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§ 1 BGB - Beginn der Rechtsfähigkeit (Kommentar)

Die Rechtsfähigkeit des Menschen beginnt mit der Vollendung der Geburt.

1. Allgemeines

Die Vorschrift regelt den Beginn der Rechtsfähigkeit des Menschen, also die Fähigkeit einer Person, Träger von Rechten und Pflichten zu sein (Rechtssubjekt). Der historische Gesetzgeber hat sie mit Vollendung der Geburt beginnen lassen, weil die Rechtspersönlichkeit ein eigenständiges, vom Mutterleib getrenntes Dasein voraussetze.1 Im Gegensatz hierzu ist das Ende der Rechtsfähigkeit nicht ausdrücklich geregelt, obwohl es für den Rechtsverkehr von gleicher Bedeutung ist wie der Beginn. Speziell im Erbrecht kommt der Geburt und dem Tod eine maßgebliche Rolle zu. Für den Gesetzgeber galt deshalb wohl die Prämisse, dass die Rechtsfähigkeit des Menschen – als gegensätzliche Schlussfolgerung zur „Rechtsfähigkeits-Geburt“-Regelung des § 1 BGB – selbstverständlich mit dem Tode endet. Die Rechtsfähigkeit des Menschen wird zudem durch weitere Sondervorschriften inner- und außerhalb des BGB ergänzt, etwa für

  • den nasciturus2 (bereits gezeugtes, aber noch ungeborenes Kind; Embryo),
  • den nondum conceptus3 (noch nicht gezeugtes Kind; Embryo vor der Nidation),
  • den Verstorbenen.

2. Menschenbegriff

§ 1 BGB geht nicht auf den Menschenbegriff ein. Unpassend erscheint, darauf abzustellen, der Menschen sei im Sinne dieser Vorschrift als geborene, lebende Person zu definieren.4 Zwar wird im Wortlaut der Norm der Mensch als Rechtssubjekt bestimmt, doch ist er nicht eigentliches Subjekt in grammatikalischer Hinsicht; er ist bloß Zuordnungsobjekt der Rechtsfähigkeit.5 Auch der ungeborene oder verstorbene Mensch ist als Mensch zu klassifizieren, nur besitzt er dann keine Rechtsfähigkeit. Heute wird wissenschaftlich betrachtet – und entgegen obiger Definition – der Beginn des menschlichen Lebens mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle angesetzt.6

3. Rechtsfähigkeit

3.1. Rechtsfähigkeitsbegriff

Was unter Rechtsfähigkeit zu verstehen ist, wird vom Gesetz selbst nicht definiert. Darunter wird aber die Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein, verstanden.7

Hiervon abweichend wurde von wenigen die Auffassung vertreten, Rechtsfähigkeit sei die Fähigkeit eines Zuordnungssubjekts, sich rechtserheblich zu verhalten, Rechtsfähigkeit sei juristisches Verhaltensvermögen.8 Die praktische Bedeutung dieser Auffassung, die sich letztlich nicht durchgesetzt hat, ist gering.

Der Gegenbegriff ist die Rechtsunfähigkeit, also das Unvermögen, Träger von Rechten (und Pflichten) zu sein. Beispiele hierfür wären etwa die Entrechtung von einzelnen Menschen oder Gruppen in der Zeit des Nationalsozialismus sowie die durch Art. 4 I MRK verbotene Sklaverei.

Artikel 4 MRK Verbot der Sklaverei und der Zwangsarbeit
(1) Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden.

Vom Begriff der Rechtsfähigkeit unterscheidet sich hingegen die

  • Geschäftsfähigkeit (Fähigkeit, allgemein zulässige Rechtsgeschäfte selbständig vornehmen zu können; setzt dementsprechend Rechtsfähigkeit voraus),
  • Handlungsfähigkeit (Fähigkeit, Verfahrenshandlungen gegenüber Verwaltungsbehörden, Finanzbehörden oder Sozialleistungsträgern vorzunehmen, § 12 VwVfG, § 79 AO, § 36 SGB I; setzt Rechtsfähigkeit voraus),
  • Deliktssfähigkeit (Fähigkeit, für Handlungen zu haften; Zurechnungsfähigkeit nach §§ 827, 828 BGB; wird von der Rechtsfähigkeit eingeschlossen9),
  • Prozessfähigkeit (Fähigkeit, Prozesshandlungen selbst oder durch selbst bestellte Vertreter wirksam vorzunehmen oder entgegenzunehmen, § 51 ZPO, § 62 VwGO, § 58 FGO, § 71 SGG; setzt Rechtsfähigkeit voraus).

3.2. Absolutheit der Rechtsfähigkeit

Die Rechtsfähigkeit kommt unterschiedslos allen Menschen zu. Unerheblich sind deshalb Abweichungen in der Gestalt, Missbildungen oder sonstige Abnormitäten – unabhängig ihrer Schwere.10 Sie kann nicht abbedungen werden, sie ist nicht verzichtbar, kann nicht durch einen Gerichtsbeschluss, Verwaltungsakt, durch ein Gesetz oder auf anderem Wege entzogen oder beschränkt werden. Die Rechtsfähigkeit gehört zur durch Art. 1 GG geschützten Menschenwürde.11

3.3. Rechtsfähigkeit im Internationalen Privatrecht

Die Rechtsfähigkeit einer Person bestimmt sich nach Art. 7 EGBGB grundsätzlich nach dem Recht des Staates, dem die Person angehört. Soweit nach ausländischem Recht einer natürlichen Person keine Rechtsfähigkeit zukommt, ist diese Rechtsnorm nach Art. 6 EGBGB wegen ihrer Unvereinbarkeit mit Art. 1 GG nicht anwendbar.12 Alle Ausländer13 besitzen deshalb die gleiche uneingeschränkte Rechtsfähigkeit.

