären würde, mit Norwegen gemeinsam daran zu arbeiten, die NATO-Politik mit den Richtlinien in Einklang zu bringen, wäre dies ein begrüßenswerter Schritt.

Dass Malala Yousafzai die militärische Nutzung der Schule ihres Vaters verurteilt hat, ist ein klares Signal an alle Armeen: Sogar Kinder erkennen, dass diese verbreiteten und heimtückischen Praktiken falsch sind. Deutschland kann dazu beitragen, das Recht von Kindern überall auf der Welt auf Bildung zu gewährleisten, indem es den in den Richtlinien vorgesehenen Schutz umsetzt und andere Länder dazu anhält, dies ebenfalls zu tun.
Ein sicherer Zugang zu Bildung, auch in Kriegszeiten, ist wesentlich für die Sicherheit der Kinder, für ein Gefühl von Normalität und für ihre Entwicklung. Zudem wird durch den Zugang zu Bildung sichergestellt, dass Länder über die nötigen Mittel verfügen, um nach dem Krieg einen nachhaltigen Frieden etablieren zu können.

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Weltweites Abkommen zum Schutz vor Zwangsarbeit verabschiedet

Human Rights Watch: Vereinte Nationen - Di, 26.05.2020 - 21:51

(New York) – Die Verabschiedung eines bahnbrechenden neuen Vertrags durch die Internationale Arbeitsorganisation ILO am 11. Juni 2014 ist ein wichtiger Beitrag, um Zwangsarbeit zu verhindern und die schätzungsweise 21 Millionen Opfer weltweit zu schützen und zu entschädigen, so Human Rights Watch. Die Regierungen, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände in der ILO stimmten mit überwältigender Mehrheit für die Verabschiedung des Protokolls von 2014 zur Konvention gegen Zwangsarbeit von 1930. Dieses bringt den weithin ratifizierten, jedoch veralteten Vertrag von 1930 auf den neuesten Stand, um den heutigen Missständen besser gerecht zu werden, etwa den Verstößen gegen Migranten im privaten Sektor.

Zu den Opfern von Zwangsarbeit gehören Menschen, die von Menschenhändlern verkauft wurden oder unter sklavenähnlichen Bedingungen Arbeiten, etwa in der Landwirtschaft, als Hausangestellte, in der Güterproduktion oder in der Sexindustrie. Viele Opfer haben sehr lange Arbeitszeiten, arbeiten unter gefährlichen Bedingungen, erhalten wenig bis keinen Lohn, begegnen psychischem, körperlichem und sexuellem Missbrauch und können aufgrund von Gefangenschaft, Schulden, Rachedrohungen oder anderen Umständen ihre Arbeitsstelle nicht verlassen.

„Dass noch immer Millionen Menschen in ausbeuterischen und unmenschlichen Bedingungen gefangen sind, ist ein Schandfleck für unsere moderne Gesellschaft“, so Nisha Varia, leitende Frauenrechtsexpertin von Human Rights Watch. „Die Regierungen sollen diesen Vertrag rasch ratifizieren und umsetzen, um den Missbrauch zu beenden, auch die am schwersten erreichbaren Opfer aufzuspüren und sie zu schützen und ihre Peiniger zu bestrafen.“

Die ILO schätzt, dass 55 Prozent der Opfer Frauen sind. 26 Prozent aller Opfer sind minderjährig. Die Verbrechen gegen sie geschehen häufig im Verborgenen. Die ILO schätzt, dass die Nutznießer der Zwangsarbeit dadurch rund 150 Milliarden US-Dollar Gewinne machen. Gleichzeitig entgehen den betroffenen Staaten Steuereinnahmen und Sozialbeiträge in Milliardenhöhe.

Die durch das neue Protokoll gegen Zwangsarbeit vorgesehenen Präventionsmaßnahmen beinhalten die Schaffung nationaler Aktionspläne, die Ausweitung des Arbeitsrechts auf Branchen mit hohem Risiko der Zwangsarbeit, die Verbesserung der Arbeitsschutzkontrollen und den Schutz von Arbeitsmigranten vor ausbeuterischen Anwerbepraktiken. Der Vertrag verpflichtet Regierungen zudem, eine Sorgfaltspflicht (due dilligence) in der Privatwirtschaft zu fördern, die Unternehmen verpflichtet, Zwangsarbeit in ihrer Geschäftstätigkeit zu verhindern bzw. darauf zu reagieren. Die ILO schätzt, dass 90 Prozent der Zwangsarbeit im Privatsektor stattfindet.

Der Vertrag verpflichtet Regierungen, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Opfer von Zwangsarbeit zu identifizieren, zu befreien, ihnen Hilfe anzubieten und sie vor Racheakten zu schützen.

Artikel 4 des Vertrags verpflichtet Regierungen, dafür zu sorgen, dass alle Opfer, ungeachtet ihres rechtlichen Status und ihres Aufenthaltsortes, in dem Land, in dem sie Opfer von Zwangsarbeit wurden, Zugang zu Justiz und Rechtsmitteln haben, einschließlich der Möglichkeit, eine Entschädigung einzuklagen. Derzeit stehen Migranten, die keinen legalen Status haben oder bereits in ihr Herkunftsland zurückgekehrt sind, aufgrund restriktiver Einwanderungsbestimmungen vor erheblichen Hindernissen, wenn sie Anzeige erstatten, Gerichtsverfahren vorantreiben oder nichtbezahlte Löhne entgegennehmen wollen.

Artikel 4 verpflichtet Regierungen zudem zu einem Ermessensspielraum, der es zulässt, Opfer von Zwangsarbeit nicht wegen unrechtmäßiger Aktivitäten strafrechtlich zu verfolgen, etwa wegen Verstößen gegen Einwanderungsgesetze, sexueller Dienstleistungen, Drogendelikten oder Gewalttaten, zu denen sie als direktr Folge ihrer Zwangsarbeit gezwungen wurden.

„Es ist traurig, dass Opfer von Zwangsarbeit häufig wie Kriminelle behandelt werden und nicht wie Menschen, die ein Recht auf Unterstützung haben”, so Varia. „Es ist ein wichtiger Schritt nach vorne, dass die Bemühungen zur Erkennung von Opfern von Zwangsarbeit bei einwanderungs- und strafrechtlichen Verfahren verbessert werden, damit sie angemessene Unterstützung erhalten und nicht erneut zu Opfern werden.“

Die ILO-Konvention Nr. 29 gegen Zwangsarbeit wurde im Jahr 1930 verabschiedet und von 177 Staaten ratifiziert. Ihre Definition von Zwangsarbeit und die Verpflichtung, Zwangsarbeit strafrechtlich zu verfolgen, wurden in nationale und internationale Standards aufgenommen. Andere Bestimmungen beziehen sich auf Zwangsarbeit in Überseekolonien und sind nicht mehr zeitgemäß. Das neue Protokoll passt die Konvention Nr. 29 an die modernen Gegebenheiten an und streicht die nicht mehr relevanten Bestimmungen aus dem Vertrag.

Damit das Protokoll für ein Land rechtsverbindlich wird, muss es durch die Regierung ratifiziert werden. Die ILO-Mitglieder haben zudem Empfehlungen ausgehandelt, die den Regierungen nicht-bindende Richtlinien zur Verfügung stellen. Dazu gehören die Erhebung verlässlicher Daten, Maßnahmen gegen Kinderarbeit, grundlegende soziale Garantien, die Beseitigung von Rekrutierungsprämien, welche die Arbeitnehmer bezahlen müssen, sowie eine international Kooperation gegen den Einsatz von Zwangsarbeit durch Diplomaten.

Zusätzlich empfiehlt das Papier eine Bedenk- und Erholungszeit, in der Migranten, die Opfer von Zwangsarbeit geworden sind, in dem betreffenden Land bleiben dürfen, bevor über Schutzmaßnahmen oder rechtliche Schritte entschieden wird. Die Empfehlungen stellen klar, dass auch juristische Personen wegen Zwangsarbeit zur Rechenschaft gezogen werden können und etwa durch die Beschlagnahmung von Profiten aus Zwangsarbeit oder anderem Vermögen bestraft werden sollten.

Mitarbeiter von Human Rights Watch, die an den Verhandlungen teilgenommen haben, wiesen darauf hin, dass dabei Gelegenheiten versäumt wurden, um wichtige Schutzmechanismen zu stärken. So werden Regierungen lediglich angehalten, Unternehmen zu „unterstützen“ statt sie zu verbindlich zu „verpflichten“, notwendige Maßnahmen gegen Zwangsarbeit zu ergreifen und darin auch ihre Lieferkette einzuschließen. Vorgeschlagene Empfehlungen, die die Schaffung von Entschädigungsfonds für Opfer sowie Hilfsangebote für Opfer vorgesehen hatten, erhielten nicht die notwendige Unterstützung, um in den finalen Text aufgenommen zu werden. Das Protokoll und die Empfehlungen erwähnen die Entschädigung der Opfer zwar wiederholt, jedoch als möglichen Schritt und nicht als verpflichtende Maßnahme.

„Im Großen und Ganzen ist das Ergebnis dieser Verhandlungen ein starker Vertrag, den alle Regierungen unterstüzten sollten“, so Varia. „Zwangsarbeit geht mit einigen der schwersten Menschenrechtsverletzungen unserer Zeit einher. Regierungen sollten mit höchster Dringlichkeit dafür eintreten, sie zu beseitigen und ihre Opfer zu unterstützen.“
Von den 472 durch Regierungs-, Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter abgegebenen Stimmen, befürworteten 437 die Konvention bei 8 Gegenstimmen und 27 Enthaltungen.

Über die vergangenen zehn Jahre hat Human Rights Watch 49 Bericht zum Thema Zwangsarbeit veröffentlicht. Sie dokumentieren Menschenrechtsverletzungen wie erzwungenes Betteln durch Kinder, die Ausbeutung von Hausangestellten, Zwangsarbeit im Bau-, Landwirtschafts- und Bergbausektor, Zwangsarbeit in Drogenhaftzentren sowie die zeitlich unbefristete Pflicht zum Wehrdienst.

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UN-Mitgliedstaaten sollen sich gegen Besuch al-Bashirs aussprechen

Human Rights Watch: Vereinte Nationen - Di, 26.05.2020 - 21:51

(New York) – Die Mitglieder des UN-Sicherheitsrats und andere UN-Mitgliedstaaten sollen sich öffentlich gegen eine Teilnahme des sudanesischen Präsidenten Omar al-Bashir an der UN-Vollversammlung aussprechen, da gegen diesen ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichts (IStGH) wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen in Darfur besteht. Die Regierungen sollen klarstellen, dass sie mit al-Bashir, falls dieser nicht von seinem Besuch absieht, keinerlei Umgang pflegen und nicht an Veranstaltungen teinehmen werden, an denen al-Bashir teilnimmt.

Vertretern der amerikanischen Regierung zufolge hat al-Bashir ein Visum beantragt, um an der UN-Vollversammlung teilzunehmen, deren Generaldebatte für den Zeitraum vom 24. September bis 2. Oktober 2013 anberaumt ist. Gegen al-Bashir bestehen zwei Haftbefehle des IStGH wegen Verbrechen in Darfur, der eine wegen Völkermordes, der andere wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Der IStGH hatte Ermittlungen eingeleitet, nachdem der UN-Sicherheitsrat im März 2005 in seiner Resolution Nr. 1593 die Lage in Darfur an den Gerichtshof überwiesen hatte.

„Sollte al-Bashir bei der UN-Vollversammlung erscheinen, würde er die Bemühungen des Sicherheitsrats für die Strafverfolgung der Verbrechen in Darfur in dreister Weise auf die Probe stellen“, so Elise Keppler, stellvertretende Direktorin der Abteilung Internationale Justiz von Human Rights Watch. „Das letzte, was die UN jetzt braucht, ist ein Besuch von einem IStGH-Flüchtling.“

Mit al-Bashirs Besuch würde zum ersten Mal eine Person die USA und die UN besuchen, gegen die ein Haftbefehl des IStGH vorliegt. Bislang vermieden viele Staaten – Unterzeichner und Nicht-Unterzeichner des IStGH-Statuts gleichermaßen – al-Bashirs Besuche, indem sie ihn zur Entsendung anderer Vertreter der sudanesischen Regierung aufforderten, Treffen räumlich und zeitlich verschoben oder seine Visite schlichtweg absagten. Zu diesen Staaten gehören Südafrika, Malaysia, Sambia, die Türkei, die Zentralafrikanische Republik, Kenia und Malawi.

Die USA verurteilten al-Bashirs geplanten Besuch zur UN-Vollversammlung. Am 16. September bezeichnete Samantha Power, die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, diesen als „bedauerlich, zynisch und äußerst unagemessen“.

In Reaktion auf al-Bashirs geplanten UN-Besuch appellierte Human Rights Watch an alle UN-Mitgliedstaaten, die möglichen rechtlichen Konsequenzen zu bedenken. Die Vertragsstaaten des IStGH sind durch das Römische Statut verpflichtet, bei der Verhaftung Strafverdächtiger mit dem Gerichtshof zu kooperieren. Auch die UN-Sicherheitsratsresolution 1593, welche die Lage in Darfur an den IStGH verweist, fordert alle Staaten und die betroffenen regionalen sowie andere internationalen Organisationen auf, uneingeschränkt mit dem Gericht zusammenzuarbeiten. Die UN-Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes von 1949 verlangt in Artikel 4: „Personen, die Völkermord [...] begehen, sind zu bestrafen, gleichviel ob sie Regierungsvertreter, öffentliche Beamte oder private Einzelpersonen sind.“

Die Resolution 1593 verpflichtet den Sudan zur Kooperation mit dem IStGH. Auch in einer Präsidententerklärung des Sicherheitsrats aus dem Jahr 2008 wird der Sudan aufgefordert, mit dem Gericht zusammenzuarbeiten, damit das Land die Resolution 1593 einhält. Der Rat verfolgte diese Erklärung jedoch nicht angemessen weiter.

Menschenrechtler und Nichtregierungsorganisationen mobilisieren, insbesondere in Afrika, gegen jegliche Reisen al-Bashirs und für seine Auslieferung an den IStGH. Zuletzt reichte die nigerianische Koalition für den IStGH in Nigeria Klage ein, als al-Bashir das Land unerwartet besuchte, um an einer Konferenz der Afrikanischen Union teilzunehmen. Die öffentliche Verurteilung seines Besuchs trug zweifellos zu seiner abrupten Abreise bei.

„Al-Bashir gehört an genau einen Ort: Vor den IStGH, wo er sich wegen der abscheulichen Verbrechen in Darfur verantworten muss“, so Keppler. „Die zahllosen Opfer in Dafur verdienen es, ihn dort zu sehen - und nicht in den Sälen der Vereinten Nationen.“

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UN-Menschenrechtsrat richtet Untersuchungskommission zu Nordkorea ein

Human Rights Watch: Vereinte Nationen - Di, 26.05.2020 - 21:51

(Genf) - Der UN-Menschenrechtsrat hat in einer bahnbrechenden Entscheidung eine Untersuchungskomission zu Nordkorea eingerichtet, so Human Rights Watch. Die Kommission wird Verbrechen gegen die Menschlichkeit und andere schwere Menschenrechtsverletzungen in Nordkorea untersuchen und Empfehlungen aussprechen, wie die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden können.

„Diese lang erwartete Untersuchungskommission wird dabei helfen, Jahrzehnte massiver Menschenrechtsverbrechen durch die nordkoreanische Regierung aufzudecken“, sagte Julie de Rivero, Advocacy-Direktorin von Human Rights Watch. „Die Einrichtung dieser Kommission sendet ein deutliches Signal an Pjöngjang, dass die Welt die Lage genau beobachtet und die Menschenrechtsverletzungen beendet werden müssen.“

Die Resolution zur Errichtung der Kommission wurde einstimmig verabschiedet. Durch sie werden schwere, weit verbreitete und systematische Menschenrechtsverletzungen in Nordkorea verurteilt und die Anwendung von Folter gegen politische Gefangene und zurückgekehrte Bürger der Demokratischen Volksrepublik Korea sowie ihre Entsendung in Zwangsarbeitslager missbilligt. Die Resolution wurde von Japan und der Europäischen Union vorgelegt.

Marzuki Darusman, der bereits früher vom Rat ernannte Experte für die Menschenrechtslage in Nordkorea, wird der Kommission angehören. Sie soll innerhalb eines Jahres die Verletzung des Rechts auf Nahrung, Misshandlung in Gefangenenlagern, Folter und unmenschliche Behandlung, willkürliche Verhaftung, Diskriminierung, Verletzung der Redefreiheit, Verstöße gegen das Recht auf Leben, Verletzung der Bewegungsfreiheit und Entführungen, auch von Angehörigen anderer Staaten, untersuchen. Dabei soll sichergestellt werden, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden, besonders wenn die Menschenrechtsverletzungen sich als Verbrechen gegen die Menschlichkeit erweisen.

„Jede Hoffnung, dass der Führungswechsel in Nordkorea Fortschritte für die Menschenrechte bringen könnte, wurde schnell enttäuscht“, sagte de Rivero. „Die überwältigende Unterstützung für die Einrichtung dieser Kommission spiegelt den starken Konsens wider, dass die Zeit gekommen ist, die Menschenrechtsverstöße aufzudecken, die Nordkorea so lange vor der Welt verstecken wollte.“

Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, hat die Errichtung der Kommission unterstützt und stellte im Januar 2013 fest, dass die eingehende Untersuchung einer der Regionen mit den schlimmsten - aber am wenigsten verstandenen und darüber berichteten - Menschenrechtsverletzungen der Welt nicht nur völlig gerechtfertigt, sondern längst überfällig sei. Sie betonte auch die dringende Notwendigkeit, das Schicksal der vielen von Nordkorea in den letzten Jahren entführten Südkoreaner und Japaner zu klären und ihren leidgeprüften Familien Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung zu garantieren.

In seinem Bericht an den Rat beschrieb Darusman neun zentrale Bereiche von Menschenrechtsverletzungen in Nordkorea, darunter extreme Formen der Diskriminierung und Verletzungen des Rechts auf Nahrung. Er sprach weiterhin von der Notwendigkeit, eine Untersuchung der erschütternden Erfahrung der Nordkoreaner in politischen Gefangenenlagern einzuleiten, wo sie am Rande des Verhungerns gehalten und als Zwangsarbeiter eingesetzt werden. Auch Folter sowie unmenschliche und erniedrigende Behandlung gehören in den Lagern zum Alltag.

Opfer von Menschenrechtsverletzungen in Nordkorea hatten an den Rat appelliert, Maßnahmen zu ergreifen - unter anderem während einer Veranstaltung des Menschenrechtsrats zu Beginn dieses Monats,alsr Shing Dong Huyk, ein Flüchtling aus einem berüchtigten nordkoreanischen Gefangenenlager, seine Geschichte darstellte. Menschenrechtler zeigten sich bestürzt darüber, dass die Notwendigkeit, Nordkoreas Menschenrechtsverletzungen anzusprechen und zu untersuchen, oft im Schatten der Sorgen über das Atomprogramm verblasse. Nordkorea hat nicht nur die Rechte seiner eigenen Bürger verletzt, es hat auch Tausende von Ausländern, vor allem aus Südkorea und Japan, entführt. Die Entscheidung des Rates, diese Untersuchungskommission einzurichten, ist eine Reaktion auf den Appell der Familien der Entführten, die sich bei den Vereinten Nationen für Informationen über den Verbleib ihrer Angehörigen sowie für ihre sichere Rückkehr eingesetzt haben.

„Die Errichtung dieser Kommission ist eine Errungenschaft für die Opfer", sagte de Rivero. „Dies ist ein entscheidender erster Schritt, um die Verantwortlichen für Verbrechen gegen die Menschlichkeit und andere Menschenrechtsverletzungen in Nordkorea zur Verantwortung zu ziehen.“

Kategorien: Menschenrechte

Syrien: UN soll Massaker von Hula untersuchen

Human Rights Watch: Vereinte Nationen - Di, 26.05.2020 - 21:51

(New York) – Kofi Annan soll die syrische Regierung drängen, der UN-Untersuchungskommission Zugang zu dem Land zu gewähren, um das Massaker aufzuklären, bei dem am 25. Mai 2012 mindestens 108 Zivilisten in Hula getötet wurden. Dies fordert Human Rights Watch heute vor dem anstehenden Besuch des UN-Sondergesandten in Damaskus. Bisher hat die syrische Regierung der UN-Kommission den Zutritt ins Land verwehrt. Human Rights Watch wiederholte auch noch einmal seine Fordung an den UN-Sicherheitsrat, die Situation in Syrien an den Internationalen Strafgerichtshof zu überweisen.

Nach einem Besuch am 26. Mai in Hula, einer Region mit einigen Dörfern, 20 Kilometer nordwestlich der umkämpften Stadt Homs, bestätigten UN-Beobachter das Massaker und verurteilten diese „brutale Tragödie“. Der Leiter der UN-Beobachtermission, Generalmajor Robert Mood, berichtete gegenüber den Medien, dass einige Zivilisten durch Bombardierungen, andere durch Schüsse aus kurzer Entfernung getötet worden waren. Wer für diese Schüsse verantwortlich ist, sagte Mood jedoch nicht. Überlebende, die von Human Rights Watch befragt worden waren, sowie lokale Aktivisten berichteten, dass die syrische Armee die Region am 25. Mai 2012 bombardiert hatte und dass anschließend bewaffnete Männer in Militärkleidung Häuser am Stadtrand angriffen hatten und ganze Familien hingerichtet wurden.

Alle Augenzeugen berichteten, dass die bewaffneten Männer der Regierung nahe standen. Ob sie aber Mitglieder der syrischen Armee oder der shabeeha, einer lokalen regierungsnahen Miliz, waren, wussten die Augenzeugen nicht. Die überwiegend sunnitischen Städte in Hula sind von meist alawitischen oder shiitischen Dörfer umgeben. Seit letztem Jahr sind die Beziehungen zwischen den religiösen Gruppen äußerst angespannt. Während einer Pressekonferenz am 27. Mai hat ein Sprecher des syrischen Aussenministeriums kategorisch jegliche Schuld der Armee an diesem Massaker zurückgewiesen. Zudem gab er bekannt, dass die Regierung eine Militärkommission gebildet habe, um eine strafrechtliche Untersuchung durchzuführen.

„Es ist ausgeschlossen, dass eine syrische Militärkommission glaubwürdig dieses grausame Verbrechen untersucht, wenn so viele Anhaltspunkte darauf hindeuten, dass regierungsnahe Truppen dafür verantwortlich waren“, so Sarah Leah Whitson, Direktorin der Abteilung Naher Osten und Nordafrika von Human Rights Watch. „Annan soll darauf bestehen, dass Syrien der UN-Kommission Zugang ins Land gewährt, so dass sie dieses und andere schwere Verbrechen untersuchen kann.“

Anwohner und Überlebende berichteten Human Rights Watch, wie der Angriff auf Hula ablief. Am 25. Mai 2012 versammelten sich gegen Mittag Demonstranten in Taldou, Hulas größter Stadt. Ein Augenzeuge berichtet, dass dann gegen 14 Uhr Soldaten von einem Armeestützpunkt das Feuer eröffent haben, um eine Demonstrantion aufzulösen. Ob zu diesem Zeitpunkt jemand verletzt oder getötet wurde, konnte er nicht sagen. Ein Aktivist aus Hula berichtete, dass bewaffenete Mitglieder der Opposition anschließend den Stützpunkt angriffen, von dem aus die Armee das Feuer eröffnet hatte. Die syrische Armee habe darauf mit intensivem Beschuss verschiedener Gebiete in Hula reagiert.

Ein Bewohner von Taldou erklärte gegenüber Human Rights Watch:

Gegen 14.30 Uhr begann die Armee, die am Stadtrand stationiert war, das Gebiet zu bombardieren. Anfangs benutzten sie dafür noch Panzer, aber nach etwa zwei Stunden setzten sie Granaten ein. Die Bombardierung kam aus der Richtung der Luftwaffenakademie, die sich am Eingang von Hula befindet. Der Beschuss wurde gegen 19 Uhr noch schlimmer und ganze Gebäude wankten. Die Armee begann, mit einer Art von Raketen zu feuern, die ein ganzes Gebiet erschütterten

Drei Überlebende dieser Angriffe berichteten Human Rights Watch, dass gegen 18.30 Uhr, gerade als die Bombardierung in einigen Teilen von Hula intensiver wurde, bewaffnete Männer in Militäruniformen Häuser angriffen, die sich am Stadtrand auf der Straße zum Damm von Hula befanden. Die meisten Getöteten gehörten zur Familie von Abdel Razzak. Lokale Aktivisten übergaben Human Rights Watch eine Liste mit den Namen von 62 getöteten Mitgliedern der Familie von Adbel Razzak. Überlebende berichten, dass ihrer Familie das Land und die Bauernhöfe neben dem nationalen Wasserunternehmen und dem Wasserdamm von Taldou gehört und sie in acht oder neun benachbarten Häusern lebt, jeweils zwei Familien in einem Haus.

Eine ältere Frau der Abdel Razzak-Familie, die die Attacke überlebt hatte, berichtete:

Ich war zu Hause mit meinen drei Enkelsöhnen, drei Enkeltöchtern, meiner Schwägerin, meiner Tochter, meiner Schwiegertochter und meinem Cousin. [Am 25. Mai] gegen 18.30 Uhr, noch bevor die Sonne unterging, hörten wir Schüsse. Ich war alleine in meinem Zimmer, als ich einen Mann hörte. Er brüllte und schrie meine Familie an. Ich versteckte mich hinter der Tür. Ich sah einen anderen Mann draußen an unserer Wohnungstür stehen und einen weiteren in unserem Haus. Sie haben Militärkleidung getragen. Ich konnte ihre Gesichter nicht erkennen. Ich dachte, sie wolten das Haus durchsuchen. Sie kamen in unser Haus; ich habe nicht gehört, dass sie eingebrochen sind, da wir nie die Wohnungstür abschließen. Nach drei Minuten hörte ich alle meine Familienmitglieder laut schreien und brüllen. Die Kinder, die alle zwischen zehn und 14 Jahre alt sind, weinten. Ich legt mich auf den Boden und versuchte zu kriechen, um zu sehen, was passierte. Als ich der Tür näher kam, hörte ich mehrere Schüsse. Ich hatte solche Angst, dass ich mich kaum auf meinen eigenen Beinen halten konnte. Dann hörte ich, dass die Soldaten das Haus verließen. Als ich aus dem Raum kam, sah ich dass meine gesamte Familie erschossen worden war. Man hatte ihnen in die Körper und die Köpfe geschossen. Ich hatte zu große Angst, um näher zu kommen und zu sehen, ob sie noch am Leben waren. Ich bin einfach weitergekrochen, bis ich die Hintertür erreicht hatte. Ich ging ins Freie und rannte weg. Ich stand unter Schock, so dass ich nicht mehr weiss, was danach passiert ist.

Ein Zehnjähriger, ebenfalls aus der Familie Abdel Razzak, berichtete Human Rights Watch, dass er einen Mann in Militäruniform gesehen hätte, wie dieser seinen 13-jährigen Freund erschoss.

Ich war zu Hause mit meiner Mutter, meinen Cousins und meiner Tante. Plötzlich hörte ich Schüsse. Es war das erste Mal, dass ich so viele Schüsse auf einmal gehört habe. Meine Mutter packte mich und versteckte mich in einer Scheune. Ich hörte Männer schreien und rufen. Ich hörte, wie Leute weinten, vor allem Frauen. Ich sah aus dem Fenster. Ich guckte nur machmal, da ich Angst hatte, dass sie mich sehen könnten. Männer, die [Uniformen] wie Soldaten trugen, grün mit anderen Farben [Kamouflage] und weissen Schuhen, betraten mein Haus. Nach ungefähr zwei Minuten kamen sie wieder heraus. Dann auf der anderen Seite der Straße sah ich meinen Freund Shafiq, 13 Jahre alt, alleine draussen stehen. Ein bewaffneter Mann in Militäruniform zerrte ihn am Arm in die Ecke eines Hauses. Er nahm seine eigene Waffe und schoss dem Jungen in den Kopf. Seine Mutter und große Schwester, ich denke sie war 14 Jahre alt, kamen aus dem Haus gerannt und begannen, zu schreien und zu weinen. Derselbe Mann schoss auf beide, mehr als nur einmal. Der bewaffnete Mann ging dann weg und die Soldaten der FSA kamen.

Die Mutter des Jungen bestätigte gegenüber Human Rights Watch viele Details:

Zwischen 18.30 Uhr und 19 Uhr hörten wir zum ersten Mal Schüsse. Sie waren sehr nah. Daraufhin liefen wir los und versteckten uns in der Scheune. Als die bewaffneten Männer gingen und ich hörte, dass ihre Autos wegfuhren, gingen meine Schwester und ich nach draußen. Ich sah Shafiq [den 13-jährigen Freund ihres Sohnes] tot auf dem Boden liegen. Ich sah drei Familien: drei Frauen, zwei von ihnen mit Kindern. Alle waren erschossen. Einige war in den Kopf geschossen worden, andere hatten viele Schussverletzungen über den ganzen Körper verteilt. Eines der Kinder überlebte. Sie ist 14 Jahre alt. Man hatte ihr zweimal ins Bein geschossen. Ich sah auch meinen Cousin, dem in die Brust geschossen worden war. Einem 13-jährigen Jungen, der gelähmt war, wurde auch dreimal in die Brust geschossen.

„Solange bewaffnete Killer ungestraft zu Werke gehen können, werden die Schrecken in Syrien weitergehen,“ so Whitson. „Russland soll auffhören, die syrische Regierung im Sicherheitsrat zu decken, und zustimmen, die Situation an den Internationalen Strafgerichtshof zu überweisen.“

Human Rights Watch drängt auch andere Länder dazu, sich der Forderungen nach einer Strafverfolgung der Verbrechen anzuschließen und eine Überweisung an den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) zu unterstützen. Der IStGH ist am besten in der Lage, gründliche Untersuchungen durchzuführen und jene strafrechtlich zu verfolgen, die die größte Verantwortung für die Verbrechen in Syrien tragen.

Frühere Ankündigungen der syrischen Regierung, dass sie Untersuchungen durchführen werde, haben zu keinem sichtbaren Resultat geführt. Am 31. März 2011, nicht einmal einen Monat nach dem Beginn der Aufstände, hat die syrische Regierung ein Komitee einberufen, um alle Todesopfer oder Verletzungen unter Zivilisten und militärischem Personal sowie alle anderen damit verbundenen Straftaten zu untersuchen und um alle entsprechenden Beschwerden aufzunehmen. Doch abgesehen von einigen zusammefassenden Erklärungen Präsident Bashar al-Assads, in denen er versicherte, dass das Komitee an der Arbeit sei und einige Personen bereits festgenommen und strafrechtlich verfolgt wurden, ist sehr wenig über die wirkliche Arbeit des Komitees und die Resultate dieser Arbeit bekannt.

Kategorien: Menschenrechte

Kambodscha: Untersuchungsrichter im Rote Khmer-Prozess sollen zurücktreten

Human Rights Watch: Vereinte Nationen - Di, 26.05.2020 - 21:51

(New York, 3. Oktober 2011) – Die beiden Untersuchungsrichter der „Außerordentlichen Kammern an den Gerichten von Kambodscha“ (ECCC), an denen die Massenverbrechen der Roten Khmer angeklagt werden und die der Bevölkerung Kambodschas Gerechtigkeit bringen sollen, haben klar gegen ihre Pflichten verstoßen und sollen deshalb zurücktreten, so Human Rights Watch heute.

Die Untersuchungsrichter You Bunleng (Kambodscha) und der von den Vereinten Nationen ernannte Siegfried Blunk (Deutschland) sind ihrer Pflicht nicht nachgekommen, glaubwürdige, unabhängige und wirksame Untersuchungen zu zwei von vier verbleibenden ECCC-Fälle durchzuführen. Es ist zu erwarten, dass beide Anklagen fallen gelassen werden, ohne dass je ernst gemeinte Ermittlungen durchgeführt wurden.

Die ECCC-Fälle 003 und 004 betreffen fünf Angeklagte und wurden im Jahr 2009 vom internationalen Co-Ankläger beim Büro der gemeinsamen Ermittlungsrichter eingereicht. Im April 2011 erklärten die Ermittlungsrichter, sie hätten ihre Ermittlungen im Fall 003 abgeschlossen. Ein formaler Einstellungsbefehl, wonach gegen die Beschuldigten kein Prozess eröffnet werden soll, wird für die nahe Zukunft erwartet. Amtierende und ehemalige ECCC-Mitarbeiter zufolge planen die Richter, ihre Arbeit auch im Fall 004 ohne glaubwürdige, unabhängige und wirksame Ermittlungen einzustellen.

„Die Ermittlungsrichter haben ihre Untersuchung des Falls 003 beendet, ohne die Verdächtigten zu benachrichtigen, wichtige Zeugen zu vernehmen oder an den Tatorten zu ermitteln“, so Brad Adams, Leiter der Asien-Abteilung von Human Rights Watch. „Was schon bei einem gewöhnlichen Verbrechen schockierend wäre, ist im Angesicht der schlimmsten Gräueltaten des 20. Jahrhunderts unfassbar. Solange diese Richter beteiligt sind, gibt es für das kambodschanische Volk keine Hoffnung auf Gerechtigkeit.“

Seit seiner Einrichtung wurde das Tribunal regelmäßig zum Ziel politischer Einmischung durch die regierende Kambodschanische Volkspartei. Mehrere amtierende Regierungsmitglieder sind ehemalige Funktionäre der Roten Khmer. Premierminister Hun Sen, dem die kambodschanische Justiz einschließlich der ECCC untersteht, hat wiederholt erklärt, er lehne eine Fortführung der Fälle 003 und 004 ab. Quellen innerhalb der ECCC gaben gegenüber Human Rights Watch an, seine politische Einmischung sei für die mangelhafte Untersuchung der Fälle durch die Ermittlungsrichter sowie zahlreiche Kündigungen von Mitarbeitern des Tribunals verantwortlich.

„Wir haben wiederholt die Befürchtung geäußert, dass den kambodschanischen Richtern im Rote Khmer-Tribunal keine andere Wahl bleiben würde, als zu tun, was Hun Sen und andere Spitzenbeamte von ihnen verlangen“, so Adams. „Damit war klar, dass die ECCC nur so stark sein würde wie sein schwächstes internationales Glied. Dieses schwächste Glied ist Richter Blunk.“

Sollten die Ermittlungsrichter in einem der Fälle die Einstellung der Untersuchungen beantragen, kann der internationale Co-Ankläger bei der Vorverfahrenskammer Berufung einlegen, die jedoch angesichts der politischen Einflussnahme auf das Tribunal, mit hoher Wahrscheinlichkeit abgewiesen würde.

Laut dem Gesetz über die Einrichtung der ECCC ist es Aufgabe des Tribunals, „Strafverfahren einzuleiten gegen die Führungsspitzen des Demokratischen Kampuchea [des Rote Khmer-Regimes] und gegen die Hauptverantwortlichen für die Verbrechen und schweren Verstöße gegen das kambodschanische Strafrecht, das humanitäre Völkerrecht und die von Kambodscha anerkannten internationalen Konventionen im Zeitraum vom 17. April 1975 bis 6. Januar 1979“. In dieser Zeit, in der Kambodscha unter der Herrschaft der Roten Khmer stand, wurden bis zu zwei Millionen Menschen getötet oder starben an Krankheit oder Hunger.

Bislang wurde nur im Fall 001, dem Prozess gegen Kaing Guek Eav (bekannt als „Duch“), den Leiter des berüchtigten S-21-Folterzentrums („Tuol Sleng“), ein Urteil gesprochen. Der Angeklagte wurde wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu einer Freiheitsstrafe von 35 Jahren verurteilt, die jedoch um die bereits abgeleistete Haftdauer sowie durch einen Straferlass auf 19 Jahre verringert wurde. Im Fall 002, in dem die ehemaligen Spitzen der Roten Khmer Nuon Chea, Khieu Samphan, Ieng Sary und Ieng Thirith wegen Völkermordes, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen angeklagt sind, soll die Hauptverhandlung im Jahr 2012 eröffnet werden.

Human Rights Watch erklärte, die Richter Blunk und Bunleng hätten durch ihr Versäumnis, angemessene und gutgläubige Untersuchungen durchzuführen, gegen ihre Verpflichtung zu unparteiischem Handeln verstoßen. Die gemeinsamen Ermittlungsrichter sind nach dem Statut der ECCC, internen Bestimmungen und nach internationalem Recht verpflichtet, die durch den Ankläger eingereichten Anklagepunkte zu untersuchen. Gemäß internationaler Rechtsprechung müssen die dazu notwendigen Untersuchungen neben anderen Anforderungen unabhängig, zeitnah, wirksam bei der Identifizierung und Bestrafung der Täter und transparent für die Öffentlichkeit erfolgen.

Während der zur Zeit der Einrichtung der ECCC im Jahre 2003 amtierende UN-Generalsekretär Kofi Annan erkannte, dass die Kontrollfunktion der UN für die erfolgreiche Strafverfolgung der Massenverbrechen der Roten Khmer durch das Tribunal entscheidend ist, haben die derzeit amtierenden UN-Vertreter in dieser Funktion versagt. Human Rights Watch ruft die UN auf, eine ernsthafte und unabhängige Untersuchung des Verhaltens der Ermittlungsrichter zu veranlassen und alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, damit die Fälle 003 und 004 nicht ohne ordnungsgemäße Ermittlungen abgeschlossen werden.

Das Abkommen zwischen der UN und Kambodscha, in dem eine Strafverfolgung der „Hauptverantwortlichen“ für die Verbrechen der Roten Khmer gefordert wird, zielt in seinen Formulierungen ausdrücklich auf die Art von Personen, die in den Fällen 003 und 004 angeklagt sind. Sollte das Gericht nur gegen die oberste Führungsspitze der Roten Khmer ermitteln, könnten Massenmörder aus niedrigeren Rängen weiter in Freiheit leben – häufig sogar in den gleichen Dörfern wie die Angehörigen ihrer Opfer.

„Die UN steckt den Kopf in den Sand, wenn sie auf die zahlreichen, ernstzunehmenden Vorwürfe über richterliches Fehlverhalten nicht reagiert“, so Adams. „Wenn die UN nicht rasch dafür sorgt, dass diese Fälle vollständig untersucht werden, läuft sie Gefahr, die Glaubwürdigkeit des Tribunals endgültig zu verspielen.“

 

 

Im Folgenden finden Sie Details zu den Versäumnissen der ECCC in den Rote Khmer-Prozessen Nr. 003 und 004 sowie Zusammenfassungen der Anklagepunkte in diesen Fällen.

Mangelhafte Untersuchung der Fälle 003 und 004

Die ECCC-Fälle 003 und 004 befassen sich nicht mit der obersten Führungsspitze der Roten Khmer, deren Mitglieder im Fall 002 angeklagt sind, sondern mit anderen Führungskräften, die ebenfalls zu den Hauptverantwortlichen für die Gräueltaten der Rote Khmer-Ära gehören. Im Jahr 2008 erhob der internationale Co-Ankläger im Fall 003 Anklage gegen den Luftwaffenkommandeur Sou Met und den Marinechef Meas Muth, denen er Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorwarf. In Fall 004 beschuldigte er drei Regionalbeamte der Roten Khmer, Aom An, Yim Tith und Im Chem der gleichen Verbrechen. Die Anklageschriften in den beiden Fällen umfassen mehr als 40 verschiedene Straftatbestände (s. Zusammenfassungen der Anklagen gegen die fünf Beschuldigten weiter unten)

Hun Sen hat sich in zahlreichen Erklärungen ablehnend über die Anklagen 003 und 004 geäußert. Schon 1999, noch vor der Einrichtung des Tribunals, erklärte er, er lehne es ab, gegen mehr als maximal vier bis fünf Mitglieder der Roten Khmer ein Verfahren zu eröffnen. Nach einem Treffen zwischen Hun Sen und UN-Generalsekretär Ban Ki-moon im Oktober 2010, sagte Außenminister Hor Namhong, der Premierminister habe „deutlich bekräftigt“, dass keine weiteren Verfahren zugelassen würden. Obwohl der Premierminister nicht berechtigt ist, eine solche Entscheidung für die Richter zu treffen, machten Hun Sen und andere Beamte durch entsprechende Anweisungen ihren Einfluss bei den kambodschanischen Mitarbeitern der ECCC geltend, so Human Rights Watch.

Die Entscheidung über die Aufnahme von Ermittlungen in den Fällen 003 und 004 war von Anfang an kontrovers. Der erste internationale Co-Ankläger Robert Petit kam nach einer Prüfung der Fälle zu der Einschätzung, es liege ausreichend Beweismaterial vor, um sie an die Untersuchungsrichter zu übergeben. Die kambodschanische Co-Anklägerin Chea Leang versuchte daraufhin – offenbar in einer politisch motivierten Entscheidung, welche die Haltung Hun Sens widerspiegelte, – die Einreichung der Anklagen zu blockieren. Leang behauptete, die Angeklagten entsprächen nicht der Definition von „Hauptverantwortlichen“ nach dem ECCC-Gesetz. Diese Einschätzung steht in klarem Widerspruch zum Urteil der Kammern im Fall „Duch“, den die Richter – obwohl er nicht zur obersten Führungsriege gehört hatte – wegen seiner direkten Beteiligung an den schwersten Gräueltaten als „Hauptverantwortlichen“ einstuften.

Die Vorverfahrenskammer der ECCC, der drei kambodschanische und zwei ausländische Richter angehören, beurteilte die Beweislage schließlich als ausreichend für eine Fortführung des Verfahrens. Während alle drei kambodschanischen Richter für eine Blockade des Falls stimmten, entschieden die beiden ausländischen Richter zugunsten einer Übergabe der Ermittlungen an die gemeinsamen Untersuchungsrichter. Die Bestimmungen der ECCC verlangen für die Abweisung einer Anklage eine 4:1-Supermajorität. Diese Regelung geht auf Bedenken der kambodschanischen Öffentlichkeit, der UN und der internationalen Geber zurück, die befürchteten, die Regierung könne den kambodschanischen Richtern politische Vorgaben machen. Da jedoch nur drei Richter gegen die Zulassung der Anklage stimmten, wurde er schließlich den Untersuchungsrichtern übergeben.

Am 7. September 2009 übergab der internationale Co-Ankläger die Fälle der fünf Beschuldigten an die gemeinsamen Untersuchungsrichter. Die „einleitenden Erklärungen“, in denen die Beweislage umrissen wird, umfassten bereits 200 Seiten sowie Tausende Seiten zusätzlicher, die Anklagen stützender Informationen. Dennoch scheint bis zum 29. April 2011, dem Tag, an dem die Untersuchungsrichter den Abschluss der Ermittlungen im Fall 003 bekanntgaben, keine ernstzunehmende Ermittlungsarbeit mehr stattgefunden zu haben. Die Untersuchungsrichter lieferten keine Erklärung für ihre Entscheidung und behaupteten vielmehr, sie müssten diese nicht begründen.

Eine Woche gab der führende Rote Khmer-Experte Stephen Heder in einem Schreiben an Richter Blunk schriftlich seinen Rücktritt von der Tätigkeit als Berater des Büros der gemeinsamen Untersuchungsrichter bekannt. Er begründete seinen Schritt unter anderem mit „der Entscheidung der Richter, die Untersuchung des Falls 003 zu beenden, ohne tatsächlich ermittelt zu haben, die ich und andere für unvernünftig halten“. Sämtliche UN-Rechtsexperten und andere UN-Mitarbeiter im Büro der Untersuchungsrichter reichten ebenfalls ihre Kündigung ein.

Am 9. Mai legte der internationale Co-Ankläger Andrew Cayley Berufung gegen die Entscheidung der Richter ein und beantragte offiziell weitere Ermittlungen. Cayley legte zudem einen Fahrplan für eine ernsthafte und effektive Untersuchung vor. Darin empfahl er den Richtern Bunleng und Blunk folgende Schritte:

  1. Vorladung und Befragung der in den einleitenden Erklärungen zur Prozessakte 003 genannten Verdächtigten sowie Benachrichtigung der Beschuldigten, dass gegen sie ermittelt wird;
  2. Befragung weiterer Personen, die als potentielle Zeugen benannt wurden;
  3. Befragung bzw. erneute Befragung von Zeugen, die in der Prozessakte 002 genannt sind, mit Schwerpunkt auf den spezifischen, in den einleitenden Erklärungen zur Prozessakte 003 enthaltenen Anschuldigungen;
  4. weitere Untersuchung der Tatorte (einschließlich Suche nach Massengräbern);
  5. Aufnahme zusätzlichen Beweismaterials in die Prozessakte, etwa durch Übernahme von Beweismitteln aus der Prozessakte 002; und
  6. weitere Untersuchung der Rolle der Beschuldigten im Fall 003 bei den ihnen angelasteten Straftaten, einschließlich der Überstellung von Gefangenen, die unter ihrer Befehlsgewalt standen, in das Verhörzentrum S-21, der Annahme von „Geständnissen“ von Gefangenen, die in S-21 ermordet wurden, und der Beteiligung an weiteren Festnahmen.

