Art. 72 GG

Art. 72 GG - Konkurrierende Gesetzgebung (Kommentar)

(1) Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung haben die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat.

(2) Auf den Gebieten des Artikels 74 Abs. 1 Nr. 4, 7, 11, 13, 15, 19a, 20, 22, 25 und 26 hat der Bund das Gesetzgebungsrecht, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht.

(3) ¹Hat der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch gemacht, können die Länder durch Gesetz hiervon abweichende Regelungen treffen über:
1. das Jagdwesen (ohne das Recht der Jagdscheine);
2. den Naturschutz und die Landschaftspflege (ohne die allgemeinen Grundsätze des Naturschutzes, das Recht des Artenschutzes oder des Meeresnaturschutzes);
3. die Bodenverteilung;
4. die Raumordnung;
5. den Wasserhaushalt (ohne stoff- oder anlagenbezogene Regelungen);
6. die Hochschulzulassung und die Hochschulabschlüsse;
7. die Grundsteuer.
²Bundesgesetze auf diesen Gebieten treten frühestens sechs Monate nach ihrer Verkündung in Kraft, soweit nicht mit Zustimmung des Bundesrates anderes bestimmt ist. ³Auf den Gebieten des Satzes 1 geht im Verhältnis von Bundes- und Landesrecht das jeweils spätere Gesetz vor.

(4) Durch Bundesgesetz kann bestimmt werden, daß eine bundesgesetzliche Regelung, für die eine Erforderlichkeit im Sinne des Absatzes 2 nicht mehr besteht, durch Landesrecht ersetzt werden kann.

BVerfG, 26.07.1972 - 2 BvF 1/71

1. Was immer im einzelnen zum unentziehbaren "Hausgut" der Länder im Bundesstaat gehören mag, jedenfalls muß dem Land die freie Bestimmung über seine Organisation einschließlich der in der Landesverfassung enthaltenen organisatorischen Grundsatzentscheidungen sowie die Garantie der verfassungskräftigen Zuweisung eines angemessenen Anteils am Gesamtsteueraufkommen im Bundesstaat verbleiben.
2. Die Ausübung der Kompetenz gemäß Art. 74a Abs. 1 GG ist gebunden durch die verfassungsrechtliche Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten, die nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichts dem bundesstaatlichen Prinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) entspringt. Diese Beschränkung in der Ausübung der Kompetenz ist vom Bundesverfassungsgericht in vollem Umfang überprüfbar.
3. Künftig ist ein Gesetz, das ausgefertigt wird zu einem Zeitpunkt, an dem die dazu ermächtigende Norm noch nicht in Kraft war, oder das unter den besonderen Voraussetzungen, die die Entscheidung vom 15. November 1971 (BVerfGE 32, 199 [212]) umschreibt, verkündet wird, bevor die dazu ermächtigende Norm in Kraft getreten ist, nichtig.
4. Hat der Bundesgesetzgeber begonnen, von seinem Recht zur Gesetzgebung auf dem Gebiet der Besoldung und Versorgung der Landesbeamten umfassend Gebrauch zu machen, so schließt Art. 72 Abs. 1 GG die Länder von der Gesetzgebung im Gesamtbereich der Materie aus, die der Bund zu regeln übernommen hat.
5. Der Landesgesetzgeber ist auch nach Erlaß des Ersten Besoldungsvereinheitlichungs- und Neuregelungsgesetzes nicht gehindert, ein neues Amt im Landesdienst entsprechend dem Amtsinhalt am richtigen Ort innerhalb des Besoldungsgefüges unterzubringen.
6. Der Grundsatz der Bundestreue ist keine Schranke, mit der man Nichtigkeiten inhibieren kann.

BVerfG, 09.02.1972 - 1 BvR 111/68

Der Landesgesetzgeber ist durch das Straßenverkehrs-Ordnung nicht gehindert, Vorschriften über die Außenwerbung innerhalb geschlossener Ortschaften zu erlassen.

BVerfG, 09.06.1970 - 2 BvL 16/68

Die Beseitigung der Sperre des Art. 72 Abs. 1 GG kann landesrechtlichen Vorschriften nicht zur Gültigkeit verhelfen, die schon vorher erlassen worden sind. Recht, daß der Landesgesetzgeber ohne Kompetenz gesetzt hat, ist von Anfang an nichtig und kann nicht aufleben.

BVerfG, 07.05.1963 - 2 BvL 8/61; 2 BvL 10/61

Art. 70 Abs. 1 GG gilt als Grundregel der bundesstaatlichen Verfassung für jede Art von Gesetzgebung, also auch für das Gebiet des Steuerrechts. Die Länder können daher solche Steuern erfinden und regeln, die nicht durch Artikel 105 GG der ausschließlichen order konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes zugewiesen sind.

BVerfG, 29.11.1961 - 1 BvR 760/57

Urteil

des Ersten Senats vom 29. November 1961auf die mündliche
Verhandlung vom 13. Juni 1961
- 1 BvR 760/57 -

BVerfG, 29.11.1961 - 1 BvR 758/57

1. Zur Frage des Betroffenseins durch ein Gesetz.
2. Zur Auslegung des Art. 72 Abs. 2 GG.

BVerfG, 22.04.1958 - 2 BvL 32/56; 2 BvL 34/56; 2 BvL 35/56

1. Die Gesetzgebungskompetenz der Länder zum Erlaß von Urlaubsgesetzen bestimmt sich nach Art. 70, 74 Nr. 12, 72 Abs. 1 GG. Da der Erholungsurlaub der Arbeitnehmer bundesrechtlich nicht erschöpfend geregelt ist, verstoßen die nachkonstitutionellen Urlaubsgesetze der Länder nicht gegen Art. 72 Abs. 1 GG.
2. Das Arbeitsrecht wird nicht vom bürgerlich-rechtlichen Kodifikationsprinzip (Art. 3, 55, 218 EGBGB) erfaßt, denn es hat sich als Ganzes – einschließlich seiner Privatrechtsnormen – im Laufe der letzten Jahrzehnte zu einem selbständigen und eigenständigen Rechtsgebiet entwickelt, das neben dem bürgerlichen Recht steht.