Artikel 6 EGBGB Öffentliche Ordnung (ordre public)
Eine Rechtsnorm eines anderen Staates ist nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Sie ist insbesondere nicht anzuwenden, wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist.

Artikel 7 EGBGB Rechtsfähigkeit und Geschäftsfähigkeit
(1) Die Rechtsfähigkeit und die Geschäftsfähigkeit einer Person unterliegen dem Recht des Staates, dem die Person angehört. Dies gilt auch, soweit die Geschäftsfähigkeit durch Eheschließung erweitert wird.
(2) Eine einmal erlangte Rechtsfähigkeit oder Geschäftsfähigkeit wird durch Erwerb oder Verlust der Rechtsstellung als Deutscher nicht beeinträchtigt.

3.4. Beginn der Rechtsfähigkeit

3.4.1. Geburt

Die Rechtsfähigkeit beginnt mit der Vollendung der Geburt. Darunter ist die vollständige Trennung, also der vollständige Austritt des Kindes vom Mutterleib zu verstehen.14 Unerheblich ist, ob dies auf natürlichem oder künstlichem Wege geschieht. Auch kommt es auf den Zeitpunkt der Durchtrennung der Nabelschnur nicht an.15

Das Kind muss im Sinne der Vorschrift bei Vollendung der Geburt gelebt16 haben, um es als Rechtssubjekt gelten zu lassen.17 Auf die Lebensfähigkeit kommt es jedoch nicht an.18 Die Frage, ob das Kind lebt oder zumindest kurz lebte und damit rechtsfähig ist oder war, kann insbesondere von erbrechtlicher Bedeutung sein. Verstirbt etwa die Mutter bei der Geburt und ist testamentarisch nichts anderes bestimmt, beerbt das (zumindest kurz) lebende Kind die Mutter.

Wer sich darauf berufen möchte, dass eine Person nach Vollendung der Geburt gelebt hat, ist beweispflichtig. Eine gesetzliche Vermutung hierfür gibt es nicht. Wird allerdings eine Geburt in das Geburtenregister eingetragen, so dient dieses (§§ 21, 54 ff., 59 PStG), wie auch die beglaubigten Abschriften (§§ 54 ff., 56 PStG), als Beweis. Eine Eintragung in das Sterberegister, derzufolge das Kind „tot geboren“ ist (§ 21 II PStG), dient hingegen als Beweis, dass das Kind nicht gelebt hat. Der Nachweis der Unrichtigkeit der Eintragung ist zulässig (§ 54 III 1 PStG).19

3.4.2. Vor der Geburt

3.4.2.1. Nasciturus

3.4.2.1.1. Teilrechtsfähigkeit des Nasciturus

Dem ungeborenen Kind (Nasciturus/Embryo) kommt keine Rechtsfähigkeit zu. Allerdings wird für dieses in der Literatur eine Teilrechtsfähigkeit überwiegend angenommen, weil das BGB dem hiernach nicht voll rechtsfähigen Nasciturus wesentliche Rechte zubilligt, die unter der Voraussetzung der späteren Lebendgeburt stehen.20 Der Bundesgerichtshof21 hat bislang diesbezüglich nicht entschieden, doch das Bundesverfassungsgericht22 hat das ungeborene menschliche Leben dem Schutz des Art. 2 II 1 GG unterstellt.

3.4.2.1.2. Grundrechtsfähigkeit des Nasciturus

Die Grundrechtsfähigkeit des Nasciturus war lange Zeit umstritten: Während in der Literatur23 zumindest eine partielle Grundrechtsfähigkeit – insbesondere bezüglich der Grundrechte der Art. 1 I GG und Art. 2 II 1 GG – bejaht wurde, hatte das Bundesverfassungsgericht24 die Frage in seiner ersten Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit der sog. Fristenlösung im Rahmen der §§ 218 ff. StGB zunächst ausdrücklich offen gelassen.25 Das Bundesverfassungsgericht stellte später jedoch in seiner Entscheidung zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs fest,26 die Menschenwürde komme bereits dem ungeborenen Leben zu, da es sich bei dem Ungeborenen bereits unmittelbar nach der Nidation um individuelles, in seiner genetischen Identität und damit in seiner Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit festgelegtes, nicht mehr teilbares Lebens handele, das sich nicht erst zum Menschen, sondern als Mensch entwickele.27

Ähnlicher Auffassung war bereits auch I. 1. § 10 des Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten (ALR) von 1794:

§ 10 ALR, I. 1. Rechte der Ungeborenen
Die allgemeinen Rechte der Menschheit gebühren auch den noch ungebornen Kindern, schon von der Zeit ihrer Empfängniß.