Auf die ursprüngliche Einreichung bei den Untersuchungsrichtern Bezug nehmend benannte Cayley mutmaßliche Tatorte und Vorfälle, darunter das von „Duch“ geleitete Folterzentrum S-21, die Baustelle des Flughafens Kampong Chhnang, wo es zum massenhaften und oft todbringenden Einsatz von Zwangsarbeitern gekommen sein soll, Säuberungsaktionen innerhalb der Roten Khmer und Vorstöße der Roten Khmer nach Vietnam. Cayley schlug zudem die Untersuchung weiterer Tatorte und Vorfälle vor, darunter:

  1. Das Sicherheitszentrum S-22 in der Nähe von Phnom Penh;
  2. Das Sicherheitszentrum Wat Eng Tea Nhien in der Provinz Kampong Som;
  3. Der Steinbruch und Stung Hav in Kampong Som, in dem angeblich Zwangsarbeit eingesetzt wurde;
  4. Die Festnahme ausländischer Staatsbürger an der kambodschanischen Küste, ihre unrechtmäßige Inhaftierung, Überstellung in das Verhörzentrum S-21 bzw. ihre Ermordung; und
  5. die in der Provinz Rattanakiri betriebenen Sicherheitszentren.

Zur Erläuterung seines Antrags schrieb Cayley:

„Der internationale Co-Ankläger wird diese Maßnahmen beantragen, da er der Ansicht ist, dass die in den einleitenden Erklärungen vorgebrachten Straftaten nicht vollständig untersucht wurden. Er [Cayley] ist nach den internen Bestimmungen und dem Gesetz über die ECCC gesetzlich verpflichtet alle angemessenen ermittlerischen Maßnahmen zu benennen und zu beantragen, die von den gemeinsamen Untersuchungsrichtern ergriffen werden sollten, bevor eine Entscheidung darüber getroffen wird, ob gegen bestimmte Personen Anklage erhoben und ein Verfahren eröffnet werden soll.“

Blunk und Bunleng reagierten nicht auf Cayleys Ausführungen. Sie wiesen seinen Antrag am 7. Juni ab und forderten ihn auf, diesen zurückzuziehen. In einem höchst ungewöhnlichen Schritt schlugen sie sogar vor, Cayley wegen Missachtung des Gerichts zu belangen – mit der fadenscheinigen Begründung, er habe mit seiner Zusammenfassung der notwendigen Schritte für eine ernsthafte Untersuchung Amtsgeheimnisse verletzt. Cayley weigerte sich dennoch, seinen Antrag zurückzuziehen.

Diese Versuche, den Ankläger zu zensieren und ihm mit rechtlichen Schritten zu drohen, zeigen wie weit die Richter Blunk und Bunleng zu gehen bereit sind, um eine Untersuchung der Fälle zu verhindern.

Vertreter des Gerichts, die von der Regierung berufen wurden, ließen sowohl privat als auch öffentlich keinen Zweifel daran, dass eine Fortführung der Fälle 003 und 004 nicht zugelassen würde. Am 17. März erklärte der stellvertretende nationale Co-Ankläger der ECCC Chan Dararasmey auf einer Pressekonferenz über Opfer-Partizipation bei den ECCC, es werde keine weiteren Untersuchungen geben. „Es wird keinen Fall 003 und 004 geben“, so Dararasmey.

Am 8. August gaben Blunk und Bunleng bekannt, sie hätten „ernsthafte Zweifel“ daran, dass gegen die Beschuldigten im Fall 004 ein Verfahren eröffnet werde, da keiner von ihnen als „Hauptverantwortlicher“ unter die Rechtsprechung des Gerichts falle. Die Grundlage dieser Zweifel ist unklar, da die ECCC in ihrem Urteil gegen „Duch“, bei dem es sich nicht um einen hochrangigen Rote Khmer-Funktionär handelte, klarstellten, dass der Begriff „Hauptverantwortliche“ auch Mitglieder der unteren Hierarchieebenen einschließt, wenn sie direkt an den schwersten Gräueltaten beteiligt waren. Ein endgültiger Einstellungsbefehl für den Fall 003 wird für die nahe Zukunft erwartet, obwohl – wie die weiter unten gegebenen Zusammenfassungen zeigen – die verfügbare Beweislast gegen die Beschuldigten in den Fällen 003 und 004 auf eine Beteiligung an Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit mit extrem hohen Opferzahlen hindeutet.

Sollten die Untersuchungsrichter in einem der Fälle einen Einstellungsbefehl erlassen, kann Cayley zwar bei der Vorverfahrenskammer in Berufung gehen, angesichts der Politisierung der ECCC ist jedoch zu erwarten, dass die Fälle abgewiesen werden, da bei Berufungsentscheidungen keine Super-Majorität notwendig ist und sich die kambodschanischen Richter mit ihrer 3:2-Mehrheit in der Kammer durchsetzen können. Die drei kambodschanischen Richter in aus fünf Richtern bestehenden Kammer haben sich seit der Einrichtung der ECCC stets streng an die offizielle Linie der Regierung gehalten.

Missachtung von Opfern und Nebenklägern

Human Rights Watch ist besorgt über die empörende Behandlung von Nebenklägern durch die gemeinsamen Untersuchungsrichter. Das ECCC-Gesetz enthält wegweisende Regelungen, die es den Opfern von Verbrechen der Roten Khmer erlauben, an den Verfahren teilzunehmen, um Beweise einzubringen, Ermittlungsschritte zu beantragen und Entschädigung zu beanspruchen. Die Untersuchungsrichter haben jedoch unverhohlen versucht, sämtliches durch Opfer-Partizipation hervorgebrachte Beweismaterial zu unterdrücken und so eine Einstellung des Verfahrens durchzusetzen. Zu diesem Zweck wiesen sie alle Anträge ziviler Kläger mit fadenscheinigen Begründungen ab, die sowohl dem kambodschanischen Recht als auch der internationalen Rechtsprechung, einschließlich der Urteile des ECCC in den Fällen 001 und 002, widersprechen.

Nach dem Erkenntnisstand von Human Rights Watch gaben die Untersuchungsrichter keinem einzigen der Hunderten Anträge von zivilen Klägern in den Fällen 003 und 004 statt. Damit verweigerten sie nicht nur den Opfern ihr Recht auf Partizipation und sondern behinderten auch die Ermittlungen. Die Richter wiesen mindestens drei Anträge von Personen ab, die als Opfer an den Verfahren teilnehmen wollten. Gegenüber einem der Antragssteller, einer kambodschanischen Frau, deren Ehemann von den Roten Khmer zur Zwangsarbeit gezwungen und später getötet wurde, erklärten die Richter, ihr angeblicher psychologischer Schaden sei „höchst wahrscheinlich nicht echt“. Sie definierten zudem die Voraussetzungen für „direkten“ Schaden so eng, dass alle Personen außer den Opfern selbst ausgeschlossen wurden und keiner der überlebenden Angehörigen Klage einreichen konnte.

Fehlende Reaktion der UN

Die Vereinten Nationen haben keine nennenswerten Maßnahmen ergriffen, um den Pflichtverletzungen der Untersuchungsrichter in den Fällen 003 und 004 zu begegnen. Dies ist besonders enttäuschend, wenn man bedenkt, dass die Einbeziehung der UN bei den ECCC die Grundlage für deren Erfolg bei der Strafverfolgung der Massenverbrechen der Roten Khmer bilden sollte. Im Jahr 2002 zogen sich der damalige UN-Generalsekretär Annan und der Leiter des UN-Büros für Rechtsangelegenheiten Hans Corell aus den Verhandlungen mit Kambodscha über die Einrichtung eines Rote Khmer-Tribunals zurück, da sie nach dem vorgesehenen Entwurf einen Mangel an Kompetenz, fehlende richterliche Unabhängigkeit und Korruption befürchteten. Die UN-Vertreter beharrten auf der Einsetzung eines einzigen unabhängigen, internationalen Anklägers anstelle mehrerer Co-Ankläger und einer mehrheitlichen Besetzung des Tribunals mit ausländischen Richtern, um es von der Einflussnahme durch die kambodschanische Regierung abzuschirmen.

Ungeachtet dessen, stimmte die UN-Vollversammlung auf Dringen Japans, Australiens, Frankreichs und der USA einer Resolution zu, die den Generalsekretär zum Abschluss eines Abkommens mit der kambodschanischen Regierung aufforderte. Die Konsequenz war die Einrichtung der ECCC in ihrer heutigen Form mit Co-Anklägern, einer Mehrheit von kambodschanischen Richtern und eine Super-Majoritäts-Formel zur Beilegung von Streitigkeiten. Annan fügte sich zwar, fällte jedoch ein vernichtendes Urteil über die Struktur des Tribunals und die Rolle internationaler Geberstaaten bei der Untergrabung internationaler Standards. In einem Bericht an die UN-Vollversammlung vom 31. März 2003 erklärte er:

„Ich kann nur an die Berichte meines Sonderberichterstatters für Menschenrechte in Kambodscha erinnern, der bei den kambodschanischen Gerichten durchweg auf eine geringe Achtung für die grundlegendsten Merkmale des Rechts auf ein faires Gerichtsverfahren gestoßen ist. Infolgedessen trage ich die Sorge, dass diese wichtigen Regelungen in dem Vertragsentwurf, von den Außerordentlichen Kammern nicht vollständig respektiert werden und dass etablierte internationale Justiz-, Fairness- und Verfahrensrechtsstandards deshalb nicht gesichert sind. Desweiteren hätte ich es, angesichts der eindeutigen Erkenntnis der Vollversammlung […], dass es fortdauernde Probleme im Hinblick auf die Rechtsstaatlichkeit und das Funktionieren der Justiz in Kambodscha gibt, die aus der Einmischung der Exekutive in die Unabhängigkeit der Judikative resultieren, vorgezogen, wenn der Vertragsentwurf vorgesehen hätte, dass beide Außerordentlichen Kammern mehrheitlich aus internationalen Richtern bestehen.“

Die Beteiligung und Kontrolle durch die UN wird, aufgrund ihrer Fähigkeit dem Prozess Professionalität und Unabhängigkeit zu verleihen, als entscheidende Voraussetzung betrachtet, um die ECCC zu einem fairen und kompetenten Tribunal zu machen. An dieser Annahme sind nun Zweifel angebracht.

Annan erkennt schon in seinem Bericht aus dem Jahr 2003, dass das Tribunal bei der Gewährleistung einer fairen Rechtsprechung vor großen Schwierigkeiten stehen würde, und legt bereits nahe, dass die UN sich möglicherweise eines Tages aus den ECCC zurückziehen müssten:

„Jede Abweichung der Regierung von den angenommenen Verpflichtungen könnte dazu führen, dass die Vereinten Nationen dem Prozess ihre Zusammenarbeit und Unterstützung entziehen müssten.“

Im Gegensatz zu ihren Vorgängern haben der amtierende Generalsekretär Ban Ki-moon und die Vertreter des UN-Büros für Rechtsangelegenheiten nur eine geringe Bereitschaft gezeigt, die ECCC zur Einhaltung ihrer Verpflichtungen nach kambodschanischem und internationalem Recht anzuhalten. Trotz wiederholter Hinweise von ECCC-Mitarbeitern, Human Rights Watch und andere NGOs zeigten die UN-Vertreter sich nicht willens, eine glaubwürdige Untersuchung zu veranlassen, um zu gewährleisten, dass der von der UN ernannte Richter Blunk seine richterlichen Pflichten ordnungsgemäß erfüllt. Obwohl die UN bereits zwei Ermittlungsmissionen nach Phnom Penh entsandt hat, ließ sie bislang keine konkreten Schritte folgen.

Statt aktiv für den Schutz der ECCC einzutreten veröffentlichte der Generalsekretär am 14. Juni eine Erklärung, in der er eine Verantwortung der UN für den ECCC-Skandal abstreitet. In der Erklärung heißt es:

„Die Bekanntmachung der gemeinsamen Untersuchungsrichter vom 29. April 2011, wonach diese entschieden haben, ihre Untersuchung im Fall 003 abzuschießen, ist ein prozeduraler Zwischenschritt. Fragen hinsichtlich dieser Entscheidung werden Gegenstand weiterer Prüfung durch die gemeinsamen Untersuchungsrichter, die Co-Ankläger und die Vorverfahrenskammer sein. Jedes andere von den gemeinsamen Untersuchungsrichtern eingeleitete Verfahren wird zudem dem unabhängigen Rechtsprozess unterworfen.“

Die Erklärung des Generalsekretärs übergeht die lange zurückreichende, unverhohlene Einmischung der kambodschanischen Regierung bei den ECCC und das Stillschweigen der gemeinsamen Untersuchungsrichter bezüglich dieser Einmischung.

Zusammenfassung der Fälle 003 und 004

Die Informationen in diesem Abschnitt stammen hauptsächlich aus den öffentlich zugänglichen Akten zu den Fällen 003 und 004. Zusätzlich wurde Material aus öffentlichen und privaten Quellen, einschließlich Human Rights Watch-Recherchen, herangezogen. Aus den in diesen Zusammenfassungen erhobenen Anschuldigungen wird deutlich, dass alle Beschuldigten in die Kategorie der „Hauptverantwortlichen“ im Sinne des ECCC-Statuts fallen.

Sou Met, alias Sou Samet, Beschuldigter im Fall 003

Der internationale Co-Ankläger wirft Sou Met Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen vor.

Met, der Sohn eines Ende der 1960er Jahre gestorbenen Rote Khmer-Führers, zählt zu den Veteranen in der Bewegung. Während des Bürgerkriegs zwischen den Roten Khmer und der Khmer-Republik in den Jahren 1970-75 war Met leitender Kader der Südwestzonen-Division 1, die in den Provinzen Kampong Chhnang und Kampong Speu kämpfte. Teile der Division bzw. andere Einheiten unter ihrem Kommando waren an der Einnahme von Phnom Penh und der Provinzhauptstadt Kampong Chhnang am 17. April 1975, der Zwangsumsiedlung von Stadtbewohnern in den ländlichen Raum und der massenhaften außergerichtlichen Hinrichtung von Offizieren und Beamten der unterlegenen Khmer-Republik beteiligt.

Nach dem 17. April 1975 wurde Met Sekretär der 502. Division, einer der Zentrumsdivisionen der Roten Khmer zu der auch die neu geschaffene Luftwaffe und zugeordnete Spezialeinheiten gehörten. Die Einheit hatte ihr Hauptquartier am Pochentong-Flughafen in Phnom Penh. Met war zudem Assistent beim Zentralkomitee. Die 502. Division unterstand dem Generalstab und dem Militärkomitee der Roten Khmer, denen wiederum Son Sen, ein Mitglied des ständigen Ausschusses, bzw. der Parteisekretär Pol Pol (beide verstorben) vorstanden. Sie bestand aus mehreren Regimentern und anderen untergeordneten Einheiten und hatte eine Gesamtstärke von 5.000 bis 6.000 Kämpfern. Kontingente der Division wurden zu verschiedenen Zeiten in allen Teilen des Landes eingesetzt. Met durchlief eine politische Ausbildung auf der Ebene des Zentralkomitees.

Met besuchte häufig vom Generalstab anberaumte Treffen auf denen die Sekretäre anderer Zentrumsdivisionen und Militäreinheiten über die Aktivitäten ihrer Einheiten berichteten, Anweisungen von der Partei erhielten und Parteirichtlinien zustimmten. Bei den Treffen ging es insbesondere um Methoden und Praktiken der Roten Khmer zur Eliminierung ihrer angeblichen internen und externen Feinde, die als „nationale Verteidigungsarbeit“ bezeichnet wurden und die Exekution interner Feinde sowie grenzüberschreitende Angriffe auf Dörfer in Vietnam beinhalteten.

Met war bis zu seiner Beförderung und Übernahme zusätzlicher Verpflichtungen Ende 1978 direkt für die 502. Division verantwortlich. Anschließend wurde er Mitglied des Generalstabs, Berichten zufolge sogar als Stellvertreter des Vorsitzenden Son Sen. Zudem soll er auch eine formale Mitgliedschaft im Zentralkomitee erhalten und zumindest zeitweise ein wichtiges Feldkommando an der vietnamesisch-kambodschanischen Grenze übernommen haben.

Die 502. Division war – wie andere Militäreinheiten auf allen Hierarchieebenen und in allen Teilen des Landes – dafür verantwortlich, zumindest im Umkreis ihrer Einsatzorte für Sicherheit zu sorgen. Sie verhaftete gewöhnliche Menschen, die für verdächtig gehalten wurden, etwa in der Nähe des Pochentong-Flughafens, um sie anschließend zu verhören und gegebenenfalls zu exekutieren bzw. sie in das Verhörzentrum S-21 zu überstellen. Eine weitere zentrale Aufgabe der Einheit war es, mutmaßliche „Feinde“ in den eigenen Reihen zu identifizieren und sie entweder in das divisionseigene Sicherheitsbüro S-22 für Pochentong-Phnom Penh, an einen anderen Ort zum Verhör oder ins S-21 zu schicken. Als Einheit des zentralen Militärs arbeitete die 502. Division auch darüber hinaus mit dem S-21 zusammen, indem sie Kader und Soldaten der Division, welche als „Feinde“ identifiziert wurden, verhaftete. Diese Festnahmen, die im Jahr 1975 begannen und bis 1978 andauerten, verwickeln Met in die massenhafte Folter und Ermordung im S-21.

Die 502. Division war seit mindestens 1976 auch für die Beaufsichtigung eines Zwangsarbeitslagers in der Provinz Kampong Chhnang verantwortlich, wo ein strategisches Ersatz-Rollfeld gebaut wurde. Das Lager wurde jedoch in zunehmendem Maße als Umerziehungslager genutzt, in dem Militärs, die als „ungute Elemente“ aus ihren Einheiten entfernt wurden, und andere Personen, die für politisch problematisch befunden wurden, inhaftiert und bestraft wurden. Den größten Zuwachs erhielt das Arbeitslager in Kampong Chhnang im Jahr 1978 im Zusammenhang mit einer weitreichenden Säuberungsaktion innerhalb der Roten Khmer und ihrer Streitkräfte in der östlichen Zone. Während einige derer, die willkürlich zu schwerer Strafarbeit gezwungen wurden, schließlich für hinreichend rehabilitiert befunden wurden, um wieder ihren Einheiten zugewiesen zu werden, starben viele andere unter den äußerst unmenschlichen Bedingungen des Lagers, wurden vor Ort von Mitgliedern der 502. Division oder in deren Auftrag in zivilen Sicherheitsbüros in der Umgebung hingerichtet oder in das S-21 geschickt – entweder durch die Division selbst oder auf Anfrage des S-21. Von Ende 1978 bis Anfang 1979 kam es zu einem dramatischen Anstieg der Exekutionen, die vor Ort ausgeführt wurden.

Ende 1978 wurde der frisch beförderte Met schließlich in den 505. Gefechtssektor an der vietnamesischen Grenze entsandt, wo er angeblich an einer neuen Welle von Säuberungen innerhalb des vor stationierten zentralen Militärs und der lokalen Verwaltungskader beteiligt war. Einige der Opfer wurden in das S-21 geschickt, weil sie angeblich vietnamesische Vorstöße auf kambodschanisches Territorium zugelassen hatten.

Meas Muth, alias Achar Nen, Beschuldigter im Fall 003

Der internationale Co-Ankläger wirft Meas Muth Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen vor.

Muths Engagement in der kommunistischen Bewegung Kambodschas reicht bis spätestens in die 1960er Jahre zurück, während derer er einem revolutionären Netzwerk buddhistischer Mönche in Phnom Penh angehörte, deren Mitglieder mehrheitlich aus der Südwestzone stammten und Verbindungen zum späten Chhit Choeun, auch bekannt als Ta Mok, hatten. Mok hatte als Mönch in Phnom Penh gewirkt, bevor er sich in den 1940er Jahren der kommunistischen Bewegung anschloss. In den späten 1960er Jahren wurde er Sekretär der Südwestzone. Er gehörte zudem dem obersten Führungsorgan der Roten Khmer, dem Ständigen Ausschuss, an. Muth wurde schließlich stellvertretender Sekretär des Zentralkomitees der Roten Khmer und stieg damit an die dritthöchste Position in der Parteihierarchie auf.

Nach Ausbruch des Bürgerkriegs zwischen den Roten Khmer und der Khmer-Republik im Jahr 1970 wurde Muth Vize-Sekretär des 13. Sektors in der Südwestzone, in dem auch Moks Heimatprovinz Takeo lag. Zu dieser Zeit hatte Muth bereits Moks Tochter Khom geheiratet, die als Parteikader im Distrikt Tram Kak aktiv war. Im Jahr 1973 wurde Muth zum Sekretär der 3. Division in der Südwestzone ernannt, die in den Provinezen Takeo, Kampot und Kampong Speu gegen Truppen der Khmer-Republik kämpfte. Am 17. April 1975 marschierten einige Abteilungen der Division nach Phnom Penh ein, während andere auf die Hafenstadt Kampong Som vorrückten. Die 3. Division war an der Zwangsumsiedlung von Bewohnern beider Städte in den ländlichen Raum sowie an der massenhaften außergerichtlichen Hinrichtung von Offizieren und Beamten der unterlegenen Khmer-Republik beteiligt.

Nach dem 17. April 1975 wurde Muth Sekretär der 164. Zetrumsdivision, der die neu geschaffene Marine sowie zugeordnete Spezialeinheiten angehörten. Die Division hatte ihr Hauptquartier im Gebiet von Kampong Saom und unterhielt Stützpunkte an mehreren Häfen entlang der Küste und auf Inseln im Golf von Thailand. Muth war Befehlshaber über 8.000 bis 10.000 Soldaten. Er wurde zudem Sekretär der Stadtverwaltung von der Hafenstadt Kampong Saom, die nach der Zwangsvertreibung ihrer ursprünglichen Bewohner mit mehreren Tausend Hafenarbeitern und anderen zivilen Arbeitern, die den örtlichen Industriebetrieben zugewiesen waren, teilweise neu besiedelt wurde. Berichten zufolge soll Muth die Verantwortung für die neue Arbeiterbevölkerung zwar mit verschiedenen nationalen Ministerien geteilt, für die Sicherheit in Kampong Saom jedoch die Hauptverantwortung getragen haben. Angeblich war Muth außerdem für Teile des 37. Sektors der benachbarten westlichen Zone verantwortlich, in den viele ehemalige Bewohner von Kampong Saom als „neues Volk“ umgesiedelt wurden und wo die Lebensbedingungen zu den härtesten in ganz Kambodscha gehörten. Wie Sou Met war auch Muth Assistent beim Zentralkomitee.

Die 164. Division war dem Generalstab und dem Militärkomitee verantwortlich, die von Son Sen, einem Mitglied des Ständigen Ausschusses, bzw. dem Parteisekretär Pol Pot geleitet wurden. Muth durchlief eine politische Schulung auf der Ebene des Zentralkomitees. Er besuchte häufig vom Generalstab anberaumte Treffen, auf denen die Sekretäre anderer Zentrumsdivisionen und Militäreinheiten über die Aktivitäten ihrer Einheiten berichteten, Anweisungen von der Partei erhielten und Parteirichtlinien zustimmten. Bei den Treffen ging es insbesondere um Methoden und Praktiken der Roten Khmer zur Eliminierung ihrer mutmaßlichen internen und externen Feinde, die als „nationale Verteidigungsarbeit“ bezeichnet wurden und die Exekution interner Feinde sowie grenzüberschreitende Angriffe auf Dörfer in Vietnam beinhalteten.

Muth war bis zu seiner Beförderung und Übernahme weiterer Pflichten Ende 1978 direkt für die 164. Division verantwortlich. Anschließend wurde er Mitglied des Generalstabs und soll zudem eine formale Mitgliedschaft im Zentralkomitee erhalten haben. Darüber hinaus wurde ihm die volle militärische und politische Verfügungsgewalt über einen Teil der kambodschanisch-vietnamesischen Grenze (505. Sektor) sowie das Kommando über die dort stationierten Militäreinheiten übertragen.

Die 164. Division war – wie viele anderen Militäreinheiten auf allen Hierarchieebenen und in allen Teilen des Landes – dafür verantwortlich, zumindest im Umkreis ihrer Einsatzorte im Gebiet von Kampong Saom für Sicherheit zu sorgen. Sie verhaftete Arbeiter, die als „Feinde“ beschuldigt wurden, und nahm angeblich auch im benachbarten 37. Sektor gewöhnliche Menschen, die für verdächtig gehalten wurden, fest, um sie zu verhören und gegebenenfalls zu exekutieren oder um sie an örtliche Sicherheitsbüros zu übergeben. Nach einer Säuberungsaktion im Jahr 1977, die sich gegen gegen Rote Khmer richtete, die nicht der 164. Division angehörten, und an der auch Muth teilnahm, soll die Division sich zunehmend direkt für die „Sicherheit“ der Bevölkerung von Kampong Saom verantwortlich gezeigt haben. Zu ihren Hauptaufgaben gehörte auch das Aufspüren mutmaßlicher „Feinde“ in den eigenen Reihen und ihre Überstellung in das divisionseigene Sicherheitsbüro in Wat Entanhean, in das Zwangsarbeits- und Umerziehungslager in Stung Hav, in andere Strafanstalten unter der Kontrolle der Division oder in das Verhörzentrum S-21.

Muth und seine unmittelbaren Untergebenen sollen Hinrichtungen sowohl von Angehörigen der Division als auch gewöhnlichen Bürgern befohlen haben, ohne sich vorher an höhere Hierarchieebenen zu wenden. Aufgrund der menschenunwürdigen Bedingungen in Einrichtungen wie Stung Hav starben zahlreiche Arbeiter an Unterernährung und Krankheiten. Bei der Verhaftung von Divisionskadern und Soldaten, bei denen es sich nach Informationen aus dem S-21 um „Feinde“ handelte, arbeitete die 164. Division auch eng mit dem Verhörzentrum zusammen. Solche Verhaftungen begannen bereits 1976 und dauerten bis Ende 1978 an. Viele derer, die bei den frühen Säuberungsaktionen ins S-21 geschickt wurden, waren Kader und Kämpfer der 164. Division aus der Ostzone. Ab 1976 wurden Kader der 164. Division anderen zentralen Einheiten zugewiesen, um deren Säuberungen zu unterstützen oder beseitigte Kader zu ersetzen. Muth nahm auch an Treffen des Generalstabs teil, bei denen über Säuberungsaktionen in anderen Landesteilen gesprochen wurde.

Als oberste militärische Instanz der Roten Khmer bei den Marineoperationen nach dem 17. April 1975 war Muth direkt für die Abteilungen der 164. Division verantwortlich, die in weiten Teilen des Golf von Thailand patrouillierten. Dort stießen sie zwar gelegentlich mit Schiffen der vietnamesischen oder thailändischen Marine zusammen, griffen aber weitaus häufiger vietnamesische und thailändische Fischerboote oder Boote mit vietnamesischen Flüchtlingen an, die versuchten ins Ausland zu gelangen. Bei diesen Angriffen wurden thailändische und vietnamesische Zivilisten getötet. Gefangen genommene vietnamesische Soldaten und Zivilisten wurden zur Hinrichtung ins S-21 gebracht, vor allem nach Angriffen der Roten Khmer in Vietnam. Auch eine geringe Anzahl thailändischer und westlicher Staatsbürger, die von der 164. Division vor der Küste aufgegriffen wurden, wurden im S-21 getötet.

Ende 1978 führte Muth mit Autorisierung des Zentralkomitees und des Generalstabs eine Säuberungsaktion in den Reihen der örtlichen Roten Khmer und in der lokalen Bevölkerung durch. Die Opfer wurden teilweise ins S-21 gebracht, teilweise vor Ort hingerichtet. Frei gewordene Posten im 505. Sektor und in den zentralen Divisionen, die in seinem Befehlsgebiet stationiert waren, besetzte Muth mit neuen Kadern.

Aom An, alias Tho An, Beschuldigter im Fall 004

Der internationale Co-Ankläger wirft Aom An Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor.

An schloss sich den Roten Khmer an, nachdem er als buddhistischer Mönch in einer Pagode in der Südwestzone gewirkt hatte, die unter dem Einfluss der Bewegung stand. Nach dem Sieg der Roten Khmer am 17. April 1975 wurde An zum Sekretär des Distrikts Kandal Steung im 25. Sektor der Südwestzone ernannt und unterstand damit dem Zonensekretär Mok. Der 25. Sektor bestand aus Gebieten südlich und östlich von Phnom Penh deren Einwohner nach dem 17. April in Gebiete zwangsumgesiedelt wurden, die bereits unter der Kontrolle der Roten Khmer gestanden hatten.

Anfangs wurde ein großer Teil der Bevölkerung von Phnom Penh als „neues Volk“ nach Kandal Steung und in andere Distrikte des 25. Sektors umgesiedelt, wo viele als Offiziere oder Bemte der Khmer-Republik beschuldigt und in lokalen Sicherheitsbüros exekutiert wurden. Viele andere wurden unmenschlichen Bedingungen und Zwangsarbeit unterworfen und starben an Unterernährung und Krankheiten. Ein großer Teil dieses „neuen Volkes“ und der anderen Bewohner des 25. Sektors wurden Ende 1975 Opfer einer weiteren Welle von Zwangsumsiedlungen, in deren Rahmen sie in großen Zahlen und unter menschenunwürdigen Bedingungen in entlegene Landesteile geschickt wurden. Ein erheblicher Teil der Betroffenen starb bereits auf dem Weg dorthin oder kurz nach der Ankunft.

Im Jahr 1976 wurde An in den 35. Sektor verlegt, wo er als Mitglied des Sektorkomitees tätig war. In dieser Eigenschaft oblag ihm die Aufsicht über die Zwangsarbeit, einschließlich des Baus von Bewässerungsanlagen und anderen Anlagen zur Wasserversorgung auf sektoraler Ebene und in den Distrikten, wo die unmenschlichen Arbeitsbedingungen zu zahllosen Todesopfern durch Hunger und Krankheiten führten. An soll zudem gemeinsam mit anderen Funktionären im 35. Sektor die Befehlsgewalt über die Sektoralen Sicherheitsbüros, die zahlreichen Distrikts-Sicherheitsbüros und kleinere Hafteinrichtungen gehabt haben, die wie ihre Pendants in anderen Teilen Kambodschas für außergerichtliche Hinrichtungen in großem Umfang und für die Folter und unmenschliche Behandlung von Personen verantwortlich waren, die als „Verräter“, „Feinde“ oder „ungute Elemente“ beschuldigt und willkürlich festgenommen wurden.

Während den man den meisten Personen, die zu dieser Zeit im 35. Sektor Opfer der Säuberungen wurden, vorwarf, politische, soziale oder familiäre Verbindungen zur unterlegenen Khmer-Republik zu unterhalten, gerieten ab 1976 auch Personen aus den Reihen der Roten Khmer, ihrer Lokalverwaltung und ihrer Streitkräfte ins Visier der Säuberungen. Sie wurden wegen mutmaßlicher Verbindungen zur Khmer-Republik, angeblicher Kontakte nach Vietnam oder wegen nicht belegter „verräterischer Tendenzen“ durch die Distrikts-, Sektor- oder Zonenbehörden inhaftiert. Zu den Opfern gehörten auch Mitglieder der örtlichen Cham-Bevölkerung, einer islamischen Minderheit, die ebenfalls zum Ziel der Repression wurde, insbesondere nachdem sie sich mit Aufständen gegen die Verfolgung zur Wehr gesetzt hatte.

Irgendwann zwischen März und Mai 1977 wurde An versetzt und erhielt eine bedeutende Beförderung. Er wurde Sekretär der 41. Sektors in der Nordzone (später Zentralzone). Unter Ke Pork, einem Mitglied des Zentralkomitees der Roten Khmer wurde er zudem zum Vize-Sekretär der gesamten Zone ernannt. In dieser Eigenschaft soll An dem Zonensekretär Pork auch ins Zentralkomitee – das nach dem Ständigen Ausschuss zweithöchste Führungsorgan der Roten Khmer mit landesweiter Befehlsgewalt – gefolgt sein. Das Komitee trat in der Regel mindestens halbjährlich in Phnom Penh zusammen, um dem Ständigen Ausschuss Bericht zu erstatten und dessen Anweisungen entgegenzunehmen.

Als an im 41. Sektor ankam, war dort bereit seine umfangreiche Säuberungsaktion in den Reihen der Roten Khmer im Gange. Auch die Säuberungen unter den Angehörigen des „neuen Volks“, das aus ehemaligen Gebieten der Khmer-Republik umgesiedelt worden war, und innerhalb des alteingesessenen „Veteranenvolks“ nahmen dramatisch zu. All dies geschah auf Befehl des Ständigen Ausschusses unter der Kontrolle von Pork und unter maßgeblicher Beteiligung von An. Zeugenaussagen zufolge, soll An persönlich Anordnungen zur Aufspürung mutmaßlicher „Feinde“ und ähnlicher Elemente gegeben haben.

Viele Opfer der innerparteilichen Säuberungen in der Nord-/Zentralzone wurden in das Gefängnis S-21 in Phnom Penh gebracht, wo sie unter Folter verhört und anschließend exekutiert wurden. Niederrangige Rote Khmer-Kader, „neues Volk“ und Angehörige der lokalen Bevölkerung wurden standrechtlich hingerichtet oder auf unbestimmte Zeit und unter äußerst unmenschlichen Bedingungen vor Ort inhaftiert, zumeist in Distrikts- oder sektoralen Sicherheitsbüros im 41. Sektor und anderswo. Als Sekretär des 41. Sektors hatte An die direkte Befehlsgewalt über die dem Sektor untergeordneten Distrikte und untergeordnete administrative Ebenen. In den Gebieten unter seiner Führung, wurden der Bevölkerung immer unmenschlicherer Praktiken aufgezwungen. Als stellvertretender Zonensekretär war er zumindest mitverantwortlich für die außerhalb des 41. Sektors gelegenen Teile der Zone.

An verwaltete auch den Distrikt Kang Meas, wo in der zweiten Hälfte des Jahres 1977 angeblich der Völkermord an den Cham begann, der sich im folgenden Jahr auf das ganze Land ausweitete. An war auch in die allgemeine Eskalation der Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Zentralzone und im 41. Sektor verwickelt, der im Jahr 1978 Menschen aus allen Bevölkerungsteilen, einschließlich Mitglieder der Roten Khmer, zum Opfer fielen. Als stellvertretender Zonensekretär war An auch für die wichtigste Zwangsarbeitsstätte der Zone verantwortlich, die Baustelle des „Erster-Januar-Staudamms“ und angeschlossener Bewässerungsanlagen, einem Projekt zur Wasserversorgung der Sektoren 42 und 43. Das Projekt war zwar vor seinem Amtsantritt begonnen worden, wurde jedoch erst unter seiner Führung fertiggestellt. An den Arbeitsstätten wurden zahllose Arbeiter außergerichtlich hingerichtet oder starben an Hunger und Krankheiten.

Yim Tith, Beschuldigter im Fall 004

Der internationale Co-Ankläger beschuldigt Yim Tith wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Tith stammt aus dem Distrikt Tram Kak in der Provinz Takeo. Nachdem er zuerst in Takeo, dann in Phnom Penh als buddhistischer Mönch wirkte, engagierte er sich mindestens seit den 1960er Jahren in der kommunistischen Bewegung. Er heiratete schließlich eine Schwester von Mok. Während des Bürgerkriegs zwischen den Roten Khmer und der Khmer-Republik in den Jahren 1970-75 wurde Tith leitender Kader im Distrikt Kirivong im 13. Sektor der Südwestzone, wo Mok seine Machtbasis hatte. Am 17. April 1975 war Tith bereits zum Parteisekretär für den Distrik Kirivong an der Grenze zu Vietnam aufgestiegen. Zu einem gewissen Zeitpunkt soll Tith zumindest Mitglied des Sektorkomitees im 13. Sektor gewesen sein, was ihm eine gewisse Verantwortung für den gesamten Sektor verliehen hätte.

Als Parteisekretär für Kirivong hatte Tith die direkte Hoheitsgewalt über die Bevölkerung des Distrikts, zu der ab April 1975 auch das aus ehemals von der Khmer-Republik kontrollierten Gebieten zwangsumgesiedelte „neue Volk“ gehörte. Tith unterstanden zudem ein Distrikts-Sicherheitsbüro, das sich schließlich in War Pratheat befand, und untergeordnete Sicherheitsoperationen zur Aufspürung und Hinrichtung ehemaliger Offiziere und Beamter der Khmer-Republik sowie Einheimischer, die für „Verräter“ oder „Feinde gehalten wurden. „Neues Volk“, Einheimische, die beschuldigt wurden, „ungute Elemente“ zu sein oder unerwünschte politische „Tendenzen“ zu haben, und andere Personen wurden festgenommen, in Sicherheitsbüros oder Hafteinrichtungen im gesamten Distrikt inhaftiert und durch schwere Zwangsarbeit „umerzogen“. Viele von ihnen starben. Tith überwachte auch die Distriktsverwaltung von Kirivong, die für unmenschliche Lebensbedingungen und zahllose Todesopfer verantwortlich war.

Mitte 1978 wurde Tith befördert und in die Nordwestzone versetzt, wo er Sekretär des 1. Sektors wurde. Er wurde zudem ein wichtiges Mitglied des Zonenkomitees, in dem Mok in Konkurrenz zu seinen vielen anderen Führungspositionen und nach einer langen Serie blutiger Säuberungen, die praktisch alle ursprünglichen Kader in der Nordwestzone beseitigt hatten, als Sekretär den Vorsitz hielt. Tith hatte zumindest den 1. Sektor sowie dessen untergeordnete Distrikte und Einheiten unter seiner direkten Kontrolle. Man geht davon aus, dass darüber hinaus zumindest bestimmte Gebiete im Nordwesten unter seinem Befehl standen. Tith soll den Abschluss einer Säuberungsaktion alteingesessener lokaler Kader überwacht haben und die „Reinigung“ der Bevölkerung als Ganzes stark ausgeweitet haben. Infolgedessen wurden unzählige Menschen zur Exekution in die Sicherheitsbüros der Distrikte oder des Sektors gebracht oder an anderen Ort getötet.

Bestimmte Gruppen, insbesondere die Minderheit der Khmer Krom und die verbleibende vietnamesische bzw. als vietnamesisch wahrgenommene Bevölkerung, sollten offenbar vollständig eliminiert werden. Auch Personen, die in Verbindung mit den Säuberungen Mitte 1978 aus der Ostzone zwangsumgesiedelt wurden, wurden in großer Anzahl ermordet. Die Lebensbedingungen im Nordwesten verschlechterten sich immer weiter und führten zu einem steilen Anstieg der Opferzahlen, die auf Unterernährung und Krankheit zurückzuführen waren.

Im Chem, alias Srei Chem, Beschuldigte in Fall 004

Der internationale Co-Ankläger wirft Im Chem Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor.

Chem stammt aus Moks Heimatdistrikt Tram Kak im 13. Sektor der Südwestzone. Ihre Familie engagierte sich spätestens seit den 1960er in der kommunistischen Bewegung Kambodschas. Seit Ausbruch des Bürgerkriegs 1970 war sie als Kader in der Bewegung aktiv.

Im Jahr 1976 zog Chem als Vertreterin der Kleinbauern in der Südwestzone in die von den Roten Khmer zusammengestellte Volksversammlung ein, während ihr Ehemann Nop Nhen Sekretär eines Distrikts in der Zone wurde. Mitte 1977 wurden Chem und Nhen in den 5. Sektor in der Nordwestzone versetzt, wo Chem Sekretärin des Distrikts Preah Net Preah und Nhen Sekretär des Distrikts Sisophon wurde. Chem behielt diesen Posten bis Ende 1978.

Die Versetzung Chems und ihres Ehemannes in die Nordwestzone fiel mit dem Beginn einer ausufernden Säuberungswelle innerhalb der ursprünglichen Rote Khmer-Kader in der Region sowie mit der Ankunft zahlreicher Rote Khmer-Beamter aus anderen Regionen zusammen, die beseitigte Kader ersetzen sollten. Chem und andere neue Kader waren angeblich an weiteren Säuberungen Anfang 1979 beteiligt.

Die Opfer der Säuberungen im Distrikt Preah Net Preah und in benachbarten Teilen des 5. Sektors wurden – nachdem Chem ihre Führungsposition eingenommen hatte – zum Teil zur außergerichtlichen Hinrichtung in das S-21-Zentrum gebracht, zum Teil vor Ort getötet oder zur Umerziehung und Zwangsarbeit inhaftiert, unter anderem in einer Reihe von Einrichtungen in Preah Net Preah, über die Chem die Aufsicht oder zumindest einen gewissen Einfluss hatte, etwa Phnom Trayoung. Die Säuberungen weiteten sich Mitte 1978 stark aus und eskalierten am Jahresende in blutigen Flügelkämpfen zwischen rivalisierenden Netzwerken innerhalb der Roten Khmer.

Chem soll zudem den Einsatz von Zwangsarbeit beim Bau von Wasserversorgungsanlagen in Verbindung mit dem Trapeang Thmar-Staudammprojekt im 5. Sektor überwacht haben. Die Bauarbeiten hatten zwar bereits vor ihrer Ankunft begonnen, wurden jedoch erst abgeschlossen, nachdem ihr die Verantwortung für den Distrikt Preah Net Preah übertragen wurde. Die äußerst rauen Bedingungen die den unter Chems Kontrolle stehenden Arbeitern zugemutet wurden, forderten zahlreiche Todesopfer. Manche Zwangsarbeiter wurden direkt an der Arbeitsstätte exekutiert, weil sie sich über die Arbeitsbedingungen beklagt hatten oder den Anforderungen nicht mehr gerecht wurden. Die allgemeinen Lebensbedingungen für die Bevölkerung von Preah Net Preah waren unter Chems Führung außerordentlich schlecht. Sie verschlechterten sich in vielen Teilen des Distrikts noch weiter und führten zu zahlreichen Todesfällen durch Hunger und Krankheit. Personen, die sich beklagten oder die für „faul“ befunden wurden, weil sie das geforderte Arbeitspensum nicht erfüllten, wurden in den im gesamten Distrikt verteilten Zwangsarbeits- und Umerziehungsstätten inhaftiert oder exekutiert.

Chem soll als sich die Herrschaft der Roten Khmer angesichts der Vorstöße des vietnamesischen Militärs Ende 1978/Anfang 1979 bereits im Zerfall befand eine Welle von Morden an Personen geleitet haben, denen regimekritische Ansichten unterstellt wurden. Während Chems gesamter Amtszeit als Sekretärin des Distrikts Preah Net Preah wurden Personen, denen Verbindungen zur unterlegenen Khmer-Republik nachgesagt wurden, Personen mit Kontakten zu „beseitigten“ lokalen Kadern und Personen, die für Vietnamesen gehalten wurden, Opfer von Exekutionen und Zwangsarbeit.

Kategorien: Menschenrechte

UN-Menschenrechtsrat: Jüngste Erfolge fortführen

Human Rights Watch: Vereinte Nationen - Di, 26.05.2020 - 21:51

(Genf, 22. September 2011) – Der UN-Menschenrechtsrat soll auf den Erfolgen der letzten Jahre aufbauen und seine Arbeit zu Menschenrechtsverletzungen weiter verbessern, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Seit Juli 2010 hat der Menschenrechtsrat internationale Untersuchungen in Libyen, Syrien und der Elfenbeinküste veranlasst, einen Experten zur Menschenrechtssituation im Iran ernannt und sich nach Jahren des Schweigens zu Menschenrechtsverletzungen in Weissrussland geäußert.

Der 69-seitige Bericht „Keeping the Momentum: One Year in the Life of the UN Human Rights Council” untersucht die Arbeit des Menschenrechtsrats von Juli 2010 bis Juni 2011. Zudem werden bemerkenswerte Erfolge im fünften Jahr seines Bestehens genannt.