3.4.2.1.3. Normierte Rechte des Nasciturus

Zu der Teilrechtsfähigkeit des Nasciturus gesellen sich folgende normierte Rechte: So kann er Erbe (§ 1923 II BGB), Nacherbe (§ 2108 BGB) oder Vermächtnisnehmer (§ 2178 BGB) sein; eine Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft ist aber, soweit die Erbanteile unbestimmt sind, nach § 2043 bis zur Geburt ausgeschlossen; er kann Ersatzansprüche wegen der Tötung eines Unterhaltsverpflichteten erlangen (§ 844 II 2 BGB) oder es kann zu seinen Gunsten ein Vertrag geschlossen werden (§ 331 II BGB); nach § 247 FamFG kann ferner zur Sicherung eines künftigen Unterhaltsanspruchs schon vor der Geburt eine einstweilige Verfügung erwirkt werden; zur Wahrung der Rechte des Nasciturus kann gemäß § 1912 I BGB ein Pfleger bestellt werden, im Übrigen steht die Fürsorge den Eltern zu (§ 1912 II BGB); außerhalb des BGB stehen dem Nasciturus Ersatzansprüche wegen der Tötung eines Unterhaltsverpflichteten (§ 10 II 2 StVG, § 35 II 2 LuftVG, § 5 II 2 HPflG, § 28 II 2 AtG) zu, Versicherungsfall ist auch der Gesundheitsschaden einer Leibesfrucht infolge eines Versicherungsfalls der Mutter während der Schwangerschaft; die Leibesfrucht steht insoweit einem Versicherten gleich (§ 12 SGB VII).28

3.4.2.1.4. Nicht normierte Rechte des Nasciturus

Der historische Gesetzgeber hat zwar davon abgesehen, einen allgemeinen Satz über die Rechtsfähigkeit des Nasciturus aufzustellen, und stattdessen nur einzelne Sonderregelungen zugunsten des Nasciturus formuliert, insbesondere hinsichtlich der erbrechtlichen Fürsorge, doch nur, weil man der Auffassung war, den Schutz des Nasciturus „am geeignetsten durch besondere Bestimmungen“ gewährleisten zu können.29 Aus dieser Entstehungsgeschichte heraus, geht man dazu über den Schutz des Nasciturus durch eine analoge Anwendung der vorhandenen Regelungen auf andere Tatbestände auszudehnen.30 Eine entsprechende Analogie kann sogar geboten sein, um der verfassungsrechtlich geschützten Position des Nasciturus Rechnung zu tragen.31

Aus den §§ 331 II, 1923 II, 2108, 2178 BGB lässt sich ableiten, dass der Nasciturus im Schuld-, Sachen- und Erbrecht den übrigen Rechtssubjekten jedenfalls insoweit gleichgestellt ist, als es sich um einen Rechtserwerb zu seinen Gunsten handelt; aus § 844 II 2 BGB und den übrigen Vorschriften des Haftungsrechts, die dem Nasciturus Ansprüche wegen der Tötung eines Unterhaltsverpflichteten einräumen, lässt sich herleiten, dass der Nasciturus auch Ersatz für solche Schäden verlangen kann, die er mittelbar infolge schädigender Handlungen gegen einen Unterhaltsverpflichteten erleidet; aus § 247 FamFG folgt fernerhin die erforderliche Möglichkeit des Nasciturus der prozessualen Verteidigung seiner Rechte, sodass aus der beschränkten Rechtsfähigkeit zugleich eine beschränkte Parteifähigkeit herrührt.32

Weitere Einzelfälle wären etwa:

  • Dem Nasciturus werden für den Fall seiner Geburt Schenkungen durch Vertrag mit einem für seine Interessen bestellten Pfleger zugewendet.33
  • Eintragung einer Hypothek zugunsten des Nasciturus.34
  • Im Rahmen der beschränkten Parteifähigkeit kann für den Nasciturus ein Zwangsversteigerungsverfahren eingeleitet und eine Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO erhoben werden.35

Eine besondere Bedeutung kommt der beschränkten Rechtsfähigkeit im Falle einer vorgeburtlichen körperlichen Schädigung zu. In Betracht kommen dann Ansprüche aus einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter36: Da der Nasciturus Dritter im Sinne eines echten Vertrags zugunsten Dritter sein kann (vgl. § 331 II BGB), können ihm – als Minus gegenüber dem Leistungsanspruch – auch schon Schutzrechte vor seiner Geburt zustehen.37 Unabhängig von vertraglichen Beziehungen kommen zudem deliktische Schadensersatzansprüche aus § 823 BGB in Betracht. Der BGH hat insoweit entschieden, nicht der Schaden, der den Nasciturus getroffen hat, sei Gegenstand des Schadensersatzanspruches, sondern jener, der den lebend geborenen Menschen trifft, sodass der Schadensersatzanspruch dem lebend geborenen und rechtsfähigen Kind gegeben wird, weil schließlich dieses an Körper oder Gesundheit geschädigt ist.38 Eine andere Ansicht hält es demgegenüber für sinnvoller, den Nasciturus als „anderen“ im Sinne des § 823 BGB anzusehen und ihm im Falle seiner lebendigen Geburt einen Schadensersatzanspruch wegen einer rechtswidrigen und schuldhaften Einwirkung auf die reifende Frucht zuzugestehen.39 Folgt man dieser, setzt der Zeitpunkt der Rechtsgutverletzung und damit die Entstehung des Schadensersatzanspruchs wesentlich früher an – mit entsprechender Auswirkung auf den Beweis des Ursachenzusammenhangs zwischen der Handlung und dem konkreten Schaden: Nach erleichtertem § 287 ZPO statt § 286 ZPO.

Auch für den Fall, dass vor der Zeugung des Kindes die Mutter geschädigt wurde und dieser Schaden sich später auf den Nasciturus und schließlich auf das lebend geborene Kind niederschlägt, hat der BGH dem Kind ebenfalls einen Anspruch gegen den Schädiger aus § 823 I BGB – mit der Begründung des adäquaten Ursachenzusammenhangs – zugestanden.40

3.4.2.2. Nondum conceptus

3.4.2.2.1. Vorwirkung der Rechtsfähigkeit des Nondum conceptus

Bei dem noch nicht gezeugten Kind (Nondum conceptus/Embryo vor der Nidation) fehlt das eigentliche Subjekt, das Träger von Rechten und Pflichten sein kann. Doch ist eine Vorwirkung der Rechtsfähigkeit anerkannt, die unter der aufschiebenden Bedingung einer Zeugung und Lebendgeburt steht. Das Reichsgericht ging insofern von einer fingierten Rechtspersönlichkeit aus.41

3.4.2.2.2. Normierte Rechte des Nondum conceptus

Wie beim Nasciturus hat der Gesetzgeber auch beim Nondum conceptus Einzelvorschriften geschaffen, die bei der späteren Lebendgeburt anfallen: So kann er als Nacherbe oder als Vermächtnisnehmer eingesetzt werden (§§ 2101 I, 2106 II, 2162, 2178 BGB); zulässig ist auch ein Vertrag mit einer versprochenen Leistung zugunsten des Nondum conceptus (§ 331 II BGB); die Rechte des noch nicht Erzeugten werden ggf. durch einen Pfleger wahrgenommen (§ 1913).42

Das Embryonenschutzgesetzes43 (ESchG), das bestimmte Praktiken im Zusammenhang mit der Erzeugung und Verwendung menschlicher Embryonen sowie der damit verbundenen Forschung unter Strafe stellt, tangiert die Rechtsfähigkeit nicht; sie wird durch das Gesetz nicht etwa vorverlegt.

3.4.2.2.3. Nicht normierte Rechte des Nondum conceptus

Auch dem Nondum conceptus kommt (wie beim Nasciturus) eine beschränkte Rechtsfähigkeit zu. Eine analoge Anwendung vorhandener Vorschriften, die den Rechtserwerb zu seinen Gunsten erweitern, ist daher möglich: §§ 331 II, 2101 II, 2106 II, 2162, 2178 BGB. Allerdings kann er nicht Erbe sein, da § 1923 II BGB nur für den Nasciturus gilt. Auch § 844 II 2 BGB und die haftungsrechtlichen Vorschriften in § 10 II 2 StVG, § 35 II 2 LuftVG, § 5 II 2 HPflG, § 28 II 2 AtG sowie § 12 SGB VII gelten nur für den Nasciturus. Nondum concepti können schließlich auch nicht als Dritte im Sinne eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter angesehen werden, da es anders als im Fall eines Nasciturus an der hinreichenden Bestimmbarkeit des Schutzberechtigten fehlt.44

3.4.2.3. Auswirkungen der Fortpflanzungsmedizin

3.4.2.3.1. Künstliche Insemination

Von künstlicher Insemination spricht man, wenn Samenzellen des eigenen Ehemannes (homologe Insemination) oder des Lebensgefährten (quasi-homologe Insemination) oder eines anderen Mannes (heterologe Insemination) ohne Geschlechtsverkehr in den Genitaltrakt der Frau eingebracht werden.45 Der dadurch entstehende Embryo steht dem durch Geschlechtsverkehr entstandenen gleich und genießt denselben rechtlichen Schutz. Er kann mithin teilrechtsfähig sein und bei der Geburt volle Rechtsfähigkeit erlangen.

3.4.2.3.2. Klonen

Ein Klon ist eine genetisch identische Kopie eines Lebewesens. Das embryonale Klonen ist in Deutschland verboten.

§ 6 ESchG Klonen
(1) Wer künstlich bewirkt, daß ein menschlicher Embryo mit der gleichen Erbinformation wie ein anderer Embryo, ein Foetus, ein Mensch oder ein Verstorbener entsteht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer einen in Absatz 1 bezeichneten Embryo auf eine Frau überträgt.
(3) Der Versuch ist strafbar.

Gleichwohl wäre auch ein geklonter Mensch den Grundsätzen der Rechtsfähigkeit unterstellt – mit beispielsweise dadurch neu entstandenen erbrechtlichen Folgeproblemen.