„Der Menschenrechtsrat wird zunehmend seinem Mandat gerecht, indem er schnell auf Menschenrechtskrisen in Ländern wie Syrien und der Elfenbeinküste reagiert hat“, so Juliette de Rivero, Direktorin des Genfer-Büros von Human Rights Watch. „Die Herausforderung besteht nun darin, dass der Menschenrechtsrat diese positive Entwicklung fortführt und nicht wieder rückgängig macht.“

Der Bericht zeigt, wie einzelne Staaten, darunter Argentinien, Brasilien, Chile, die Malediven, Mexiko, die Vereinigten Staaten und Sambia, eine wichtige Rolle gespielt haben, um den Menschenrechtsrat voranzubringen. Zudem wird das Verhalten von Ländern wie China, Kuba, Ägypten, Pakistan und Russland untersucht, die oft versucht haben, diese positive Entwicklung zu behindern. Der Bericht zeigt auch die Mängel auf, einschließlich der unwirksamen und unverhältnismäßigen Behandlung von Menschenrechtsverletzungen in Israel und den besetzen palästinensischen Gebieten. Zudem hat der Menschenrechtsrat unangemessen auf Menschenrechtsverletzungen in anderen Regionen reagiert, die eine größere Beachtung erfordern, so etwa Afghanistan, Bahrain und Sri Lanka.

Die Arbeit des Menschenrechtsrats war dann erfolgreich, wenn Länder über Regionen hinweg zusammengearbeitet haben und dabei die Initiative ergriffen haben, um die Menschenrechte zu schützen. Dadurch wurde eine Polarisierung vermieden und der Menschenrechtsrat konnte sich auf die Lösung von Menschenrechtsfragen konzentrieren, anstatt sich mit rivalisierenden oder widersprechenden Positionen auseinanderzusetzen. Doch einige Länder haben sich dem Versuch widersetzt, den Menschenrechtsrat als eine Institution zu etablieren, die wirkungsvoll auf Menschenrechtsverletzungen in einzelnen Staaten reagiert. Manche Länder haben sich sogar kategorisch gegen Bemühungen gewandt, Menschenrechtsverletzungen auch dann zu behandeln, wenn die betroffenen Staaten sich widersetzen.

„Der Menschenrechtsrat hat schnell und wirkungsvoll auf mehrere Krisen im vergangenen Jahr reagiert“, so de Rivero. „Dies war ein weiter Weg. Dennoch hat er sich zur Menschrechtslage in vielen Teilen der Welt noch nicht geäußert, wo Menschenrechtsverletzungen ignoriert werden.“

Human Rights Watch fordert die Länder auf, die kürzlich in den Rat gewählt worden sind, wie Benin, Botswana, Costa Rica, Indien, Indonesien, Italien, Kuweit und Peru, diese Entwicklung zu unterstützen. Die neu gewählten Staaten werden mit darüber entscheiden, ob der Menschenrechtsrat den positiven Weg des letzen Jahres fortsetzt oder wieder in frühere Verhaltensmuster zurückfällt. Denn lange Zeit konnten Staaten, zu denen der Menschenrechtsrat arbeiten wollte, eine Entscheidung blockieren, unabhängig davon was dies für die Menschenrechtslage vor Ort bedeutete. Zugleich sollen aber die Länder, die zum Erfolg des Menschenrechtsrats im letzten Jahr beigetragen haben, sich weiter für Verbesserungen einsetzen, so Human Rights Watch.

„Die neuen Mitglieder des Menschenrechtsrats können eine entscheidende Rolle dabei spielen, welche Wirkung das Gremium hat“, so de Rivero. „Sie sollen sich auch mit den Ländern verbünden, die zu den jüngsten Erfolgen beigetragen haben, um diese fortzusetzen und vorhandene Problemen zu lösen.“

Der Bericht untersucht, wie der Menschenrechtsrat auf den jüngsten Erfolgen aufbauen kann, um die Opfer von Menschenrechtsverletzungen zu unterstützen. Der Menschenrechtsrat soll seinem Mandat gerecht werden: die Menschenrechte aller Menschen weltweit zu fördern und zu schützen.

Kategorien: Menschenrechte

Jan Egeland bei Human Rights Watch

Human Rights Watch: Vereinte Nationen - Di, 26.05.2020 - 21:51

(Brüssel, 2. September 2011) -- Jan Egeland, ehemaliger UN-Untergeneralsekretär für humanitäre Angelegenheiten und früherer Staatssekretär im norwegischen Außenministerium, ist seit August stellvertretender Executive Director und erster Europa-Direktor von Human Rights Watch.

Egelands Aufgabe wird es sein, die Arbeit von Human Rights Watch in Europa zu stärken, sich für den Schutz der Menschenrechte einzusetzen und europäische Regierungen und Institutionen auf Menschenrechtsverletzungen weltweit aufmerksam zu machen. Egeland gibt gleichzeitig seinen Posten als Direktor des Norwegischen Instituts für Internationale Angelegenheiten auf.

„Nach den verheerenden Terroranschlägen waren sich die norwegische Bevölkerung und die Regierung einig, dass ein aktiver Schutz der offenen Demokratie und des Rechtsstaats die beste Antwort auf den Terror sind“, so Egeland, der auch schon im Ferienlager von Utoya, einem der Schauplätze der Anschläge vom 22. Juli 2011, Vorträge gehalten hat. „Hoffentlich kann diese Reaktion Norwegens als Modell für andere Gesellschaften dienen. Human Rights Watch muss viel zu oft für den Schutz der Menschenrechte eintreten, wenn Staaten dem Terrorismus den 'Krieg' erklären.“

Als UN-Untergeneralsekretär für humanitäre Angelegenheiten von 2003 bis 2006 setze sich Egeland für die Reform des globalen Systems zur Reaktion auf humanitäre Krisen ein und koordinierte die internationale Antwort auf den Tsunami in Asien sowie die Krisen in Darfur, der Demokratischen Republik Kongo und im Libanon. Das Time Magazine nannte ihn einen der 100 „Menschen, die unsere Welt gestalten“.

Als stellvertretender norwegischer Außenminister war Egeland von 1990 bis 1997 in einer Reihe von Friedensprozessen aktiv. Er war an der norwegischen Vermittlung zwischen Israel und der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) wesentlich beteiligt, die 1993 in das Oslo-Abkommen mündete. Er leitete außerdem die norwegische Delegation der UN-Friedensgespräche, die zur Unterzeichnung eines Waffenstillstandsabkommens zwischen der Regierung von Guatemala und den Guerilleros der Unidad Revolucionaria Nacional Guatemalteca (URNG) 1996 in Oslo führten. Außerdem leitete er die Delegation Norwegens, als 1997 in Oslo der Ottawa-Vertrag zur Ächtung von Antipersonenminen erfolgreich verhandelt und unterzeichnet wurde.

Von 1999-2002 arbeitete er als Sondergesandter des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für Kolumbien. Egeland hatte zudem Funktionen beim Norwegischen Roten Kreuz, dem Henry-Dunant-Institut, der Norwegian Broadcasting Corporation und Amnesty International inne.

In Europa unterhält Human Rights Watch Büros in Brüssel, London, Paris, Berlin, Genf, Moskau, Zürich und Amsterdam.

Kategorien: Menschenrechte

ILO: Bahnbrechendes Abkommen zum Schutz von Hausangestellten

Human Rights Watch: Vereinte Nationen - Di, 26.05.2020 - 21:51

(Genf, 16. Juni 2011) – Die Internationale Arbeitsorganisation ILO hat ein neues, bahnbrechendes Abkommen verabschiedet, das Hausangestellten zentrale Arbeitnehmerrechte garantiert und damit Millionen von Menschen schützt, denen bislang grundlegende Rechtsgarantien vorenthalten wurden, so Human Rights Watch. Die Regierungen, Gewerkschaften und Arbeitgeberorganisationen, die in der ILO vertreten sind, stimmten mit überwältigender Mehrheit für das „Übereinkommen über menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte“, das zum ersten Mal globale Standards für die weltweit schätzungsweise 50 bis 100 Millionen, größtenteils weiblichen Hausangestellten setzt.

Die Mitglieder der ILO benötigten drei Jahre für die Ausarbeitung der Konvention, die der Benachteiligung von Hausangestellten entgegenwirken soll. Diesen werden routinemäßig Rechte vorenthalten, auf die andere Arbeitnehmer einen Anspruch haben, etwa wöchentliche arbeitsfreie Tage, Arbeitszeitbeschränkungen oder Mindestlöhne. Hausangestellte sind einem breiten Spektrum schwerer Menschenrechtsverletzungen und ausbeuterischer Methoden ausgesetzt, etwa extrem langen Arbeitszeiten ohne Pausen, der Einbehaltung von Lohn, körperlichem und sexuellem Missbrauch, Zwangsarbeit, Freiheitsberaubung durch Zwangsunterbringung und Menschenhandel.

„Begünstigt durch die verbreitete Diskriminierung von Frauen und den mangelhaften gesetzlichen Schutz hat der Missbrauch von Hausangestellten in allen Teilen der Welt stark zugenommen“, so Nisha Varia, Frauenrechtsexpertin von Human Rights Watch. „Durch das neue Abkommen werden Haushaltskräfte, Kinderbetreuer und Pflegekräfte endlich als Arbeitnehmer anerkannt, die Respekt und rechtliche Gleichstellung verdienen.“

Das Übereinkommen verpflichtet Regierungen, Hausangestellte im gleichen Maße wie andere Arbeitnehmer arbeitsrechtlich zu schützen. Dazu gehören Arbeitszeitbeschränkungen, Mindestlöhne, Überstundenvergütung, tägliche und wöchentliche Ruhezeiten, Sozialversicherung und Mutterschutz.
Während der zweijährigen Verhandlungsphase gab es hitzige Debatten über Fragen wie Arbeitszeiten, Hausangestellte, die an ihrem Arbeitsplatz wohnen, Sachentlohnung, etwa in Form von Unterbringung, sowie Kontrollen der Arbeitsbedingungen in Privathäusern.

Australien, Brasilien, Südafrika und die USA machten sich an vorderster Front für weitreichende Schutzbestimmungen stark. Sie erhielten dabei die Unterstützung vieler afrikanischer und lateinamerikanischer Regierungen. Die Europäische Union brachte die meisten Bedenken vor und sprach sich häufig für schwächere und flexiblere Regelungen aus.

Swasiland stimmte der Konvention als einziges Land nicht zu. El Salvador, Malaysia, Panama, Großbritannien, Singapur, Sudan, Tschechien und Thailand enthielten sich der Stimme.

Die Mitglieder des Golf-Kooperationsrats (Bahrain, Kuwait, Oman, Katar, Saudi Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate) wie auch Bangladesch, Indonesien und Indien revidierten ihre anfängliche Ablehnung eines rechtlich bindenden Übereinkommens und gaben der Konvention sowohl in der letzten Verhandlungsrunde als auch in der abschließenden Abstimmung ihre Unterstützung.

„In der heutigen Abstimmung wird ein neuer Konsens erkennbar. Regierungen können die Tatsache, dass Hausangestellte ihre Arbeit in Privathäusern verrichten, nicht mehr als Rechtfertigung heranziehen, um sich aus ihrer Verantwortung für den Schutz von Arbeitnehmerrechten zu stehlen“, so Jo Becker, Advocacy-Direktorin in der Kinderrechtsabteilung von Human Rights Watch. „Jede Regierung soll nun ihre nationale Gesetzgebung mit diesem wegweisenden Abkommen in Einklang bringen und es zügig ratifizieren.“

Der ILO zufolge sind 30 Prozent aller Hausangestellten weltweit Kinder. Viele nationale Gesetze über Kinderarbeit schließen häusliche Arbeit aus und lassen zu, dass Kinder schon in jungem Alter viele Stunden lang arbeiten. Durch die Trennung von ihren Familien und die vollständige Abhängigkeit von ihren Arbeitgebern sind Hausangestellte im Kindesalter besonders verwundbar.

Human Rights Watch-Recherchen über minderjährige Hausangestellte in El Salvador, Guinea, Indonesien, Marokko und Togo ergaben, dass manche Kinder bereits im Alter von sechs Jahren zu arbeiten beginnen und dies bis zu 16 Stunden pro Tag, sieben Tage pro Woche. Eine Untersuchung von Human Rights Watch in Indonesien zeigte, dass nur ein einziges der 45 befragten minderjährigen Hausangestellten eine Schule besuchte. Hausangestellte im Kindesalter sind darüber hinaus auch körperlicher und sexueller Gewalt schutzlos ausgeliefert.

Das neue ILO-Übereinkommen verpflichtet Regierungen, ein Mindestalter für häusliche Arbeit festzulegen und dafür zu sorgen, dass oberhalb dieser Altersgrenze die Schulbildung nicht durch die Erwerbsarbeit beeinträchtigt wird. Eine begleitende Empfehlung fordert Regierungen auf, die Arbeitszeiten für Hausangestellte im Kindesalter streng zu begrenzen und Tätigkeiten zu verbieten, welche die Gesundheit, Sicherheit oder Wertvorstellungen von Kindern gefährden.

„Millionen Mädchen nehmen eine Arbeit als Hausangestellte an, weil sie sich dadurch ein besseres Leben erhoffen. Tatsächlich opfern sie jedoch ihre Schulbildung und Zukunftschancen für geringe Löhne und lange Arbeitszeiten“, so Becker. „Die Konvention wird diesen Kindern eine echte Chance geben, die Schule abzuschließen und der Armut zu entfliehen.“

Migranten stellen einen zunehmend großen Anteil der Hausangestellten. Ihre Einkünfte machen einen bedeutenden Teil der Überweisungen in Entwicklungsländer aus, die sich insgesamt auf mehrere Milliarden US-Dollar pro Jahr belaufen. Aufgrund überzogener Gebühren für die Arbeitsvermittlung, der Konfiszierung von Ausweisen durch den Arbeitgeber, nationaler Richtlinien, die den Aufenthaltsstatus vom Arbeitgeber abhängig machen, sowie Sprachbarrieren ist das Risiko der Ausbeutung für Migranten, die als Hausangestellte arbeiten, besonders hoch.

In ganz Asien und im gesamten Nahen Osten werden Arbeitsvermittlungsagenturen nur unzureichend staatlich kontrolliert. Die Arbeitsvermittler bürden Hausangestellten häufig eine hohe Schuldenlast auf oder informieren irreführend über angebotene Stellen. Menschenrechtsverletzungen in der Personalbeschaffung, die Isolation von Hausangestellten in Privathäusern sowie unzureichende Arbeits- und Einwanderungsgesetze tragen erheblich zu Zwangsarbeit, Menschenhandel und häuslicher Sklaverei bei. Obwohl der Strom von Hausangestellten mittlerweile Millionen von Menschen umfasst und vor kaum einer Grenze Halt macht, ist die internationale Zusammenarbeit auf diesem Gebiet bislang zaghaft und sporadisch.

Das neue Abkommen gibt den Regierungen detaillierte Empfehlungen, wie sie private Arbeitsagenturen regulieren, Beschwerden untersuchen und die Praxis, Vermittlungsgebühren vom Lohn der Hausangestellten abzuziehen, verbieten können. Die Konvention verlangt zudem, dass Migranten, die als Hausangestellte arbeiten, einen schriftlichen Arbeitsvertrag erhalten, der im Land ihrer Beschäftigung einklagbar ist. Abschließend fordert das Übereinkommen auch eine Stärkung der internationalen Zusammenarbeit.

„In vielen Ländern suchen immer mehr Haushalte nach ausländischen Hausangestellten, die sich um Kinder und Senioren kümmern“, so Varia. „Die neuen ILO-Standards stellen eine hervorragende Ausgangsbasis dar, um der Arbeit von Hausangestellten mehr Anerkennung zu verschaffen und Systeme einzurichten, die nicht nur auf Verstöße reagieren, sondern sie von vornherein verhindern.“

Von den 475 Stimmen, die von Regierungen, Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen abgegeben wurden, sprachen sich 396 für und 16 gegen die Konvention aus. 63 Delegierte enthielten sich.

Kategorien: Menschenrechte

KiK hinkt in Sachen Transparenz hinterher

Human Rights Watch: Wirtschaft - Mo, 25.05.2020 - 19:50

Das Unternehmen KiK steht alleine im Abseits. Alle anderen Bekleidungsfirmen informieren inzwischen über ihre Lieferketten. Der Gastbeitrag.

Immer mehr Bekleidungsfirmen in Deutschland veröffentlichen Informationen zu ihren Produktionsstätten. Leider hinkt KiK in Sachen Transparenz hinterher und hat sich anderen Unternehmen noch nicht angeschlossen.

Transparenz in der Bekleidungsindustrie ist wichtig, wenn es darum geht, in welchen Fabriken die Unternehmen ihre Kleidung produzieren lassen. Wenn die Label die Namen und wichtige Informationen zu ihren Produktionsstätten veröffentlichen, können Arbeiter und Arbeitsrechtler sie schnell über unsichere Arbeitsbedingungen oder über Arbeitsrechtsverletzungen informieren. Dies kann helfen, tödliche Unglücke zu verhindern.

Transparenz in der Bekleidungsindustrie ist wichtig

Viele Bekleidungsfirmen verstehen das. Seit Oktober 2016 hat sich eine internationale Koalition von neun Menschenrechtsgruppen und Gewerkschaften, darunter auch Human Rights Watch, im Rahmen des Transparency Pledge für ein Mindestmaß an Transparenz bei der Lieferkette in der Textilbranche eingesetzt. Zu diesem Bündnis gehören verschiedene Einrichtungen, darunter die deutsche Regierung, Schuh- und Bekleidungsfirmen, Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften.

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Eine Textilarbeiterin näht Kleidung in einem Gebäude in der Nähe der eingestürzten Rana Plaza-Fabrik.

© 2014 G.M.B. Akash/Panos

Diese Koalition schrieb führende Bekleidungsfirmen an, die in Deutschland Mitglied des Bündnisses für nachhaltige Textilien sind, und forderte sie auf, ihre Lieferketten offenzulegen. Zu diesem Bündnis gehören verschiedene Einrichtungen, darunter die deutsche Regierung, Schuh- und Bekleidungsfirmen, Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften.

Wenn es um die Transparenz bei der Lieferkette geht, dann steht KiK allein im Abseits. Alle anderen Bündnispartner, die wir angeschrieben haben, gaben positive Antworten. Aldi Nord, Aldi Süd, Lidl, Hugo Boss und Tchibo sind von ihrer ursprünglichen Position abgerückt und haben 2017 erstmals Informationen zu ihren Produktionsstätten veröffentlicht. Adidas, C&A, Esprit, und H&M – alles Firmen, die diese Informationen bereits veröffentlicht hatten – verpflichteten sich, die Offenlegung in Einklang mit dem Transparency Pledge zu bringen. Auch Puma sicherte zu, mehr Informationen zu Produktionsstätten zu veröffentlichen, als es dies derzeit schon tut. Diese Firmen zeigen, dass sie keinen Wettbewerbsnachteil durch die Veröffentlichung von Zulieferinformationen haben. In einem Brief von KiK an Human Rights Watch sagte das Unternehmen, dass KiK ein aktives Mitglied im Bündnis für nachhaltige Textilien sei und sich verpflichtet habe, die Ziele und Vorhaben des Bündnisses nach vollsten Kräften zu unterstützen. Die Frage, ob die weltweiten Lieferketten offengelegt werden, werde zurzeit im Bündnis diskutiert. Bislang sei jedoch noch keine verbindliche Entscheidung getroffen worden, so KiK.

KiK steht im Abseits

Den Unternehmen im Bündnis steht es jedoch frei, ihre Geschäftspraktiken zu verbessern, wenn sie dies möchten. Hierzu müssen sie nicht erst die Entscheidungen des Textilbündnisses abwarten. So macht der Leitfaden für die Erstellung der Roadmap 2017 den Mitgliedern klar, dass „es auch möglich ist, die Ziele frei zu formulieren, sofern der Zusammenhang zur Schlüsselfrage und den Indikatoren plausibel ist“. So haben andere Hersteller, die dem Bündnis angehören, Informationen zu ihren Produktionsstätten bereits auf ihren Websites veröffentlicht.

Das Bündnis vorzuschieben, um schlechte Entscheidungen zu rechtfertigen, dies wirft nicht nur ein schlechtes Licht auf KiK. Es setzt auch den Ruf des Bündnisses aufs Spiel. KiK sollte nicht länger nach Ausreden suchen, sondern für Transparenz sorgen.

KiK-Produktionsstätte in Pakistan

2012 tobte ein verheerendes Feuer in einer KiK-Produktionsstätte in Pakistan. 255 Arbeiter kamen ums Leben, weitere 57 wurden verletzt. Vergangenes Jahr stimmte KIK einem Entschädigungspaket von rund fünf Millionen US-Dollar für die Opfer zu. Finanzielle Entschädigungen nach einer solchen Katastrophe sind wichtig, und es ist lobend zu erwähnen, dass hier eine Einigung erzielt wurde.

Es ist jedoch ebenso wichtig, dass Firmen alles in ihrer Macht Stehende tun, um Probleme in ihren Produktionsstätten offenzulegen, bevor es zu solchen Unglücken kommt. Dies kann am besten erreicht werden, wenn Arbeiter, Verbraucher und eine breite Öffentlichkeit erfahren, für welche Marken eine bestimmte Fabrik Waren herstellt. Ohne dieses Wissen erfahren die Firmen unter Umständen erst von Menschenrechtsverletzungen am Arbeitsplatz, Problemen bei der Arbeitssicherheit und in anderen Bereichen, wenn es schon zu spät ist.

Wenn eine Firma sich für Arbeiterrechte starkmacht, dann muss sie für Transparenz in der Lieferkette sorgen. Auch KiK soll transparent sein und sich den anderen Mitgliedern des Bündnisses anschließen, die ihre Informationen offengelegt haben. Dann sollen alle einfordern, dass dieses Vorgehen obligatorischer Bestandteil der Roadmap für jedes Mitglied wird.

Kategorien: Menschenrechte

Afghanistan: Mädchen kämpfen um Bildung

Human Rights Watch: Kinderrechte - Mo, 25.05.2020 - 17:41
Oktober 17, 2017 Video Afghanistan: Girls Struggle for an Education

“By the time we walked to school, the school day would end.” – Najiba, 15, explaining why she and her eight siblings did not go to school in Daikundi, Mazar-i Sharif, July 2016.

(Kabul) – Die seit 2001 unternommenen Anstrengungen der afghanischen Regierung und der internationalen Geber, Mädchen den Zugang zu Bildung zu ermöglichen, haben in den letzten Jahren deutlich nachgelassen, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Sechzehn Jahre nachdem die Taliban durch eine US-geführte Militärintervention abgesetzt wurden, erhalten schätzungsweise zwei Drittel aller afghanischen Mädchen keine Schulbildung.

„Die afghanische Regierung und die Geber haben im Jahr 2001 großspurig versprochen, allen Mädchen eine Schulbildung zu geben. Doch Unsicherheit, Armut und Vertreibung zwingen heute viele Mädchen, der Schule fernzubleiben“, so Liesl Gerntholtz, Leiterin der Frauenrechtsabteilung von Human Rights Watch. „Die Regierung muss sich wieder darauf konzentrieren, allen Mädchen den Schulzugang zu ermöglichen, sonst könnten alle bisherigen Fortschritte verloren gehen.“

Der 132-seitige Bericht „I Won’t Be a Doctor, and One Day You’ll Be Sick: Girls’ Access to Education in Afghanistan” dokumentiert, wie sich im Zuge der Verschlechterung der Sicherheitslage viele internationale Geber von Afghanistan abwenden und so die Fortschritte beim Schulzugang für Mädchen zum Stillstand gekommen sind. Der Bericht stützt sich auf 249 Interviews, die in den Provinzen Kabul, Kandahar, Balkh und Nangarhar durchgeführt wurden. Befragt wurden vornehmlich Mädchen im Alter von 11 bis 18 Jahren, die ihre Schulbildung nicht abschließen konnten. The War for Girls' Education in Afghanistan

Families are fighting desperately to educate their daughters in the face of enormous obstacles. 

Special Feature

Das Thema Bildungschancen für Mädchen wird von den Gebern und der afghanischen Regierung häufig als Erfolgsgeschichte präsentiert. Tatsächlich gehen heute Millionen mehr Mädchen zur Schule als zur Zeit der Taliban. Doch das erklärte Ziel, alle Mädchen in die Schulen gehen zu lassen, ist noch weit von seiner Verwirklichung entfernt. Stattdessen sinkt der Anteil von Schülerinnen in einigen Landesteilen heute wieder. Nach Angaben der Regierung gehen 3,5 Millionen Kinder nicht zur Schule, 85 Prozent davon Mädchen. Nur 37 Prozent der weiblichen Jugendlichen können lesen und schreiben, gegenüber 66 Prozent bei ihren männlichen Altersgenossen.

Die afghanische Regierung betreibt weniger Schulen für Mädchen als für Jungen, sowohl Grundschulen als auch weiterführende Schulen. In der Hälfte der Provinzen sind weniger als 20 Prozent der Lehrkräfte weiblich – ein erhebliches Hindernis für die vielen Mädchen, deren Familien nicht zulassen, dass ihre Töchter von einem Mann unterrichtet werden, insbesondere im Jugendalter.

Viele Kinder leben zu weit von der nächstgelegenen Schule entfernt, was Mädchen in besonderem Maße trifft. Rund 41 Prozent der Schulen verfügen über keine festen Gebäude. Vielen Schulen fehlen Begrenzungsmauern, Wasseranschlüsse und Toiletten – auch dies betrifft Mädchen überproportional.

Die 15-jährige Kahater, die in der ländlichen Provinz Samangan aufgewachsen ist, sagte im Gespräch mit Human Rights Watch: „Es war sehr weit bis zur nächsten Mädchenschule – die war in einem anderen Dorf… Auf einem Esel oder Pferd würde man morgens bis mittags brauchen.“

Mädchen müssen zu Hause bleiben, weil in ihrem Umfeld diskriminierende Ansichten vorherrschen, die ihrer Erziehung keinen Wert bzw. keine Berechtigung zumessen. Ein Drittel aller Mädchen heiratet vor Erreichen des 18. Lebensjahrs. Sobald sie verlobt oder verheiratet sind, werden die Mädchen häufig gezwungen, die Schule abzubrechen.

Viele Familien kämpfen verzweifelt dafür, dass ihre Töchter trotz enormer Hindernisse eine Schulbildung erhalten. Sie verdienen Unterstützung. Human Rights Watch befragte Familien, die innerhalb einer Stadt oder innerhalb des Landes umgezogen waren, um eine Schule für ihre Töchter zu finden. Andere nahmen eine Trennung der Familie in Kauf, um den Mädchen den Schulbesuch zu ermöglichen. Manche Familien schickten ihre älteren Söhne auf die gefährliche Reise in den Iran, um dort illegal zu arbeiten und so die Schulgebühren für ihre jüngeren Schwestern zu bezahlen.

Nach afghanischem Recht ist die Schulbildung bis zur neunten Klasse verpflichtend. Dann sind die Kinder normalerweise etwa 14 Jahre alt. In der Praxis haben viele Kinder jedoch keinen Zugang zu einer Schulbildung bis zu dieser Stufe – oder überhaupt irgendeiner Schulbildung. Bürokratische Hürden und Korruption schaffen weitere Hindernisse, besonders für binnenvertriebene und sozial schwache Familien. Selbst wenn die Schulen gebührenfrei sind, entstehen durch den Schulbesuch der Kinder Kosten, so dass viele Familien es sich nicht leisten können, eines ihrer Kinder zur Schule zu schicken. Oft sorgen finanzielle Einschränkungen dafür, dass Söhne bevorzugt eingeschult werden. Etwa jedes vierte Kind in Afghanistan arbeitet, um seiner Familie trotz bitterer Armut ein Auskommen zu ermöglichen. Viele Mädchen weben, sticken, gehen betteln oder sammeln Müll, statt zur Schule zu gehen.

Die Taliban und andere aufständische Gruppen kontrollieren oder beanspruchen heute mehr als 40 Prozent der afghanischen Distrikte. Die Kämpfe zwischen Taliban und Regierungstruppen haben Tausende Familien gezwungen, ihre Häuser zurückzulassen. Mehr als eine Million Afghanen sind Binnenvertriebene. In vielen Gebieten, die unter der Kontrolle der Taliban stehen, ist der Schulbesuch für Mädchen verboten oder auf wenige Jahre begrenzt. In umkämpften Gebieten bedeutet der Schulbesuch ein erhöhtes Sicherheitsrisiko. Mit dem Konflikt einher geht Gesetzlosigkeit: So gibt es immer mehr Milizen und kriminelle Banden, und Mädchen sind von sexueller Belästigung, Entführungen, Säureangriffen sowie gezielten Angriffen auf ihre Schulbildung bedroht. In diesem Umfeld wird der Zugang zu Bildung zunehmend erschwert, was Mädchen überproportional trifft.

Internationale Geber haben in Kooperation mit der afghanischen Regierung innovative Modelle entwickelt, die es Mädchen erlauben sollen, trotz des eskalierenden Konflikts weiter zur Schule zu gehen. „Gemeinschaftsnahe Bildung“ besteht aus einem Netzwerk von Kursen, die oft in Privathäusern unterrichtet werden, was es vor allem Mädchen ermöglicht, auch fernab der staatlichen Schulen in ihrem sozialen Umfeld eine Schulbildung zu erhalten. Da diese speziellen Kurse jedoch ausschließlich von Gebern finanziert und von Nichtregierungsorganisationen umgesetzt werden, gibt es keine einheitliche Anbindung an das staatliche Schulsystem und der Unterricht findet wegen der unzuverlässigen Finanzierungszyklen der Nichtregierungsorganisationen nicht regelmäßig statt.

„Die Schulbildung vieler Mädchen könnte gerettet werden, indem man den gemeinschaftsnahen Unterricht in das staatliche Schulsystem integriert, nachhaltig finanziert und ihre Qualität kontrolliert“, so Gerntholtz.

Nach den internationalen Standards der UNESCO sollte die Regierung mindestens 15 bis 20 Prozent ihres Gesamtbudgets und 4 bis 6 Prozent des BIP für Bildung ausgeben. Die Vereinten Nationen fordern, dass die am wenigsten entwickelten Staaten, also auch Afghanistan, diese Spannen voll ausschöpfen oder sogar überschreiten.

Die afghanische Regierung sollte gemeinsam mit ihren internationalen Gebern den Schulzugang für Mädchen verbessern, indem sie Schulen und Schüler besser schützt sowie Bildungsmodelle, die Mädchen beim Lernen helfen, institutionalisiert und ausweitet. Sie sollten zudem konkrete Maßnahmen ergreifen, um Afghanistans internationale Verpflichtungen zu erfüllen und eine universelle, kostenlose, verpflichtende Grundschulbildung anzubieten sowie landesweit kostenlos eine weiterführende Schulbildung verfügbar zu machen. Sie sollten außerdem Angebote zur „fundamentalen Bildung“ für  Menschen, die keine Schulbildung erhalten haben oder die Grundschule nicht abschließen konnten, bewerben und ausbauen.

„Trotz der großen Probleme, mit denen Afghanistan konfrontiert ist, kann und sollte die Regierung darauf hinarbeiten, dass Mädchen und Jungen den gleichen Bildungszugang erhalten und die gemeinschaftsnahe Bildung ins staatliche Schulsystem integriert wird“, so Gerntholtz. „Die Geber sollen sich verpflichten, die Schulbildung für Mädchen langfristig zu unterstützen, und genau prüfen, wofür ihre Mittel eingesetzt werden.“

Kategorien: Menschenrechte

Griechenland: Flüchtlings-„Hotspots“ gefährlich und unhygienisch

Human Rights Watch: Migration - Do, 30.04.2020 - 07:10

(Athen) – Der Polizei gelingt es nicht, die Menschen in den geschlossenen Flüchtlingszentren auf den griechischen Inseln, den sogenannten Hotspots, vor den häufigen gewaltsamen Vorfällen zu schützen, so Human Rights Watch. Die Zentren wurden zur Aufnahme, Identifizierung und Antragsbearbeitung von Migranten und Asylsuchenden eingerichtet. Keines der drei Zentren auf Samos, Lesbos und Chios, welche Human Rights Watch Mitte Mai 2016 besuchte, hatte etwa abgetrennten Bereiche für alleinstehende Frauen. Alle drei Zentren waren zudem unhygienisch und stark überfüllt.

„Europas Version der Flüchtlingslager zwingt Frauen und Kinder, die vor dem Krieg geflohen sind, in Angst zu leben und täglich neue Gewalt zu erleben“, so Bill Frelick, Leiter der Flüchtlingsabteilung von Human Rights Watch. „Durch den mangelhaften Polizeischutz, die Überfüllung und die miserablen Hygienezustände entsteht in den Lagern, die mit Stacheldraht umzäunt sind,  eine von Chaos und Unsicherheit geprägte Atmosphäre.“

Bei mehreren Besuchen zwischen dem 9. und 15. Mai stellte Human Rights Watch in allen drei Einrichtungen eine starke Überbelegung fest. Es war schmutzig und unhygienisch, und es gab nicht genug einfache Unterkünfte. Zu dem chaotischen und unberechnebaren Klima in den drei Hotspots trugen auch Mismanagement, fehlende Informationen und die langen Warteschlangen bei der Ausgabe der minderwertigen Verpflegung bei.

Am 13. Mai kam es in dem Hotspot Vathi auf Samos zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung mit rund 200 Beteiligten, welche über mehrere Stunden andauerte. Die Einrichtung mit 250 Betten war an diesem Tag mit 945 Menschen belegt. Als Human Rights Watch-Mitarbeiter das Zentrum am 14. Mai besuchten, fanden sie dort Blutspuren am Boden, blutverschmierte Kleidung, Löcher in den Hütten, offenbar von Steinwürfen, sowie Glasscherben und andere Trümmer der Kämpfe. Mehrere Männer und Frauen trugen Blutergüsse und Platzwunden. Viele Bewohner sagten, die für die Sicherheit in der Einrichtung verantwortlichen Polizisten seien nach dem Ausbruch der Kämpfe abgezogen. Humanitäre Helfer der niederländischen Nichtregierungsorganisation Boat Rescue, die für die medizinische Versorgung der Einrichtung sorgten, berichteten, dass 14 Personen stationär behandelt werden mussten, unter anderem wegen Knochenbrüchen.

Human Rights Watch musste den Besuch in Vathi am 14. Mai aus Sicherheitsgründen vorzeitig abbrechen, besuchte das Zentrum jedoch am 15. Mai erneut.

Lagerbewohner und Mitarbeiter der Versorgungsdienstleister erklärten, gewaltsame Auseinandersetzungen gehörten in Vathi zum Alltag. Die Polizei ziehe sich zurück, sobald die Kämpfe begännen, und greife nicht ein, um Menschen zu schützen. Die UN-Flüchtlingsagentur UNHCR, die an allen drei Tagen, an denen Human Rights Watch die Einrichtung besuchte, vor Ort war, erklärte, in Vathi gebe es keinen Lagerleiter. An den Tagen, an denen Human Rights Watch vor Ort war, schien niemand die Verantwortung für den Lagerbetrieb zu tragen. Auch in den beiden anderen Lagern, Moria auf Lesbos und VIAL auf Chios, gaben die Bewohner an, die Polizei greife bei gewaltsamen Auseinandersetzungen nicht ein.

Obwohl alle Polizeibeamten, die mit Migranten und Flüchtlingen zu tun haben, per Dienstanweisung angehalten sind, für die Sicherheit von Frauen und Kindern zu sorgen, verfügen die Zentren in Chios und Samos nicht über separate Bereiche für alleinstehende Frauen, Familiengruppen oder Frauen mit Kindern. In Moria beobachtete Human Rights Watch, dass unbegleitete Kinder und Familien in gemeinsamen Bereichen untergebracht wurden. Moria verfügt über eigene Bereiche nur für Kinder und Familien, welche jedoch nicht groß genug sind, um alle Frauen und Kinder in der Einrichtung zu beherbergen.

In allen drei Hotspots berichten Frauen über regelmäßige sexuelle Belästigungen: „Die Männer betrinken sich jeden Abend und versuchen, in unser Zelt zu kommen“, so eine alleinstehende 19-jährige Eritreerin, die in Vathi lebt. „Wir gingen zur Polizei und baten, dass man uns in einen anderen Teil des Lagers bringt, getrennt von den Männern, die versuchen, uns zu missbrauchen. Doch die Polizei weigerte sich, uns zu helfen. Genau aus diesem Grund sind wir aus unserem Land geflohen. Doch hier im Lager, haben wir Angst, unser Zelt zu verlassen.“ Frauen im Lager Moria auf Lesbos und in VIAL auf Chios schilderten ähnliche Probleme und waren tief besorgt um die Sicherheit ihrer Kinder.

Seit dem Abschluss des Flüchtlingsabkommens zwischen der Europäischen Union und der Türkei am 20. März inhaftieren die griechischen Behörden automatisch jeden Asylsuchenden oder Migranten. Am 2. April verabschiedete das griechische Parlament im Eiltempo ein Gesetz, das pauschale „Einschränkungen der Bewegungsfreiheit“ erlaubt. Damit können Neuankömmlinge verpflichtet werden, während ihrer Aufnahme und Identifizierung für bis zu 25 Tage innerhalb der geschlossenen Einrichtungen an den Grenzen – etwa auf den griechischen Inseln – zu bleiben. Nachdem die Hotspots so faktisch in Haftzentren umgewandelt wurden, beendeten das UNHCR und mehrere Nichtregierungsorganisationen ihre Arbeit, wenngleich das UNHCR die Situation weiterhin beobachtet und eingeschränkte Angebote bereitstellt.

Die Hotspots, offiziell „Empfangs- und Identifikationszentren“ genannt, werden formal vom Erstaufnahmedienst des griechischen Ministeriums für Migrationspolitik betrieben. Weitaus deutlicher treten dort jedoch zwei EU-Behörden in Erscheinung: Die EU-Grenzschutzagentur Frontex, die in Kooperation mit der griechischen Polizei die Erstregistrierung, die Befragungen zur Feststellung der Staatsangehörigkeit und die Abnahme von Fingerabdrücken durchführt, sowie das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO), welches Befragungen zur Zulässigkeit der Asylgesuche durchführt und entsprechende Empfehlungen an die griechische Asylbehörde weitergibt. Letzere ist ebenfalls in den Einrichtungen präsent, wenngleich ihre Büros bei allen Besuchen von Human Rights Watch geschlossen waren. Für die Sicherheit in den Lagern ist die griechische Polizei verantwortlich.

Die griechischen und europäischen Behörden sollen unverzüglich Maßnahmen ergreifen, um die Sicherheit und den Schutz der Frauen und Kinder sowie aller anderen Bewohner in den Hotspots zu gewährleisten. Frauen, Kinder und Familien sollen sichere Schlafplätze und Sanitäreinrichtungen erhalten, getrennt von jenen für alleinstehende Männer. Griechenland soll Menschen nicht in überfüllten und gesundheitsgefährdenden Einrichtungen inhaftieren.

Da weniger restriktive Alternativen existieren, ist die pauschale Inhaftierung von Migranten und Asylsuchenden in geschlossenen Einrichtungen nicht gerechtfertigt und kommt einer willkürlichen Inhaftierung gleich. Die Hotspots auf den griechischen Inseln sollen in offene Lager mit angemessenen Versorungsleistungen und Sicherheitsvorkehrungen umgewandelt werden.

Niemand, der die Absicht gezeigt hat, Asyl zu beantragen, soll in einer der Einrichtungen auf den griechischen Inseln inhaftiert werden, solange die Inhfatierung nicht nachweislich aus einem legitimen Grund erfolgt bzw. zu einem legitimen Zweck notwendig ist, etwa wenn die betreffende Person ein konkretes individuelles Sicherheitsrisiko darstellt.

Alle EU-Mitgliedstaaten sollen ihre Anstrengungen beschleunigen, die Verpflichtungen im Rahmen der befristeten Regelung zur Verteilung der Flüchtlinge zu erfüllen. Sie sollen dringend ausreichende Kontingente bereitstellen und die Umsiedlung abgelehnter Asylsuchender aus den griechischen Hotspots erleichtern. Dabei soll auch individuellen Umständen wie familiären Bindungen Rechnung getragen werden.

„Wenn Griechenland Menschen in überfüllten Einrichtungen einsperrt, die selbst für Tiere ungeeignet sind, und ihnen einen grundlegenden Polizeischutz verwehrt, schafft es ein Klima, in dem Gewalt blüht“, so Frelick. „Die EU ist zwar nicht direkt für die Sicherheit in den Lagern verantwortlich, doch es war erschreckend zu beobachten, wie das Frontex-Personal am 14. Mai eilig das Lager Vathi verließ, als sich die Spannungen dort zuspitzten. Die EU und Griechenland sollen diese beschämende Situation unverzüglich korrigieren, willkürliche Inhaftierungen rasch beenden und eine menschliche Behandlung der Menschen unter ihrer Obhut garantieren.“

 

Kategorien: Menschenrechte

„Vor diesen Verbrechen sind wir geflohen“

Human Rights Watch: Flüchtlinge - Do, 30.04.2020 - 02:50
Zusammenfassung

Die Fälle sind wichtig. Wir müssen wissen, dass Prozesse stattfinden. Vor diesen Verbrechen sind wir geflohen.

—Hassan, syrischer Flüchtling in Deutschland, Februar 2017

In den vergangenen sechs Jahren hat die Syrien-Krise etwa 475.000 Menschen das Leben gekostet, so schätzte die Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte im Juli 2017. Alle Konfliktparteien haben in einem Klima der Straflosigkeit schwerste Völkerrechtsverbrechen verübt.

Zahlreiche Gruppen dokumentieren Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht in Syrien. Ende des Jahres 2016 schuf die Generalversammlung der Vereinten Nationen (UN) einen Mechanismus, um Beweise für schwere Verbrechen zu sammeln und zu analysieren. Diese sollen in zukünftigen Verfahren vor Gerichten und Tribunalen verwendet werden, die ein Mandat zur Aufarbeitung der Verbrechen haben.

Aber die Fülle an verfügbaren Informationen und Materialien hat die internationalen Bemühungen bislang kaum vorangebracht, Gerechtigkeit für vergangene und andauernde Völkerstraftaten im Land herzustellen. Syrien ist kein Mitgliedstaat des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH). Solange die Regierung dessen Gerichtsbarkeit nicht freiwillig akzeptiert, kann die Chefanklägerin daher nur dann Ermittlungen einleiten, wenn der UN-Sicherheitsrat die Situation in Syrien an sie übergibt. Allerdings blockierten Russland und China im Jahr 2014 eine Sicherheitsratsresolution, mit der das Gericht hätte zuständig werden sollen. Zudem unternahmen weder die syrischen Behörden noch andere Konfliktparteien bislang glaubwürdigen Schritte, um Täter in Syrien oder im Ausland zur Verantwortung zu ziehen. Die resultierende Straflosigkeit befeuert weitere Gräueltaten.

Vor diesem Hintergrund haben verschiedene europäische Behörden damit begonnen, schwerste, in Syrien begangene Völkerrechtsverbrechen zu untersuchen und, wenn möglich, strafrechtlich zu verfolgen. Ihre Vorstöße können dazu beitragen, zumindest in einem begrenzten Rahmen Gerechtigkeit herzustellen, während alle anderen Wege versperrt bleiben.

Das sogenannte We"ltr"echtsprinzip ermöglicht es nationalen Staatsanwaltschaften, gegen Personen zu ermitteln, die bestimmter, schwerster Völkerrechtsverbrechen verdächtig sind, darunter Folter, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Verfahren unter dem We"ltr"echtsprinzip sind auch dann möglich, wenn das fragliche Verbrechen im Ausland begangen wurde und weder der Verdächtige noch das Opfer Bürger des Landes sind, in dem die Ermittlungen durchgeführt werden.

We"ltr"echtsverfahren sind ein zunehmend wichtiger Bestandteil der internationalen Bemühungen, Verantwortlichkeit für Gräueltaten und Gerechtigkeit für Opfer herzustellen, die sich nirgendwo sonst hinwenden können. Sie können auch abschreckende Wirkung haben und gewährleisten, dass Staaten keine sicheren Rückzugsorte für Menschenrechtsverbrecher werden.

Oktober 3, 2017 Video Syrien: Erste Prozesse wegen Gräueltaten in Europa

Es gibt erste Erfolge dabei, die Verantwortlichen für Gräueltaten in Syrien vor europäische Gerichte zu bringen, insbesondere in Schweden und Deutschland, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht.

Dieser Bericht widmet sich den schwedischen und deutschen Bemühungen, gegen Personen zu ermitteln und diese strafrechtlich zu verfolgen, die in Syrien an schweren Völkerstraftaten beteiligt waren.

Der Bericht basiert auf Befragungen der relevanten Behörden und 45 aus Syrien geflüchteter Personen, die in Schweden und Deutschland leben. Er arbeitet die Herausforderungen heraus, mit denen die Behörden bei diesen Verfahren konfrontiert sind. Ein zweiter Schwerpunkt liegt auf den Erfahrungen, die Flüchtlinge und Asylsuchende bei der Interaktion mit den Behörden und im Kampf für Gerechtigkeit machen. Daraus lassen sich wichtige Lehren für die untersuchten Länder ziehen sowie für andere Staaten, die erwägen, schwerste, in Syrien verübte Verbrechen zu untersuchen.