3.4.2.3.3. Gametentransfer und künstliche Befruchtung

Beim Gametentransfer werden Spermien und Eizelle instrumentell in die Gebärmutter oder in die Eileiter als Ort der natürlichen Befruchtung eingebracht. Bei der künstlichen Befruchtung wird ein entweder auf natürliche Weise (intrakorporal) oder ein außerhalb des Körpers (extrakorporal; im Reagenzglas; in vitro) befruchtetes Ei einer anderen Frau (Tragemutter) oder, bei der In-Vitro-Fertilisation, auch der Frau, von der die Eizelle stammt, eingepflanzt.46 Problematisch und umstritten ist die Frage der Teilrechtsfähigkeit des Embryos in der Zeit zwischen Keimverschmelzung47 und Einnistung, weil zweifelhaft ist, ob das später geborene Kind, wenn der Vater in dieser Zeit stirbt, Erbe werden (§ 1923 II BGB) oder Schadensersatzansprüche wegen entgangenen Unterhalts (§ 844 II BGB) geltend machen kann. Je nach Ansicht, wird entweder auf die Keimverschmelzung oder Einnistung abgestellt.48

3.5. Ende der Rechtsfähigkeit

3.5.1. Tod

Obschon das Ende der Rechtsfähigkeit nicht ausdrücklich normiert ist, kann es – als Schlussfolgerung zum Rechtsfähigkeitsbeginn mit der Geburt – nur mit dem Tode des Menschen eintreten. Der historische Gesetzgeber schickte dies voraus. Der im Entwurfsstadium bei § 1 BGB enthaltene Zusatz „und endigt mit dem Tode“ wurde als überflüssig betrachtet und gestrichen.49

Problematisch ist dies jedoch insofern, als wegen des Fehlens einer solchen Vorschrift auch der genaue Zeitpunkt des Endes fehlt: Es stellt sich daher im Gegenzug zur „Vollendung der Geburt“ die Frage, wann der Tod vollendet ist. Das Fehlen einer Vorschrift wurde etwa damit erklärt, dass man bei der Schaffung des BGB (ursprüngliche Fassung vom 18. August 1896; Inkrafttreten am 1. Januar 1900) davon ausgehen konnte, der Tod trete mit dem Stillstand von Kreislauf und Atmung ein.50 Heute wird der Tod aus medizinischer Sicht nicht als punktuelles Ereignis, sondern vielmehr als Ende eines Prozesses verstanden, wobei einzelne Körperfunktionen beibehalten werden können, obwohl lebensnotwendige Organe wie das Herz oder Hirn funktionsunfähig geworden sind.51

Ein Todeszeitpunkt ergibt sich – weder mittel- noch unmittelbar – aus § 1922 BGB.52 Das Transplantationsgesetz (TPG) bietet zwei Todesmöglichkeiten mit festen Kriterien zur Bestimmung des Todeszeitpunkts und damit auch zur Festlegung des Endes der Rechtsfähigkeit: Primär den Hirntod und sekundär53 den Herztod. Für den Hirntod verlangt § 3 II Nr. 2 TPG den endgültigen, nicht behebbaren Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach Verfahrensregeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen. Die Feststellung ist gemäß § 5 I 1 TPG jeweils durch zwei dafür qualifizierte Ärzte zu treffen, die den Betroffenen (Organ- oder Gewebespender) unabhängig voneinander untersucht haben. Die Feststellung ist berechtigt, wenn die Hirnstromkurve des EEG eine Nulllinie zeigt, so dass Wiedererlangung des Bewusstseins ausgeschlossen ist.54 Für den Herztod bedarf es nach § 5 I 2 TPG der Feststellung durch einen Arzt, dass der endgültige, nicht behebbare Stillstand von Herz und Kreislauf eingetreten ist und seitdem mehr als drei Stunden vergangen sind.

§ 3 TPG Entnahme mit Einwilligung des Spenders
(2) Die Entnahme von Organen oder Geweben ist unzulässig, wenn
1. die Person, deren Tod festgestellt ist, der Organ- oder Gewebeentnahme widersprochen hatte,
2. nicht vor der Entnahme bei dem Organ- oder Gewebespender der endgültige, nicht behebbare Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach Verfahrensregeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, festgestellt ist.

§ 5 TPG Nachweisverfahren
(1) Die Feststellungen nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 2 sind jeweils durch zwei dafür qualifizierte Ärzte zu treffen, die den Organ- oder Gewebespender unabhängig voneinander untersucht haben. Abweichend von Satz 1 genügt zur Feststellung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 die Untersuchung und Feststellung durch einen Arzt, wenn der endgültige, nicht behebbare Stillstand von Herz und Kreislauf eingetreten ist und seitdem mehr als drei Stunden vergangen sind.

Die Eintragung in das Sterberegister sowie daraus erteilte beglaubigte Abschriften oder Auszüge aus dem Familienregister dienen als erbringende Beweise für den Tod der eingetragenen Person sowie für Ort und Zeit des Todes (§§ 31 ff., 54 ff., 60 PStG).55 Der Gegenbeweis gegen die Urkunde ist zulässig.

3.5.2. Nach dem Tod

Ähnlich wie bei der vorgeburtlichen Problematik, stellt sich auch hier, also nach dem Tod einer Person, die problematische Frage nach einer zumindest beschränkten Rechtsfähigkeit – insbesondere im Hinblick auf den Persönlichkeitsschutz. Anders als beim Nasciturus und Nondum conceptus fehlen diesbezüglich Vorschriften im BGB völlig.