Schweden und Deutschland verfügen über einige Instrumente, um schwerste Völkerrechtsverbrechen erfolgreich zu untersuchen und strafrechtlich zu verfolgen, insbesondere umfassende Rechtsrahmen, gut funktionierende, spezielle Abteilungen zu Kriegsverbrechen und Erfahrung mit der entsprechenden Strafverfolgung. Außerdem profitieren sie von der großen Zahl syrischer Asylsuchender und Flüchtlinge in Europa, durch die zuvor unerreichbare Opfer, Zeugen, materielle Beweise und sogar einige Verdächtige für die Behörden greifbar sind. Als die zwei wichtigsten Zielländer syrischer Asylsuchender in Europa waren Deutschland und Schweden die ersten Länder, in denen Prozesse gegen Einzelpersonen geführt und abgeschlossen wurden, die im Zusammenhang mit schweren Völkerrechtsverstößen in Syrien stehen.

Nichtsdestotrotz sind beide Länder mit Schwierigkeiten konfrontiert. Zunächst stehen Behörden bei der Strafverfolgung nach dem We"ltr"echtsprinzip vor Problemen, die mit dieser Art von Fällen einhergehen, von ihnen aber nicht immer gelöst werden können. Beispielsweise werden normalerweise nur Verfahren gegen Personen eröffnet, die sich im Hoheitsbereich des Staates aufhalten, in dem die Strafverfolgung stattfindet. Aber die Behörden können nicht beeinflussen, ob ein Tatverdächtiger zu einer bestimmten Zeit in ihr Land reist oder nicht.

Darüber hinaus werden die typischen Herausforderungen dieser Verfahren im Fall von Syrien dadurch verschärft, dass der andauernde Konflikt die Tatorte unzugänglich macht. Daher wenden sich die Behörden beider Länder an andere Stellen, um Informationen einzuholen, etwa an syrische Asylsuchende und Flüchtlinge, an ihre Pendants in anderen europäischen Ländern, an UN-Institutionen und an Nichtregierungsgruppen, die Gräueltaten in Syrien dokumentieren.

Angaben von Praktikern und Flüchtlingen in Schweden und Deutschland zufolge ist es sehr schwierig, relevante Informationen von syrischen Flüchtlingen und Asylsuchenden zu erhalten, weil diese Vergeltungsakte gegen ihre Angehörigen in der Heimat befürchten, Polizisten und Regierungsbeamten wegen negativer Erfahrungen mit syrischen Behörden misstrauen und sich von ihren Aufnahmeländern und der internationalen Gemeinschaft im Stich gelassen fühlen. „Wir sind nicht von dem Regime enttäuscht, wir kennen das Regime, wir haben das Regime überlebt“, so ein syrischer Aktivist. „Wir sind von der Weltgemeinschaft enttäuscht. Sie beruft sich auf die Menschenrechte, wenn es ihr nützt.“

Eine weitere Schwierigkeit ist, dass syrische Asylsuchende und Flüchtlinge in Schweden und Deutschland wenig darüber wissen, wie die Behörden schwerste Völkerrechtsverbrechen untersuchen und strafrechtlich verfolgen, wie sie selbst zu den nationalen Bemühungen um Gerechtigkeit beitragen können und dass Opfer das Recht haben, an Strafverfahren teilzunehmen. Die meisten befragten syrischen Flüchtlinge wussten nichts, nur wenig oder Ungenaues über laufende oder abgeschlossene Verfahren mit Syrien-Bezug. Andere äußerten unrealistische Erwartungen daran, in welchem Umfang nationale Behörden Gerechtigkeit herstellen können, insbesondere angesichts der verschiedenen Grenzen, die ihnen gesetzt sind.

Diese Probleme haben die Behörden beider Länder erkannt und versuchen, Asylsuchende und Flüchtlinge besser einzubeziehen. Allerdings muss in diesem Bereich noch mehr geschehen. Die aktuellen Maßnahmen haben so begrenzte Ressourcen und Mandate, dass ihre Wirksamkeit beeinträchtigt ist. Zudem müssen die Behörden vielfältige Bedürfnisse, Erwartungen und Anforderungen ausbalancieren. Einerseits müssen sie Kontakt zu potenziellen Opfern und Zeugen herstellen, um relevante Informationen zu erhalten. Andererseits müssen sie die Vertraulichkeitsvorschriften bei strafrechtlichen Ermittlungen einhalten und mit dem Risiko umgehen, mit gewaltigen Informationsmengen überfordert zu werden. Zudem müssen sie mit den Erwartungen umgehen, welche Ergebnisse sie den Opfern und der breiten Öffentlichkeit präsentieren werden und wann.

Schwedische und deutsche Beamte berichten, dass die Zusammenarbeit in Fällen mit Syrien-Bezug auf europäischer Ebene dank wirksamer Protokolle gut funktioniert. Zu den Nachbarstaaten von Syrien haben sie allerdings nur begrenzt oder gar keinen Kontakt. Auch haben sie begonnen, sich mit Nichtregierungs- und Regierungsorganisationen auszutauschen, darunter die unabhängige internationale UN-Untersuchungskommission zu Syrien. Allerdings geht die Zusammenarbeit nur langsam voran und wegen ihrer anderen Mandate sind die Informationen, die diese Instanzen sammeln, zwar bei den Ermittlungen hilfreich, aber nicht immer vor nationalen Gerichten als Beweise zulässig.

Grundsätzlich sind alle glaubwürdigen Strafverfahren zu begrüßen, die Verantwortlichkeit für während des Syrien-Konflikts begangene Verbrechen herstellen. Aber in der Realität zeigt sich, dass die ersten, wenigen Fälle, die nationale Behörden innerhalb ihrer jeweiligen Rechtssysteme erfolgreich verhandeln konnten, nicht repräsentativ für das Ausmaß und die Natur der Gräueltaten sind.

Bei den bisherigen Prozessen standen fast ausschließlich rangniedere Mitglieder von ISIS, Jabhat al-Nusra und anderer bewaffneter Gruppen vor Gericht, nur bei einem einzigen Verfahren ein rangniederer Angehöriger der syrischen Regierungskräfte. Darüber hinaus führten praktische und rechtliche Einschränkungen, etwa die Schwierigkeit, Beweise zu finden, die einen Verdächtigen mit einer konkreten Tat in Verbindung bringen, dazu, dass in Deutschland vermehrt Anklagen wegen Terrorismus statt wegen Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit erhoben werden. Der Straftatbestand „Terrorismus“ lässt sich leichter belegen, weil sich die Behörden darauf konzentrieren können, ob der Angeklagte Verbindungen zu einer als terroristisch eingestuften Organisation unterhält. Aber Verurteilungen allein wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation reflektieren nicht das Ausmaß der in Syrien verübten Verbrechen.

Die Strafverfolgung von Terrorismus oder von rangniederen Mitgliedern bewaffneter Gruppen sollte nicht Bemühungen ersetzen, schwerste Verbrechen ranghoher Funktionsträger zu untersuchen und vor Gericht zu bringen. Solche Verfahren können die Einhaltung des humanitären Völkerrechts fördern und Gerechtigkeit für schwerste Straftaten herstellen.

Es besteht auch ein Wahrnehmungsproblem. Wird ein Tatverdächtiger, bei dem Hinweise auf schwere Völkerrechtsverstöße vorliegen, nur wegen Terrorismus angeklagt, ohne dass die Behörden erkennbar versuchen, ihn auch wegen Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu belangen, dann könnte der Eindruck entstehen, dass sie sich ausschließlich darauf konzentrieren, nationale Bedrohungen zu bekämpfen. Hingegen sollte die Strafverfolgung von Terrorismus einher gehen mit der Strafverfolgung von Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord – und dafür müssen die erforderlichen Ressourcen bereitgestellt werden.

Syrische Flüchtlinge in beiden Ländern zeigten sich frustriert darüber, dass die bis dato verhandelten Fälle nicht das ganze Spektrum der Täter und der in Syrien verübten Gräueltaten repräsentieren. Vor allem, dass bisher nur ein einziger Prozess gegen eine Person mit Verbindungen zur syrischen Regierung angestrengt wurde, führt dazu, dass sie die Unparteilichkeit und Fairness der Verfahren insgesamt in Frage stellen.

Um den Herausforderungen zu begegnen, mit denen die Behörden konfrontiert sind, sollen Schweden und Deutschland gewährleisten, dass ihre Abteilungen, die zu Kriegsverbrechen arbeiten, mit angemessenen, auch personellen Ressourcen ausgestattet sind und das Personal kontinuierlich weitergebildet wird. Außerdem sollen sie neue Wege gehen, um syrische Flüchtlinge und Asylsuchende in ihrem Hoheitsgebiet besser einzubeziehen.

Insgesamt unterstreichen die Einschränkungen der bislang verhandelten Fälle, dass es eines umfassenderen Gerechtigkeitsprozesses bedarf, um der Straflosigkeit in Syrien zu begegnen. In ihn sollten so viele Rechtssysteme wie möglich einbezogen werden, in denen faire und glaubwürdige Verfahren geführt werden können. Zahlreiche Tatverdächtige, darunter ranghohe Beamte oder Befehlshaber der syrischen Regierung, werden höchstwahrscheinlich nicht nach Europa reisen. Um diese Lücke zu schließen, ist auf längere Sicht ein mehrstufiger, bereichsübergreifender Ansatz erforderlich, der zusätzlich zu Verfahren nach dem We"ltr"echtsprinzip auch andere Rechtsinstrumente auf internationaler und nationaler Ebene einbezieht.

Empfehlungen An Schweden und Deutschland
  • Es soll gewährleistet werden, dass Abteilungen, die zu Kriegsverbrechen arbeiten, innerhalb der Strafverfolgungsbehörden und Staatsanwaltschaften über angemessene Mittel und ausreichend Personal verfügen. Insbesondere müssen die Sonderabteilungen der Strafverfolgung ausgestattet sein mit Syrien-Experten, Informationstechnologie-Analytikern, Forensik-Experten und eigenen Übersetzern. In Deutschland sollen die Mittel und das Personal der Zentralstelle für die Bekämpfung von Kriegsverbrechen aufgestockt werden, so dass sie die Informationen über schwerste, in Syrien verübte Verbrechen filtern kann, die sie aus unterschiedlichen Quellen erhält.
  • Mitarbeiter der Sonderabteilungen, Richter und Anwälte der Tatverdächtigen und Opfer sollen kontinuierlich und angemessen weitergebildet werden, zu Themen wie die Befragung traumatisierter Zeugen und die Feststellung des Schutzbedarfs von Zeugen.
  • Asylsuchende, die möglicherweise Opfer oder Zeugen schwerster Völkerrechtsverbrechen sind, sollen darüber informiert werden, dass sie das Recht haben, diese Verbrechen bei der Polizei anzuzeigen und am Strafverfahren teilzunehmen, und auch darüber, wie sie das tun können. Zu diesem Zweck sollen alle angemessenen Kommunikationswege berücksichtigt werden, einschließlich Videos und soziale Medien.
  • Es soll gewährleistet werden, dass Informationen, die Personen in Asylanhörungen preisgeben, nicht an Strafverfolgungsbehörden oder Staatsanwaltschaften weitergegeben werden, bevor die betroffenen Personen nicht ihre informierte Zustimmung dazu gegeben haben. Auch soll gesetzlich garantiert werden, dass Entscheidungen über ihren Flüchtlingsstatus nicht davon abhängig gemacht werden, ob sie mit Strafverfolgungsbehörden oder Staatsanwaltschaften kooperieren.
  • Folter soll als alleinstehender Straftatbestand in Einklang mit Artikel 1 der UN-Antifolterkonvention etabliert werden.
  • Wenn stichhaltige Beweise vorliegen, die eine verdächtige Person mit Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Völkermord in Verbindung bringen, soll die Anklage nicht auf Verstöße gegen Anti-Terror-Gesetze begrenzt werden.
  • Wichtige Entscheidungen, Urteile, Pressemitteilungen und relevante Websites mit Informationen über Fälle im Zusammenhang mit Verbrechen in Syrien sollen in andere Sprachen, insbesondere Arabisch und Englisch, übersetzt werden.
  • Es soll geprüft werden, ob Informationen in anderen Sprachen wie Arabisch und Englisch zur Verfügung gestellt werden können, insbesondere auf Websites der Strafverfolgungsbehörden und Staatsanwaltschaften, über Apps und anderen Mitteln, die die breite Öffentlichkeit darüber informieren, wie Opfer und Zeugen schwerster Völkerrechtsverbrechen die Abteilungen, die zu Kriegsverbrechen arbeiten, kontaktieren können.
  • Es soll geprüft werden, ob und wie relevante Pressekonferenzen und Veranstaltungen, in denen die Sonderabteilungen ihre Arbeit diskutieren, syrischen Gemeinschaften zugänglich gemacht werden können.
  • Es soll gewährleistet werden, dass Sonderabteilungen und Einwanderungsbehörden syrische Flüchtlinge, Asylsuchende und die breite Öffentlichkeit aktiv und in unterschiedlichen Sprachen, darunter Englisch und Arabisch, über ihr Mandat informieren. Es soll geprüft werden, ob soziale Netzwerke genutzt werden können, um besser mit syrischen Flüchtlingen und Asylsuchenden in Kontakt zu treten und die Arbeit der Sonderabteilungen bekannt zu machen.
  • Es soll gewährleistet werden, dass die Behörden die Instrumente angemessen bewerben und in Umlauf bringen, die bereits existieren und mit denen sie die relevanten Personengruppen erreichen wollen, einschließlich Apps, Websites und Broschüren.
  • Es soll gewährleistet werden, dass Mitarbeiter der Einwanderungsbehörden und Dolmetscher, die Asylsuchende während der Anhörung unterstützen, ordentlich ausgebildet sind.
  • Es soll gewährleistet werden, dass die Behörden das Einwanderungs- und Asylrecht nicht nutzen, um Personen abzuschieben, die schwerer Völkerrechtsverbrechen verdächtig sind, statt sie in Fällen, in denen stichhaltige Beweise vorliegen, strafrechtlich zu verfolgen.
  • Die politische und finanzielle Unterstützung des internationalen, unabhängigen Mechanismus der UN zur Untersuchung schwerster Verbrechen in Syrien soll fortgesetzt werden.
An andere Länder, die Ermittlungen in schweren, in Syrien verübten Verbrechen in Betracht ziehen
  • Wenn diese noch nicht existieren, sollen in den Strafverfolgungsbehörden und Staatsanwaltschaften Sonderabteilungen zu  Kriegsverbrechen eingerichtet und gewährleistet werden, dass sie angemessen ausgestattet sind.
  • Wenn diese noch nicht existiert, soll ein angemessener Rechtsrahmen zur Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen geschaffen werden.
  • Es soll gewährleistet werden, dass die Sonderabteilungen produktiv zusammenarbeiten, auch indem bei regelmäßigen Treffen spezifische Fälle diskutiert werden.
  • Es soll ein klarer und transparenter Rahmen für die Zusammenarbeit zwischen Einwanderungsbehörden und Sonderabteilungen geschaffen werden, der den Austausch von Informationen unter Wahrung der Rechte der Asylsuchenden, auch des Rechts auf Vertraulichkeit, ermöglicht.
  • Mitarbeiter der Sonderabteilungen, Richter und Anwälte von Verdächtigen und Zeugen sollen kontinuierlich und angemessen weitergebildet werden, zu Themen wie der Befragung traumatisierter Zeugen und Zeugenschutz.
  • Wenn stichhaltige Beweise vorliegen, die eine verdächtige Person mit Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Völkermord in Verbindung bringen, soll die Anklage nicht auf Verstöße gegen Anti-Terror-Gesetze begrenzt werden.
  • Es soll davon abgesehen werden, Personen abzuschieben, die keinen Anspruch auf Flüchtlingsschutz haben, wenn nicht vorab geprüft wird, ob ihre Abschiebung sie in Gefahr bringt, Opfer von Folter, unfairen Gerichtsverfahren oder anderer unangemessener oder unmenschlicher Behandlung zu werden.
An die Europäische Union
  • Das EU Genocide Network und Eurojust sollen mit den notwendigen Ressourcen ausgestattet werden, um ihr Mandat auszuüben und die Mitgliedstaaten zu unterstützen, auch indem sie weiterhin ad-hoc-Treffen organisieren, Länder ohne Sonderabteilungen, die zu Kriegsverbrechen arbeiten, unterstützen und regelmäßige Briefings des Europäischen Parlaments ermöglichen.
  • Es soll gewährleistet werden, dass Behörden Informationen, die über das neue EASO Exclusion Network ausgetauscht werden, nutzen, um Personen strafrechtlich zu verfolgen oder zum Zweck der strafrechtlichen Verfolgung an ein anderes Land auszuliefern, wenn ein ernster Verdacht auf Völkerrechtsverstöße vorliegt, statt sie abzuschieben. Es soll gewährleistet werden, dass keine Person unabhängig von ihrem 1F-Status in ein Land abgeschoben oder an ein Land ausgeliefert wird, in dem die reale Gefahr besteht, dass sie dort Opfer von Folter, unfairen Gerichtsverfahren oder anderer unangemessener oder unmenschlicher Behandlung wird.
  • Innerhalb von Europol soll eine zentrale Datenbank zu Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord aufgebaut werden, wobei gewährleistet sein muss, dass Europol über angemessene analytische Unterstützung verfügt.
An die UN-Untersuchungskommission zu Syrien
  • Die Zusammenarbeit mit nationalen Behörden, die schwerste, in Syrien verübte Verbrechen untersuchen und strafrechtlich verfolgen, soll fortgesetzt werden, auch durch das Aufrechterhalten bestehender Kommunikationskanäle.
  • Es soll mit dem internationalen, unabhängigen Mechanismus der UN zur Untersuchung schwerster Verbrechen in Syrien zusammengearbeitet werden, um die Komplementarität der beiden Instanzen zu gewährleisten und Dopplungen in ihrer Arbeit zu vermeiden.
An den UN-Hochkommissar für Menschenrechte und die Mitgliedstaaten der UN
  • Es soll gewährleistet werden, dass die Untersuchungskommission zu Syrien durch den UN-Beratungsausschuss für Verwaltungs- und Haushaltsfragen (ACABQ) mit angemessenen Mitteln und Personal ausgestattet wird, auch mit Personal für die Zusammenarbeit der Kommission mit nationalen Behörden, die schwerste, in Syrien verübte Verbrechen untersuchen und strafrechtlich verfolgen, sowie mit geeigneter Software und anderen Mitteln, die diese Zusammenarbeit erleichtern.
An den internationalen, unabhängigen Mechanismus der UN zu Syrien
  • Es soll mit nationalen Behörden zusammengearbeitet werden, die schwerste, in Syrien verübte Verbrechen untersuchen und strafrechtlich verfolgen, auch indem ein kontinuierlicher Dialog mit dem nationalen Behörden etabliert wird.
  • Es soll die Arbeit mit der UN-Untersuchungskommission zu Syrien koordiniert und mit ihr kooperiert werden, um die Komplementarität der beiden Instanzen zu gewährleisten und Dopplungen in ihrer Arbeit zu vermeiden.
Methodologie

Dieser Bericht basiert auf Recherchen im Zeitraum Oktober 2016 bis Juli 2017, davon im Januar 2017 in Schweden und im Februar 2017 in Deutschland.

Er konzentriert sich auf Schweden und Deutschland, weil in diesen Ländern seit 2011 die meisten Asylanträgen von Syrern gestellt wurden und sie als erste Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit schwersten, in Syrien verübten Verbrechen abgeschlossen haben. Außerdem verfügen beide Länder über funktionierende Abteilungen innerhalb ihrer Strafverfolgungsbehörden und Staatsanwaltschaften, die zu Kriegsverbrechen arbeiten.

Insgesamt liegt der Schwerpunkt auf Fällen die von schwedischen und deutschen Behörden nach dem We"ltr"echtsprinzip verfolgt wurden. Zudem werden zwei deutsche Verfahren berücksichtigt, die auf dem „Täterprinzip“ beruhen, einer anderen Form nationaler Gerichtsbarkeit, die dann greift, wenn der mutmaßliche Täter Staatsbürger des Landes ist, in dem die Strafverfolgung stattfindet.

Während eine Reihe unterschiedlicher Akteure an diese Verfahren beteiligt sind – darunter Anwälte der Täter und der Opfer – behandelt dieser Bericht vorrangig die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden und Staatsanwaltschaften.

Die Termini „schwere/schwerste Völkerrechtsverbrechen“, „schwere/schwerste Völkerstraftaten“ und „schwere/schwerste Völkerrechtsverstöße“ werden synonym gebraucht und beziehen sich auf Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord.

Human Rights Watch befragte 50 Personen in Schweden, Deutschland, der Schweiz, den Niederlanden und der Türkei, darunter Staatsanwälte, polizeiliche Ermittler, Analytiker, Mitarbeiter von Einwanderungsbehörden, Anwälte von Opfern und Verdächtigen, Regierungsangehörige, Wissenschaftler, Nichtregierungsorganisationen (NGOs), internationale und europäische Organisationen und Journalisten. Darüber hinaus wurde eine Anhörung im Prozess gegen Haisam Omar Sakhanh im Stockholmer Bezirksgericht in Schweden am 18. Januar 2017 beobachtet.

Die meisten Interviews mit Beamten und Experten wurden persönlich geführt, einige per Telefon oder Email. Fast alle wurden auf Englisch geführt, drei auf Deutsch mit Unterstützung eines Dolmetschers. Die meisten Befragten wollten offen sprechen, aber nicht namentlich zitiert oder anderweitig identifiziert werden. Daher werden im Bericht Informationen zurückgehalten, die Rückschluss auf ihre Person erlauben. Der Begriff „Praktiker“ wird verwendet, um zu gewährleisten, dass die Quellen nicht unabsichtlich enthüllt werden; er bezieht sich auf Staatsanwälte, polizeiliche Ermittler, Analytikern, Mitarbeiter von Einwanderungsbehörden und Anwälte, die an Verfahren zu schweren Völkerrechtsverbrechen beteiligt sind.

Darüber hinaus wurden 45 syrische Flüchtlinge im Alter von 17 bis 58 Jahren befragt, zehn Frauen und 35 Männer aus unterschiedlichen Teilen Syriens. Zehn der Befragten waren Menschenrechtsaktivisten. In Schweden wurden 19 Flüchtlinge befragt (neun in Värmdö, neun in Varberg, und eine Person telefonisch), in Deutschland 26 (zwölf in Berlin, neun in Hannover und fünf in Köln). In Schweden wurden zwei Flüchtlinge einzeln befragt (einer davon telefonisch), 17 Personen wurden in kleinen Gruppen aus vier bis fünf Personen interviewt. In Deutschland wurden acht Flüchtlinge einzeln befragt und 18 in kleinen Gruppen aus zwei bis fünf Personen. 22 der syrischen Flüchtlinge gaben an, dass sie von der syrischen Regierung inhaftiert worden waren; 16 berichteten, dass sie von Regierungskräften gefoltert wurden. Die meisten dieser Interviews wurden mit Unterstützung eines Dolmetschers auf Arabisch geführt, neun auf Englisch. Die Namen aller befragten syrischen Flüchtlinge werden zu ihrem Schutz nicht genannt. Stattdessen werden Pseudonyme verwendet.

Alle Interviewpartner wurden über den Zweck ihrer Befragung informiert sowie darüber, wie ihre Daten gesammelt und genutzt werden, und erklärten sich freiwillig bereit, Auskunft zu geben.

I. Hintergrund

Angehörige der unterschiedlichen bewaffneten Gruppen und Parteien des Syrien-Konflikts haben schwere Verstöße gegen internationale Menschenrechtsstandards und das humanitäre Völkerrecht begangen.

Seit dem Jahr 2011 wurden mehr als 106.000 Personen inhaftiert oder sind verschwunden, überwiegend sind dafür Regierungskräfte verantwortlich. Allein zwischen Januar und Juni 2016 betraf dies 4.557 Menschen, so das Syrische Netzwerk für Menschenrechte.[1] Folter und Misshandlung grassieren in den Regierungsgefängnissen, in denen Tausende gestorben sind. Die syrisch-russische Koalition führte Luftangriffe aus, bei denen zivile Gebiete entweder das Ziel waren oder willkürlich bombardiert wurden. Die Regierungskräfte setzten Streumunition, Brandbomben und chemische Waffen großangelegt und systematisch ein, teilweise gegen Zivilisten. Die syrische Regierung und mit ihr verbündete Kräfte haben im großen Umfang weitere Verstöße begangen, darunter rechtswidrige Blockaden humanitärer Hilfe, rechtswidrige Belagerungen, außergerichtliche Hinrichtungen und erzwungenes „Verschwindenlassen“.[2]

Der Islamische Staat (oder ISIS) und der ehemalige Al-Qaida-Ableger in Syrien, die al-Nusra-Front (Jabhat al-Nusra, später bekannt als Dschabhat Fatah asch-Scham, dann als Hayat Tahrir asch-Scham) sind ebenfalls verantwortlich für systematische und großangelegte Völkerrechtsverstöße, darunter Artilleriebeschuss von Zivilisten, Entführungen und Hinrichtungen. ISIS und Jabhat al-Nusra belegten Frauen und Mädchen mit strengen und diskriminierenden Regeln und rekrutierten regelmäßig Kindersoldaten. ISIS versklavte und missbrauchte jesidische Frauen und Mädchen sexuell, benutzte Zivilisten als menschliche Schutzschilder und legte Antipersonenminen, die von den Opfern ausgelöst werden, in und im Umfeld von verlorenen Gebieten, wodurch Zivilisten auf der Flucht oder beim Versuch, nach Hause zurückzukehren, verstümmelt und getötet werden. Darüber hinaus hat ISIS Zivilisten nachweislich mindestens dreimal mit chemischen Waffen angegriffen.[3]

 

Nichtstaatliche, bewaffnete Oppositionsgruppen haben ebenfalls willkürlich Zivilisten angegriffen, entführt und gefoltert, widerrechtlich humanitäre Hilfe blockiert und rechtswidrig Orte belagert.[4]

Die Vereinigten Staaten von Amerika unterstützen bewaffnete Gruppen, darunter die Demokratischen Kräfte Syriens (DKS), die aus den Kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) und anderen Gruppen bestehen. Die DKS, die YPG und die kurdische Polizei, die Asayîş, haben Menschenrechte verletzt, unter anderem durch die Rekrutierung von Kindersoldaten, willkürliche Inhaftierungen und die Misshandlung Gefangener, mutmaßlich auch durch erzwungenes „Verschwindenlassen“ und Morde an Personen, die die Partei der Demokratischen Union (PYD) ablehnen. Weiter gefährdeten sie Zivilisten, indem sie Streitkräfte in bewohnten, zivilen Gebieten stationierten.[5]

Sowohl die von den USA geführte Koalition als auch türkische Streitkräfte sind verantwortlich für mutmaßlich rechtswidrige Luftangriffe, bei denen Zivilisten starben.[6]

Viele Menschenrechtsverletzungen, die seit dem Beginn der Syrien-Krise von Angehörigen aller Konfliktparteien begangen wurden, können als Kriegsverbrechen gewertet werden, einige auch als Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Im August 2013 schmuggelte ein Militärüberläufer mit dem Decknamen „Caesar“ 53.275 Fotos aus Syrien heraus, von denen viele die Leichen von Gefangenen zeigen, die in Hafteinrichtungen gestorben sind.[7] Das Entsetzen, das diese Bilder bei einigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates auslösten, regte Frankreich dazu an, eine Resolution einzubringen, die den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) damit beauftragen sollte, die schweren Völkerrechtsverbrechen zu untersuchen, die seit dem Jahr 2011 begangen wurden. Allerdings legten Russland und China am 22. Mai 2014 Vetos gegen die Resolution ein, so dass das Gericht nicht in Syrien aktiv werden konnte.[8]

Da Syrien das Rom-Statut, den Gründungsvertrag des IStGH, nicht ratifiziert hat, unterliegen dort verübte Verbrechen nur dann der Gerichtsbarkeit des IStGH, wenn der Sicherheitsrat die Situation an die Ankläger verweist oder wenn Syrien deren Zuständigkeit freiwillig akzeptiert.[9] Keine dieser Optionen ist derzeit realistisch.

Das Scheitern der IStGH-Resolution bedeutet, dass die meisten Wege zu strafrechtlicher Verantwortlichkeit blockiert sind, sei es  ein internationales Tribunal oder nationale Prozesse in Syrien. Dass es derzeit unmöglich ist, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen, trägt zweifellos dazu bei, dass alle Konfliktparteien weiterhin schwere Menschenrechtsverletzungen begehen. Zugleich unterstützten zahlreiche Regierungen und NGOs die IStGH-Resolution ausdrücklich. Offensichtlich besteht ein breites internationales Interesse daran, Gerechtigkeit für die schweren Völkerrechtsverstöße in Syrien herzustellen.

Gräueltaten dokumentieren

Da der Sicherheitsrat in Bezug auf Syrien blockiert ist, nahm die UN-Generalversammlung im Jahr 2016 eine Resolution an, die einen bislang einzigartigen Mechanismus etabliert, der die Untersuchung schwerer Völkerrechtsverbrechen in Syrien seit dem Jahr 2011 voranbringen soll.[10]

Zusätzlich haben eine Reihe von Instanzen in den letzten sechs Jahren aktiv Verstöße gegen Menschenrechtsstandards und das humanitäre Völkerrecht in Syrien dokumentiert. Im Jahr 2015 richtete der Sicherheitsrat einen gemeinsamen Untersuchungsmechanismus (Joint Investigative Mechanism, JIM) der Organisation für das Verbot chemischer Waffen und der UN ein, um den Einsatz chemischer Waffen in Syrien zu untersuchen und festzustellen, wer für entsprechende Angriffe verantwortlich ist.[11] Seitdem hat der JIM fünf Berichte veröffentlicht, die zu dem Ergebnis kommen, dass die syrische Regierung und ISIS chemische Waffen eingesetzt haben.[12] Die unabhängige, internationale Untersuchungskommission zu Syrien, die der UN-Menschenrechtsrat im August 2011 etablierte, hat bislang 22 detaillierte Berichte über schwere Verbrechen aller Konfliktparteien veröffentlicht (14 mandatierte und acht thematische Berichte).[13] Organisationen wie Human Rights Watch, Amnesty International, das Syria Justice and Accountability Centre, die Commission for International Justice and Accountability und unterschiedliche syrische Gruppen beteiligen sich ebenfalls an der Dokumentation schwerer Verbrechen in Syrien.[14]

Dass die Verbrechen dokumentiert und Beweise gesichert werden, ist wichtig und dürfte für zukünftige nationale und internationale Strafverfahren zentral sein. Allerdings bedarf es weiterhin eines Rechtsforums, um umfassende Gerechtigkeit für die schweren Völkerrechtsverbrechen in Syrien herzustellen.

Strafverfahren in Drittstaaten

Normalerweise können die Behörden eines Landes nur in Verbrechen ermitteln, wenn zwischen ihrem Land und der Tat eine Verbindung besteht. Diese Verbindung ist im Regelfall eine territoriale, das heißt, dass das Verbrechen oder bedeutende Teile von ihm im Hoheitsgebiet des Staates verübt wurden, in dem die Strafverfolgung stattfindet (Territorialitätsprinzip). Viele Staaten können außerdem Strafverfahren auf Grund einer personellen Verbindung einleiten, wenn der Tatverdächtige (Täterprinzip) oder das Opfer (Opferprinzip) ein Bürger des Landes ist. Allerdings können einige Staaten auch dann aktiv werden, wenn es keine territoriale oder personelle Verbindung gibt. Die Gerichtsbarkeit beruht dann auf dem We"ltr"echtsprinzip, unter dem nationale Gerichte für bestimmte Völkerrechtsverbrechen zuständig werden können, darunter Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Folter, Völkermord, Piraterie, Angriffe auf UN-Personal und erzwungenes „Verschwindenlassen“.

Mehrere Länder wenden das We"ltr"echtsprinzip in ihren nationalen Rechtssystemen an. Ihre Strafverfolgungsbehörden können gegen Personen ermitteln, die sich in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten und bestimmter, schwerster Völkerrechtsverstöße verdächtig sind, selbst dann, wenn diese im Ausland verübt wurden und weder der Verdächtige noch das Opfer Bürger des Landes ist. Die meisten nationalen Rechtsordnungen geben vor, dass der Tatverdächtige sich im Land aufhalten oder eine Aufenthaltsgenehmigung haben muss, bevor die nationalen Behörden für eine Völkerstraftat zuständig werden können.[15]

Deutschland, Schweden und Norwegen sind die einzigen europäischen Länder mit uneingeschränkter Gerichtsbarkeit bezüglich Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord. Das heißt, es muss keinerlei Verbindung zwischen diesen Ländern und dem Verbrechen bestehen, damit die Behörden zuständig werden können. Die Behörden können auch dann Ermittlungen einleiten, wenn der Verdächtige sich nicht in ihrem Hoheitsgebiet aufhält oder keine Aufenthaltsgenehmigung hat. Nichtsdestotrotz haben die Staatsanwaltschaften einen breiten Ermessensspielraum bei der Entscheidung, ob sie Ermittlungen einleiten, wenn der Verdächtige nicht im Land ist. Das trägt unter anderem der Schwierigkeit Rechnung, Gerechtigkeit in Abwesenheit des Angeklagten herzustellen.[16]

In einer Reihe europäischer Länder laufen derzeit Ermittlungen im Zusammenhang mit schwersten Menschenrechtsverletzungen in Syrien, etwa Folter oder andere Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Deutschland und Schweden sind die ersten Staaten, in denen Einzelpersonen für solche Verbrechen verurteilt wurden.

Syrer in Schweden und Deutschland

Dem UN-Hochkommissar für Flüchtlinge zufolge haben europaweit die meisten Personen aus Syrien in Deutschland und Schweden Asylanträge gestellt – 64 Prozent der 970.316 Anträge zwischen April 2011 und Juli 2017 (507.795 in Deutschland, 112.899 in Schweden).[17]

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Syrische Staatsbürger in Deutschland und Schweden betonten übereinstimmend, dass ihnen wichtig sei, dass die Verantwortlichen für Gräueltaten in Syrien zur Rechenschaft gezogen werden. Die Befragten nannten eine Reihe von Gründen, darunter, die Würde der Opfer wiederherzustellen, indem ihr Leid anerkannt wird. Ahmad, ein Journalist, der nach eigenen Angaben wegen seiner Arbeit von der syrischen Regierung inhaftiert und gefoltert wurde, sagte:

Wenn wir schweigen, ist das, als wären wir an dem Verbrechen beteiligt. Für mich und andere hat Gerechtigkeit die höchste Priorität. Ich wurde für etwas, das legal ist, gefoltert und ins Gefängnis gesteckt. Meine Rechte wurden verletzt.[18]

Samira, die viele Angehörige im Krieg verloren hat, berichtete, dass sie Zeugin unterschiedlicher Gräueltaten wurde, und formulierte ihren Wunsch nach Gerechtigkeit:

Das Regime hat meinen Bruder mit 14 Kugeln getötet. Ich habe schreckliche Dinge gesehen, meine ganze Familie ist gestorben. Ich habe gesehen, wie fünf Kinder hingerichtet wurden, ich habe gesehen, wie ihnen die Köpfe abgeschnitten wurde. Ich konnte eine Woche lang nicht schlafen. […] Es ist sehr wichtig, dass Gerechtigkeit hergestellt wird, damit ich mich wieder wie ein Mensch fühlen kann.[19]

Für andere Befragte können Strafverfahren nicht nur die Opfer entschädigen und die Täter bestrafen, sondern auch von zukünftigen Verbrechen abschrecken. Abdullah, der als Kind von der Regierung inhaftiert und gefoltert wurde und dessen Angehörige von Regierungskräften getötet wurden, sagte:

Ich wurde im Gefängnis zum Mann. […] Ich leide sehr. Mein Vater wurde bei einem Massaker getötet, und ich will die Leute, die das getan haben, nicht in Schweden sehen. Prozesse sind wichtig, um Verbrechen in Syrien zu verhindern.[20]

Ayman, der genau wie seine Familie in zwei unterschiedlichen Regierungseinrichtungen inhaftiert und gefoltert wurde, erklärte:

Es geht darum, was uns passiert es, um die Menschen, die im Gefängnis gestorben sind. Es geht um politische Entscheidungen und darum, dass etwas geschieht, weil es bisher viele Berichte gab, aber nichts passiert ist.[21]

In Schweden befragte Syrer sagten weiter, dass Strafverfahren dazu beitragen könnten, Respekt für und Vertrauen in den Rechtsstaat aufzubauen. Außerdem zeigten sie den Tätern, dass sie sich nicht dem Recht entziehen können. Muhammad, ein Aktivist, der einige in Deutschland lebende Opfer dabei unterstützt, gegen die Täter vorzugehen, sagte:

Diese Menschen [die Mitglieder der syrischen Regierung] denken, dass es zu einer politischen Lösung kommen wird und dass sie nach Europa werden fliehen können. Ich will, dass sie sich genauso verfolgt fühlen wie die Menschen, die sie ihr Leben lang verfolgt haben. Wir müssen den Opfern zeigen, dass es Hoffnung gibt, und den Tätern, dass sie nicht entkommen können.[22]

Aisha, die von der Regierung inhaftiert wurde und mit angesehen hat, wie Regierungskräfte ihre Angehörigen folterten, sagte: „Lasst sie nicht ihr Leben leben: Wenn einer wegrennen will, warten Gerichte auf ihn.“[23]

Einige Befragten verwiesen auch auf ihren Status als Flüchtlinge und denken, dass Strafprozesse in ihren Aufnahmeländern dazu beitragen können, fremdenfeindliche Ressentiments in Europa zu bekämpfen. Denn diese Verfahren würden beweisen, dass Flüchtlinge tatsächlich vor Verbrechen fliehen, und dabei helfen, Verbrecher vor Gericht zu bringen.

Othman, ein Student, der von der syrischen Regierung inhaftiert und gefoltert worden war und Zeuge eines Massakers ist, äußerte sich besorgt darüber, wie die schwedische Bevölkerung syrische Flüchtlinge wahrnimmt. Strafverfahren könnten der Bevölkerung ein Gefühl von Sicherheit vermitteln.

…in Schweden gibt es viele Verallgemeinerungen über Flüchtlinge. Ich bin ständig damit konfrontiert. Es ist wichtig, dass sich die Schweden sicher fühlen. Durch diese Prozesse lernen sie, dass die gefährlichen Leute bestraft werden. […] Das Wichtigste ist, dass die Schweden wissen, dass sie sich sicher fühlen können.[24]

Schließlich bezeichneten einige syrische Flüchtlinge Verfahren in Drittstaaten wie Schweden oder Deutschland als kleine Schritte auf dem weiten Weg zu umfassenderer Gerechtigkeit für Syrien. Mustafa, ein ehemaliger Mitarbeiter eine Hilfsorganisation in Syrien, sagte:

Es ist sehr wichtig, dass das passiert. Prozesse sind wichtig, unabhängig davon, wo das Gericht seinen Sitz hat. Sie bereiten den Weg für zukünftige Gerechtigkeit.[25]

II. Grundlagen für Gerechtigkeit in Schweden und Deutschland

Schweden und Deutschland sind die zwei ersten Länder, in denen Einzelpersonen wegen schwerster Völkerrechtsverbrechen während des Syrien-Konflikts vor Gericht standen.[26] Dafür gibt es mehrere Gründe.

Erstens verfügen beide Länder über entsprechende Gesetze und Sonderabteilungen zu Kriegsverbrechen innerhalb ihrer Strafverfolgungsbehörden und Staatsanwaltschaften, die sich schwersten Völkerrechtsverbrechen im Ausland widmen. Darüber hinaus spielen die Einwanderungsbehörden eine Schlüsselrolle, da sie die Sonderabteilungen mit relevanten Informationen unterstützen.

Zweitens haben die Behörden beider Länder bereits Erfahrung damit, in schwersten Völkerrechtsverbrechen zu ermitteln. Im Jahr 1997 war Deutschland das erste Land, in dem eine Person unter dem We"ltr"echtsprinzip wegen Völkermordes verurteilt wurde.[27]  Nachdem im Jahr 2009 Sonderabteilungen zu Kriegsverbrechen eingerichtet worden waren, untersuchten deutsche Staatsanwälte auch schwerste Völkerrechtsverbrechen, die in Ruanda, der östlichen Demokratischen Republik Kongo und im Irak begangen wurden. [28] Die schwedische Staatsanwaltschaft erreichte im Jahr 2006 den ersten Schuldspruch wegen Kriegsverbrechen während des Konflikts im ehemaligen Jugoslawien im Jahr 1993.[29] Seit der Einrichtung von Abteilungen, die zu Kriegsverbrechen arbeiten, wurden sechs weitere Fälle verfolgt, alle im Zusammenhang mit schwersten Völkerrechtsverstößen während der Konflikte im ehemaligen Jugoslawien, in Ruanda und im Irak.[30]

Drittens halten sich sehr viele Syrer in beiden Ländern auf, und mit ihnen Opfer und Tatverdächtige. Augenscheinlich geht davon ein politischer Impetus aus, aller Täter im eigenen Hoheitsgebiet habhaft zu werden.

Gesetze Schweden

Im Juni 2014 nahm das schwedische Parlament ein Gesetz über die strafrechtliche Verantwortung für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen an. [31] Dessen Vorschriften spiegeln zu großen Teilen diejenigen des Rom-Statuts und schaffen die Grundlage für die Strafverfolgung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Auch bezieht es unterschiedliche Formen der Verantwortlichkeit ein, die im Völkerstrafrecht geläufig sind, etwa Befehlsverantwortung. Kriegsverbrechen, die verübt wurden, bevor das Gesetz im Jahr 2014 in Kraft trat, können unter dem Strafgesetzbuch als „Verbrechen gegen das Völkerrecht“ verfolgt werden.[32] Folter ist derzeit kein eigenständiger Straftatbestand, kann aber als Kriegsverbrechen oder als Verbrechen gegen die Menschlichkeit geahndet werden.[33]

Das Strafrecht sieht vor, dass schwedische Gerichte uneingeschränkt für Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord zuständig sind – das heißt, es ist keine spezifische Verbindung zu Schweden notwendig, um diese Verbrechen zu verfolgen. Sie können also außer Landes verübt worden sein und weder der Tatverdächtige noch die Opfer müssen schwedische Staatsangehörige sein oder sich in schwedischem Hoheitsgebiet aufhalten. [34] Die Staatsanwaltschaft verfügt über einen Ermessensspielraum darüber, ob sie einen Fall nach Prüfung der ihr vorliegenden Beweise weiterverfolgt, was bei stichhaltigen Beweisen in der Regel geschieht.[35]

Deutschland

Seit Inkrafttreten des Völkerstrafgesetzbuches (VStGB) im Jahr 2002 ist Deutschland eines der ersten Länder, die das Rom-Statut des IStGH in ihr nationales Recht übernommen haben. [36] Das Gesetz definiert Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord in Einklang mit dem IStGH-Vertrag und enthält auch Bestimmungen über Befehlsverantwortung und weitere Formen der Verantwortlichkeit. Im deutschen Recht ist Folter kein alleinstehender Straftatbestand, kann aber als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen verfolgt werden.[37]

Unter dem VStGB können die deutschen Behörden schwerste, im Ausland verübte Völkerrechtsverstöße untersuchen und strafrechtlich verfolgen, auch wenn die fraglichen Verbrechen keine Verbindung zu Deutschland haben. Allerdings wird diese universelle Zuständigkeit durch einige verfahrensrechtliche Bestimmungen eingeschränkt.[38] Insbesondere spricht Artikel 153(f) der deutschen Strafprozessordnung der Staatsanwaltschaft einen Ermessensspielraum zu, von Ermittlungen unter dem VStGB abzusehen, wenn:

  1. kein Tatverdacht gegen einen Deutschen besteht;
  2. die Tat nicht gegen einen Deutschen begangen wurde;
  3. kein Tatverdächtiger sich im Inland aufhält und ein solcher Aufenthalt auch nicht zu erwarten ist und
  4. die Tat vor einem internationalen Gerichtshof oder durch einen Staat, auf dessen Gebiet die Tat begangen wurde, dessen Angehöriger der Tat verdächtig ist oder dessen Angehöriger durch die Tat verletzt wurde, verfolgt wird.[39]
Institutionen Schweden

Die schwedische Polizei verfügt über eine Abteilung (Kommission zur Bekämpfung von Kriegsverbrechen), die ausschließlich in schweren Völkerrechtsverbrechen ermittelt. Die Einheit besteht aus 13 Ermittlern und zwei Analytikern. [40] Die Analytiker stellen den Fahndern relevante Kontextinformationen zur Verfügung und beraten sie bei der Zeugenbefragung.[41] Die Abteilung arbeitet eng zusammen mit zwei Beamten der Geheimdienstabteilung der Polizei, die auf schwerste Völkerstraftaten spezialisiert sind.[42]

Auch bei der schwedischen Staatsanwaltschaft gibt es eine Abteilung, die zu Kriegsverbrechen arbeitet („Staatsanwaltschaftliches Team zur Bekämpfung von Kriegsverbrechen“). In ihr sind acht Staatsanwälte beschäftigt, von denen sich vier in Vollzeit auf Völkerstraftaten konzentrieren. Die anderen arbeiten auch an regulären Strafsachen.[43] Die Staatsanwälte dieser Abteilung leiten die Ermittlungen in schwersten Völkerrechtsverbrechen und arbeiten eng mit der polizeilichen Kommission zur Bekämpfung von Kriegsverbrechen zusammen.[44] Anders als in manchen anderen Ländern benötigen sie keine richterliche Genehmigung, um Verfahren einzuleiten, was diese beschleunigt.[45]

Die Kommission und die staatsanwaltlich Abteilung zur Bekämpfung von Kriegsverbrechen arbeiten eng mit ihren Kollegen aus der Terrorismusbekämpfung zusammen und tauschen systematisch und regelmäßig Informationen mit ihnen aus.[46]

In Schweden bearbeitet die Einwanderungsbehörde Asylanträge. In der Behörde sind mehr als 8.000 Personen angestellt. Sie besteht aus 50 Abteilungen, die über das ganze Land verteilt sind und je 30 Mitarbeiter haben.[47] Ihre Arbeit ist anhand von sechs geographischen Regionen strukturiert.[48] In jeder Region gibt es speziell ausgebildete Spezialisten, die die Angestellten bei Fällen unterstützen, die Artikel 1F berühren, den Ausschlussartikel des UN-Abkommens über die Rechtsstellung von Flüchtlingen („Flüchtlingskonvention“) aus dem Jahr 1951. Unter diesem Artikel kann einer Person der Flüchtlingsstatus verweigert werden, etwa weil der dringende Verdacht besteht, dass sie ein schweres Verbrechen begangen hat.[49] Bei solchen Fällen beraten die Spezialisten die Sachbearbeiter während des gesamten Verfahrens zur Feststellung des Schutzanspruchs.[50] Weil in den Jahren von 2014 bis 2016 sehr viele Asylanträge von Syrern eingingen, hat die Einwanderungsbehörde die Zahl der Spezialisten von 20 auf 35 erhöht.[51]

Darüber hinaus stellt eine Abteilung Kontextinformationen über spezifische Länder zur Verfügung und befasst sich mit länderspezifischen Fragen, die in Einzelfällen aufkommen.[52]

Unter schwedischem Recht muss die Behörde Informationen über mutmaßliche, schwere Völkerrechtsverstöße an die Kommission zur Bekämpfung von Kriegsverbrechen weitergeben.[53] Human Rights Watch kann bestätigen, dass die Behörde regelmäßig Informationen über einzelne Tatverdächtige mit der Kommission austauscht. Allerdings tut sie das bislang nicht mit Informationen über mutmaßliche Opfer oder Zeugen von Menschenrechtsverletzungen.[54] Sobald ein 1F-Verfahren abgeschlossen ist, prüft die Abteilung für Rechtsangelegenheiten, welche Informationen die zuständige Regionalstelle an die Kommission zur Bekämpfung von Kriegsverbrechen weitergeben kann.[55]

Im Januar 2016 vereinbarten die schwedischen Strafverfolgungsbehörden, die Staatsanwaltschaft und die Einwanderungsbehörde, ihre Zusammenarbeit zu intensivieren. Vertreter dieser drei Behörden treffen sich nun regelmäßig und diskutieren, wie sie ihre Arbeitsmethoden und den Informationsaustausch verbessern können, auch bei Fällen im Zusammenhang mit Kriegsverbrechen.[56]

Deutschland

Das Bundeskriminalamt verfügt über eine Abteilung zu Kriegsverbrechen, die „Zentralstelle für die Bekämpfung von Kriegsverbrechen und weiteren Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch“ (ZBKV).[57]

In der ZBKV sind 13 Polizisten beschäftigt. Sie verfügt zwar nicht über Analytiker, aber die Ermittler übernehmen zunehmend Aufgaben, die normalerweise in den Arbeitsbereich von Polizeianalytikern fallen. Die ZBKV arbeitet regelmäßig mit Übersetzern, Experten und dem Technik-Support des Bundeskriminalamts zusammen, sowie mit externen Beratern. Darüber hinaus hat die ZBKV Kontaktstellen bei den Landeskriminalämtern aller 16 Bundesländer.[58]

Auch beim Generalbundesanwalt gibt es eine spezielle Abteilung zu Kriegsverbrechen, das Referat für Völkerstrafrecht, das VStGB-relevante Völkerstraftaten untersucht. Im Referat sind sieben Staatsanwälte in Vollzeit beschäftigt, darunter vier Frauen. Das Referat stellte vor kurzem mehr Frauen ein und reagierte damit darauf, dass es zunehmend mit weiblichen Überlebenden sexualisierter Gewalt arbeitet.[59]

Ähnlich wie in Schweden haben die polizeilichen und staatsanwaltlichen Abteilungen, die zu Kriegsverbrechen arbeiten, Pendants in der Terrorismusbekämpfung, mit denen sie häufig zusammenarbeiten. Sie treffen sich regelmäßig und tauschen systematisch Informationen aus.[60]

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bearbeitet Asylanträge in bundesweit 40 Ankunftszentren. Es verfügt über eine eigene Abteilung, Referat 235, die die Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden auf Bundes- und Landesebene koordiniert, auch mit der ZBKV und der Abteilung für Terrorismusbekämpfung. Mit diesen Abteilungen tauscht das BAMF unter anderem Informationen über mutmaßliche Völkerrechtsverbrechen aus. Bei Redaktionsschluss waren im Referat 235 29 Personen angestellt. Darüber hinaus hat das BAMF eine Abteilung für Ausschlüsse unter Artikel 1F (Referat 233), die zur Entscheidungsfindung auch auf Informationen von Referat 235 zugreifen kann.[61]

Das BAMF beschäftigt in seinem Hauptsitz in Nürnberg Länderexperten und führt Weiterbildungen zu speziellen Ländersituation für Mitarbeiter der Ausländerbehörden im ganzen Land durch. Auch hat das Amt Analyse-Referate, die allen BAMF-Mitarbeitern Länderberichte zur Verfügung stellen.[62]

Zwischen den Jahren 2014 und 2016 stockte das BAMF sein Personal von 2.000 auf 9.000 Personen auf, um auf die große Zahl nach Deutschland kommender Asylsuchenden zu reagieren. Diese Expansion ging mit einer Restrukturierung der Behörde einher, in deren Zuge auch die Zahl der Ankunftszentren verdoppelt wurde.[63]

Die deutsche Strafprozessordnung und das Asylrecht regeln den Informationsaustausch zwischen dem BAMF und der Polizei.[64] Anders als sein schwedisches Pendant gibt das BAMF Informationen über Tatverdächtige sowie über mutmaßliche Opfer, Zeugen und auch grundsätzliche Hinweise weiter. Wenn ein BAMF-Mitarbeiter bei einer Asylanhörung Informationen enthält, die auf ein VStGB-relevantes Verbrechen hindeuten, leitet er sie an Referat 235 weiter.[65]  Das Referat gibt diese Informationen dann an die ZBKV weiter, die sie analysiert und ggf. spezifische Nachfragen stellt, bevor sie die Daten zur weiteren Verwendung an das Referat für Völkerstrafrecht beim Generalbundesanwalt gibt.[66]

III. Verfahren in Schweden und Deutschland

Bei Redaktionsschluss führten die schwedischen Behörden ein Strukturverfahren zu schweren Völkerrechtsverstößen in Syrien durch. Strukturverfahren sind breite Vorermittlungen ohne konkrete Tatverdächtige, die dazu dienen, Beweise für mutmaßliche Verbrechen zu sammeln, die in zukünftigen Strafverfahren in Schweden oder andernorts genutzt werden können.[67]  Solche Ermittlungen ermöglichen es den Behörden, Beweise in Echtzeit oder kurz nach den fraglichen Ereignissen zu sichern, statt Jahre später. Sie können die Bemühungen voranbringen, vor nationalen Gerichten Recht über Völkerstraftaten zu sprechen. Darüber hinaus ermitteln die schwedischen Behörden in 13 Fällen gegen Einzelpersonen wegen des Verdachts auf schwere Verbrechen in Syrien.[68]

Die deutschen Behörden waren europaweit die ersten, die ein Strukturverfahren zu Syrien einleiteten, bei Redaktionsschluss liefen zwei solcher Verfahren. Das erste begann im September 2011 und befasst sich mit Verbrechen unterschiedlicher Konfliktparteien in Syrien, konzentriert sich allerdings auf die „Caesar“-Fotos. Das zweite Strukturverfahren läuft seit August 2014 und konzentriert sich auf von ISIS verübte Verbrechen in Syrien und im Irak. Schwerpunkt ist der ISIS-Angriff auf die jesidische Minderheit in Sindschar im Irak im August 2014.[69] Zusätzlich zu den Strukturverfahren laufen in Deutschland 27 Ermittlungsverfahren gegen Einzelpersonen wegen Verdachts auf schwerste Verbrechen in Syrien und im Irak.[70]

Bis dato ist es nur in sieben Fällen im Zusammenhang mit schweren Völkerrechtsverstößen in Syrien zu Gerichtsprozessen gekommen (drei in Schweden und vier in Deutschland). Von diesen beruhten fünf auf dem We"ltr"echtsprinzip und zwei auf dem Täterprinzip.[71]

LAUFENDE UND ABGESCHLOSSENE VERFAHREN WEGEN SCHWERER VERBRECHEN IN SYRIEN[72]

Angeklagter[73]

Grundlage der gerichtlichen Zuständigkeit

Tatvorwurf und Anklagepunkte

Aktueller Stand

Schweden

Mouhannad Droubi (Syrische nicht-staatliche, bewaffnete Gruppe mit Verbindungen zur Freien Syrischen Armee)

We"ltr"echtsprinzip

Misshandlung eines Mitglied einer anderen, nicht-staatlichen Gruppe mit Verbindungen zur Freien Syrischen Armee – Kriegsverbrechen und schwere Körperverletzung[74]

Vor Berufungsgericht am 5. August 2016 zu 8 Jahren Haft verurteilt[75]

Haisam Omar Sakhanh (Syrische nicht-staatliche, bewaffnete Oppositionsgruppe)

We"ltr"echtsprinzip

Außergerichtliche Hinrichtung von sieben Soldaten der syrischen Armee – Kriegsverbrechen[76]

Am 16. Februar 2017 zu lebenslanger Haft verurteilt; Urteil am 31. Mai 2017 von Berufungsgericht bestätigt[77]

Mohammad Abdullah (Syrische Armee)

We"ltr"echtsprinzip

Verletzung der Würde von fünf toten oder verletzten Personen durch Posieren für ein Foto mit dem Fuß auf der Brust einer der Personen – Kriegsverbrechen[78]

Am 25. September 2017 zu 8 Monaten Haft verurteilt[79]

Deutschland

Aria L. (ISIS)

Täterprinzip – Täter ist deutscher Staatsbürger

Schändung von zwei Leichen – Kriegsverbrechen[80]

Am 12. Juli 2016 zu zwei Jahren Haft verurteilt[81]

Abdelkarim El. B. (ISIS)

Täterprinzip – Täter ist deutscher Staatsbürger

Schändung von Leichen – Kriegsverbrechen, Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz[82]

Am 8. November 2016 zu 8,5 Jahren Haft verurteilt[83]

Suliman A.S. (mutmaßlich Jabhat al-Nusra)[84]

We"ltr"echtsprinzip

Entführung eines UN-Beobachters – Beihilfe zu Kriegsverbrechen[85]

Am 20. September 2017 zu 3,5 Jahren Haft verurteilt[86]

Ibrahim Al F. (Freie Syrische Armee)

We"ltr"echtsprinzip

Verdacht auf Beaufsichtigung von Folter, Entführungen, eigenhändiges Foltern von mehreren Personen, die sich der Plünderung ihres Besitzes widersetzten – Kriegsverbrechen[87]

Prozess begann am 22. Mai 2017[88]

Die Fälle, die bislang vor Gericht gebracht wurden, sind nicht repräsentativ für die Verbrechen in Syrien. Die Prozesse wegen Kriegsverbrechen richteten sich fast alle gegen Mitglieder der Freien Syrischen Armee und anderer nicht-staatliche Oppositionsgruppen sowie gegen Angehörige von ISIS und Jabhat al-Nusra. Bislang wurde nur ein rangniederer Angehöriger der syrischen Armee angeklagt. Außerdem bezogen sich die meisten Prozesse in Deutschland auf Verstöße gegen Anti-Terror-Gesetze statt auf Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Problematische Fallauswahl

Wie oben ausgeführt untersuchen die schwedischen und deutschen Behörden Verbrechen unterschiedlicher Konfliktparteien, auch der syrischen Regierung.[89] Allerdings richteten sich Prozesse wegen schwerster Völkerrechtsverstöße bis Redaktionsschluss fast ausschließlich gegen rangniedere Angehörige von ISIS, Jabhat al-Nusra, der Freien Syrischen Armee und anderen nicht-staatlichen Oppositionsgruppen, während nur ein rangniederes Mitglied der syrischen Armee vor Gericht stand. Diese Fallauswahl spiegelt womöglich auch die sicherheitspolitischen Prioritäten Deutschlands und Schwedens wider, die beide den Einfluss von ISIS eindämmen und ihre eigenen Staatsbürger davon abschrecken wollen, sich dieser Gruppierung anzuschließen.

Syrer äußerten sich frustriert darüber, dass zum Zeitpunkt ihrer Befragung noch kein einziger Prozessen gegen Personen mit Verbindungen zur syrischen Regierung stattgefunden hatte. „Europa konzentriert sich auf ISIS und vergisst dabei Assad; ISIS ist ein Tropfen im Meer von Assads Verbrechen“, so ein Syrer in Deutschland.[90]

Einige geflüchtete Syrer trifft der Frust, weil sie persönlich betroffen sind: 22 der in Schweden und Deutschland befragten Personen sagten, dass sie selbst Opfer von Verbrechen der syrischen Regierung seien. Einige glaubten, dass manche Täter in Schweden oder Deutschland leben.[91] Abdou, ein Opfer der Regierung, erklärte:

Die Deutschen behandeln die Syrer falsch. Sie sehen uns als unterschiedslose Masse, sie achten nicht darauf, was die [Streitkräfte der syrischen Regierung] getan haben. Die Deutschen sollten verstehen, wer wer ist.[92]

Zwar untersuchen die schwedischen und deutschen Behörden Verbrechen, die Regierungskräfte verübt haben, aber es sind nur wenige Informationen über diese Ermittlungen öffentlich verfügbar, die nicht unbedingt ihren vollen Umfang widerspiegeln.

Praktikern und Wissenschaftlern zufolge sind Verfahren gegen mittel- und hochrangige Regierungsbeamte und Militärkommandanten für die Beweisführung schwieriger aufzubauen als diejenigen, die bereits vor Gericht verhandelt wurden. Um diese Personen strafrechtlich zu verfolgen, bedarf es stichhaltiger Beweise, die sie mit den fraglichen Verbrechen in Verbindung bringen, und Beweise, die sie in der Befehlskette verorten.[93]

Die Tatverdächtigen der vor Gericht verhandelten Fälle wurden in Schweden und Deutschland verhaftet. Hochrangige Beamte oder führende Militärkommandanten der syrischen Regierung sind jedoch bislang nicht in diese Länder gereist und es ist unwahrscheinlich, dass sie in näherer Zukunft nach Europa kommen werden. Außerdem sind einige Verdächtige auf Grund ihrer Dienststellung zeitweise vor einer Strafverfolgung geschützt.[94]

Dass die bereits aufgegriffenen Fälle das breite Spektrum der in Syrien verübten Gräueltaten nicht angemessen repräsentieren, droht sich negativ darauf auszuwirken, wie syrische Geflüchtete die Verfahren wahrnehmen. Es könnte ihnen die Zuversicht nehmen, dass nationale Gerichte irgendeine Form von Gerechtigkeit herstellen können.

Rückgriff auf Anklagen wegen Terrorismus

Auf welchen Anklagepunkten Prozesse aufbauen, beeinflusst, wie repräsentativ sie insgesamt sind. Während dies bislang in Schweden offensichtlich noch kein Problem ist,[95] häufen sich in Deutschland die Fälle, in denen nur Tatbestände vor Gericht gebracht wurden, die unter Anti-Terror-Gesetzen relevant sind, selbst dann, wenn es wahrscheinlich ist, dass der Verdächtige ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat.[96]

Deutschland verfügt über einen breiten Rechtsrahmen für Anklagen wegen Terrorismus. Das Strafgesetzbuch kriminalisiert die Mitgliedschaft in, die Unterstützung von und die Rekrutierung für eine terroristische Vereinigung. Im Einzelfall entscheiden die Richter, ob eine Vereinigung als terroristisch einzustufen ist.[97] Seit kurzen sind außerdem die Finanzierung terroristischer Vereinigungen und Auslandsreisen mit der Absicht, sich terroristisch ausbilden zu lassen, strafbar.[98]

In Deutschland befragten Praktikern zufolge ist es oft einfacher, Beweise dafür zu finden, dass eine Person Mitglied einer terroristischen Vereinigung ist, als dieselbe Person mit schweren Menschenrechtsverbrechen in Verbindung zu bringen.[99]

Wenn es möglich ist, eine Person sowohl wegen schwerer Völkerrechtsverstöße als auch wegen Terrorismus vor Gericht zu bringen, die Beweise für eine Verurteilung wegen Völkerstraftaten aber nicht ausreichen, klagen die Behörden den Tatverdächtigen eher wegen terroristischer Straftaten an, als ihn aus der Untersuchungshaft zu entlassen.[100]

Allerdings hat es Folgen, Personen nur terroristischer Vergehen schuldig zu sprechen, wenn sie auch Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verdächtig sind. In Deutschland werden schwerste Völkerstraftaten mit längeren Haftstrafen geahndet als terroristische Straftaten.[101] Außerdem reflektieren Anklagen wegen Terrorismus oft nicht das Ausmaß und die Art der verübten Menschenrechtsverletzungen. Sie drohen die Bemühungen zu untergraben, die Einhaltung des humanitären Völkerrechts zu fördern. Werden Terrorismus-Anklagen genutzt, um Personen vor Gericht zu bringen, von denen anzunehmen ist, dass sie für Kriegsverbrechen verantwortlich sind, könnte das zudem als Zeichen dafür verstanden werden, dass das rechtmäßige Interesse der Behörden, nationale Bedrohungen zu bekämpfen, ihr Interesse daran überwiegt, die Verdächtigen für andere schwere Völkerrechtsverbrechen zu bestrafen. Terrorismus-Anklagen drohen auch, die polizeilichen und staatsanwaltlichen Ressourcen, die eigentlich für Verstöße gegen das Völkerstrafrecht vorgesehen sind, in den Dienst der ohnehin gut ausgestatteten nationalen Sicherheitspolitik zu stellen.

Der deutsche Generalbundesanwalt sagte, dass Situationen wie in Syrien und im Irak zeigen, dass Terrorismus und andere schwere Völkerrechtsverbrechen zunehmend miteinander verflochten sind, weil terroristische Vereinigungen als neue Akteure in diesen Konflikten agieren. Er erklärte, dass das Völkerstrafrecht herangezogen werden müsse, um die Rechtswidrigkeit ihrer Verbrechen voll abzubilden und angemessen zu ahnden.[102] Mit Blick auf Syrien bemerkte er, dass die Natur der am Konflikt beteiligten, terroristischen Vereinigungen und ihrer Taten nur dann voll erfasst werden könne, wenn sie nicht nur durch die Linse der Terrorismusbekämpfung, sondern auch im Lichte des Völkerstrafrechts betrachtet würden.[103]

IV. Herausforderungen

Die schwedischen und deutschen Behörden sind bei der Untersuchung und Strafverfolgung schwerer, in Syrien verübter Menschenrechtsverletzungen mit unterschiedlichen Herausforderungen konfrontiert. Aus ihren Erfahrungen lassen sich wichtige Lehren für ihre eigenen Länder ziehen, und für andere Staaten in Europa und weltweit, die Verfahren wegen Völkerrechtsverstößen in Syrien aufnehmen wollen.

Einige Herausforderungen sind typisch für nationale Völkerstrafverfahren. Andere sind Syrien-spezifisch und hängen zusammen mit dem Sammeln von Informationen innerhalb und außerhalb von Schweden und Deutschland. Während manche Hürden nur schwer zu überwinden sind, haben die Behörden bereits Maßnahmen ergriffen, um andere abzubauen.

Die Kombination inhärenter und situationsspezifischer Herausforderungen hat mit hoher Wahrscheinlichkeit beeinflusst, wie viele und welche Fälle in beiden Ländern bislang vor Gericht gebracht wurden. Auch wirkt sich dies darauf aus, wie syrische Flüchtlinge die Versuche, Gerechtigkeit herzustellen, wahrnehmen und sich an ihnen beteiligen.

Typische Herausforderungen

Wenn Fälle nach dem We"ltr"echtsprinzip aufgegriffen werden, so geht dies mit einigen Herausforderungen einher. Manche der Probleme können nationale Behörden nicht lösen.

Die nationale Strafverfolgung schwerster Völkerrechtsverbrechen ist auch ein opportunistisches Unterfangen, denn sie richtet sich in der Regel gegen Personen, die sich im Hoheitsgebiet des Gerichtslandes aufhalten – so auch der Fall bei den bislang in Deutschland und Schweden eingeleiteten Prozessen.

Fallprofil: Haisam Omar Sakhanh

Im September 2013 veröffentlichte die New York Times ein Video, das zeigt, wie Angehörige einer nichtstaatlichen, bewaffneten Oppositionsgruppe sieben gefangene Soldaten der syrischen Regierung am 6. Mai 2012 im Gouvernement Idlib außergerichtlich hinrichteten. Ein ehemaliger Kämpfer hatte das Video wenige Tage zuvor aus Syrien herausgeschmuggelt und an die New York Times geschickt. Einer der Kämpfer in dem Video ist Haisam Omar Sakhanh. 

 

Im Februar 2012 wurde Sakhanh bei einer Demonstration vor der syrischen Botschaft in Rom in Italien verhaftet, wo er seit dem Jahr 1999 einen Aufenthaltstitel inne hatte. Nach seiner Entlassung entschied er sich, nach Syrien zurückzukehren.

 

Im Jahr 2013 reiste Sakhanh nach Schweden und stellte einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung informierte er die Behörden nicht über seine Verhaftung in Italien. Dies führte zu Ermittlungen, die ihn schließlich mit dem New York Times-Video in Verbindung brachten.

 

Sakhanh wurde im Jahr 2016 in Schweden verhaftet und wegen seiner Beteiligung an der Ermordung der sieben Regierungssoldaten eines „Verbrechens gegen das Völkerrecht“ angeklagt.

 

Sein Prozess fand zwischen dem 11. und dem 23. Januar 2017 vor dem Stockholmer Bezirksgericht statt. Zwar gab Sakhanh zu, Schüsse abgefeuert zu haben, sagte jedoch, er habe lediglich das Urteil eines Oppositionsgerichts vollstreckt, das die Hinrichtung der Soldaten angeordnet habe. Er konnte diese Behauptung nicht belegen.

 

Am 16. Februar 2017 verurteilte das Bezirksgericht Sakhanh zu lebenslanger Haft. Zwar erkannten die schwedischen Richter an, dass nichtstaatliche Akteure Gerichte etablieren können, aber in diesem Fall kamen sie zu dem Schluss, dass ein solches Gericht weder unabhängig noch unparteiisch gewesen sei und keinerlei Garantien für ein faires Verfahren bereitgehalten habe. Das Urteil und das Strafmaß wurden am 31. Mai 2017 vom Svea hovrätt, dem obersten Berufungsgericht Schwedens, bestätigt. 

Die strafrechtliche Immunität amtierender Regierungsbeamter kann es ebenfalls erschweren, gegen bestimmte Personen zu ermitteln, die mit schweren Völkerrechtsverbrechen in Verbindung stehen. Dieses Prinzip sieht vor, dass bestimmte Regierungsvertreter, etwa akkreditierte Diplomaten, Staats- und Regierungschefs und Außenminister, während ihrer Amtszeit vor der Verfolgung durch fremde Staaten geschützt sind, sogar vor Ermittlungen wegen schwerster Völkerrechtsverstöße. Die Immunität erlischt, sobald die betreffende Person ihr Amt nicht mehr ausübt, und soll einer späteren Verfolgung nicht im Wege stehen.[104] Sowohl Schweden als auch Deutschland erkennen diesen Grundsatz an und haben ihn in ihr nationales Recht übernommen.[105]

Andere typische Herausforderungen können die nationalen Behörden überwinden, insbesondere dann, wenn sie mit den notwendigen Ressourcen ausgestattet sind.

Beispielsweise sind Völkerstrafverfahren komplex und erfordern mehr Zeit und Ressourcen als reguläre Strafverfahren. Sie stellen besondere Anforderungen an und bedürfen spezifischer Expertise auf Seiten von Polizisten, Staatsanwälten, Gerichten, den Anwälten der Opfer und denen der Täter. Um – meistens von den Opfern und Zeugen – Beweise zu sammeln, müssen die Ermittler in der Regel in das Land reisen, in dem das Verbrechen verübt wurde. Daraus ergeben sich zahlreiche Herausforderungen, darunter sprachliche und kulturelle Hürden und unter Umständen Widerstände der nationalen Behörden. Auch berühren die Verfahren meist Tatbestände und Arten der Verantwortlichkeit, mit denen nationale Ermittler und Staatsanwälte nicht vertraut sind.

Die Erfahrungen einer Reihe europäischer Länder deuten darauf hin, dass Sonderabteilungen zu Kriegsverbrechen, Weiterbildungsangebote für Praktiker, die mit dieser Art von Fällen befasst sind, und angemessene Ressourcen für die Ermittlung und Strafverfolgung wirksame Maßnahmen sind, um diese Hürden zu überwinden.[106]

Syrien-spezifische Herausforderungen

Zusätzlich zu den typischen Herausforderungen ist die übergeordnete Schwierigkeit für Behörden bei Fällen mit Syrien-Bezug, inmitten eines laufenden Konflikts zu ermitteln und keinen Zugang zu den Tatorten zu haben. Daher müssen die Behörden von anderen Quellen Informationen einholen, auf denen sie Verfahren aufbauen können.

Neben öffentlich zugänglichen Plattformen wie sozialen Netzwerken gibt es drei Hauptquellen für solche Informationen: syrische Flüchtlinge und Asylsuchende, die sich im ermittelnden Land aufhalten; andere Regierungen und Regierungsorganisationen; und zahlreiche nichtstaatliche Dokumentationsgruppen, die grenzüberschreitend arbeiten.

Informationssammlung im Inland

Schweden und Deutschland befinden sich in unterschiedlichen Phasen der Informationsgewinnung im Inland. Während die schwedischen Ermittler Schwierigkeiten dabei haben, Informationen von syrischen Flüchtlingen und Asylsuchenden zu erhalten, sind ihre deutschen Kollegen mit einer großen Menge an Informationen aus unterschiedlichen Quellen konfrontiert, die sie ordnen und filtern müssen.

Die ersten drei in Schweden abgeschlossenen Prozesse wegen schwerster Völkerrechtsverbrechen in Syrien waren kein Teil strategischer Ermittlungen, sondern basierten auf belastenden Fotos und Videos, auf denen das staatsanwaltliche Team zur Bekämpfung von Kriegsverbrechen die Fälle aufbaute.[107] Zusätzlich zu Foto- und Videomaterial zog die schwedische Staatsanwaltschaft vor allem Experten heran, um kontroverse rechtliche Probleme zu klären oder um Kontextinformationen über die Situation in Syrien zum Zeitpunkt der Verbrechen einzubeziehen.[108]

Die schwedischen Behörden versuchen derzeit, eine klarere Strategie der Strafverfolgung zu entwickeln, die auf den Informationen aufbaut, die sie durch das Strukturverfahren generiert haben. In diesem Zusammenhang haben Ermittler begonnen, Kontakt zu syrischen Flüchtlingen in Schweden herzustellen. Allerdings ist es schwierig, Personen zu finden, die bereit sind, vor Gericht auszusagen.[109]

Ein Praktiker erläuterte, dass die schwedischen Ermittler und Staatsanwälte, wenn sie strategischer vorgehen sollen, „mehr harte Fakten und Personen brauchen, die aussagen wollen“, um Völkerstrafverfahren mit Syrien-Bezug aufzubauen.[110] Zwei anderen Praktikern zufolge sind Hinweise für die Ermittlungen bedeutsam. Sie betonten aber, dass die Ermittler in jedem Fall Augenzeugen benötigen, unabhängig davon, welche anderen Informationen sie bereits erhalten haben.[111]

Die deutschen Behörden sind derzeit mit einer anderen Herausforderung konfrontiert, nämlich mit großen Mengen allgemeiner, ungefilterter und häufig unaufgefordert eingebrachter Informationen aus unterschiedlichen Quellen. Das bedeutet, dass die Ermittler diese Informationen zunächst filtern müssen, bevor sie sich gezielter der Kontaktaufnahme mit Syrern widmen können.

Mit Stand von Juni 2017 hatte die ZBKV 4.100 Hinweise (davon 2.760 mit Syrien-Bezug) erhalten, von denen einige schließlich in 27 gezielten Ermittlungen gegen Einzelpersonen mündeten, die in Syrien und im Irak verübter Verbrechen verdächtig sind.[112] Gesprächspartner schilderten, dass die ZBKV buchstäblich mit Informationen aus verschiedenen Quellen überflutet werde, darunter das BAMF und die allgemeine Öffentlichkeit. Letztere macht die Ermittler meist auf mögliche Hinweise in den sozialen Medien aufmerksam.[113] All diese Informationen müssen überprüft werden, und die große Zahl der Tipps erschwert es, den jeweiligen Wahrheitsgehalt zu erkennen. Insbesondere erfordert es viel Zeit und Ressourcen, die Informationen nach Fragestellungen durchzusehen, die für laufende Ermittlungen relevant sind, und um Zeugen zu identifizieren, die aus erster Hand von einem Verbrechen wissen.[114] Ein Praktiker sagte, dieses Vorgehen entspräche einer kleinen vorläufigen Ermittlung.[115]

Vor diesem Hintergrund können syrische Flüchtlinge in Schweden und Deutschland eine wichtige Rolle dabei spielen, die Behörden in ihren Bemühungen zu unterstützen. Allerdings haben Ermittler und Staatsanwälte in beiden Ländern Schwierigkeiten im Umgang mit Geflüchteten, hauptsächlich, weil viele Asylsuchende und Flüchtlinge den Behörden misstrauen, Ängste haben und insgesamt wenig über die Ermittlungen wissen.

Misstrauen

Syrische Flüchtlinge misstrauen häufig der Polizei und anderen Beamten, weil sie in ihrer Heimat negative Erfahrungen mit den Behörden gemacht haben.[116] Ahmad, der in Schweden lebt, sagte:

Wir sind es gewöhnt, die Polizei oder die Regierung als Bedrohung zu betrachten. Wenn du eines deiner Rechte in Syrien in Anspruch nehmen möchtest, entscheidest du dich dagegen, weil die Polizei versuchen wird, dir Geld abzunehmen. Kein Vertrauen. Auch, wenn ich in Schweden einen Polizisten sehe, fühle ich mich nicht normal. Für uns sind die Polizei und die Regierung keine Instanzen, denen wir vertrauen können.[117]

Dieses Misstrauen rührt auch daher, dass einige Flüchtlinge denken, die schwedische und deutsche Regierung unterstützten die syrische, während sie dem Leid der syrischen Bevölkerung gleichgültig gegenüber stünden – und das, obwohl in beiden Ländern deutlich mehr syrische Flüchtlinge leben als in den meisten anderen EU-Staaten.[118] Ibrahim, der in Deutschland lebt, sagte:

Die allgemeine Atmosphäre hier ist gegen uns. Man fühlt sich nicht, als würde sich irgendjemand wirklich für einen interessieren.[119]

Einige Gesprächspartner betonten, dass die Behörden beider Länder besonders sensibel mit Flüchtlinge umgehen sollten, auf Grund von deren Erfahrungen, auch mit Verbrechen, deren Opfer oder Zeugen einige von ihnen sind. Dahingegen schilderten Flüchtlinge das Asylverfahren als unpersönlich und berichteten von negativen Erfahrungen vor allem mit Mitarbeitern der Einwanderungsbehörden. Ein Flüchtling sagte:

Wenn man wie eine Nummer behandelt wird und einem niemand zuhört, fühlt man sich nicht wohl damit, sensible, persönliche Informationen preiszugeben […] Ich bin nicht nur ein Opfer oder ein Flüchtling […] Man fühlt sich hier von der ersten Sekunde an angegriffen und verletzt.[120]

Angst vor Vergeltung

Viele der in Schweden und Deutschland befragten Flüchtlinge haben noch Familie und Freunde in Syrien. Das erschwert es den Behörden, Personen zu finden, die bereit sind, öffentlich über Verbrechen auszusagen, deren Opfer oder Zeugen sie sind.

Einige in Schweden befragte Flüchtlinge erklärten sich grundsätzlich bereit, mit den Behörden zusammenzuarbeiten, zögerten aber, offen vor Gericht aufzutreten oder Namen zu nennen, weil sie um die Sicherheit ihrer Angehörigen in Syrien fürchten.[121] Ein Flüchtling erklärte, er wolle nicht öffentlich aussagen, weil er vermute, dass ISIS und die syrische Regierung in Schweden aktiv sind.[122] Unter schwedischem Recht können Zeugen in Strafprozessen nicht anonym bleiben, wobei begrenzte Zeugenschutzmaßnahmen möglich sind.[123]

In Deutschland befragte Syrer äußerten ähnliche Bedenken. Zusätzlich zur Sorge um die Sicherheit ihrer Familien in Syrien sagten einige Flüchtlinge, sie hätten Angst um ihr eigenes Leben, da sie davon ausgingen, dass Syrer, die auf der Seite der Regierung stehen und nun in Europa leben, ihnen Schaden zufügen können.[124] Unter deutschen Recht ist es unter bestimmten Umständen möglich, die Identität eines Zeugen geheim zu halten (zum Beispiel bei Opfern sexualisierter Gewalt).[125] Allerdings wird davon selten Gebrauch gemacht, weil anonyme Aussagen vor Gericht weniger Gewicht haben und Staatsanwälte sie daher als letztes Mittel betrachten.[126]

Fehlendes Wissen

Die Untersuchungen zeigen, dass syrische Flüchtlinge insgesamt wenig über Verfahren nach dem We"ltr"echtsprinzip wissen. Das betrifft vor allem drei Bereiche:

  • Fehlendes Wissen über das Rechtssystem und die Möglichkeiten syrischer Flüchtlinge, zur Strafverfolgung beizutragen;
  • Fehlendes Wissen über das Recht von Opfern, an Strafverfahren teilzunehmen; und
  • Fehlendes Wissen über die laufenden Verfahren.
Rechtssystem

Die Bereitschaft (und die Befähigung) syrischer Flüchtlinge, Informationen an die Behörden weiter zu geben, ist beeinträchtigt, wenn sie nicht genug über die Mandate und Arbeitsweisen der Einwanderungsbehörden, Strafverfolgungsbehörden und der Staatsanwaltschaft wissen, sowie über die Zusammenarbeit dieser Instanzen.

Das trifft insbesondere mit Blick auf ihren unsicheren Aufenthaltsstatus zu. Wenn die Einwanderungsbehörden Asylsuchenden nicht verdeutlichen, was ihre Aufgaben sind und wie sich das Asylverfahren von strafrechtlichen Ermittlungen unterscheidet, dann schrecken syrische Asylsuchende womöglich davor zurück, Informationen weiter zu geben, weil sie fürchten, dies könnte ihren Schutzanspruch gefährden.

Mehreren syrischen Flüchtlingen in beiden Ländern zufolge leugnen Asylsuchende bei ihrer Anhörung häufig, Zeugen oder Opfer von Verbrechen zu sein, weil sie glauben, es könne die Entscheidung über ihren Status negativ beeinflussen, wenn sie dies offen legen.[127] Raslan sagte, er habe davor zurückgeschreckt, bei seiner Asylanhörung Informationen weiter zu geben:

Ich habe nicht besonders viel gefragt oder gesagt. Ich hatte Angst um meine Papiere, um mich selbst und um meine Familie in Syrien. […] Ich habe nicht gesagt, dass ich in Syrien etwas gesehen haben, ganz gleich ob ich das nun habe oder nicht.[128]

Zudem denken viele Asylsuchende in Schweden offensichtlich, dass es klüger sei, ihre Flucht aus Syrien bei ihrer Anhörung auf ISIS zurückzuführen, selbst wenn sie tatsächlich vor Regierungskräften oder anderen bewaffneten Gruppen geflohen sind. Scheinbar gehen sie davon aus, dass ein Verweis auf ISIS ihr Asylverfahren positiv beeinflussen würde, weil diese Gruppe weltweit eine schlechte Reputation hat.[129]

Auch in Deutschland sind ähnliche Geschichten unter Asylsuchenden verbreitet. Einige befragte Personen wurden von anderen Syrern davor gewarnt, zu erwähnen, dass sie Opfer von Verbrechen der Regierung sind, weil das ihr Asylverfahren „verkomplizieren“ würde.[130]

Keiner der befragten syrischen Flüchtlinge  in Schweden und Deutschland hat erfahren, dass er ein Recht darauf hat, die Polizei zu informieren, wenn er gegenüber der Einwanderungsbehörde Informationen über Verbrechen offenlegt, deren Opfer oder Zeuge er war. 15 befragte Syrer, die bei ihrer Anhörung über solche Erfahrungen gesprochen haben, sagten, sie wussten nicht, dass und wie sie diese Informationen auch an die Polizei geben können.[131]

Ibrahim beklagte, dass er wenig darüber wisse, wie er die zuständigen Behörden kontaktieren könne: „Warum sagen sie uns das nicht? Ich weiß nicht, wohin ich gehen soll, wenn ich etwas aussagen will.“[132]

Das Recht der Opfer, an Strafverfahren teilzunehmen

Im schwedischen Rechtssystem haben Opfer das Recht, Strafverfahren zu initiieren oder als Zivilparteien an einem Prozess teilzunehmen, den die Staatsanwaltschaft angestrengt hat. Ihnen steht ein kostenfreier Rechtsbeistand zu.[133] Unter deutschem Recht können die Opfer bestimmter Verbrechen als Nebenkläger am Prozess teilnehmen und haben das Recht auf einen kostenfreien Rechtsbeistand, der ihnen automatisch zugewiesen wird.[134]

Keiner der befragten Flüchtlinge wurde während oder nach seinem Asylverfahren über sein Recht informiert, an Strafverfahren teilzunehmen.[135] Ayman stellte als Teil einer Gruppe von Opfern in Deutschland Strafanzeige gegen hochrangige syrische Beamte.[136] Er erfuhr erst, dass er dies tun kann, als er mit einem befreundeten syrischen Anwalt sprach.[137]

Laufende Verfahren

In Schweden und Deutschland befragte syrische Flüchtlinge wussten mehrheitlich nichts über die Strafverfahren, die in ihren Aufnahmeländern laufen, oder hatten über diese nur wenige (und oft falsche) Informationen.[138] Die meisten, die zumindest ein paar korrekte Informationen hatten, fanden diese auf den Facebook-Seiten syrischer Aktivisten.[139]

Einige wünschten sich mehr Informationen über die laufenden und zukünftige Verfahren aus offiziellen Quellen, idealerweise auf Arabisch.[140] Sie bezeichneten soziale Netzwerke, insbesondere Facebook, als geeignete Plattformen, um Neuigkeiten über die Verfahren zu veröffentlichen.

Die Syrien-Krise unterscheidet sich vor allem deshalb von anderen Situationen, zu denen die deutschen und schwedischen Ermittler und Staatsanwaltschaften in der Vergangenheit gearbeitet haben, weil sich in ihren Hoheitsgebieten sehr viele syrische Flüchtlinge und Asylsuchende aufhalten, die eine wichtige Rolle bei den Verfahren spielen können. Daher ist es wichtig, dass die Behörden erfolgreich mit ihnen interagieren.

In Schweden und Deutschland werden Prozesse nicht gefilmt oder im Fernsehen ausgestrahlt, aber sie sind in der Regel offen für die breite Öffentlichkeit und für Medienvertreter.[141] Gerichtsverfahren werden grundsätzlich auf Schwedisch beziehungsweise Deutsch geführt. In den Prozessen mit Syrien-Bezug, die bisher verhandelt wurden, erhielten die Angeklagten Übersetzungen ins Arabische. Informationen über die Verfahren (normalerweise im Zusammenhang mit einer Verhaftung, dem Beginn eines Prozesses oder einem Urteilsspruch) werden manchmal auf den Websites der Staatsanwaltschaft und der Polizei veröffentlicht, aber nur auf Schwedisch beziehungsweise Deutsch.[142] Die Urteile und andere wichtige Gerichtsdokumente sind ebenfalls nur auf Schwedisch beziehungsweise Deutsch verfügbar. Die deutsche Staatsanwaltschaft bemüht sich allerdings darum, Zwischenentscheidungen, also vorläufige Urteile, sowie die endgültigen Urteile in die für den Fall relevanten Sprachen zu übersetzen.[143]

Im Februar 2017 richtete die schwedische Staatsanwaltschaft eine Pressekonferenz über zwei neue Urteile (eins mit Syrien-Bezug) aus und erläuterte die Arbeit des staatsanwaltlichen Teams zur Bekämpfung von Kriegsverbrechen.[144] In Deutschland halten Staatsanwälte in der Regel zum Abschluss eines Prozesses eine Pressekonferenz ab, sowie einmal jährlich, um über ihre Arbeit insgesamt zu sprechen.[145] Diese Initiativen sind wertvoll und zeigen, dass die Behörden grundsätzlich offen sind. Allerdings finden die Veranstaltungen ausschließlich auf Schwedisch beziehungsweise Deutsch statt und beziehen die betroffenen Gemeinschaften nicht aktiv mit ein.

Zudem berichten die schwedischen und deutschen Medien nicht systematisch über die jüngsten Verfahren mit Syrien-Bezug.[146] Praktiker in Schweden merkten an, dass Journalisten bei einem neuen Fall oft auf Ermittler und Staatsanwälte zukommen, aber das kein Interesse daran bestehe, über den weiteren Verlauf der Verhandlungen zu berichten.[147] Wenn berichtet wird, dann nur auf Schwedisch beziehungsweise Deutsch. Syrische Flüchtlinge in Schweden sagten, dass es keinen arabischen Medienkanal gäbe, dem sie zutrauten, diese Informationen zu vermitteln.[148]

Gesprächspartner in beiden Ländern hatten den Eindruck, dass die Medien kein Interesse an den Verfahren haben. Manche führten das darauf zurück, dass die Öffentlichkeit der Nachrichten über Syrien müde sei, sich mehr für Fragen der nationalen Sicherheit und ISIS interessiere und wenig von Rechtsbegriffen wie Kriegsverbrechen verstehe.[149]

Auswirkungen des begrenzten Einbezugs auf syrische Flüchtlinge

Der mangelhafte Einbezug der betroffenen Gemeinschaften in Deutschland und Schweden kann unmittelbar den Erfolg von Bemühungen beeinträchtigen, syrische Völkerrechtsverbrecher zur Rechenschaft zu ziehen. Wenn Syrer in Schweden und Deutschland Angst haben und den Behörden misstrauen, sind sie weniger bereit, möglicherweise beweiskräftige Informationen weiterzugeben. Diese negative Einstellung wird dadurch verstärkt, dass Flüchtlinge und Asylsuchende zu wenig über die Verfahren und die existierenden Systeme wissen. Ohne ausreichendes Wissen können Syrer die Bemühungen ihrer Aufnahmeländer um Gerechtigkeit nicht vollständig verstehen und entsprechend auch nicht zu ihnen beitragen.