Nach allgemein anerkannter Ansicht des BGH56 erfahre das allgemeine Persönlichkeitsrecht zwar mit dem Tod eine Einschränkung, ein völliges Erlöschen sei damit aber nicht verbunden, da der Verstorbene neben materiellen auch immaterielle Güter, wie etwa sein Ansehen, hinterlasse; Menschenwürde und freie Entfaltung der Persönlichkeit zu Lebzeiten seien nur dann hinreichend gewährleistet, wenn der Mensch auf einen Schutz seines Lebensbildes wenigstens gegen grobe ehrverletzende Entstellungen nach dem Tode vertrauen und in dieser Erwartung leben könne. Der Verstorbene ist im Zuge des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts in seinem Ansehen und seiner Ehre, also gegen Entstellungen und Verunglimpfungen, sowie auch gegen Missbrauch und unbefugtem Gebrauch57 von Eigenschaften seiner Person geschützt.58 Die Verletzung des postmortalen Allgemeinen Persönlichkeitsrechts löst Schutz- und Abwehransprüche aus, die auf Unterlassung und Beseitigung gerichtet sind.59

Die immaterielle Ausstrahlung des Allgemeinen Persönlichkeitsrecht kann aber als höchstpersönliches Recht nicht auf den Erben übergehen.60 Ein wirksamer Schutz kann daher nur über eine dem Tod hinausgehende Nachwirkung gewährleistet werden. Der BGH ging in einer frühen Entscheidung insoweit von einem subjektlosen Recht aus.61 In der Literatur wird zum Teil auch eine postmortale Teilrechtsfähigkeit affirmiert.62 Ein anderer Teil der Literatur hält dem gegenüber, dass Rechtsfähigkeit stets ein Subjekt voraussetze, damit diesem Rechte und Pflichten zugeordnet werden können; der Verstorbene sei anderes als der Nasciturus eben nicht mehr als Rechtsträger vorhanden.63 Näher liege es deshalb, den Verstorbenen weiterhin, also über den Tod hinaus, als Zuordnungsobjekt des Persönlichkeitsrechts anzusehen, das zum Schutze der Persönlichkeit nachwirkt und mit Sanktionen bewehrt ist.64

Wird etwa der Eingriff in das Recht der Angehörigen auf Totengedenken sanktioniert,65 kommen Geldansprüche wegen der Verletzung dieses Rechts in Betracht; geht man dagegen von einem subjektlosen Recht aus66 oder erkennt man dem Verstorbenen, ähnlich dem noch nicht Geborenen, eine beschränkte Rechtsfähigkeit zu, kommen nur Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche in Frage, da dem Verstorbenen durch Geldansprüche kein Ausgleich verschafft werden kann67 und ein Übergang des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf die Erben im Hinblick auf den höchstpersönlichen Charakter des Rechts nicht in Betracht kommt.68

Gegen die Auffassung, bei Eingriffen in das fortwirkende Persönlichkeitsrecht Verstorbener seien lediglich die Angehörigen in ihrem Recht auf Totengedenken verletzt, spricht, dass das Recht der Angehörigen auf Totengedenken und das fortbestehende Persönlichkeitsrecht des Verstorbenen nicht identisch sind;69 gegen die Konstruktion der subjektlosen Rechte, ob diese überhaupt anzuerkennen sind;70 gegen die Auffassung, die Angehörigen seien als treuhänderische Träger des Persönlichkeitsrechts anzusehen71, dass Persönlichkeitsrechte nicht übertragbar sind.72 Man könnte deshalb auch von einer der pränatalen Teilrechtsfähigkeit vergleichbaren postmortalen Teilrechtsfähigkeit des Verstorbenen im Hinblick auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht ausgehen.73 Die Wahrnehmung der daraus resultierenden Rechte des Toten obliege entweder den vom Verstorbenen berufenen Personen74 oder den nächsten Angehörigen75.76

3.5.3. Verschollenheit

Ist der Aufenthalt einer Person unbekannt und bestehen ernstliche Zweifel an ihrem Fortleben (Verschollenheit, § 1 I VerschG), so kann sie nach §§ 2 ff. VerschG für tot erklärt werden.77 Für mögliche Erben, Abkömmlinge, Eltern und Ehegatten besteht ein berechtigtes Interesse an einer solchen Feststellung. Ist nach allgemeiner Lebenserfahrung vom Tod eines Menschen auszugehen, ohne dass der Tod standesamtlich beurkundet worden ist, kann nach §§ 39 ff. VerschG der Todeszeitpunkt gerichtlich festgestellt werden. Das Gesetz unterscheidet zwischen Kriegsverschollenheit (§ 4 VerschG), Seeverschollenheit (§ 5 VerschG), Luftverschollenheit (§ 6 VerschG) sowie der Generalklausel § 7 VerschG (Gefahrverschollenheit).

§ 1 VerschG
(1) Verschollen ist, wessen Aufenthalt während längerer Zeit unbekannt ist, ohne daß Nachrichten darüber vorliegen, ob er in dieser Zeit noch gelebt hat oder gestorben ist, sofern nach den Umständen hierdurch ernstliche Zweifel an seinem Fortleben begründet werden.
(2) Verschollen ist nicht, wessen Tod nach den Umständen nicht zweifelhaft ist.