Abdou, der eigenen Angaben zufolge ein Opfer von Verbrechen der syrischen Regierung ist und inzwischen in Deutschland lebt, sagte, dass „die Deutschen dieser Gemeinschaft grundsätzlich nicht ermöglichen, sich an den Verfahren zu beteiligen“[150].

Auf der anderen Seite kann es Syrern in Schweden und Deutschland ein Gefühl von Gerechtigkeit vermitteln, wenn sie sich selbst als Anspruchsberechtigte in den Verfahren sehen können. Auch kann es ihre Integration fördern, wenn sie über die Prozesse und darüber Bescheid wissen, wie sie zu ihnen beitragen können. Samira, die in Schweden lebt, hat Informationen über Verbrechen in Syrien, die sie weitergeben möchte, wusste aber nicht, dass das möglich ist:

Niemand hört meine Stimme, niemand hat mir gesagt, dass ich reden darf. Ich würde so gerne Informationen weitergeben, um die Wahrheit zu zeigen und wie sehr wir gelitten haben.[151]

Gleichzeitig haben einige syrische Flüchtlinge unrealistische Erwartungen daran, wie sie zu Verfahren beitragen und was dabei herauskommen könnte. Diese verzerrten Erwartungen sind teilweise auf das fehlende Wissen über die Rechtssysteme und die Grenzen der Verfahren zurückzuführen.

Weil sie durch ihr Mandat und ihre Ressourcen eingeschränkt sind, können nationale Behörden häufig Informationen, die sie von syrischen Flüchtlingen erhalten, nicht nutzen, um Fälle aufzubauen. Zwar sind manche Syrer, die schwere Verbrechen bezeugen können und/oder dokumentiert haben, bereit, mit den Behörden zusammenzuarbeiten[152]. Aber ihre Informationen beziehen sich häufig nicht auf Vorfälle innerhalb der jeweiligen Gerichtsbarkeit oder haben keinen Beweiswert in Strafprozessen.

Zusätzlich dazu, und wie bereits ausgeführt, kommen im Ausland verübte Verbrechen oft nur dann vor nationale Gereichte, wenn der Tatverdächtige im Land ist und Beweise verfügbar sind. Da der Konflikt in Syrien andauert, ist es unwahrscheinlich, dass führende Regierungsangehörige oder Militärkommandanten in näherer Zukunft nach Europa reisen werden. Damit schwindet die Wahrscheinlichkeit, dass mittel- oder hochrangige Personen mit Verbindungen zur Regierung angeklagt werden.

All diese Einschränkungen sind den Syrern in Schweden und Deutschland nicht notwendigerweise klar und werden ihnen auch nicht vermittelt, was sie frustrieren und dazu führen kann, dass sie das Vertrauen in die Behörden verlieren. Hakim, ein Journalist, der von der syrischen Regierung inhaftiert worden war, sagte: „Die meisten Leute, die das Regime vor Gericht sehen wollen, haben jede Hoffnung verloren.“[153]

Informationssammlung auf regionaler und internationaler Ebene

Die schwedischen und deutschen Behörden sammeln Informationen, die dazu beitragen können, Gerechtigkeit für Völkerstraftaten in Syrien herzustellen, auch außerhalb ihrer Landesgrenzen. Während die Europäische Union Plattformen zum Informationsaustausch zwischen ihren Mitgliedstaaten bereit stellt, ist die Zusammenarbeit mit Ländern außerhalb der EU schwieriger. Nichtregierungsorganisationen und UN-Institutionen spielen außerdem eine zunehmend wichtige Rolle in der Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen in Syrien. Ermittler und Staatsanwälte versuchen derzeit, die Interaktion und Zusammenarbeit mit diesen Instanzen zu verbessern.

Länder in Europa

Die schwedischen und deutschen Behörden berichten von guter Zusammenarbeit auf europäischer Ebene, da Protokolle einen raschen Informationsaustausch ermöglichen.[154]

Darüber hinaus nehmen Staatsanwälte und Ermittler aus beiden Ländern regelmäßig an Treffen des „Europäisches Netzes von Anlaufstellen betreffend Personen, die für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen verantwortlich sind“ (EU Genocide Network) teil, die von Eurojust ausgerichtet werden.[155] Eurojust ist die EU-Agentur für justizielle Zusammenarbeit und soll die Koordination und Zusammenarbeit der nationalen Ermittlungsbehörden und Staatsanwaltschaften der EU-Mitgliedstaaten bei schweren Verbrechen unterstützen und stärken.

Das EU Genocide Network richtet halbjährliche Treffen aus, bei denen Ermittler und Staatsanwälte aller EU-Mitgliedstaaten sowie aus Norwegen, der Schweiz, Kanada und den USA sich über Informationen, Erfahrungen und Arbeitsmethoden austauschen.[156] Damit schafft das Netz ein eigenes Forum für EU-weite Zusammenarbeit und Wissensaustausch im Bereich schwerster Völkerrechtsverbrechen.

Die Zivilgesellschaft ist eingeladen, an einem Teil des Treffens teilzunehmen. Der Rest ist nicht öffentlich, so dass sich Praktiker in einem vertraulichen Rahmen über einzelne Fälle austauschen können. Beamten zufolge fördern diese Treffen eindeutig die bilateralen Beziehungen, die sich als essentiell für ihre Arbeit an bestimmten Fällen, auch mit Syrien-Bezug, erwiesen haben.[157]

Daneben arbeitet Deutschland mit anderen europäischen Ländern, insbesondere den Niederlanden, am Aufbau einer zentralen Datenbank zu Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord innerhalb vor Europol, der Agentur für polizeiliche Zusammenarbeit in der EU.[158] Einem Praktiker zufolge soll diese Datenbank die Ermittlungen nationaler Behörden optimieren, indem sie unter anderem einen sicheren Informationsaustausch zwischen bestehenden polizeilichen Abteilungen, die zu Kriegsverbrechen in Europa arbeiten, ermöglicht.[159]

Angesichts der wichtigen Rolle, die Einwanderungsbehörden bei der Identifikation von Personen spielen, die Völkerstraftaten verdächtig sind, setzte sich Human Rights Watch dafür ein, dass ein europäisches Netzwerk von Kontaktstellen für Ausschluss-Fälle geschaffen wird, einschließlich Ausschlüsse unter Artikel 1F der Flüchtlingskonvention.[160] Diese Empfehlung wurde offensichtlich im Februar 2017 umgesetzt, als das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen das Ausschluss-Netz gründete. Dieses ermöglicht den Kontaktstellen der EU-Mitgliedstaaten, den EU-Behörden, dem UN-Hochkommissar für Flüchtlinge und der Intergovernmental Consultations on Migration, Asylum and Refugees in Fragen des Ausschlusses von internationalem Schutz zusammenzuarbeiten.[161]

Wenn bei einem Asylsuchenden der erste Verdacht auf schwerste Verbrechen besteht und er daher keinen Flüchtlingsstatus erhält, müssen die Behörden – wie bereits ausgeführt – klären, ob ihm bei einer Abschiebung Folter, unfaire Prozesse oder andere unangemessene oder unmenschliche Behandlung droht. Ist das der Fall, ist eine Abschiebung völkerrechtlich verboten und die Behörden sollten erwägen, ob es nicht angemessener wäre, den Verdächtigen in einem Rechtssystem zur Verantwortung zu ziehen, in dem ihm ein faires Verfahren und ordentliche Behandlung zuteil wird.

Nachbarstaaten von Syrien

Die Türkei, der Libanon und Jordanien haben weltweit die meisten syrischen Flüchtlinge aufgenommen[162] und mit ihnen eine bedeutende Zahl möglicher Opfer und Zeugen schwerster Völkerrechtsverbrechen[163]. Allerdings ist die Zusammenarbeit mit diesen Ländern schwierig, weil es kein vergleichbares System wie in Europa für raschen Informationsaustausch gibt. Einigen Praktikern und Regierungsbeamten in Schweden und Deutschland zufolge kann es abhängig von den jeweiligen bilateralen Abkommen sehr mühsam und zeitraubend sein, Informationen bei diesen Ländern anzufragen (sogenannte Rechtshilfeersuche zu stellen).[164]

Schwedische und deutsche Beamte berichteten, dass sie wegen der damit einhergehenden Schwierigkeiten nur begrenzt oder gar keinen Kontakt zu den Behörden in der Türkei, dem Libanon und Jordanien haben. Außerdem war eine Zusammenarbeit bei den bisherigen Ermittlungen schlicht nicht erforderlich.[165] Eine Ausnahme stellt der Versuch schwedischer Behörden dar, ein Opfer zu befragen, das ein schwedischer Journalist in der Türkei ausfindig gemacht hatte.[166] Nachdem sie im Mai 2015 ein Rechtshilfeersuchen stellten, konnten sie die Befragung erst im Januar 2016 durchführen.[167] Praktikern zufolge hat Deutschland im Zusammenhang mit den laufenden Syrien-Untersuchungen bisher noch kein einziges Ersuchen an eines der drei Länder gestellt.[168]

Andere Akteure

Nationale Ermittler und Staatsanwälte nutzen oft Berichte von internationalen NGOs und anderen Gruppen oder Instanzen, um an Hintergrundinformationen oder erste Hinweise zu gelangen. Allerdings weisen Verteidiger darauf hin, dass es problematisch ist, wenn solche Berichte vor Gericht zugelassen werden, auch wenn sie nur Hintergrundinformationen bereitstellen. Das trifft insbesondere dann zu, wenn die Verteidigung keine Möglichkeit hat, die Informationen in diesen Berichten anzufechten oder die Autoren zu befragen. Schwedische Richter haben Berichte von NGOs bei Prozessen bereits als glaubwürdig eingestuft und als Hintergrundinformation zugelassen.[169]

Dass die schwedischen Staatsanwälte in den ersten zwei Prozessen zu Kriegsverbrechen in Syrien massiv auf solche Berichte zurückgriffen, führte einem schwedischen Praktiker zufolge dazu, dass die Schwelle für zulässige Beweise de facto herabgesetzt wurde. Denn die Berichte enthalten Informationen, die nicht unter Berücksichtigung der Verfahrensstandards bei Strafprozessen gesammelt wurden.[170] Ein Praktiker in Deutschland merkte ebenfalls an, dass Richter dazu neigen, blind auf diese Berichte zu vertrauen, weil sie nicht mit den kulturellen und politischen Kontexten der Länder vertraut sind, in denen die Verbrechen verübt wurden.[171]

Die Behörden sind mit ähnlichen Problemen konfrontiert, wenn sie auf Informationen aus Berichten der UN-Untersuchungskommission zurückgreifen. Da die Kommission kein Strafverfolgungsmechanismus ist, geht sie bereits dann, wenn „hinreichende Gründe dafür vorliegen“, davon aus, dass sich ein untersuchtes Geschehen in der beschriebenen Weise ereignet hat.[172] Diese Schwelle ist niedriger als die für zulässige Beweise in nationalen Strafverfahren.

Praktiker aus Schweden sagten, dass die Zusammenarbeit mit der Untersuchungskommission auch deshalb schwierig sei, weil sie strenge Offenlegungsregelungen und nur wenig Personal hat.[173] Die Kommission ist mit menschenrechtlichen Untersuchungen beauftragt. Deshalb hat sie kein System zur Informationsverwaltung, das strafrechtliche Ermittlungen unterstützen kann, und nicht ausreichend Personal, das sich der Zusammenarbeit mit nationalen Behörden widmen kann.[174] Außerdem beziehen sich die Informationsanfragen nationaler Behörden häufig auf bestimmte Personen oder Ereignisse, die kein Untersuchungsgegenstand der Kommission waren. Das hängt auch damit zusammen, dass sich nationale Ermittlungen häufig auf die Verdächtigen oder Opfer konzentrieren, die zufällig in ihre Gerichtsbarkeit fallen. Die Berichte der Kommission hingegen dokumentieren zentrale Vorfälle und untersuchen, welche Personen für diese mitverantwortlich sind. Eine andere Hürde ist das fehlende Einverständnis der Quellen, die Informationen, über die die Kommission verfügt, an nationale Gerichte weiterzugeben.[175]

Nichtsdestotrotz sind die schwedischen und die deutschen Behörden überzeugt, dass die Kommission relevante Informationen für ihre Ermittlungs- und Strafverfolgungsanstrengungen bereitstellen könnte. Ein Praktiker empfahl, eine Anlaufstelle innerhalb der schwedischen Kommission zur Bekämpfung von Kriegsverbrechen zu schaffen, die sich der Zusammenarbeit mit der UN-Untersuchungskommission widmet.[176] Währenddessen tauschen deutsche Beamte Erfahrungen mit anderen nationalen Behörden aus, um die Zusammenarbeit mit der UN-Untersuchungskommission zu verbessern und zu vereinheitlichen.[177]

Der neue Untersuchungsmechanismus zu Syrien, den die UN-Generalversammlung eingerichtet hat, könnte auch zu einer wichtigen Informationsquelle für nationale Behörden werden. Der Mechanismus hat ein zweigliedriges Mandat:

  1. Beweise für Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, Menschenrechtsverletzungen und andere Verstöße zu sammeln, zu konsolidieren, aufzubewahren und zu analysieren; und
  2. Akten vorzubereiten, die faire und unabhängige Strafverfahren ermöglichen und beschleunigen, die im Einklang mit dem Völkerrecht stehen und vor nationalen, regionalen oder internationalen Gerichten oder Tribunalen prozessiert werden, die in der Zukunft und im Einklang mit dem Völkerrecht für diese Verbrechen zuständig werden können.
  3. [178]

Da der Mechanismus noch nicht arbeitet, ist es noch zu früh, um zu beurteilen, wie dies in der Praxis funktionieren wird. Nichtsdestotrotz zeigten sich schwedische und deutsche Behörden daran interessiert, mit dem Mechanismus zusammenzuarbeiten.

Gegenmaßnahmen

Schweden und Deutschland unternehmen aktiv Schritte, um einigen der aufgezeigten Herausforderungen zu begegnen.

Weiterbildung und juristische Ausbildung

Schwerste Völkerrechtsverbrechen zu untersuchen und strafrechtlich zu verfolgen erfordert besondere Fähigkeiten und Wissen. Staatsanwälte müssen in der Lage sein, Kontextelemente nachzuweisen, die Bestandteile dieser speziellen Tatbestände sind, etwa die Existenz eines Konflikts oder eines großflächigen und systematischen Angriffs auf die Zivilbevölkerung. Außerdem müssen sie die Verdächtigen mit Gräueltaten in Verbindung bringen, die von ihren Untergebenen verübt wurden. Zusätzlich werden solche Verbrechen in der Regel gegen eine Vielzahl von Opfern außerhalb des Hoheitsgebiets des ermittelnden Staates verübt.

Die schwedischen und deutschen Behörden arbeiten daran, diesen Herausforderungen zu begegnen. Allerdings haben sie sich bestimmten Problem noch nicht gewidmet, die zu berücksichtigen sind.

Schweden

Die schwedischen Polizisten in der Kommission, die zu Kriegsverbrechen arebeitet, sind nicht darin ausgebildet, in schweren Völkerrechtsverbrechen zu ermitteln, und lernen dies primär während ihrer Arbeit. Allerdings haben mindestens ein Ermittler und ein Analytiker durch frühere Tätigkeiten für internationale Organisationen bereits Erfahrungen mit dieser Art von Ermittlungen.[179]

Auf Grund der dezentralen Struktur der schwedischen Polizei kann theoretisch jede Polizeistation im Land wichtige Informationen über schwere Völkerrechtsverbrechen (in Syrien oder andernorts) erhalten und muss diese richtig einordnen und verarbeiten können. Um die Polizeibeamten darauf besser vorzubereiten, hat die Kommission Leitfäden erstellt, die die Beamten dabei unterstützen sollen, mit Berichten über mutmaßliche Kriegsverbrechen umzugehen. Diese sind auf einer internen Polizei-Website abrufbar.[180]

Die Staatsanwälte im Team zur Bekämpfung von Kriegsverbrechen entwickelten eine interne Ausbildungsstrategie, die vorsieht, dass ein in Völkerstrafverfahren erfahrener Staatsanwalt mit Kollegen zusammenarbeitet, die zum ersten Mal in diesem Bereich arbeiten.[181]

Das schwedische Rechtssystem ist dezentral organisiert und schwere Völkerrechtsverbrechen können theoretisch von Gerichten überall im Land prozessiert werden.[182] Allerdings können Staatsanwälte beim Justizministerium beantragen, dass ein Fall an ein bestimmtes Gericht verwiesen wird, wenn dafür Gründe vorliegen, zum Beispiel, wenn ein Zeuge nach Schweden eingeflogen werden muss.[183] In der Praxis beantragen Staatsanwälte normalerweise, dass Völkerstrafverfahren an das Stockholmer Bezirksgericht verwiesen werden, das inoffiziell eine gewisse Spezialisierung auf dieses Gebiet entwickelt hat.[184] Nichtsdestotrotz betonten einige Gesprächspartner, dass schwedische Richter von Weiterbildungen in Völkerstrafrecht profitieren würden.[185]

Mit einigen Ausnahmen werden Anwälten von Opfern und Tatverdächtigen in Schweden häufig komplexe, völkerstrafrechtliche Fälle zugewiesen, ohne dass sie zuvor Erfahrungen in diesem Rechtsgebiet sammeln konnten.[186]Praktiker schlugen vor, dass die schwedische Anwaltskammer Weiterbildungen für Anwälte anbieten könnte, die an solchen Fällen arbeiten wollen.[187]

Deutschland

In Deutschland organisiert die ZBKV jährlich einwöchige Weiterbildungen zu Kriegsverbrechen für Beamte der Bundespolizei und der Landeskriminalämter. Bei Redaktionsschluss war ein neuer Workshop zur Arbeit mit Opfern schwerster Völkerrechtsverbrechen in Planung.[188]

Auch nehmen die Mitglieder der ZBKV regelmäßig an Weiterbildungen von Interpol teil.[189] Zusätzlich dazu hat die ZBKV ein Hospitationsprogramm mit anderen europäischen Abteilungen, die zu Kriegsverbrechen arbeiten. Dadurch können deutsche Ermittler Kollegen aus anderen Ländern für eine bestimmte Zeit bei ihrer täglichen Arbeit begleiten, um ihre Arbeitsweisen zu vergleichen und Best Practice-Beispiele auszutauschen.[190] Mitarbeiter des BAMF nehmen ebenfalls an Weiterbildungen, Seminaren und Treffen mit NGOs teil, die die Bundespolizei ausrichtet.[191]

Dem Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof unterstehen sowohl (insgesamt erfahrenere) Bundesanwälte als auch von den Bundesländern entsandte (in der Regel jüngere und weniger erfahrene) Staatsanwälte. Letztere arbeiten drei Jahre lang beim Generalbundesanwalt und kehren dann in ihr Bundesland zurück. Bei Redaktionsschluss beschäftigte das Referat für Völkerstrafrecht drei entsandte Staatsanwälte. Zwei davon arbeiteten ausschließlich an Völkerstraftaten und der dritte befasste sich auch mit anderen Verfahren vor dem Bundesgerichtshof.[192]

Sobald die Amtszeit eines entsandten Staatsanwalts vorüber ist, wird er durch einen neuen Staatsanwalt ersetzt, der drei Jahre lang im Referat für Völkerstrafrecht arbeitet. Durch dieses System gelangt Wissen über die Untersuchung und strafrechtliche Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen in die deutschen Staatsanwaltschaften. Zudem eröffnet es die Möglichkeit, vakante Langzeitstellen im Referat für Völkerstrafrecht mit Personen zu besetzen, die das Referat und das Rechtsgebiet bereits kennen.[193] Mehrere Staatsanwälte des Referats haben außerdem bereits wissenschaftlich zum Völkerstrafrecht gearbeitet und/oder praktische Erfahrungen mit internationalen Strafgerichten oder Tribunalen.[194]

Kriegsverbrechen werden in Deutschland ausschließlich vor Oberlandesgerichten verhandelt, die auf Bundesebene als erstinstanzliche Gerichte für schwerste Völkerrechtsverbrechen dienen.[195] Die Richter an diesen Gerichten sind nicht speziell in Völkerstrafrecht ausgebildet. Allerdings kann ein bestimmtes Oberlandesgericht in diesem Bereich Expertise entwickeln, wenn es mehrere Fälle schwerster Völkerrechtsverbrechen prozessiert.[196] Die Staatsanwälte im Referat für Völkerstraftaten führen regelmäßig Weiterbildungen im Völkerstrafrecht für Richter an Oberlandesgerichten durch.[197]

Die deutsche Rechtswissenschaft widmet sich seit langer Zeit intensiv dem Völkerstrafrecht. Mehrere deutsche Gesprächspartner äußerten den Eindruck, dass die Anwälte, die als Verteidiger oder Opfervertreter bei Völkerstrafprozessen auftreten, durch ihr Studium und ihre Erfahrungen über ausreichend Wissen über dieses speziellen Rechtsgebiet verfügten.[198]

Länderexpertise

Nationale Ermittler und Staatsanwälte arbeiten teilweise gleichzeitig an mehreren Fällen mit Bezug zu sehr unterschiedlichen Länder. Wegen ihrer begrenzten Ressourcen können sie keine Fachkenntnisse über all diese Situationen entwickeln. Allerdings ist es wichtig, dass ihnen grundlegendes Wissen zur Verfügung steht, damit sie Verbrechen, die in einem bestimmten Kontext verübt wurden, wirksam untersuchen und verfolgen können.

Die polizeilichen Abteilungen zu Kriegsverbrechen in Schweden und Deutschland entwickeln nach und nach eine Expertise zu Syrien. Angesichts der wachsenden Zahl von Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Konflikt muss diese allerdings weiter ausgebaut werden. Für schwedische Ermittler ist es schwierig, unter den syrischen Flüchtlingen in ihrem Hoheitsgebiet mögliche Opfer oder Zeugen zu identifizieren und mit ihnen zusammenzuarbeiten, was teilweise auf Sprachbarrieren und begrenztes Wissen über Syrien zurückzuführen ist. Bei Redaktionsschluss arbeiteten in der Kommission zur Bekämpfung von Kriegsverbrechen ein Ermittler und ein Analytiker, die arabisch sprechen und von denen einer intern als Syrien-Experte angesehen wird.[199] Ansonsten arbeitet die Kommission mit wechselnden Dolmetschern zusammen.[200] Demgegenüber verfügt die deutsche Bundespolizei über Syrien-Experten, mit denen die ZBKV eng zusammenarbeitet.[201]

Besserer Einbezug von Syrern

Die befragten schwedischen und deutschen Beamten räumten ein, dass der rechtzeitige und wirksame Einbezug syrischer Flüchtlinge und Asylsuchender wichtig sei und, dass sie in diesem Bereich Versäumnisse erkennen. Praktiker führten diese Probleme darauf zurück, dass Völkerrechtsverbrechen erst seit kurzem von nationalen Behörden untersucht werden und es an Ressourcen fehlt, um Syrer umfassend einzubeziehen.[202] Die deutschen Behörden sind in Kontakt mit Vertretern internationaler Tribunale, um von deren Erfahrungen mit Programmen zu lernen, die die Öffentlichkeit erreichen sollen.[203] Allerdings wiesen einige Praktiker darauf hin, dass solche Programme nicht auf nationaler Ebene repliziert werden können, da es an Ressourcen und institutionellen Strukturen dafür fehle.[204]

Zwei Praktiker in Schweden wiesen darauf hin, dass es für sie schwierig sei, den vollen Umfang ihrer Arbeit nach außen zu kommunizieren.[205] Sie bestätigten zwar, dass die schwedischen Behörden mehr tun könnten, um ihre Arbeit der Öffentlichkeit zu vermitteln, zum Beispiel, indem sie erläuterten, wie die Ermittlungen, die strafrechtliche Verfolgung und die Urteilsfindung bei schweren Völkerrechtsverbrechen funktionieren. Allerdings sei dies aus Gründen der Vertraulichkeit und Sicherheit nur begrenzt möglich .[206]

Trotz dieser Schwierigkeiten ergreifen die schwedischen und deutschen Behörden Maßnahmen, um die Informationslücken zu schließen und das Vertrauen syrischer Flüchtlinge und Asylsuchender zu gewinnen.

Bei Redaktionsschluss entwarf die schwedische Kommission zur Bekämpfung von Kriegsverbrechen eine Broschüre (die von der Einwanderungsbehörde und zivilgesellschaftlichen Organisationen verbreitet werden soll), und arbeitete an einer App, um ihre Arbeit vorzustellen und Opfern und Zeugen zu ermöglichen, mit ihr in Kontakt zu treten. Der Impuls, die Broschüre und die App zu entwickeln, kam aus Beratungsgesprächen zwischen schwedischen Behörden, zivilgesellschaftlichen Organisationen und ihren Pendants aus anderen Ländern, insbesondere Norwegen, Deutschland und den Niederlanden.[207] Bislang hat die Kommission nur eine schwedischsprachige Website mit Informationen über die Abteilung und Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme.[208]

In Deutschland nutzt das BAMF eine App, die zusätzlich zu grundlegenden Informationen über das Asylverfahren und das Leben in Deutschland auch darüber informiert, wie Personen die Polizei kontaktieren können. Insgesamt stellt sich die Behörde mit ihr als vertrauenswürdiger Partner dar.[209] Die App informiert allerdings nicht darüber, wie Opfer oder Zeugen von Gräueltaten diese bei der ZBKV anzeigen können.

Die ZBKV hat eine Broschüre mit Informationen über die eigenen Aufgaben und darüber erstellt, wie Opfer oder Zeugen schwerster Völkerrechtsverbrechen mit ihr oder der Polizei in Kontakt treten können. Sie wird von der Landespolizei und dem BAMF verteilt.[210] Darüber hinaus hat die Bundespolizei eine deutsch- und englischsprachige Website über die ZBKV, die über schwerste Völkerrechtsverbrechen informiert.[211] Auf dieser Seite fehlen Hinweise darauf, wie Interessierte die ZBKV kontaktieren können.

Während die deutschen und die schwedischen Behörden bereits wichtige Maßnahmen ergriffen haben, um Syrer in ihrem Hoheitsgebiet besser zu erreichen, müssen weiterhin einige Lücken geschlossen werden. Die betroffenen Gemeinschaften über Kanäle, die für sie zugänglich sind, und in einer Sprache, die sie zu verstehen, rechtzeitig und wirksam einzubeziehen, kann das Vertrauen in die Behörden aufbauen, das notwendig ist, um relevante Informationen einzuholen. Außerdem bestärkt es Opfer und Zeugen und ermöglicht es ihnen, eine aktive Rolle in den Bemühungen um Gerechtigkeit zu spielen.

V. Danksagung

Die Untersuchungen, auf denen dieser Bericht basiert, wurden durchgeführt von Maria Elena Vignoli, Fellow in der Abteilung Internationale Justiz, und Balkees Jarrah, Mitarbeiterin in der Abteilung Internationale Justiz. Der Bericht wurde verfasst von Maria Elena Vignoli und überprüft und überarbeitet von Balkees Jarrah, Richard Dicker, Leiter der Abteilung Internationale Justiz, Lama Fakih, stellvertretende Leiterin der Abteilung Naher Osten und Nordafrika, Benjamin Ward, stellvertretender Leiter der Abteilung Europa und Zentralasien, Bill Frelick, Leiter der Flüchtlingsabteilung, Måns Molander, Schweden und Dänemark-Direktor, Wenzel Michalski, Deutschland-Direktor, Nadim Houry, Leiter der Abteilung Terrorismus und Terrorismusbekämpfung, Aisling Reidy, Mitarbeiterin der Rechtsabteilung, Danielle Hass, leitende Redakteurin, und Tom Porteous, stellvertretender Programmleiter. Die Recherchen unterstützt haben Elena Cecchini, Evan Welber, Emily Painter und Aji Drammeh, Praktikanten bei Human Rights Watch. Redaktionell unterstützt haben den Bericht Anjelica Jarrett, Associate in der Abteilung Internationale Justiz, und Jacob Karr, Praktikant bei Human Rights Watch. Die Produktion ermöglicht haben Olivia Hunter, Koordinatorin für den Bereich Fotos und Veröffentlichungen, Fitzroy Hepkins, Verwaltungsmanager, und Jose Martinez, leitender Koordinator.

Mark Klamberg, außerordentlicher Professor für Völkerrecht an der Universität Stockholm und stellvertretender Leiter des Stockholm Center for International Law and Justice, Leonie Steinl, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Dozentin für Rechtswissenschaften an der Humboldt Universität zu Berlin, und Jakob Schemmel, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozent für Rechtswissenschaften an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg haben die Untersuchung der Rechtsrahmen in Schweden und Deutschland maßgeblich unterstützt.

Human Rights Watch dankt allen Helfern und Dolmetschern für ihre wertvolle Unterstützung während der Recherchen und Untersuchungen, ohne die dieser Bericht nicht hätte realisiert werden können. Schließlich möchten wir unseren besonderen Dank all denen aussprechen, die sich bereit erklärt haben, für diesen Bericht mit uns zu sprechen, insbesondere all den Menschen aus Syrien, die mit uns ihre Erfahrungen geteilt haben.

[1]Syrian Network for Human Rights, Website, http://sn4hr.org (aufgerufen am 6. September 2017); Syrian Network for Human Rights, „Cases of Arbitrary Arrest Recorded in the First Half of 2016 4557 Including 739 in June 2016“, 6. Juli 2016, http://sn4hr.org/wp-content/pdf/english/Cases_of_arbitrary_detention_in_... (aufgerufen am 6. September 2017).

[2]Human Rights Watch, World Report 2017(New York: Human Rights Watch, 2017), Kapitel zu Syrien, https://www.hrw.org/sites/default/files/world_report_download/wr2017-web..., S. 571-574. Für weitere Informationen über diese und andere Menschenrechtsverletzungen vgl. z.B. Human Rights Watch-Berichte über die Syrien-Krise.

[3]Ebd., S. 571, 575-576.

[4]Ebd., S. 571, 576.

[5] Ebd., S. 576.

[6] Ebd., S. 577-578.

[7]Human Rights Watch, If the Dead Could Speak: Mass Deaths and Torture in Syria’s Detention Facilities, Dezember 2015, https://www.hrw.org/report/2015/12/16/if-dead-could-speak/mass-deaths-an....

[8]Am 15. April 2014 berief Frankreich ein „Arria-Formula“-Treffen bezüglich der Caesar-Fotos ein, eine informelle, vertrauliche Zusammenkunft der Mitglieder des Sicherheitsrats. „UN Security Council: Support Justice for Syria“, Human Rights Watch Nachricht, 14. April 2016, https://www.hrw.org/news/2014/04/14/un-security-council-support-justice-.... Die Resolution fand die Unterstützung von 65 Staaten, darunter 9 Mitglieder des Sicherheitsrats. Twitter-Post von Benjamin Cabouat, ehemaliger Vertreter Frankreichs bei den UN, 22. Mai 2014, https://twitter.com/bcabouat/status/469638935011155968(aufgerufen am 6. September 2017); „Referral of Syria to International Criminal Court Fails as Negative Votes Prevent Security Council from Adopting Draft Resolution“, United Nations Pressemitteilung, SC/11407, 22. Mai 2014, https://www.un.org/press/en/2014/sc11407.doc.htm (aufgerufen am 6. September 2017).

[9]Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (Rom-Statut), A/CONF.183/9, 17. Juli 1998, in Kraft getreten am 1. Juli 2002, Artikel 12 und 13.

[10] UN-Generalversammlung, „International, Impartial and Independent Mechanism to Assist in the Investigation and Prosecution of Those Responsible for the Most Serious Crimes under International Law committed in the Syrian Arab Republic since March 2011“, Resolution 71/248 (2017), A/RES/71/248 (2017), https://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=A/71/L.48 (aufgerufen am 6. September 2017).

[11] UN-Sicherheitsrat, Resolution 2235 (2015), S/RES/2235 (2015), http://www.un.org/en/ga/search/view_doc.asp?symbol=S/RES/2235(2015) (aufgerufen am 6. September 2017).

[12] „Joint Investigative Mechanism of the UN and OPCW“, UN News Centre, http://www.un.org/apps/news/infocusRel.asp?infocusID=146 (aufgerufen am 6. September 2017). Vgl. auch „UN Security Council: Ensure Justice for Syria Atrocities“, Human Rights Watch Nachricht, 30. August 2016, https://www.hrw.org/news/2016/08/30/un-security-council-ensure-justice-s....

[13]Büro des Hohen Kommissars der UN für Menschenrechte, „Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic“, http://www.ohchr.org/EN/HRBodies/HRC/IICISyria/Pages/IndependentInternat... (aufgerufen am 6. September 2017).

[14]Human Rights Watch, „Syria“, https://www.hrw.org/middle-east/n-africa/syria; Amnesty International, „Syria“, https://www.amnesty.org/en/countries/middle-east-and-north-africa/syria (aufgerufen am 6. September 2017); Syria Justice and Accountability Center, Website, https://syriaaccountability.org (aufgerufen am 6. September 2017).

[15] Die meisten Gesetze schreiben vor, dass sich der Tatverdächtige im Hoheitsgebiet des Landes aufhalten muss. Die französische, britische und spanische Gesetzgebung legt außerdem fest, dass der Tatverdächtige eine Aufenthaltsgenehmigung haben muss, damit er vor nationalen Gerichten wegen im Ausland verübter Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord angeklagt werden kann. Vgl. Human Rights Watch, „Q&A: First Cracks to Impunity in Syria, Iraq – Refugee Crisis and Universal Jurisdiction Cases in Europe“, 20. Oktober 2017, https://www.hrw.org/news/2016/10/20/qa-first-cracks-impunity-syria-iraq.

[16]Vgl. Abschnitt II, „Grundlagen für Gerechtigkeit in Schweden und Deutschland“. Weder die schwedische noch die deutsche Gesetzgebung erlaubt Prozesse wegen schwerster internationaler Verbrechen in Abwesenheit des Angeklagten.

[17]UNHCR, „Europe: Syrian Asylum Applications“, April 2011 bis Juli 2017, http://data.unhcr.org/syrianrefugees/asylum.php (aufgerufen am 6. September 2017).

[18]Human Rights Watch, telefonische Befragung von Ahmad, 3. Februar 2017.

[19]Human Rights Watch, Gruppenbefragung syrischer Geflüchteter, Värmdö, 18. Januar 2017.

[20] Human Rights Watch, Befragung von Abdullah, Värmdö, 18. Januar 2017.

[21] Human Rights Watch, Gruppenbefragung syrischer Geflüchteter, Hannover, 21. Februar 2017.

[22]Human Rights Watch, Befragung von Muhammad, Berlin, 24. Februar 2017.

[23] Human Rights Watch, Gruppenbefragung syrischer Geflüchteter, Hannover, 21. Februar 2017.

[24]Human Rights Watch, Gruppenbefragung syrischer Geflüchteter, Värmdö, 18. Januar 2017.

[25]Ebd.

[26] Vier dieser Verfahren beruhten auf dem We"ltr"echtsprinzip, zwei auf dem Täterprinzip.

[27]Nikola Jorgić legte erfolglos Berufung gegen das Urteil ein, auch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Die deutsche Polizei ermittelte gegen mehr als 150 Personen wegen Beteiligung am Konflikt im ehemaligen Jugoslawien, aber nur vier Verdächtige standen schlussendlich vor deutschen Gerichten. Vgl. Amnesty International, Germany: End Impunity through Universal Jurisdiction, 1. Oktober 2008, https://www.amnesty.org/en/documents/EUR23/003/2008/en (aufgerufen am 6. September 2017), S. 91-98.

[28]Human Rights Watch, The Long Arm of Justice: Lessons from Specialized War Crimes Units in France, Germany and the Netherlands, September 2014, https://www.hrw.org/report/2014/09/16/long-arm-justice/lessons-specializ..., S. 102-103; TRIAL International, „Trial Watch: Rami K.“, zuletzt geändert am 30. Mai 2017, https://trialinternational.org/latest-post/rami-k (aufgerufen am 6. September 2017).

[29]TRIAL international, „Trial Watch: Jackie Arklöv“, zuletzt geändert am 14. Juni 2016, https://trialinternational.org/latest-post/jackie-arklov (aufgerufen am 6. September 2017). Weitere Informationen in: Mark Klamberg, „International Criminal Law in Swedish Courts: The Principle of Legality in the Arklöv Case“, International Criminal Law Review, Vol. 9 (2009), S. 395-409.

[30]TRIAL International, „Trial Watch: Ahmet Makitan“, zuletzt geändert am 1. Juni 2016, https://trialinternational.org/latest-post/ahmet-makitan (aufgerufen am 6. September 2017); TRIAL International, „Trial Watch: Milic Martinovic“, zuletzt geändert am 9. Juni 2016, https://trialinternational.org/latest-post/milic-martinovic (aufgerufen am 6. September 2017); TRIAL International, „Trial Watch: Stanislas Mbanenande“, zuletzt geändert am 14. Juni 2016, https://trialinternational.org/latest-post/stanislas-mbanenande (aufgerufen am 6. September 2017); TRIAL International, „Trial Watch: Claver Berinkindi“, zuletzt geändert am 17. Februar 2017, https://trialinternational.org/latest-post/berinkindi-clever (aufgerufen am 6. September 2017); TRIAL International, „Trial Watch: Tabaro Theodore“, 8. Februar 2017, https://trialinternational.org/latest-post/tabaro-theodore (aufgerufen am 6. September 2017); TRIAL International, „Trial Watch: Raed Abdulkareem“, zuletzt geändert am 8. Februar 2017, https://trialinternational.org/latest-post/raed-abdulkareem (aufgerufen am 6. September 2017).

[31] Gesetz 2014:406 über die strafrechtliche Verantwortung für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen (Lag 2014:406 om straff för folkmord, brott mot mänskligheten och krigsförbrytelser), Försvarsdepartementet, in Kraft getreten am 1. Juli 2014, https://www.riksdagen.se/sv/dokument-lagar/dokument/svensk-forfattningss... (aufgerufen am 6. September 2017), Schwedisch, http://www.government.se/49cd62/contentassets/6e0e65c994124235a39387e2dc... (aufgerufen am 6. September 2017), offizielle englische Übersetzung.

[32] Abschnitt 22 § 6 Schwedisches Kriminalgesetzbuch 1962:700 (Bottsbalken 1962:700), Justitiedepartementet L5, in Kraft getreten am 21. Dezember 1962, https://www.riksdagen.se/sv/dokument-lagar/dokument/svensk-forfattningss... (aufgerufen am 6. September 2017), Schwedisch, http://www.government.se/49cd60/contentassets/5315d27076c942019828d6c365... (aufgerufen am 6. September 2017), inoffizielle englische Übersetzung. Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die vor dem 1. Juli 2014 verübt wurden, können unter dem schwedischen Kriminalgesetzbuch nur als reguläre Verbrechen (z.B. Mord, Vergewaltigung, Körperverletzung) geahndet werden. Vor dem 1. Juli 2014 verübte Völkermorde sind unter Gesetz 1964:169 über die Bestrafung von Völkermord strafbar (Lag 1964:169 om straff för folkmord), Justitiedepartementet L5, in Kraft getreten am 20. März 1964, https://www.riksdagen.se/sv/dokument-lagar/dokument/svensk-forfattningss... (aufgerufen am 6. September 2017), Schwedisch.

[33]§§ 2(2), 4(2) Gesetz über die strafrechtliche Verantwortung für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Die schwedische Regierung plant ein Gesetz zur Kriminalisierung von Folter in Einklang mit dem Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (UN-Antifolterkonvention). Vgl. Schwedisches Justizministerium (Justitiedepartment), „Eine besondere Folter?“ („Ett särskilt tortybrott“), Ds 2015:42, August 2015, http://www.regeringen.se/contentassets/740d39e2a0c640158b74198b7e760ce0/ds-2015-42-ett-sarskilt-tortyrbrott.pdf (aufgerufen am 6. September 2017). Ein Gesetzesentwurf wird bis Ende 2017 erwartet. Vgl. Schwedische Regierung (Regeringskansliet), „Schweden nimmt Kritik des Europarat-Ausschusses gegen Folter auf“ (Sverige åtgärdar kritik från Europarådets kommitté mot tortyr), 2. Oktober 2016, http://www.regeringen.se/artiklar/2016/10/sverige-atgardar-kritik-fran-europaradets-kommitte-mot-tortyr (aufgerufen am 6. September 2017).

[34] Abschnitt 2 § 3(6) Schwedisches Strafgesetzbuch; Human Rights Watch, Befragung schwedischer Beamter, 17. Januar 2017; Human Rights Watch, Email-Korrespondenz mit schwedischem Wissenschaftler, 19. April 2017.

[35]Abschnitt 20 § 3 Schwedisches Strafgesetzbuch; Human Rights Watch, Befragung schwedischer Beamter, 17. Januar 2017. Wenn sich der Tatverdächtige nicht in schwedischem Hoheitsgebiet aufhält, kann die Staatsanwaltschaft nichtsdestotrotz Ermittlungen einleiten und unter Berücksichtigung der relevanten Rechtshilfeabkommen Informationen mit anderen Ländern in und außerhalb von Europa austauschen.

[36] Völkerstrafgesetzbuch (VStGB),in Kraft getreten am 30. Juni 2002, https://www.gesetze-im-internet.de/vstgb (aufgerufen am 23. September 2017), Deutsch, http://www.iuscomp.org/gla/statutes/VoeStGB.pdf (aufgerufen am 6. September 2017), inoffizielle englische Übersetzung. Das VStGB ist einen Tag vor dem Rom-Statut in Kraft getreten.

[37] Abschnitt 1 § 7(1) Abs. 5 und Abschnitt 2 § 8(1) Abs.3 VStGB; Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 15. Februar 2017; Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 16. Februar 2017.

[38]Die uneingeschränkte Anwendung des We"ltr"echtsprinzip legt § 1 VStGB fest: „ Dieses Gesetz gilt für alle in ihm bezeichneten Straftaten gegen das Völkerrecht, für Taten nach den §§ 6 bis 12 auch dann, wenn die Tat im Ausland begangen wurde und keinen Bezug zum Inland aufweist.“

[39] § 153(f) deutsche Strafprozessordnung (StPo), in Kraft getreten am 7. April 1987, http://www.gesetze-im-internet.de/stpo (aufgerufen am 6. September 2017), Deutsch, http://www.gesetze-im-internet.de/englisch_stpo/englisch_stpo.html (aufgerufen am 6. September 2017), inoffizielle englische Übersetzung.

[40] Schwedische Polizei (Polisen), „Kriegsverbrechen – Polizeiarbeit“ („Krigsbrotts – Polisens arbete“), https://polisen.se/Om-polisen/Olika-typer-av-brott/Krigsbrott (aufgerufen am 6. September 2017). Mit Stand September 2017 beschäftigte die Kommission nach Kenntnis von Human Rights Watch 13 Ermittler und zwei Analytiker.

[41] Human Rights Watch, Befragung eines schwedischen Beamten, 17. Januar 2017.

[42]Die Mitarbeiter des Geheimdienstes arbeiten auch mit der Sicherheitspolizei (Säkerhetspolisen) und mit dem militärischen Geheimdienst (Militära underrättelse- och säkerhetstjänsten) zusammen, sowie mit Geheimdiensten anderer Länder. Human Rights Watch, Befragung schwedischer Beamter, 17. Januar 2017; Human Rights Watch, Email-Korrespondenz mit schwedischem Beamten, 21. März 2017.

[43] Schwedische Strafverfolgungsbehörde (Åklagarmyndigheten), „Internationale Staatsanwaltschaft Stockholm“ („Internationella åklagarkammaren Stockholm“), https://www.aklagare.se/kontakt/aklagaromraden/nationella-aklagaravdelni... (aufgerufen am 6. September 2017). Mit Stand September 2017 beschäftigte die Abteilung nach Kenntnis von Human Rights Watch acht Staatsanwälte. Die Internationale Staatsanwaltschaft beschäftigt insgesamt 40 Staatsanwälte und ist zuständig für die meisten Straftaten mit internationalem Bezug, etwa im Zusammenhang mit Terrorismus oder schweren Völkerrechtsverbrechen. Human Rights Watch, Befragung schwedischer Beamter, 17. Januar 2017.

[44] Bei regulären Verbrechen leitet die Polizei die Ermittlungen. Human Rights Watch, Befragung schwedischer Beamter, 17. Januar 2017.

[45]Das trifft auf die schwedische Strafverfolgungsbehörde insgesamt zu und bedeutet zum Beispiel, dass Staatsanwälte ohne richterliche Bestätigung Haft- oder Hausdurchsuchungsbefehle ausstellen können. Richterliche Bestätigungen sind nur unter bestimmten Umständen erforderlich (etwa um Abhörmaßnahmen zu genehmigen). Jedoch benötigen die Behörden eine Genehmigung der Regierung oder des Generalstaatsanwalts, um außerhalb von Schweden verübte Verbrechen zu verfolgen. Vgl. Abschnitt 2 § 5(2) Schwedisches Strafgesetzbuch, und Verordnung 1993:1467 zur Autorisierung des Staatsanwaltes, in bestimmten Fällen eine Strafverfolgung anzuordnen (Förordning 1993:1467 med bemyndigande för riksåklagaren att förordna om väckande av åtal i vissa fall), Justitiedepartementet L5, in Kraft getreten am 16. Dezember 1993, https://www.riksdagen.se/sv/dokument-lagar/dokument/svensk-forfattningssamling/forordning-19931467-med-bemyndigande-for_sfs-1993-1467 (aufgerufen am 6. September 2017), Schwedisch; Human Rights Watch, Befragung schwedischer Beamter, 17. Januar 2017.

[46] Vier Staatsanwälte des Teams zur Bekämpfung von Kriegsverbrechen sind auch dafür ausgebildet, an Terrorismus-Fällen zu arbeiten. Human Rights Watch, Befragung schwedischer Beamter, 17. Januar 2017.

[47]Schwedische Einwanderungsbehörde (Migrationsverkets), Website, https://www.migrationsverket.se/English/
Startpage.%20html (aufgerufen am 6. September 2017). Das Asylverfahren ist im Schwedischen Ausländergesetz geregelt. Vgl. Ausländergesetz 2005:716 (Utlänningslagen 2005:716), Justitiedepartementet L7, in Kraft getreten am 31. März 2006, https://www.riksdagen.se/sv/dokument-lagar/dokument/svensk-forfattningss... (aufgerufen am 6. September 2017), Schwedisch, http://www.government.se/contentassets/
784b3d7be3a54a0185f284bbb2683055/aliens-act-2005_716.pdf (aufgerufen am 6. September 2017), offizielle englische Übersetzung; Human Rights Watch, Befragung schwedischer Beamter, 16. Januar 2017; Human Rights Watch, telefonische Befragung eines schwedischen Beamten, 27. Februar 2017.

[48]Diese Regionen sind Nord-, Mittel-, West-, Ost- und Südschweden sowie Stockholm. Human Rights Watch, Befragung eines schwedischen Beamten, 16. Januar 2017; Human Rights Watch, telefonische Befragung eines schwedischen Beamten, 27. Februar 2017.

[49] Im Jahr 2009 wurde das schwedische Ausländergesetz überarbeitet und enthält nun eine Ausschlussklausel. Vgl. Abschnitt 4 § 2b Ausländergesetz,geändert durch Gesetz 2009:1542 zur Änderung des Ausländergesetzes 2005:716 (Lag 2009:1542 om ändring i utlänningslagen 2005:716), Justitiedepartementet L7, in Kraft getreten am 1. Januar 2010, http://notisum.se/rnp/sls/sfs/20091542.pdf (aufgerufen am 6. September 2017), Schwedisch, http://www.government.se/contentassets/86ebb559cc2d4cf5bee5906236977436/... (aufgerufen am 6. September 2017), offizielle englische Übersetzung.

[50]Human Rights Watch, telefonische Befragung eines schwedischen Beamten, 27. Februar 2017.

[51]Ebd.

[52]Die Abteilung ist Teil der Rechtsabteilung mit Sitz in Norrköping. Human Rights Watch, Email-Korrespondenz mit schwedischem Beamten, 16. März 2016.

[53] § 2 (17) Vorschrift 2016:1245 zur Änderung von Vorschrift 2007: 996 mit Anweisungen an die Einwanderungsbehörde (Förordning 2016:1245om ändring i förordningen (2007:996) med instruktion för Migrationsverket), in Kraft getreten am 16. Dezember 2016, https://www.notisum.se/rnp/sls/sfs/20161245.pdf (aufgerufen am 6. September 2017), Schwedisch; Human Rights Watch, Befragung schwedischer Beamter, 16. Januar 2017; Human Rights Watch, Befragung schwedischer Beamter, 17. Januar 2017.

[54] Ein Beamter bestätigte, dass Asylsuchende normalerweise nicht darüber informiert werden, dass ihre Angaben unter Umständen an andere Regierungsbehörden weitergeleitet werden, etwa an die Polizei oder die Strafverfolgungsbehörde. Human Rights Watch, Email-Korrespondenz mit schwedischem Beamten, 22. August 2017.

[55] Human Rights Watch, Befragung schwedischer Beamter, 16. Januar 2017; Human Rights Watch, telefonische Befragung eines schwedischen Beamten, 22. Februar 2017. Wenn gegen eine Person wegen des Verdachts auf schwerer Völkerrechtsverbrechen ermittelt wird, wird das Asylverfahren ausgesetzt und läuft erst dann weiter, wenn der Verdacht nicht bestätigt werden kann. Wenn Beweise dafür vorliegen, dass die Person mit dem fraglichen Verbrechen in Verbindung steht, diese aber nicht ausreichen, um ein Strafverfahren zu eröffnen, kann er oder sie in das Herkunftsland abgeschoben werden, nachdem er oder sie unter Artikel 1F der Flüchtlingskonvention von internationalem Schutz ausgeschlossen wurde. Wenn eine Abschiebung nicht möglich ist (wie derzeit im Fall von Syrien), erhält die Person eine befristete Aufenthaltsgenehmigung. Human Rights Watch, Email-Korrespondenz mit schwedischem Beamten, 22. August 2017.

[56]Human Rights Watch, Befragung schwedischer Beamter, 17. Januar 2017; Human Rights Watch, Email-Korrespondenz mit schwedischem Beamten, 22. März 2017.

[57]Bundeskriminalamt (BKA), „Zentralstelle für die Bekämpfung von Kriegsverbrechen und weiteren Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch“ (ZBKV), 14. April 2011, https://www.bka.de/EN/OurTasks/Remit/CentralAgency/ZBKV/zbkv_node.html (aufgerufen am 6. September 2017); Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 22. Februar 2017. Weitere Informationen über die Einrichtung der ZBKV in: Human Rights Watch, The Long Arm of Justice, S. 52-53.

[58]Mit Stand September 2017 beschäftigte die Abteilung nach Kenntnis von Human Rights Watch 13 Polizisten. Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 22. Februar 2017. In der ZBKV arbeiten auch vier tarifbeschäftigte Personen, davon drei in Teilzeit. Vgl. Deutscher Bundestag, „Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Tom Koenigs, Luise Amtsberg , Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ermittlung von in Syrien begangenen Völkerstraftaten in Deutschland“, Drucksache 18/12533, 30. Mai 2017, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/125/1812533.pdf (aufgerufen am 6. September 2017), Frage 17.

[59]Generalbundesanwalt (GBA), „Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch“, https://www.generalbundesanwalt.de/de/voelker.php (aufgerufen am 6. September 2017). Mit Stand September 2017 waren nach Kenntnis von Human Rights Watch sieben Staatsanwälte in der Abteilung beschäftigt. Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 16. Februar 2017, und Email-Korrespondenz vom 31. März, 29. Mai 29 und 31. Juli 2017.

[60]Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 16. Februar 2017; Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 22. Februar 2017.

[61]Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), „Migration nach Deutschland“, http://www.bamf.de/EN/Startseite/startseite-node.html (aufgerufen am 6. September 2017); BAMF, „Organizational Chart“, http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/EN/Downloads/Infothek/Sonstige/org... (aufgerufen am 6. September 2017). Mit Stand September 2017 arbeiteten nach Kenntnis von Human Rights Watch 29 Personen in Referat 235. Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 17. Februar 2017; Human Rights Watch, Email-Korrespondenz mit deutschem Beamten, 10. April 2017. Das Asylgesetz aus dem Jahr 2008 regelt das Asylverfahren in Deutschland. Vgl. § 3(2)(1) Asylgesetz, in Kraft getreten am 2. September 2008,https://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/asylvfg_1992/gesamt.pdf (aufgerufen am 6. September 2017), Deutsch, https://www.gesetze-im-internet.de/englisch_asylvfg (aufgerufen am 6. September 2017), offizielle englische Übersetzung.

[62] Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 17. Februar 2017.

[63]Die ersten 20 Zentren waren zuständig für alle Anliegen im Zusammenhang mit Einwanderung, inzwischen haben die unterschiedlichen Zentren spezifische Funktionen: Begrüßung, Registrierung und Entscheidung. Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 17. Februar 2017.

[64]§ 8(3) Asylgesetz; § 487 StPO; Gesetz über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten (BKAG), in Kraft getreten am 7. Juli 1997, https://www.gesetze-im-internet.de/bkag_1997 (aufgerufen am 6. September 2017). Bei Asylanhörungen werden Asylsuchende nicht darüber informiert, dass ihre Angaben an andere Regierungsbehörden weitergegeben werden können, darunter die Bundespolizei oder die Bundesanwaltschaft. Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 17. Februar 2017; Deutscher Bundestag, „Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Tom Koenigs, Luise Amtsberg , Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ermittlung von in Syrien begangenen Völkerstraftaten in Deutschland“, Drucksache 18/12533, Fragen 4 und 12.

[65] Referat 235 hat nach Beratungen mit der Bundespolizei ein fünfstufiges Kategoriensystem für Informationen entwickelt: Die Kategorien 1 und 2 umfassen Informationen über Täter, die sich in Deutschland oder Europa aufhalten; Kategorie 3 und 4 umfassen Informationen von Angehörigen VStGB-relevanter Institutionen (idealerweise entweder Augenzeugen oder Personen, die Befehle für VStGB-relevante Handlungen gegeben oder empfangen haben); Kategorie 5 umfasst Informationen über Augenzeugen oder Opfer von VStGB-relevanten Verbrechen. Die Mitarbeiter von Referat 235 kategorisieren Informationen entsprechend, bevor sie sie an die ZBKV weitergeben. Das System hilft der ZBKV bei der Identifikation wichtiger Fälle. Vgl. Deutscher Bundestag, „Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Tom Koenigs, Luise Amtsberg , Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ermittlung von in Syrien begangenen Völkerstraftaten in Deutschland“, Drucksache 18/12533, Fragen 15 und 20.

[66] Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 17. Februar 2017; Human Rights Watch, Email-Korrespondenz mit deutschem Beamten, 10. April 2017. Wenn polizeiliche Ermittlungen eingeleitet werden, wird das Asylverfahren bis zu deren Abschluss ausgesetzt. Findet die Polizei Beweise dafür, dass eine Person ein schwere Völkerrechtsverbrechen verübt hat und entscheidet sich die Staatsanwaltschaft gegen ein Verfahren, wird der Asylantrag der Person abgelehnt und sie wird in der Regel in ihr Herkunftsland abgeschoben. Wenn die Polizei den Verdacht auf eine Völkerstraftat nicht bestätigen kann, wird das Asylgesuch der Person vom BAMF geprüft. Vgl. Human Rights Watch, The Long Arm of Justice, p. 57. Während des Höhepunkts der Asylkrise in den Jahren 2014 und 2015 nutzte das BAMF einen Fragebogen anstelle einer Asylanhörung, um syrische Asylsuchende zu überprüfen. Dieser Fragebogen wurde nur für einen kurzen Zeitraum genutzt und umfasste Fragen zu Kriegsverbrechen. Wenn der Fragebogen Hinweise auf mögliche Verbrechen enthielt, wurde die Person vom BAMF befragt. Einigen Praktikern zufolge war der Fragebogen keine geeignete Informationsquelle, weil er nur die Antwortmöglichkeiten „Ja“ und „Nein“ vorsah und die Informationen, die die ZBKV in diesem Zeitraum sammelte, nicht qualitativ verbesserte. Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 17. Februar 2017; Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 22. Februar 2017. Weitere Informationen über den Fragebogen in: Human Rights Watch, Long Arm of Justice, S. 57-58.

[67]Dieses Strukturverfahren wurde im Oktober 2015 eröffnet. Human Rights Watch, Befragung schwedischer Beamter, 17. Januar 2017; Henrik Attorps (schwedisches staatsanwaltliches Team zur Bekämpfung von Kriegsverbrechen), Beitrag zur Podiumsdiskussionen beim Side Event „Accountability Series on the Syrian Arab Republic“, Ständige Vertretungen von Lichtenstein und Kanada, 34. reguläre Sitzung des UN-Menschenrechtsrats, Palais des Nations, Genf, 14. März 2017; Human Rights Watch, Email-Korrespondenz mit schwedischem Beamten, 19. Juni 2017.

[68] Im März 2017 arbeitete die Kommission zur Bekämpfung von Kriegsverbrechen insgesamt an 42 Fällen mit Bezug auf unterschiedliche Länder. Human Rights Watch, Email-Korrespondenz mit schwedischem Beamten, 21. März 2017; Human Rights Watch, telefonische Befragung eines schwedischen Beamten, 28. April 2017.

[69]Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 16. Februar 2017 und 22. Februar 2017; Human Rights Watch, Email-Korrespondenz mit deutschem Beamten, 20. März 2017. Bei Redaktionsschluss arbeiteten drei ZBKV-Mitarbeiter am Strukturverfahren zum Syrien-Konflikt und zwei an dem zu ISIS. Vgl. Deutscher Bundestag, „Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Tom Koenigs, Luise Amtsberg , Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ermittlung von in Syrien begangenen Völkerstraftaten in Deutschland“, Drucksache 18/12533, Frage 18.

[70]Human Rights Watch, Befragung eines deutschen Beamten, 22. Februar 2017. Seit dem Jahr 2011 haben die deutschen Behörden 74 Ermittlungsverfahren wegen schwerer Völkerrechtsverbrechen angestrengt. 21 dieser Verfahren beziehen sich auf Verbrechen von ISIS, sechs auf Verbrechen der syrischen Regierung. Vgl. Deutscher Bundestag, „Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Katja Keul, Tom Koenigs, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ermittlung von in Syrien begangenen Volkerstraftaten in Deutschland“, Drucksache 18/12487, 24. Mai 2017, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/124/1812487.pdf (aufgerufen am 6. September 2017), Fragen 3 und 4.

[71]In einem weiteren Fall wurden die schwedischen Staatsbürger Hassan Mostafa Al-Mandlawi und Al Amin Sultan, beide Angehörige von ISIS, wegen Verstößen gegen Anti-Terror-Gesetze und wegen Kriegsverbrechen angeklagt, standen schlussendlich aber wegen Terrorismus vor Gericht und wurden unter Anti-Terror-Gesetzen verurteilt. Prozess gegen Hassan Mostafa Al-Mandlawi and Al Amin Sultan, Stockholmer Bezirksgericht, Az. B 9086-15, Urteil vom 14. Dezember 2015; Prozess gegen Hassan Mostafa Al-Mandlawi and Al Amin Sultan, Appellationsgericht von West-Schweden, Az. B 5306-15, Urteil vom 30. März 2016.

[72]Außerdem haben die deutschen Behörden mehrere Personen verhaftet und angeklagt, die unter dem Verdacht stehen, schwere Völkerrechtsverbrechen in Syrien verübt zu haben. Vgl. Anhang I.

[73]Diese Tabelle folgt den Namenskonventionen der schwedischen und deutschen Behörden.

[74] Abschnitt 3 § 6(2) und Abschnitt 22 § 6 (1)Schwedisches Strafgesetzbuch. Die fraglichen Verbrechen wurden im Jahr 2012 verübt, bevor das neue Gesetz zur Ahndung schwerer Völkerrechtsverbrechen in Kraft trat. Vgl. Abschnitt II, „Grundlagen für Gerechtigkeit in Schweden und Deutschland“.

[75] Prozess gegen Mouhannand Droubi, Bezirksgericht Södertörn, Az. B 13656-14, Urteil vom 26. Februar 2015; Prozess gegen Mouhannand Droubi, Berufungsgericht Svea hovrätt, Az. B 2440-15, Entscheidung vom 23. Februar 2016 verkündet am 26. Februar 2016; Prozess gegen Mouhannand Droubi, Bezirksgericht Södertörn, Az. B 2639-16, Urteil vom 11. Mai 2016; Prozess gegen Mouhannand Droubi, Berufungsgericht Svea hovrätt, Az. B 4770-16, Urteil vom 5. August 2016.

[76]Abschnitt 22 § 6 (1) und (2) Schwedisches Strafgesetzbuch.

[77] Prozess gegen Haisam Omar Sakhanh, Bezirksgericht Stockholm, Az. B 3787-16, Urteil vom 16. Februar 2017; Prozess gegen Haisam Omar Sakhanh, Berufungsgericht Svea hovrätt, Az. B 3787-16, Urteil vom 31. Mai 2017. Am 20. Juli 2017 wies das Oberste Gericht Schwedens Sakhanhs Berufung zurück, Prozess gegen Haisam Omar Sakhanh, Oberstes Gericht Schwedens, Az. B 3157-17, Entscheidung vom 20. Juli 2017.

[78] Abschnitt 22 § 6 (1)Schwedisches Strafgesetzbuch.

[79] Prozess gegen Mohammad Abdullah, Bezirksgericht Södertörn, Az. B 11191-17, Urteil vom 25. September 2017. Abdullah wurde zuvor beschuldigt, die Personen auf dem Foto getötet zu haben. Dieser Vorwurf wurde im März 2016 aus Mangel an Beweisen fallen gelassen. Human Rights Watch, Email-Korrespondenz mit schwedischem Beamten, 15. September 2017. Vgl. auch TRIAL International, Make Way for Justice #3: Universal Jurisdiction Annual Review 2017, https://trialinternational.org/wp-content/uploads/2017/03/UJAR-MEP_A4_01... (aufgerufen am 6. September 2017), p. 49.

[80]§ 8 (1) Abs. 9 und § 8 (6) Abs. 2 VStGB.

[81] Prozess gegen Aria L., Oberlandesgericht Frankfurt, Az. 5 – 3 StE 2/16 – 4 – 1/16, Urteil vom 12. Juli 2016, http://www.lareda.hessenrecht.hessen.de/lexsoft/default/hessenrecht_lare... (aufgerufen am 6. September 2017).

[82] § 8 (1) Abs. 9 VStGB; §§ 129a (1) Abs. 1, 129a (2) Abs. 2, 129b (1) und 129b (2) StGB, in Kraft getreten am 13. November 1998, https://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/stgb/gesamt.pdf (aufgerufen am 6. September 2017), Deutsch, https://www.gesetze-im-internet.de/englisch_stgb/englisch_stgb.html (aufgerufen am 6. September 2017), inoffizielle englische Übersetzung; § 22a (1) Abs. 6 Kriegswaffenkontrollgesetz (KrWaffKontrG), in Kraft getreten am 22. November 1990, http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/krwaffkontrg/gesamt.pdf (aufgerufen am 6. September 2017), Deutsch, http://germanlawarchive.iuscomp.org/?p=741 (aufgerufen am 6. September 2017), inoffizielle englische Übersetzung.

[83]Prozess gegen Abdelkarim El. B., Oberlandesgericht Frankfurt, Az. 5-3 StE 4/16 - 4 - 3/16, Urteil vom 8. November 2016, http://www.lareda.hessenrecht.hessen.de/lexsoft/default/hessenrecht_lareda.html#docid:7812208 (aufgerufen am 6. September 2017).

[84] Der Angeklagte wurde unter §§ 129a (1) und 129b (1) StGB vom Terrorismus-Vorwurf freigesprochen.

[85]§ 10 (1) Abs.1 VStGB.

[86]Oberlandesgericht Stuttgart, „5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart verurteilt einen an der Entführung eines Mitarbeiters der Vereinten Nationen in Syrien beteiligten Angeklagten wegen Beihilfe zu einem Kriegsverbrechen gegen humanitäre Operationen gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1 Völkerstrafgesetzbuch u. a.“, 20. September 2017, http://www.olg-stuttgart.de/pb/,Lde/4801270/?LISTPAGE=1178276 (aufgerufen am 20. September 2017).

[87]§§ 8 (1) Abs. 3 und 9 (1) VStGB.

[88]Oberlandesgericht Düsseldorf, „Nr. 14/2017 Begehung von Kriegsverbrechen nach dem Völkerstrafrecht: Eröffnung, Termine und Akkreditierung im Verfahren gegen Ibrahim A. F.“, 15. Mai 2017, http://www.olg-duesseldorf.nrw.de/behoerde/presse/archiv/Pressemitteilun... (aufgerufen am 6. September 2017).

[89] Human Rights Watch, Befragung schwedischer Beamter, 17. Januar 2017; Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 16. Februar 2017; Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 22. Februar 2017.

[90]Human Rights Watch, Gruppenbefragung syrischer Geflüchteter, Varberg, 19. Januar 2017.

[91] Human Rights Watch, Gruppenbefragung syrischer Geflüchteter, Värmdö, 18. Januar 2017; Human Rights Watch, Befragung von Abdullah, Värmdö, 18. Januar 2017; Human Rights Watch, telefonische Befragung von Ahmad, 3. Februar 2017; Human Rights Watch, Gruppenbefragung syrischer Geflüchteter, Berlin, 20. Februar 2017; Human Rights Watch, Gruppenbefragung syrischer Geflüchteter, Hannover, 21. Februar 2017; Human Rights Watch, Befragung von Hakim, Hannover, 21. Februar 2017; Human Rights Watch, Gruppenbefragung syrischer Geflüchteter, Köln, 22. Februar 2017; Human Rights Befragung von Adnan, Berlin, 23. Februar 2017; Human Rights Watch, Befragung von Muhammad, Berlin, 24. Februar 2017.

[92]Human Rights Watch, Gruppenbefragung syrischer Geflüchteter, Köln, 22. Februar 2017.

[93]Human Rights Watch, Befragung schwedischer Beamter, 17. Januar 2017; Human Rights Watch, Befragung eines schwedischen Wissenschaftlers, 20. Januar 2017; Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 16. Februar 2017; Human Rights Watch, Befragung deutscher Wissenschaftler, 23. Februar 2017.

[94] Vgl. Ausführungen zur strafrechtlichen Immunität im Unterkapitel „Typische Herausforderungen“, insbes. Fußnote 104.

[95]Terrorismus wird in Schweden durch drei Gesetze kriminalisiert, die die unmittelbare Verantwortung für terroristische Straftaten, öffentliche Provokation, Rekrutierung, Ausbildung und Finanzierung umfassen. Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung ist in Schweden keine Straftat. Gesetz 2003:148 über die strafrechtliche Verantwortung für terroristische Straftaten (Lag 2003:148 om straff för terroristbrott), Justitiedepartementet L5, in Kraft getreten am 1. Juli 2003, https://www.riksdagen.se/sv/dokument-lagar/dokument/svensk-forfattningss... (aufgerufen am 6. September 2017), Schwedisch, http://www.government.se/49cd60/ contentassets/f84107eae6154ce19e65d64151a1b25f/act-on-criminal-responsibility-for-terrorist-offences.pdf (aufgerufen am 6. September 2017), inoffizielle englische Übersetzung; Gesetz 2010:299 über die strafrechtliche Verantwortung für Provokation, Rekrutierung und Ausbildung im Zusammenhang mit terroristischen Straftaten und anderen Schwerstverbrechen (Lag 2010:299 om straff för offentlig uppmaning, rekrytering och utbildning avseende terroristbrott och annan särskilt allvarlig brottslighet), Justitiedepartementet L5, in Kraft getreten am 1. Dezember 2010, https://www.riksdagen.se/sv/dokument-lagar/dokument/svensk-forfattningss... (aufgerufen am 6. September 2017), Schwedisch, http://www.government.se/4aa8b5/ contentassets/f0c331a80c244813af517a0661b8c163/2010_299-act-on-criminal-responsibility-for-public-provocation-recruitment-and-training-concerning-terrorist-offences-and-other-particularly-serious-crime.pdf (aufgerufen am 6. September 2017), inoffizielle englische Übersetzung; Gesetz 2002:444 über die strafrechtliche Verantwortung für die Finanzierung von Schwerstverbrechen in einigen Fällen (Lag (2002:444) om straff för finansiering av särskilt allvarlig brottslighet i vissa fall), Justitiedepartementet L5, in Kraft getreten am 1. Juli 2002, https://www.riksdagen.se/sv/dokument-lagar/dokument/svensk-forfattningss... (aufgerufen am 6. September 2017), Schwedisch, http://www.government.se/49cd62/contentassets/d28a807aff3f4acb84dcae29da... (aufgerufen am 6. September 2017), inoffizielle englische Übersetzung. Derzeit liegen mehrere Vorschläge zur Ausweitung dieses Rechtsrahmens vor, darunter für eine neue Vorschrift zur Kriminalisierung der Teilnahme an kampfbezogenen Handlungen in bewaffneten Konflikten im Ausland unter Unterstützung einer terroristischen Vereinigung.Vgl. Schwedisches Justizministerium (Justitiedepartmentet), „Strafrechtliches Vorgehen gegen Teilnahme an bewaffneten Konflikten in Unterstützung einer terroristischen Organisation“ („Straffrättsliga åtgärder mot deltagande i en väpnad konflikt till stöd för en terroristorganisation“), Offizieller Bericht SOU 2016:40, Juni 2016, S. 25, http://www.regeringen.se/49d6b7/ contentassets/fde512ceb1444e85a7be662142f9bcd3/straffrattsliga-atgarder-mot-deltagande-i-en-vapnad-konflikt-till-stod-for-en-terroristorganisation-sou-2016-40.pdf (aufgerufen am 6. September 2017). Einige Kommentatoren kritisieren den Vorschlag. Vgl. z.B. Mark Klamberg, „Was können und sollten wir verbieten“ („Vad kan och bör vi kriminalisera?“), Upsala Nya Tidning,8. Oktober 2016, http://www.unt.se/asikt/ledare/vad-kan-och-bor-vi-kriminalisera-4398397.... (aufgerufen am 6. September 2017). Außerdem schlägt der Offizielle Bericht des Justizministeriums vor, die strafrechtliche Verantwortlichkeit hinsichtlich Reisen zu terroristischen Zwecken, Finanzierung solcher Reisen und Rekrutierung für besonders schwere Verbrechen auszudehnen. Vgl. Offizieller Bericht SOU 2016:40, S. 26-27.

[96]Bis Ende 2016 wurden in Deutschland 45 Prozesse wegen terroristischer Straftaten mit Syrien-Bezug und nur vier Prozesse wegen Kriegsverbrechen geführt. Human Rights Watch Korrespondenz mit NGO, 9. Dezember 2016.

[97] §§ 129a, 129b StGB; Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 15. Februar 2017; Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 16. Februar 2017; Human Rights Watch, Befragung eines deutschen Wissenschaftlers, 17. Februar 2017.

[98] §§ 89a, 89b StGB; Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 15. Februar 2017; Human Rights Watch, Befragung eines deutschen Wissenschaftlers, 17. Februar 2017.

[99]Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 16. Februar 2017; Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 22. Februar 2017.

[100] Ebd.

[101] Vgl § 129a StGB und VStGB. Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 22. Februar 2017.

[102]Dr. Peter Frank (Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof) und Holger Schneider-Glockzin (Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof), „Terrorismus und Völkerstraftaten im bewaffneten Konflikt“, Neue Zeitschrift für Strafrecht, 2017, Ausgabe 1, 15. Januar 2017, S. 2, 5.

[103] Ebd., S. 9.

[104]Vgl. Democratic Republic of Congo v. Belgium, Internationaler Gerichtshof, Urteil vom 14. April 2002,

http://www.icj-cij.org/files/case-related/121/121-20020214-JUD-01-00-EN.pdf (aufgerufen am 6. September 2017).

[105]Das deutsche Gerichtsverfassungsgesetz legt fest, dass diplomatische Missionen und Staatsrepräsentanten, die sich auf offizielle Einladung hin in Deutschland aufhalten, Immunität genießen. Die Immunität anderer führender Regierungsvertreter wird im Einklang mit dem Völkergewohnheitsrecht ausgelegt. Vgl. §§ 18-20 Gerichtsverfassungsgesetz, in Kraft getreten am 12. September 1950, https://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/gvg/gesamt.pdf (aufgerufen am 6. September 2017), Deutsch, https://www.gesetze-im-internet.de/englisch_gvg/englisch_gvg.html (aufgerufen am 6. September 2017), offizielle englische Übersetzung. Weitere Informationen in: Human Rights Watch, The Legal Framework for Universal Jurisdiction in Germany, S. 3. Kapitel 2 § 7 des Schwedischen Strafgesetzbuches legt fest, dass „Einschränkungen [der Gerichtsbarkeit schwedischer Gerichte] auf Grund allgemein anerkannter Grundprinzipien des Völkerrechts oder besonderer Vorschriften aus Übereinkommen mit anderen Staaten zu berücksichtigen sind.“

[106]Vgl. Human Rights Watch, The Long Arm of Justice, S. 5-21.

[107]Human Rights Watch, Befragung schwedischer Beamter, 17. Januar 2017; Human Rights Watch, Befragung eines schwedischen Wissenschaftlers, 20. Januar 2017; Human Rights Watch, telefonische Befragung einer NGO, 9. Februar 2017. Vgl. auch C. J. Chivers, „Syrian Asylum Seeker Linked to Mass Killing is Arrested in Sweden“, New York Times, 16. März 2016, https://www.nytimes.com/2016/03/15/world/europe/syrian-asylum-seeker-lin... (aufgerufen am 6. September 2017).

[108] Beispielsweise sagte Mark Klamberg, außerordentlicher Professor für Völkerrecht an der Universität Stockholm, im Prozess gegen Haisam Omar Sakhanh als Experte darüber aus, inwieweit nichtstaatliche Akteure Gerichte etablieren, Urteile sprechen und die strafrechtliche Verantwortung für Taten für nichtig erklären können, die andernfalls Kriegsverbrechen darstellen würden. Human Rights Watch, Befragung eines schwedischen Wissenschaftlers, 20. Januar 2017.

[109]Human Rights Watch, Befragung schwedischer Beamter, 17. Januar 2017; Human Rights Watch, telefonische Befragung einer NGO, Stockholm, 9. Februar 2017; Human Rights Watch, telefonische Befragung schwedischer Journalisten, 8. Februar 2017.

[110]Human Rights Watch, Befragung schwedischer Beamter, 17. Januar 2017.

[111]Ebd.

[112]Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 22. Februar 2017. Vgl. Deutscher Bundestag, „Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Tom Koenigs, Luise Amtsberg , Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ermittlung von in Syrien begangenen Völkerstraftaten in Deutschland“, Drucksache 18/12533, Frage 12.

[113]Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 16. Februar 2017; Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 22. Februar 2017.

[114] Ebd.

[115]Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 22. Februar 2017.

[116]Human Rights Watch, Befragung schwedischer Beamter, 17. Januar 2017; Human Rights Watch, Gruppenbefragung syrischer Flüchtlinge, Värmdö, 18. Januar 2017; Human Rights Watch, telefonische Befragung von Ahmad, 3. Februar 2017; Human Rights Watch, telefonische Befragung eines schwedischen Journalisten, 8. Februar 2017; Human Rights Watch, Gruppenbefragung syrischer Flüchtlinge, Berlin, 20. Februar 2017; Human Rights Watch, Gruppenbefragung syrischer Flüchtlinge, Köln, 22. Februar 2017; Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 22. Februar 2017.

[117]Human Rights Watch, telefonische Befragung von Ahmad, 3. Februar 2017.

[118] Human Rights Watch, Gruppenbefragung syrischer Flüchtlinge , Värmdö, 18. Januar 2017; Human Rights Watch, Gruppenbefragung syrischer Flüchtlinge, Berlin, 20. Februar 2017; Human Rights Watch, Befragung von Layal, Berlin, 20. Februar 2017; Human Rights Watch, Gruppenbefragung syrischer Flüchtlinge, Hannover, 21. Februar 2017.

[119] Human Rights Watch, Gruppenbefragung syrischer Flüchtlinge, Berlin, 20. Februar 2017.

[120]Ebd.

[121] Human Rights Watch, Gruppenbefragungen syrischer Flüchtlinge, Värmdö und Varberg, 18.-19.Januar 2017; Human Rights Watch, Befragung schwedischer Beamter, 17. Januar 2017; Human Rights Watch, Befragung einer NGO, Stockholm, 17. Januar 2017; Human Rights Watch, telefonische Befragung von Ahmad, 3. Februar 2017; Human Rights Watch, Befragung eines schwedischen Opfer-Anwalts, 20. Januar 2017.

[122]Human Rights Watch, Gruppenbefragung syrischer Flüchtlinge, Varberg, 19. Januar 2017.

[123]Abschnitte 36 § 10 und 37 § 3 Schwedisches Gerichtsgesetzbuch 1942:740 (Rättegångsbalken 1942:740), in Kraft getreten am 1. Januar 1948, http://www.riksdagen.se/sv/dokument-lagar/dokument/svensk-forfattningssa... (aufgerufen am 6. September 2017), Schwedisch, http://www.government.se/contentassets/a1be9e99a5c64d1bb93a96ce5d517e9c/... (aufgerufen am 6. September 2017), offizielle englische Übersetzung. Alternative Zeugenschutzmaßnahmen ermöglichen in Schweden entweder das nationale Personenschutzprogramm oder das Gerichtsgesetzbuch. Vgl. §§ 2a und b Polizeigesetz 1984:387 (Polislag 1984:387), in Kraft getreten am 7. Juni 1984, http://www.riksdagen.se/sv/dokument-lagar/dokument/svensk-forfattningssa... (aufgerufen am 6. September 2017); Abs. 2 Verordnung 2006:519 über besondere Personenschutzprogramme (Förordning 2006:519 om särskilt personsäkerhetsarbete m.m.), in Kraft getreten am 1. Juni 2006, http://www.riksdagen.se/sv/dokument-lagar/dokument/svensk-forfattningssa... (aufgerufen am 6. September 2017); §§ 2-4 Gesetz 1991:483 über fiktive Personenidentifikationsdaten (Lag 1991:483 om fingerade personuppgifter), in Kraft getreten am 30. Mai 1991, http://www.riksdagen.se/sv/dokument-lagar/dokument/svensk-forfattningssa... (aufgerufen am 6. September 2017); Abschnitte 35 § 14 und 36 §§ 18-19 Gerichtsgesetzbuch. Vgl. auch Council of Europe Group of Experts on Action against Trafficking in Human Beings (GRETA), „Report Concerning the Implementation of the Council of Europe Convention on Action against Trafficking in Human Beings by Sweden“, GRETA (2014)11, 27. Mai 2014, Abs. 218-219, https://rm.coe.int/168063c456 (aufgerufen am 6. September 2017).

[124] Human Rights Watch, Befragung von Layal, Berlin, 20. Februar 2017; Human Rights Watch, Gruppenbefragung syrischer Flüchtlinge, Berlin, 20. Februar 2017; Human Rights Watch, Gruppenbefragung syrischer Flüchtlinge, Hannover, 21. Februar 2017; Human Rights Watch, Gruppenbefragung syrischer Flüchtlinge, Köln, 22. Februar 2017.

[125] § 68 StPO; Human Rights Watch, Befragung eines deutschen Wissenschaftlers, 14. Februar 2017; Human Rights Watch, Befragung eines deutschen Opfer-Anwalts, 14. Februar 2017; Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 16. Februar 2017; Human Rights Watch, Befragung deutscher Wissenschaftler, 23. Februar 2017.

[126] Außerdem können Opfer, die als Zivilparteien am Verfahren teilnehmen, nicht anonym bleiben.Human Rights Watch, Befragung eines deutschen Opfer-Anwalts, 14. Februar 2017; Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 16. Februar 2017; Human Rights Watch, Befragung deutscher Wissenschaftler, 23. Februar 2017.

[127]Human Rights Watch, Gruppenbefragung syrischer Flüchtlinge, Värmdö, 18. Januar 2017; Human Rights Watch, Befragung von Abdullah, Värmdö, 18. Januar 2017; Human Rights Watch, Befragung von Hassan, Berlin, 20. Februar 2017; Human Rights Watch, Gruppenbefragung syrischer Flüchtlinge, Hannover, 21. Februar 2017; Human Rights Watch, Gruppenbefragung syrischer Flüchtlinge, Köln, 22. Februar 2017.

[128] Human Rights Watch, Gruppenbefragung syrischer Flüchtlinge, Köln, 22. Februar 2017.

[129] Human Rights Watch, Gruppenbefragung syrischer Flüchtlinge, Värmdö, 18. Januar 2017; Human Rights Watch, Befragung von Abdullah, Värmdö, 18. Januar 2017.

[130]Human Rights Watch, Gruppenbefragung syrischer Flüchtlinge, Köln, 22. Februar 2017.

[131]Human Rights Watch, Gruppenbefragung syrischer Flüchtlinge, Värmdö, 18. Januar 2017; Human Rights Watch, Gruppenbefragung syrischer Flüchtlinge, Berlin, 20. Februar 2017; Human Rights Watch, Befragung von Hassan, Berlin, 20. Februar 2017; Human Rights Watch, Gruppenbefragung syrischer Flüchtlinge, Hannover, 21. Februar 2017.

[132]Human Rights Watch, Gruppenbefragung syrischer Flüchtlinge, Berlin, 20. Februar 2017.

[133]Vgl. Abschnitt 20 §§ 8-9 Gerichtsgesetzbuch; Rechtshilfegesetz 1996:1619 (Rättshjälplagen 1996:1619), Justitiedepartementet DOM, in Kraft getreten am 1. Dezember 1997, http://www.riksdagen.se/sv/dokument-lagar/dokument/svenskforfattningssam... (aufgerufen am 6. September 2017), Schwedisch, http://ec.europa.eu/justice_home/judicialatlascivil/html/pdf/national_la... (aufgerufen am 6. September 2017), inoffizielle, zusammenfassende englische Übersetzung.

[134]Vgl. § 397a (1) SPO. § 395 SPO listet die Verbrechen, an deren Verfahren die Opfer als Nebenkläger teilnehmen können. Zwar nennt die Vorschrift schwere Völkerrechtsverbrechen nicht explizit, bezieht aber Angriffe auf die körperliche Integrität, Mord und schwere Sexualstraftaten ein, die als Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord gewertet werden können.

[135]Das wurde auch von zivilgesellschaftlichen Gruppen bestätigt, die in Schweden mit Flüchtlingen arbeiten. Human Rights Watch, Befragung einer NGO, Stockholm, 16. Januar 2017. In Schweden erhält das mutmaßliche Opfer solche Informationen normalerweise in der Frühphase der Ermittlungen von dem Anwalt, der ihm oder ihr zugewiesen wird. In Deutschland erhalten Asylsuchende solche Informationen in der Regel, falls und wenn sie von der Polizei befragt werden. Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 16. Februar 2017; Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 22. Februar 2017. Art. 4 1(b) der EU-Opferschutzrichtlinie besagt: „ Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Opfern ab der ersten Kontaktaufnahme mit einer zuständigen Behörde unverzüglich die nachstehend aufgeführten Informationen zur Verfügung gestellt werden, damit sie die in dieser Richtlinie festgelegten Rechte wahrnehmen  können: […] (b) die Verfahren zur Erstattung von Anzeigen hinsichtlich einer Straftat und die Stellung des Opfers in diesen Verfahren“. Vgl. Art. 4 1(b) Richtlinie 2012/29/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten  sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2001/220/JI, 25. Oktober 2015, http://www.bundesgerichtshof.de/SharedDocs/Downloads/DE/Bibliothek/Geset... (aufgerufen am 24. September 2017), offizielle deutsche Übersetzung, http://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/ TXT/PDF/?uri=CELEX:32012L0029&from=EN (aufgerufen am 6. September 2017), Englisch.

[136]Am 1. März 2017 reichte das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) zusammen mit sieben syrischen Folteropfern und den syrischen Anwälten Anwar al-Bunni (Syrian Center for Legal Researches & Studies) und Mazen Darwish (Syrian Center for Media and Freedom of Speech) beim Bundesgerichtshof Klage gegen sechs hochrangige Beamte des syrischen Militärgeheimdienstes ein. Bei Redaktionsschuss hatte die Staatsanwaltschaft begonnen, die ersten der sieben Opfer anzuhören. Vgl. „Torture under the Assad Regime: Germany Paves the Way for First Syrian Cases under Universal Jurisdiction Laws“, ECCHR, https://www.ecchr.eu/en/international-crimes-and-accountability/syria/to... (aufgerufen am 6. September 2017).

[137] Human Rights Watch, Gruppenbefragung syrischer Flüchtlinge, Hannover, 21. Februar 2017.

[138]Human Right Watch, Gruppenbefragungen syrischer Flüchtlinge, Värmdö und Varberg, 18.-19. Januar 2017; Human Rights Watch, Befragung von Layal, Berlin, 20. Februar 2017; Human Rights Watch, Gruppenbefragung syrischer Flüchtlinge, Berlin, 20. Februar 2017; Human Rights Watch, Gruppenbefragung syrischer Flüchtlinge, Hannover, 21. Februar 2017; Human Rights Watch, Befragung von Hakim, Hannover, 21. Februar 2017; Human Rights Watch, Gruppenbefragung syrischer Flüchtlinge, Köln, 22. Februar 2017.

[139]Human Rights Watch, Gruppenbefragung syrischer Flüchtlinge, Varberg, 19. Januar 2017; Human Rights Watch, Gruppenbefragung syrischer Flüchtlinge, Berlin, 20. Februar 2017; Human Rights Watch, Gruppenbefragung syrischer Flüchtlinge , Hannover, 21. Februar 2017; Human Rights Watch, Gruppenbefragung syrischer Flüchtlinge, Köln, 22. Februar 2017.

[140]Human Right Watch, Gruppenbefragungen syrischer Flüchtlinge, Värmdö und Varberg, 18.-19. Januar 2017; Human Rights Watch, Befragung von Layal, Berlin, 20. Februar 2017; Human Rights Watch, Befragung von Hassan, Berlin, 20. Februar 2017; Human Rights Watch, Gruppenbefragung syrischer Flüchtlinge, Berlin, 20. Februar 2017; Human Rights Watch, Gruppenbefragung syrischer Flüchtlinge, Köln, 22. Februar 2017.

[141] Tonaufnahmen sind bei Prozessen in Schweden teilweise zulässig. In Deutschland werden die Eröffnung von und die Urteilssprüche in Prozessen vor dem Bundesverfassungsgericht manchmal im Fernsehen ausgestrahlt. Human Rights Watch, Befragung schwedischer Beamter, 16. Januar 2017; Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 15. February 2017.

[142] Vgl. Bereich Pressemitteilungen auf der Website der schwedischen Polizei, https://polisen.se/Aktuellt/Pressmeddelanden/00-Gemensam/Presstraff--att... (aufgerufen am 6. September 2017); Bereich Nachrichten auf der Website der schwedischen Polizei, https://polisen.se/Aktuellt/Nyheter/Gemensam-2017/Februari/Tva-man-doms-... (aufgerufen am 6. September 2017); und Bereich Pressemitteilungen auf der Website des deutschen Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof, https://www.generalbundesanwalt.de/de/aktuell.php (aufgerufen am 6. September 2017).

[143] Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 16. Februar 2017.

[144]Vgl. Transkription der Einladung zu einer Pressekonferenz über Ermittlungen in Kriegsverbrechen, Schwedische Strafverfolgungsbehörde (Åklagarmyndigheten), Stockholm, 10. Februar 2017, https://www.aklagare.se/en/nyheter--press/press-releases/?newsId=791CA47... (aufgerufen am 6. September 2017).

[145] Human Rights Watch, Befragung eines deutschen Opfer-Anwalts, 14. Februar 2017; Human Rights Watch, Befragung eines deutschen Wissenschaftlers, 14. Februar 2017; Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 15. Februar 2017; Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 16. Februar 2017.

[146]Unter “Medien” sind hier Printmedien, Onlinemedien, Radio, Fernsehen und andere Ton-Medien gemeint, die Nachrichten zur Verfügung stellen.

[147]Human Rights Watch, Befragung schwedischer Beamter, 17. Januar 2017; Human Rights Watch, Befragung eines schwedischen Opfer-Anwalts, 20. Januar 2017; Human Rights Watch, Befragung eines schwedischen Strafverteidigers, 20. Januar 2017.

[148] Human Rights Watch, Befragung schwedischer Beamter, 17. Januar 2017; Human Rights Watch, Gruppenbefragung syrischer Flüchtlinge, Värmdö, 18. Januar 2017; Human Rights Watch, telefonische Befragung von Ahmad, 3. Februar 2017.

[149]Human Rights Watch, telefonische Befragung von Ahmad, 3. Februar 2017; Human Rights Watch, telefonische Befragung schwedischer Journalisten, 8. Februar 2017.

[150]Human Rights Watch, Gruppenbefragung syrischer Flüchtlinge, Köln, 22. Februar 2017.

[151] Human Rights Watch, Gruppenbefragung syrischer Flüchtlinge, Värmdö, 18. Januar 2017.

[152] Human Right Watch, Gruppenbefragungen syrischer Flüchtlinge, Värmdö und Varberg, 18.-19. Januar 2017; Human Rights Watch, Gruppenbefragung syrischer Flüchtlinge, Berlin, 20. Februar 2017; Human Rights Watch, Gruppenbefragung syrischer Flüchtlinge, Hannover, 21. Februar 2017.

[153] Ebd.

[154]Vgl. insbes. Europäisches Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen, angenommen am 20. April 1959, ETS No.030, in Kraft getreten am 12. Juni 1962. Vgl. auch Rechtsakt des Rates vom 29. Mai 2000 über die Erstellung des Übereinkommens – gemäß Artikel 34 des Vertrags über die Europäische Union über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, angenommen am 29. Mai 2000, OJ C 197, 12.7.2000, in Kraft getreten am 23. August 2005.

[155]Eurojust, Website des EU-Genozid-Netzes, http://www.eurojust.europa.eu/Practitioners/Genocide-Network/Pages/Genocide-Network.aspx (aufgerufen am 6. September 2017). Weitere Informationen zur Einrichtung und Arbeit des EU Genocide Networks in: Human Rights Watch, The Long Arm of Justice, S. 86-90.

[156] Human Rights Watch, The Long Arm of Justice, S. 86-90.

[157]Mit Blick auf Fälle mit Syrien-Bezug berichteten schwedische Beamte von gut funktionierender Zusammenarbeit mit Deutschland, Finnland, den Niederlanden, Norwegen und Frankreich, deutsche Beamten sagten das gleiche über Frankreich, Norwegen und die Niederlande. Human Rights Watch, Befragung schwedischer Beamter, 17. Januar 2017; Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 16. Februar 2017; Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 22. Februar 2017.

[158]Europol ist seit kurzem auch für schwerste Völkerrechtsverbrechen zuständig. Vgl. „Verordnung (EU) 2016/794 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2016 über die Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Strafverfolgung (Europol) “, (EU) 2016/794, 11. Mai 2016, https://www.europol.europa.eu/publications-documents/regulation-eu-2016/... (aufgerufen am 6. September 2017). Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 22. Februar 2017. Vgl. auch Human Rights Watch, The Long Arm of Justice, p. 92.

[159]Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 22. Februar 2017. Vgl. auch Human Rights Watch, The Long Arm of Justice, p. 92.

[160] Weitere Informationen in: Human Rights Watch, The Long Arm of Justice, S. 91-92. Vgl. auch Maarten Bolhuis und Joris van Wijk, „Study on the Exchange of Information between European Countries Regarding Persons Excluded from Refugee Status in Accordance with Article 1F Refugee Convention“ (Amsterdam: Department of Criminal Law and Criminology, Vrije Universiteit Amsterdam, 2015), https://cicj.org/wp-content/uploads/2012/11/Bolhuis-Van-Wijk-2015-Study-... (aufgerufen am 6. September 2017).

[161] Vgl. Europäisches Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO), „EASO Exclusion Network“, https://www.easo.europa.eu/easo-exclusion-network-0 (aufgerufen am 6. September 2017).

[162]Vgl. UNHCR, „Syrian Regional Refugee Response: Total Persons of Concern“, zuletzt geändert am 6. September 2017, http://data.unhcr.org/syrianrefugees/regional.php#_ga=1.19774712.1190624... (aufgerufen am 6. September 2017).

[163] Diese Länder verfügen über kein System zur Verfolgung schwerster Völkerrechtsverbrechen. Im türkischen Strafrecht ist die Ahndung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord geregelt, aber die Anwendung des We"ltr"echtsprinzips nicht vorgesehen. Der Libanon, Jordanien und der Irak haben schwere Völkerrechtsverbrechen nicht in ihr nationales Recht übernommen. Amnesty International, Universal Jurisdiction: A Preliminary Survey of Legislation Around the World – 2012 Update, 9. Oktober 2012, https://www.amnesty.org/en/documents/ior53/019/2012/en (aufgerufen am 6. September 2017); S. 64-65, 67-68, 72-73, 115-116.

[164] Human Rights Watch, Befragung schwedischer Beamter, 17. Januar 2017; Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 16. Februar 2017; Human Rights Watch, Befragung eines deutschen Beamten, 23. Februar 2017.

[165]Human Rights Watch, Befragung schwedischer Beamter, 17. Januar 2017; Human Rights Watch, telefonische Befragung eines schwedischen Journalisten, 8. Februar 2017.

[166]Das war im Prozess gegen Mouhannand Droubi der Fall. Vgl. Prozess gegen Mouhannand Droubi, Bezirksgericht Södertörn, Az. B 13656-14, Urteil vom 26. Februar 2015; Prozess gegen Mouhannand Droubi, Berufungsgericht Svea hovrätt, Az. B 2440-15, Entscheidung vom 23. Februar 2016 verkündet am 26. Februar 2016; Prozess gegen Mouhannand Droubi, Bezirksgericht Södertörn, Az. B 2639-16, Urteil vom 11. Mai 2016; Prozess gegen Mouhannand Droubi, Appellationsgericht Svea hovrätt, Az. B 4770-16, Urteil vom 5. August 2016. Vgl. auch Terese Cristiansson, „Eine ungewöhnliche, aber klare Entscheidung“ („Ett ovanligt men självklart beslut“), Kronikorer, 26. Februar 2016, http://www.expressen.se/kronikorer/terese-cristiansson/ett-ovanligt-men-... (aufgerufen am 6. September 2017).

[167]Human Rights Watch, Befragung schwedischer Beamter, 17. Januar 2017; Terese Cristiansson, „An Unusual but Obvious Decision“, Kronikorer.

[168]Die Bundespolizei hat ein Verbindungsbüro in Beirut, das die Arbeit der deutschen Polizei im Libanon unterstützt und darüber hinaus für Syrien zuständig ist. Allerdings blockiert der laufende Konflikt derzeit seine Arbeit zu Syrien. Vgl. Deutscher Bundestag, „Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Tom Koenigs, Luise Amtsberg , Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ermittlung von in Syrien begangenen Völkerstraftaten in Deutschland“, Drucksache 18/12533, 30. Mai 2017, Frage 27. Außerdem äußerten Beamte, dass eine Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der Türkei auf Grund diplomatischer Spannungen zwischen den beiden Ländern derzeit unwahrscheinlich ist. Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 16. Februar 2017; Human Rights Watch, Befragung eines deutschen Beamten, 23. Februar 2017.

[169]Human Rights Watch, Befragung eines schwedischen Strafverteidigers, 20. Januar 2017; Human Rights Watch, Email-Korrespondenz mit deutschem Strafverteidiger, 23. April 2017.

[170]Human Rights Watch, Befragung eines schwedischen Strafverteidigers, 20. Januar 2017.

[171]Human Rights Watch, Email-Korrespondenz mit deutschem Strafverteidiger, 23. April 2017.

[172]Vgl. Berichte der Untersuchungskommission beim Büro des Hohen Kommissars der UN für Menschenrechte, „Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic“, http://www.ohchr.org/EN/HRBodies/HRC/IICISyria/Pages/IndependentInternat... (aufgerufen am 6. September 2017).

[173]Human Rights Watch, Befragung schwedischer Beamter, 17. Januar 2017.

[174] Human Rights Watch, telefonische Befragung von Mitarbeitern der Untersuchungskommission, 11. und 19. Juli 2017.

[175]Ebd.

[176] Human Rights Watch, Befragung eines schwedischen Beamten, 17. Januar 2017.

[177]Human Rights Watch, Befragung eines deutschen Beamten, 23. Februar 2017.

[178] UN Generalversammlung, Bericht des Generalsekretärs, A/71/L.755, 19. Januar 2017, https://www.un.org/en/ga/search/view_doc.asp?symbol=A/71/755 (aufgerufen am 6. September 2017).

[179]Human Rights Watch, Befragung schwedischer Beamter, 17. Januar 2017.

[180]Ebd.; Human Rights Watch, Email-Korrespondenz mit schwedischem Beamten, 21. März 2017.

[181]Ebd.

[182]Abschnitt 19 § 2 Gerichtsgesetzbuch; Human Rights Watch, Befragung schwedischer Beamter, 17. Januar 2017; Human Rights Watch, Email-Korrespondenz mit schwedischem Beamten, 22. März 2017.

[183]Die Anfrage wird an das Referat für Strafverfahren und internationale justizielle Zusammenarbeit des Justizministeriums gestellt, die Entscheidung trifft allerdings das ganze Regierungskabinett. Human Rights Watch, Email-Korrespondenz mit schwedischem Beamten, 19. Juni 2017.

[184]Human Rights Watch, Email-Korrespondenz mit schwedischem Beamten, 22. März 2017.

[185]Human Rights Watch, Befragung eines schwedischen Opfer-Anwalts, 20. Januar 2017; Human Rights Watch, Befragung eines schwedischen Wissenschaftlers, 20. Januar 2017; Human Rights Watch, Befragung eines schwedischen Strafverteidigers, 20. Januar 2017; Human Rights Watch, telefonische Befragung einer NGO, 9. Februar 2017. Zwei Gesprächspartnern zufolge erwies sich das im Prozess gegen Al-Madlawi als problematisch. Richter des Göteborger Bezirksgericht legten das humanitäre Völkerrecht falsch aus und werteten die Verbrechen als terroristische Straftaten statt als Kriegsverbrechen. Vgl. Prozess gegen Hassan Mostafa Al-Mandlawi and Al Amin Sultan, Bezirksgericht Stockholm, Az. B 9086-15, Urteil vom 14. Dezember 2015; Prozess gegen Hassan Mostafa Al-Mandlawi and Al Amin Sultan, Appellationsgericht für Westschweden, Az. B 5306-15, Urteil vom 30. März 2016..

[186]Human Rights Watch, Befragung schwedischer Beamter, 17. Januar 2017; Human Rights Watch, Befragung eines schwedischen Strafverteidigers, 20. Januar 2017; Human Rights Watch, telefonische Befragung einer NGO, 9. Februar 2017.

[187]Human Rights Watch, Befragung schwedischer Beamter, 17. Januar 2017; Human Rights Watch, Befragung eines schwedischen Strafverteidigers, 20. Januar 2017.

[188] Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 22. Februar 2017.

[189]Praktiker erwähnten auch Weiterbildungen am Institute for International Criminal Investigations. Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 22. Februar 2017.

[190]Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 22. Februar 2017.

[191] Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 17. Februar 2017.

[192]Human Rights Watch, Email-Korrespondenz mit deutschem Beamten, 29. Mai 2017.

[193] Ebd.

[194] Zusätzlich nehmen die Staatsanwälte des Referats für Völkerstrafrecht aktiv am Arbeitskreis Völkerstrafrecht teil, einer jährlich stattfindenden Konferenz deutschsprachiger Wissenschaftler und Praktiker im Gebiet Völkerstrafrecht. Human Rights Watch, Email-Korrespondenz mit deutschem Beamten, 20. März 2017.

[195]§ 120 Gerichtsverfassungsgesetz; §§ 7-21 SPO; Human Rights Watch, Email-Korrespondenz mit deutschem Beamten, 20. März 2017; Human Rights Watch, Email-Korrespondenz mit deutschem Beamten, 31. März 2017.

[196] Human Rights Watch, Email-Korrespondenz mit deutschem Beamten, 31. März 2017. Ein ZBKV-Mitarbeiter schlug vor kurzem vor, innerhalb der Oberlandesgerichte spezialisierte Senate mit Richtern zu schaffen, die sich mit Völkerstrafrechtsfällen befassen. Vgl. Jörg Diehl, „BKA-Ermittler gegen Kriegsverbrecher: Aufnahmen von Enthauptungen vergessen Sie nicht“, Spiegel Online, 22. Juni 2017, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundeskriminalamt-klaus-zorn-u... (aufgerufen am 6. September 2017).

[197]Einige Richter nehmen ebenfalls am oben genannten Arbeitskreis Völkerstrafrecht teil. Human Rights Watch, Email-Korrespondenz mit deutschem Beamten, 20. März 2017.

[198]Human Rights Watch, Befragung eines deutschen Opfer-Anwalts, 14. Februar 2017; Human Rights Watch, Befragung deutscher Wissenschaftler, 23. Februar 2017. Einem in Deutschland befragten Praktiker zufolge sollten es eine Zulassungsrichtlinie für Anwälte, die an solchen Fällen arbeiten, geben. Human Rights Watch, Email-Korrespondenz mit deutschem Strafverteidiger, 23. April 2017.

[199]Human Rights Watch, Befragung schwedischer Beamter, 17. Januar 2017.

[200]Ebd.

[201]Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 16. Februar 2017.

[202]Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 16. Februar 2017; Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 22. Februar 2017.

[203]Ebd.

[204]Ebd.

[205]Human Rights Watch, Befragung schwedischer Beamter, 17. Januar 2017.

[206]Ebd.

[207]Ebd.; Human Rights Watch, Befragung einer NGO, Stockholm, 17. Januar 2017.

[208]Vgl. Website der Kommission zur Bekämpfung von Kriegsverbrechen, https://polisen.se/Om-polisen/Olika-typer-av-brott/Krigsbrott/ (aufgerufen am 6. September 2017).

[209]Human Rights Watch, Befragung von BAMF-Mitarbeitern, 17. Februar 2017. Weitere Informationen über die App auf Deutsch, Englisch, Französisch, Persisch und Farsi in: Ankommen, Website, https://ankommenapp.de/ (aufgerufen am 6. September 2017).

[210] Human Rights Watch, Befragung deutscher Beamter, 22. Februar 2017.

[211] Vgl. Website der Bundespolizei über die ZBKV, https://www.bka.de/EN/OurTasks/Remit/CentralAgency/ZBKV/zbkv_node.html (aufgerufen am 6. September 2017).

Kategorien: Menschenrechte

Indonesien: Flüchtlingskinder werden vernachlässigt und misshandelt

Human Rights Watch: Gesundheit - Mi, 29.04.2020 - 22:31

(Jakarta) – Indonesien lässt minderjährige Migranten und Asylsuchende einsperren und verwahrlosen, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Jedes Jahr werden hunderte Kinder unter elenden Bedingungen festgehalten und oftmals auch geschlagen, ohne Zugang zu Anwälten. Andere sind auf sich allein gestellt und müssen sich ohne jegliche Hilfe um Essen und Unterkunft bemühen.

Der 86-seitige Bericht „Barely Surviving: Detention, Abuse, Neglect of Migrant Children in Indonesia” untersucht die miserable Behandlung, die minderjährige Migranten und Asylsuchende in Indonesien widerfährt. Sie erreichen Indonesien, nachdem sie vor Verfolgung, Gewalt und Armut in Somalia, Afghanistan, Pakistan, Burma oder anderen Ländern geflohen sind. Indonesien nimmt jedes Jahr Hunderte von Flüchtlingskinder fest, ohne ihnen eine Möglichkeit zu geben, ihre Inhaftierung anzufechten. Nach indonesischem Recht können illegale Einwanderer bis zu 10 Jahre inhaftiert werden.

„Minderjährige Migranten und Asylsuchende riskieren Leib und Leben, um aus ihren Heimatländern zu fliehen und nach Indonesien zu kommen“, so Alice Farmer, Kinderrechtsexpertin bei Human Rights Watch. „Doch der einzige Rettungsanker, den Indonesien bietet, sind heruntergekommene Gefängnisse, wo die Kinder Monate oder Jahre ohne Schulbildung oder Hoffnung auf eine bessere Zukunft verbringen.“

Unbegleitete Flüchtlingskinder, die ohne Eltern oder andere Erwachsenen reisen, die ihnen Schutz bieten könnten, fallen in eine rechtliche Lücke. Da keine Regierungsbehörde für ihre Betreuung zuständig ist, kümmert sich niemand um ihre Bedürfnisse. Einige Kinder verwahrlosen im Gefängnis, während andere auf der Straße zurückgelassen werden, ohne den rechtlichen und materiellen Beistand, der ihnen nach dem Gesetz zusteht.

Interaktive Karte (bitte auf das Bild klicken): Migrationsstrecken nach Indonesien

Aufgrund der mangelnden Zukunftsperspektive riskieren viele minderjährige Migranten – entweder allein oder mit ihren Familien – ihr Leben auf der gefährlichen Überfahrt nach Australien. Meist treten sie die Reise auf zerbrechlichen Booten an, die von Schmugglern organisiert werden und nicht genug Treibstoff mit sich führen. Nach Schätzungen sterben jedes Jahr hunderte Menschen auf diesem Wege.

Für den aktuellen Bericht führte Human Rights Watch 102 Interviews mit Migranten zwischen 5 und 66 Jahren durch. 42 der Interviewpartner waren noch minderjährig, als sie nach Indonesien kamen. Die Experten von Human Rights Watch trafen sich auch mit einer Reihe von Regierungsbeamten, die im Migrationssektor tätig sind, und befragten Mitarbeiter von zwischenstaatlichen und nichtstaatlichen Organisationen.

Sowohl Erwachsene als auch Kinder berichteten von Wachleuten, die sie oder andere Mithäftlinge traten und schlugen. Einige erzählten, dass die Wachleute Häftlinge festbanden oder knebelten, sie mit Stöcken schlugen, mit Zigaretten verbrannten und mit elektrischen Schocks quälten. In einem Fall erzählte ein Elternpaar, dass die Wärter des Immigrantengefängnisses ihre vier und sechs Jahre alten Kinder gezwungen hätte zuzusehen, wie sie andere Insassen verprügelten. Mehrere unbegleitete Jungen berichteten Human Rights Watch, die indonesischen Einwanderungswächter hätten sie während ihrer Inhaftierung geschlagen.

„An diesem Tag wurde ich heftig zusammengeschlagen“ so ein 15-jähriger Junge, der versucht hatte aus dem Gefängnis zu fliehen. „Acht oder neun Personen schlugen auf mich ein; die meisten waren Wärter und dazu kam noch eine Person von draußen.“

Die Haftbedingungen bleiben weit hinter den internationalen Standards zurück: Die Gebäude sind oft überfüllt, unhygienisch und stehen zeitweise unter Wasser. Kinder haben nahezu keinen Zugang zu Bildungsmöglichkeiten und nicht genug Zeit für Erholung. Einige Kinder berichteten, dass sie für mehrere Wochen am Stück kein Tageslicht gesehen hatten.

Im Jahr 2012 sind mehr als 1000 allein reisende Kinder in Indonesien angekommen. Viele wurden zusammen mit nicht verwandten Erwachsenen eingesperrt, sodass sie einem noch höheren Risiko für Gewalt und Missbrauch ausgesetzt waren.

Anfang März 2013 befanden sich fast minderjährige Migranten und Asylsuchende in Indonesien; eine Zahl, die in den letzten fünf Jahren stetig gewachsen ist. Indonesien verfügt über kein Asylrecht und delegiert daher seine Verantwortung, zu entscheiden wer als Flüchtling einen Anspruch auf Schutz hat, an das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR).

Doch selbst wenn das UNHCR Personen als Flüchtlinge anerkennt, weigert sich Indonesien oft, sie aus der Haft zu entlassen und ihr Aufenthaltsrecht in dem Land anzuerkennen. Auch im Falle einer Freilassung müssen Flüchtlinge und Asylbewerber, einschließlich Kindern, mit der ständigen Angst einer erneuten Festnahme und Inhaftierung leben.

Asylbewerber und Flüchtlinge, die freigelassen wurden, dürfen nach dem Gesetz keine Arbeit ausüben und können sich nicht frei im Land bewegen. Kinder haben kaum Aussicht auf einen Schulbesuch oder anderweitige Ausbildungsmöglichkeiten. Viele warten Monate oder Jahre, bis das UNHCR ihren Fall bearbeitet. Nur eine geringe Anzahl von Personen wird letztendlich in einem Drittstaat untergebracht.

Die indonesische Regierung soll die Festnahme von Einwanderungskindern beenden, seine Haftanstalten sanieren und einen fairen und transparenten Prozess für Asylbewerber einrichten, so die Forderung von Human Rights Watch.

„Minderjährige Migranten und Asylsuchende in Indonesien sind gefangen in einem ewigen Wartespiel ohne sicheres Ende“, so Farmer. „Auch in Zukunft werden verzweifelte Kinder nach Indonesien kommen und die Regierung soll die nötigen Schritte einleiten, um ihnen eine angemessene Versorgung zu bieten.&lduoq;

Kategorien: Menschenrechte

Brasilien: Zika-Epidemie zeigt Menschenrechtsprobleme

Human Rights Watch: Frauenrechte - Mi, 29.04.2020 - 09:30

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Raquel, 25, holds her daughter Heloisa in Areia, Paraíba state, Brazil. Raquel gave birth to twin daughters with Zika syndrome in April 2016. “I want to give my best to my daughters,” she said in an interview with Human Rights Watch.
 

© 2017 Ueslei Marcelino/Reuters

(Sao Paulo) – Brasilien hat nichts gegen seit langem bekannte Menschenrechtsprobleme getan, die zur Eskalation des Zika-Ausbruchs geführt haben. Für die Bevölkerung besteht weiter die Gefahr, dass es wieder zu einer Epidemie kommt. Zudem bestehen weiterhin andere ernsthafte Risiken für die Gesundheit, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichen Bericht. Die Regierung hat im Mai 2017 den nationalen Notstand, der wegen des Zika-Virus‘ ausgerufen worden war, für beendet erklärt.

Der 103-seitige Bericht „Neglected and Unprotected: The Impact of the Zika Outbreak on Women and Girls in Northeastern Brazil” dokumentiert die Mängel, die sich in der Reaktion der brasilianischen Regierung auf die Epidemie gezeigt haben. Davon waren besonders Frauen und Kinder betroffen. Doch die gesamte Bevölkerung ist weiterhin der Gefahr ausgesetzt, die von Krankheiten ausgehen, die durch Stechmücken hervorgerufen werden. Die Krankheit traf das Land, als es sich in einer der schlimmsten wirtschaftlichen Rezessionen der letzten Jahrzehnte befand. Dadurch wurden die Behörden in die schwierige Lage versetzt, wie sie die knappen Ressourcen angemessen verteilen sollten. Doch auch als die Wirtschaft noch wuchs, waren die Invesitionen der Regierung in die Wasserversorgung und sanitäre Einrichtungen nicht ausreichend. Diese jahrelange Nachlässigkeit hat dazu beigetragen, dass die schlechte Wasserversorgung und Abwasserentsorgung zur Verbreitung der Aedes-Mücke geführt haben und sich der Virus so schnell verbreiten konnte. 

Juli 12, 2017 Video Video: Zika Moms Fight for Help from Brazilian Government

Brazil has not addressed longstanding human rights problems that allowed the Zika outbreak to escalate, leaving the population vulnerable to future outbreaks and other serious public health risks. 

“Die Brasilianer sehen vielleicht die Erklärung des Gesundheitsministeriums, dass der Zika-Notstand beendet ist, als Erfolg. Doch erhebliche Risiken gibt es weiter, genauso wie die damit verbundenden Menschenrechtsprobleme“, so  Amanda Klasing, Frauenrechtsexpertin von Human Rights Watch und Mitverfasserin des Berichts. „Grundlegende Rechte stehen auf dem Spiel, wenn es der Regierung nicht gelingt, die Mückenplage langfristig zu bekämpfen. Zudem muss der Zugang zu reproduktiven Rechten sichergestellt werden, und Familien mit Kindern, die mit dem Zika-Virus infiziert sind, müssen unterstützt werden.“

Vor 18 Monaten hatte die Regierung den Notstand wegen des Zika-Virus ausgerufen, weil immer mehr Säuglinge mit Mikrozephalie – eine Entwicklungsbesonderheit, bei der der Kopf des Kindes vergleichsweise klein ist -  und anderen möglichen Gesundheitsproblemen geboren wurden, die nun als Zika-Syndrom bekannt sind. Doch die Aedes-Mücke gibt es in Brasilien weiterhin, und sie überträgt auch weiter den Zika-Virus und andere gefährliche Viren. Seit Dezember 2016 sind bei einer Gelbfieberepidemie, die von derselben Mücke übertragen werden kann, mindesten 240 Personen in Brasilien ums Leben gekommen. Klimaphänomene, wie El Niño im Jahr 2015, gemeinsam mit dem Klimawandel und steigenden Temperaturen können dazu beitragen, dass sich von Stechmücken übertragene Krankheiten immer schneller verbreiten.

Die brasilianischen Behörden sollen längst fällige Investitionen in die Wasserversorgung und in sanitäre Einrichtungen durchführen, um die Verbreitung der Stechmücken zu kontrollieren und die öffentliche Gesundheitsversorgung zu verbessern. Die Behörden sollen auch umfassende Informationen über und Angebote für die reproduktive Gesundheit von Mädchen und Frauen zur Verügung stellen. Abtreibungen sollen nicht mehr strafbar sein, und Kinder mit dem Zika-Syndrom sollen langfristig Zugang zu Maßnahmen erhalten, durch die sie bestmöglich leben können.   

Human Rights Watch sprach mit 183 Personen, darunter 98 Frauen und Mädchen zwischen 15 und 63 Jahren, in Pernambuco und Paraíba, zwei Staaten im Nordosten, die am schlimmsten von dem Virus getroffen wurden. 44 Frauen waren schwanger oder hatten vor kurzem ein Kind geboren; 30 hatten Kinder, die vom Zika-Syndrom betroffen waren. Human Rights Watch sprach auch mit Männern und Jungen in den betroffenen Gebieten, Dienstleistern und anderen Experten sowie mit Regierungsvertretern. Zudem wurden Regierungsdaten und Daten anderer Institutionen zur öffentlichen Gesundheit, Wasserversorgung und Abwasserentsorgung sowie Budgets analysiert. 

Nach dem Zika-Ausbruch haben die brasilianischen Behörden die Haushalte ermutigt, Vorratsspeicher für Wasser zu reinigen und stehendes Wasser in Häusern zu entfernen. Meistens sind Frauen und Mädchen dafür verantwortlich. Doch diese Arbeit ist mühsam und kann nicht die Lücke füllen, die wegen mangelnden Regierungshandelns klafft. Die Behörden haben nicht genug in die Wasserversorgung und die sanitäre Infrastruktur investiert, damit langfristig kontrolliert werden kann, wie sich die Mücken verbreiten und die öffentliche Gesundheit verbessert werden kann.

Mehr als ein Drittel der Bevölkerung in Brasilien hat keinen ständigen Zugang zur Wasserversorgung. Die Menschen haben deshalb keine andere Wahl, als ihre Tanks und andere Behälter mit Wasser zu füllen, das sie im Haushalt benötigen. Diese können jedoch ungewollt zu Brutstätten für Stechmücken werden, wenn sie nicht abgedeckt und gereinigt werden. Die schlechte Abwasserentsorgung führt dazu, dass Wasser oftmals auf den Böden steht. Mehr als 35 Millionen Menschen in Brasilien haben keinen Zugang zu angemessener Müllentsorgung. Nur 50% waren 2015 an das Abwassersystem angeschlossen; und weniger als 43% des gesamten Abwassers in dem Land wird gereinigt. Im Nordosten waren weniger als 25% der Bevölkerung an das Abwassersystem angeschlossen und nur 32% des Abwassers wurde gereinigt.

Human Rights Watch hat beobachtet, wie ungereinigtes Abwasser in offene, ungeschützte Kanäle, in Gullies, auf Straßen oder in Wasserwege in der Nähe von Wohngebieten floss. Oftmals sind diese versperrt durch Schutt, wodurch sich schmutziges Wasser bildet, das nicht abfließen kann – ideale Bedingungen für Mücken. 

In den untersuchten Gebieten hatten Frauen und Mädchen keinen angemessenen Zugang zu Informationen über und Diensten für reproduktive Gesundheit durch das öffentliche Gesundheitssystem. Viele wurden ungewollt schwanger oder trafen ohne ausreichende Informationen Entscheidungen über ihre Schwangerschaft.

Das Strafmaß für Abtreibung zwingt schwangere Frauen und Mädchen, Abtreibungen im Geheimen und unter unsicheren Bedingungen vornehmen zu lassen, um ungewollte Schwangerschaften zu beenden. Ärzte berichteten, dass sie Frauen und Mädchen im letzten Jahr behandelt haben, die ihre Schwangerschaft durch ätzende Säure oder andere gesundheitsgefährdende Methoden beenden wollten. Eine 23-jährige Frau, die als Jugendliche vergewaltigt wurde und nach einer heimlichen Abtreibung unter starken Blutungen litt, sagte: „Ich hatte nicht viele Informationen... Ich blute sehr oft.“

Unischere Abtreibungen sind weiter der vierthäufigste Grund für Müttersterblichkeit in Brasilien. Seit 2005 sind mehr als 900 Frauen daran gestorben – meist hätte der Tod verhindert werden können. Das Risiko einer Zika-Infektion während der Schwangerschaft wird wahrscheinlich dazu führen, dass noch mehr Frauen sich der Gefahr einer unsicheren und heimlichen Abtreibung aussetzen. Eine Studie in dem New England Journal of Medicine vom Juli 2016 hat dokumentiert, dass die Zahl der Anfragen nach einer Abtreibung aus Brasilien an Women on Web um 108% gestiegen ist. Women on Web ist eine gemeinnützige Organisation, die medizinische Behandlung für Abtreibungen in Ländern anbietet, in denen sichere Abtreibungen nur sehr eingeschränkt möglich sind. Der Anstieg der Anfragen erfolgte, nachdem sich die Pan American Health Organization im November 2015 zu den Risiken geäußert hatte, die mit dem Zika-Virus verbunden sind.

Viele befragte schwangere Frauen und Mädchen sagten, dass sie bei ihren Untersuchungen während der Schwangerschaft nicht wirklich verständliche Informationen daüber erhalten hätten, wie der Zika-Virus übertragen wird. Das Gesundheitspersonal habe ihnen nicht mitgeteilt, dass Zika auch durch Sexualpartner übertragen werden könne. Wegen widersprüchlicher Informationen der Behörden hätten nur wenige Personen konsequent Kondome verwendet, um sich selbst und auch ihren Fötus vor dem Zika-Virus zu schützen.

Schwangere Frauen aus Haushalten mit niedrigem Einkommen, deren Wasserversorgung und Abwassersystem typischerweise schlecht ist und die gerade deshalb am stärksten Stechmücken ausgesetzt sind,  sagten, sie hätten nicht die Möglichkeit, Mückenschutzmittel für den alltäglichen Gebrauch zu kaufen.

Mehr als 2.600 Kinder, die in Brasilien mit Mikrozephalie und anderen Beschwerden geboren wurden, die durch das Zika-Virus ausgelöst werden, benötigen langfristige Unterstützung. Ihre Angehörigen erhalten oft nicht die volle Unterstützung, die sie von der Regierung und der Gesellschaft benötigen, um ihre Kinder mit Behinderungen zu erziehen. Außerdem fehlt finanzielle und logistische Unterstützung, um Pflege zugänglicher zu machen.  Mütter, die Kinder mit dem Zika-Syndrom großziehen, sagten, es sei schwer, Informationen und Unterstützung zu erhalten, sowohl zum Zeitpunkt der Geburt, als auch danach. Gesundheitspersonal und Eltern von betroffenen Kindern betonten, dass es für Väter wichtig sei, zusätzliche Unterstützung zu erhalten, um aktiv an der Pflege der Kinder teilnehmen zu können.

Eine Vater berichtete gegenüber Human Rights Watch, dass er fast sein ganzes Monatsgehalt für Medikamente für sein Kind mit dem Zika-Syndrom ausgeben müsse.

Im Jahr 2017 sank die Zahl der Zika-Fälle und die Anzahl der Kindern, die mit Behinderungen aufgrund des Viruses geboren wurden, im Vergleich zum gleichen Zeitraum 2016 dramatisch. Jedoch können die Behörden die Ursache dafür nicht erklären.

„Wenn die Mückensaison in Teilen Amerikas und der Vereinigten Staaten beginnt, sollten andere von Zika betroffene Länder erkennen, dass Menschenrechtsprobleme zur schnelleren Eskalation und zum Ausmaß der Zika-Epidemie beitragen können“ sagte Klasing. „Wenn Länder solche Krisen wie in Brasilien vermeiden wollen, sollten sie die Menschenrechte ganz an den Anfang jeder Planung und Reaktion stellen.“

Kategorien: Menschenrechte

Nachruf auf Dr. Günter Wetzel

Frankfurt am Main (8. November 2018) – Das IGFM-Kuratoriumsmitglied Dr. Günter Wetzel, Staatssekretär a.D, ist am 28. November 2018 im Alter von 96 Jahren in seiner Wahlheimatstadt Darmstadt verstorben. Wegen "kritischer Haltung" zu Willy Brandt`s Ostpolitik wurde der altgediente Sozialdemokrat (seit 1946) als Staatssekretär im Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen 1971 zunächst ins Verteidigungsministerium abgeschoben, 1972 (mit 50 Jahren!) in den "vorläufigen Ruhestand" versetzt und wechselte zur CDU.  Dr. Günter Wetzel wurde 1980 in das Kuratorium der IGFM berufen und trat der IGFM auch als ordentliches Mitglied bei. Sein Interesse galt den politischen Gefangenen und Verfolgten in der DDR; sein engagiertes Eintreten gegen die Tötungsautomaten SM 70 an der innerdeutschen Grenze „Die Tötungsautomaten werden durch Kontaktschnüre ausgelöst und bringen dem Opfer durch Streufunktion der scharfkantigen Eisensplitter so schwere Wunden bei, dass es kaum Überlebenschancen hat“ (in „Menschenrechte“ 2/1982) führte maßgeblich zu deren Abbau. Auch nach der Überwindung der Mauer war Dr. Wetzel ein aufmerksamer Beobachter der Menschenrechtssituation weltweit; an nahezu jeder Jahresversammlung hat er aktiv teilgenommen und stand dem Vorstand bis an sein Lebensende mit Rat und Tat und als Förderer zur Seite. Ehre seinem Andenken!
Kategorien: Menschenrechte

Religiöser Extremismus schafft Fluchtursachen

Berlin (20. November 2018) – Eine der wichtigsten Ursachen für Elend und Flucht von Millionen Menschen wird nach Überzeugung der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) weitgehend ausgeblendet. „Sowohl religiöser Extremismus als auch tiefliegende Spannungen zwischen Religionsgruppen verursachen weltweit Diskriminierung, Gewalt und zum Teil schwerste Menschenrechtsverletzungen an Minderheiten. So werden Fluchtursachen geschaffen“, betont Martin Lessenthin, Vorstandssprecher der IGFM.  Deutschland und die anderen demokratischen Staaten sind aufgerufen, zum Abbau religiöser Spannungen beizutragen. Anlass für die Forderung der IGFM ist die heutige Vorstellung der Jahrbücher „Religionsfreiheit 2018“ und „Verfolgung und Diskriminierung von Christen 2018“ in einem insgesamt 686 Seiten starken Wendebuch. Darin enthalten sind eine Vielzahl von Beiträgen zu verschiedenen Ländern und Konflikten, aber auch zu Möglichkeiten, Probleme zu überwinden.  Die Opfer gehören verschiedenen Religionen an Das Jahrbuch Religionsfreiheit spiegelt die Vielfalt und Bedrohung durch religiös motivierte oder staatlich initiierte Verfolgung und Diskriminierung wider. Federführend dabei ist der Ethiker Prof. Thomas Schirrmacher, der selbst jahrelange praktische Erfahrung im interreligiösen Dialog hat und als Präsident des Council of the International Society for Human Rights (ISHR) fast alle beschriebenen Länder aus eigener Erfahrung kennt.  Weltweit werden Millionen Menschen aufgrund ihres Glaubens diskriminiert, verfolgt oder sogar getötet. Die Situation ist vor allem dann dramatisch schlecht, wenn ihre Religionsgemeinschaft in ihrer Heimat eine Minderheit darstellt. Opfer sind Menschen aus unterschiedlichen Religionen. Die Täter sind einerseits politisch Mächtige in Diktaturen wie z.B. Nordkorea, China und Vietnam. Andererseits verfolgen religiöse Fanatiker wie Islamisten, Hindu-Extremisten oder auch militante Buddhisten religiöse Minderheiten.  Zu den bekanntesten Opfergruppen zählen z.B. orientalische und afrikanische Christen, Jesiden, Baha’i, muslimische Rohingya, Sufis, christliche Konvertiten im Iran, Ahmadiyya-Muslime, Kopten in Ägypten und Christen und Hindus in Pakistan. Weitere Beispiele für religiös motivierte Menschenrechtsverletzungen sind die blutigen Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten im Irak und in Syrien. Und doch gebe es Grund zur Hoffnung, wenn es gelingt, die moderaten Kräfte zu unterstützen, betont die IGFM. Gefängnis für iranische Gemeindeleiter  Beispielhaft weist die IGFM auf vier Iraner hin, die jeweils zu 10 Jahren Haft verurteilt wurden – nur weil sie ursprünglich Muslime waren, Christen geworden sind und aktiv in ihren Gemeinden mitgearbeitet haben. Zwei von ihnen sollen zusätzlich mit 80 Hieben ausgepeitscht werden, weil sie beim Abendmahl Messwein getrunken haben. Einer der vier – Pastor Youcef Nadarkhani – geriet bereits früher ins Visier der iranischen Staatssicherheit. Wegen „Abfall vom Islam“ verurteilte ihn ein islamisches Revolutionsgericht im Jahr 2010 zum Tode durch den Strang. Internationale Aufmerksamkeit habe ihm damals das Leben gerettet, erklärt die IGFM. Nach internationalen Protesten kam er 2012 frei. Jetzt sind er und seine drei Leidensgefährten erneut auf die internationale Öffentlichkeit angewiesen.  Jahrbuch Verfolgung und Diskriminierung von Christen 2018 und Jahrbuch Religionsfreiheit 2018 Prof. Dr. mult. Thomas Schirrmacher ist federführender Herausgeber der Jahrbücher. Er ist unter anderem  Präsident des Council of the International Society for Human Rights (ISHR). Zum Erscheinen des Jahrbuchs zur Verfolgung und Diskriminierung von Christen 2018 und zum Jahrbuch Religionsfreiheit 2018 erklärt er:  „Wir haben mit unseren Jahrbüchern seit über einem Jahrzehnt immer beides geschafft: diskriminierte und verfolgte Christen in besonderer Weise in den Blick zu nehmen – rein quantitativ ist das gerechtfertigt – und gleichzeitig eine sehr laute Stimme für die Religionsfreiheit aller zu sein, großer Religionen, kleiner Religionen, bedrohter Völker und natürlich auch für nichtreligiöse Menschen und Atheisten.  Jede noch so große und starke Religion wie der Islam, kann im nächsten Land schon eine unterdrückte Minderheit sein. Die Uiguren in China gehören einer Weltreligion an, die aber kaum etwas für sie tut. Die Jeziden bilden dagegen eine alte ethnisch und lokal bestimmte Religion. Sie haben außer der internationalen Öffentlichkeit niemanden, der für sie eintritt. Wo die Freiheit des innersten Glaubens und der innersten Überzeugungen verloren geht, stehen auch viele andere Menschenrechte auf verlorenem Posten. Kann es Pressefreiheit geben, wenn man nicht sagen darf, was man glaubt? Kann man von Freiheit zur Wahl der Arbeit sprechen, wenn einem Teil der Bevölkerung staatliche Arbeitsplätze verweigert werden? Kann es Wissenschaftsfreiheit geben, wenn nur ein Teil der Wissenschaftler laut denken darf?“ Beide Jahrbücher werden von der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte, dem Internationalen Institut für Religionsfreiheit und den Arbeitskreisen zur Religionsfreiheit der drei deutschsprachigen Allianzen, der Deutschen Evangelischen Allianz, der Schweizerischen Evangelischen Allianz und der Österreichischen Evangelischen Allianz herausgegeben. Beide Bücher sind gemeinsam als Wendebuch mit insgesamt 686 S. zum Preis von 12 Euro über den örtlichen Buchhandel erhältlich, stehen aber auch zum Download als pdf zur Verfügung. Kostenfrei zum Download: [www.bucer.de/institute/iirf.html ...] Bibliografische Angaben: Thomas Schirrmacher, Max Klingberg und Martin Warnecke (Hg.). Jahrbuch Verfolgung und Diskriminierung von Christen 2018. Studien zur Religionsfreiheit Bd. 31. Verlag für Kultur und Wissenschaft: Bonn, 2018. ISBN 978-3-86269-165-4. Pb. 440 S. Thomas Schirrmacher, Max Klingberg und Martin Warnecke (Hg.). Jahrbuch Religionsfreiheit 2018. Studien zur Religionsfreiheit Bd. 32. Verlag für Kultur und Wissenschaft: Bonn, 2018. ISBN 978-3-86269-166-1. Pb. 246 S.

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IGFM: Westliche Staaten sollen Opfer der Blasphemiegesetze unterstützen

Frankfurt am Main (8. November 2018) – Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) begrüßt die Freilassung Asia Bibis als Akt der Gerechtigkeit. Sie appelliert zugleich an die Bundesregierung und an die EU-Partner, Aufnahme sowie dauerhafte Sicherheit für die verfolgte Christin sicherzustellen. Sie soll Pakistan angeblich heute verlassen, ist nach Auskunft des pakistanischen Außenministers aber noch im Land. Medienberichten zufolge haben sich die Regierungen mehrerer westlicher Länder, darunter Kanada, Spanien, die Niederlande und Italien, für ihre Aufnahme und die ihrer Familie ausgesprochen. Nun müssen die Versprechen untereinander abgestimmt und in die Tat umgesetzt werden.  Die IGFM erinnerte am Donnerstag in Frankfurt auch daran, dass noch Dutzende Menschen wie Asia Bibi wegen angeblicher Gotteslästerung derzeit in pakistanischen Gefängnissen sitzen. Mit dem Fall Asia Bibi ist nur eine Auseinandersetzung gewonnen, weitere dringende Fälle stehen auf der Tagesordnung. Die pakistanische Menschenrechtsanwältin Aneeqa Anthony, die die IGFM-Partnerorganisation The Voice Society in Lahore leitet, schreibt in einem Aufruf an die IGFM: „Einerseits ist es gut, dass Asia die verfolgten Minderheiten Pakistans repräsentierte, andererseits hat niemals eine Botschaft ein anderes Blasphemieopfer unterstützt. Kein Land hat ihnen jemals mit einem einzigen Cent geholfen, obwohl sie wissen, dass nicht nur die Opfer, sondern auch ihre Familien in großer Gefahr sind und jederzeit gelyncht werden können.“ Die IGFM bittet daher vor allem um Unterstützung in den Fällen Minderjähriger und Behinderter in Pakistan, denen Beleidigung des islamischen Propheten Mohammed zur Last gelegt wird.  Zudem besteht die akute Gefahr, dass die Millionen Islamisten, die auch im pakistanischen Parlament vertreten sind, sich für die Befreiung Asia Bibis an anderen Christen rächen. „Es ist sehr grauenhaft und niederschmetternd zugleich, wenn Sie wissen, dass Ihre Heimat und das Land, das Sie als ihr Vaterland betrachten, für Sie nicht sicher ist und nicht zu Ihnen gehört“, schreibt Anthony in ihrem Hilferuf.  Hintergrund: Asia Bibi Asia Noreen – auch bekannt als Asia Bibi – ist die erste Frau, die in Pakistan wegen Gotteslästerung zum Tode verurteilt wurde. Juristen und Politiker, die sich für ihre Freilassung eingesetzt hatten, wurden von Islamisten massiv bedroht, angegriffen und in zwei Fällen sogar ermordet: Im Januar 2011 wurde der Gouverneur der Provinz Punjab, Salman Taseer, von seinem eigenen Leibwächter erschossen. Zwei Monate später brachten islamische Extremisten den Minderheitenminister Shahbaz Bhatti um. Die Christin Asia, die als Tagelöhnerin in einer Obstplantage beschäftigt war, wurde am 19. Juni 2009 im Dorf Itanwali (Provinz Punjab) verhaftet. Asia hatte mit einem Gefäß Wasser aus einem Brunnen für ihre Arbeitskolleginnen auf dem Feld geschöpft. Eine Nachbarin, die mit der Familie von Asia Bibi wegen einer Vermögensangelegenheit in Streit liegt, sagte verärgert, dass es für eine Christin verboten sei, dasselbe Wasser wie Muslime zu trinken, und weitere Arbeiterinnen pflichteten bei, dass sie als Christin unrein sei. Es kam zu einem religiösen Gespräch. Nach Aussage der Frauen soll Asia Bibi anschließend behauptet haben, dass Jesus Christus und nicht Mohammed der wahre Prophet Gottes sei, was sie abstreitet. Aufgebrachte Muslime schleppten sie zu einer Moschee, wo sie ihrem Glauben abschwören sollte. Als sie sich weigerte, wurde sie misshandelt und dann der Polizei übergeben. Am 8. November 2010 verurteilte sie ein Gericht in Nankana in der Provinz Punjab aufgrund des Blasphemiegesetzes zum Tode durch Erhängen.

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