§ 2 VerschG
Ein Verschollener kann unter den Voraussetzungen der §§ 3 bis 7 im Aufgebotsverfahren für tot erklärt werden.

Die gerichtliche Erklärung, der ein Aufgebotsverfahren vorangehen muss, begründet die Vermutung des Todes der betreffenden Person – mit der gleichzeitigen Vermutung, dass sie bis zur Erklärung gelebt hat.78 Die Vermutung ist widerlegbar. Sie stellt damit keine Beendigung der Rechtsfähigkeit her, mithin ist mit ihr kein Rechtsverlust verbunden.79

3.6. Geschlecht

Für einen Teil der Rechte und Pflichten, also zugleich einen Teil der Rechtsfähigkeit, ist das Geschlecht des Menschen entscheidend, etwa im Bereich des Ehe- und Familienrechts.

3.6.1. Alte Gesetzeslage zum Geschlecht

Die Ehe konnte rechtlich nur von einem Mann und einer Frau geschlossen werden. Das Gesetz über die Eingetragene Lebenspartnerschaft80 (LPartG) erlaubte gleichgeschlechtlichen Personen nur eine eheähnliche Partnerschaft. Seit dem Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts81 (Eheöffnungsgesetz), das am 01.10.2017 in Kraft getreten ist, ist es Personen gleichen Geschlechts möglich, eine zivilrechtliche Ehe einzugehen. Seitdem heißt es in § 1353 I 1 BGB:

„Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen.“

Der historische Gesetzgeber ging nach dem gesellschaftlichen (und medizinischen) Stand der damaligen Zeit davon aus, dass der Mensch entweder männlich oder weiblich sei und dies auch unverändert bleibe. Bei Intersexuellen (Zwittern) sollten die Geschlechtsmerkmale maßgeblich sein,82 nicht das Empfinden83. Heute wird die psychische Einstellung berücksichtigt.84 Das Geburtenregister kann berichtigt werden (§ 48 PStG), wenn sich bei einem Intersexuellen die Einordnung nachträglich als falsch erweist.85 Aufgrund der vom Arzt für das Neugeborene erstellten Bescheinigung erfolgte die Eintragung im Geburtenregister des Standesamtes als weiblich oder männlich mit deklaratorischer Bedeutung.86

3.6.2. Neue Gesetzeslage zum Geschlecht

Fortan gilt mit dem Gesetz zur Änderung personenstandsrechtlicher Vorschriften (Personenstandsrechts-Änderungsgesetz – PStRÄndG)87 vom 7. Mai 2013 im neu hinzugefügten dritten Absatz des § 22 PStG (Inkrafttreten am 1. November 2013):

(3) Kann das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden, so ist der Personenstandsfall ohne eine solche Angabe in das Geburtenregister einzutragen.

Damit ist der Grundsatz, dass der Mensch entweder dem weiblichen oder dem männlichen Geschlecht zuzuordnen ist, aufgehoben; hinzugetreten ist das unbestimmte Geschlecht88. Infolge dieser Gesetzesänderung können sich Probleme und Unsicherheiten mit Gesetzen ergeben, die auf das männliche oder weibliche Geschlecht abstellen.89

Mit dem Gesetz zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben90, mit dem das Personenstandsgesetz (PStG) geändert worden und das am 22. Dezember 2018 in Kraft getreten ist, kann ein Kind, das weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zuzuordnen ist, gemäß § 22 III PStG der Personenstandsfall auch ohne eine solche Angabe oder mit der Angabe „divers“ in das Geburtenregister eingetragen werden. Dem war die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Oktober 201791 vorausgegangen, welche den Gesetzgeber aufgefordert hatte, bis zum 31. Dezember 2018 einen anderen positiven Geschlechtseintrag als weiblich oder männlich zu ermöglichen, also ein sog. „Drittes Geschlecht“ einzuführen.

§ 22 PStG - Fehlende Angaben
(3) Kann das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden, so kann der Personenstandsfall auch ohne eine solche Angabe oder mit der Angabe „divers“ in das Geburtenregister eingetragen werden.

Nach einer Umfrage des Bundesinnenministeriums unter allen 16 Bundesländern sei die Möglichkeit bis zum 30. September 2020 folgendermaßen genutzt worden: insgesamt haben 394 Menschen den Geschlechtseintrag divers gewählt oder den Eintrag offen gelassen; außerdem wurden 19 Neugeborene als divers registriert.92

Am 12. April 2024 hat der Bundestag das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) beschlossen, mit dem Menschen künftig die Möglichkeit haben sollen, ihren Geschlechtseintrag und ihren Vornamen einfacher ändern zu können.93

3.6.3. Historisches zur Selbstbestimmung des Geschlechts

Neu ist die rechtliche Einstufung von Zwittern bzw. des Dritten Geschlechts. Damit entfällt die binäre Wahl zwischen Frau oder Mann. Historisch gesehen ist es jedoch nicht neu, dass der Mensch sein Geschlecht in rechtlicher Hinsicht frei wählen darf. So hatte bereits das Allgemeine Landrecht in Teil I, Erster Titel, §§ 19 ff. in Deutschland dafür Gesetze aufgestellt:

ALR, Erster Titel. Von Personen und deren Rechten überhaupt
§. 19. Wenn Zwitter geboren werden, so bestimmen die Aeltern, zu welchem Geschlechte sie erzogen werden sollen.
§. 20. Jedoch steht einem solchen Menschen, nach zurückgelegtem achtzehnten Jahre, die Wahl frey, zu welchem Geschlecht er sich halten wolle.
§. 21. Nach dieser Wahl werden seine Rechte künftig beurtheilt.
§. 22. Sind aber Rechte eines Dritten von dem Geschlecht eines vermeintlichen Zwitters abhängig, so kann ersterer auf Untersuchung durch Sachverständige antragen.
§. 23. Der Befund der Sachverständigen entscheidet, auch gegen die Wahl des Zwitters, und seiner Aeltern.

Auch das albanische Gewohnheitsrecht (Kanun, 12. Buch, 1. Kapitel, 8.) ließ bereits vor Jahrhunderten zu, dass eine Frau zum Mann werden konnte,94 etwa aus emotionalen Gründen, weil sie nicht heiraten, das Elternhaus nicht verlassen, einem Mann rechtlich gleichgestellt werden oder das Erbe antreten wollte.95

Kanun, 12. Buch: Befreiung und Ausnahmen, 1. Kapitel: Teilhaber der Ausnahmen
8. die Jungfrauen (sog. virgjinat, das sind Mädchen, die Männerkleidung tragen). Sie werden von den anderen Frauen nicht gesondert behandelt, nur sind sie frei, sich unter den Männern aufzuhalten, aber ohne Stimme (wenn auch Sitz) im Rate;

  • 1. Mot. I S. 28.
  • 2. Lateinisch nasciturus = einer, der geboren werden wird; auch Nas­zi­tu­rus.
  • 3. Lateinisch nondum conceptus = der noch nicht Empfangene.
  • 4. So aber MüKo-BGB/Schmitt, § 1, Rn. 12: „Mensch iS des § 1 ist jeder geborene (zur Vollendung der Geburt als Zeitpunkt des Beginns der Rechtsfähigkeit vgl. Rn. 15 ff.), noch lebende (zum Ende der Rechtsfähigkeit vgl. Rn. 18 ff.) Mensch.“
  • 5. Dies kommt grammatikalisch durch den Gebrauch des Genitivs im Wortlaut der Norm zum Ausdruck.
  • 6. BeckOK-BGB/Bamberger, § 1, Rn. 43 und Rn. 29 mit Verweis auf Keller, Beginn und Stufungen des strafrechtlichen Lebensschutzes, S. 111, 112, 113, 114 in: Günther/Keller (Hrsg), Fortpflanzungsmedizin und Humangenetik – strafrechtliche Schranken?, 2. Aufl 1991.
  • 7. BeckOK-BGB/Bamberger, § 1, Rn. 11; MüKo-BGB/Schmitt, § 1, Rn. 6 (jeweils mit weiteren Verweisen).
  • 8. Fabricius, Relativität der Rechtsfähigkeit, 1963, S. 31 ff., 43 ff.; Heinze, Rechtsnachfolge im Unterlassen, 1974, S. 101; Müller-Freienfels, Die Vertretung beim Rechtsgeschäft, 1955, S. 155 ff., 176 ff., 182, 185; Sauer, Juristische Methodenlehre, 1940, S. 467; MüKo-BGB/Gitter, § 1, Rn. 5 ff. (2. Aufl.).
  • 9. Vgl. etwa § 829 BGB, wonach auch ein nach § 828 I BGB deliktsunfähiges Kind unter Umständen schadensersatzpflichtig sein kann.
  • 10. Im Ergebnis genauso, aber mit anderer Schlussfolgerung BeckOK-BGB/Bamberger, § 1, Rn. 13: „Fraglich erscheint das [gleiche Rechtsfähigkeit für alle] für heute denkbare biotechnisch hergestellte (transgene) ‚Monstrositäten‘.“ Schärfer der frühere I. 1. § 17 des Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten (ALR) über Rechte der Mißgeburten: „Geburten ohne menschliche Form und Bildung haben auf Familien- und bürgerliche Rechte keinen Anspruch.“
  • 11. Vgl. MüKo-BGB/Schmitt, § 1, Rn. 13, 61.
  • 12. Vgl. hierzu MüKo-BGB/Schmitt, § 1, Rn. 13, 61.
  • 13. Nicht Deutsche im Sinne des Art. 116 GG; § 2 I AufenthG.
  • 14. Mot. I S. 28; Wolf/Naujoks, Anfang und Ende der Rechtsfähigkeit des Menschen, 1955, S. 18 f.; MüKo-BGB/Schmitt, § 1, Rn. 15; Schulze/Dörner, § 1, Rn. 4.
  • 15. Mot. I S. 87.
  • 16. Entsprechend der Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation aus dem Jahr 1974 definiert der § 31 I PStV (Ausführungsverordnung zum Personenstandsgesetz i.d.F. vom 22.11.2008, BGBl I S. 2263, geändert durch Art. 2 VIIId Gesetzes vom 22.12.2011, BGBl I S. 3044) bei welchen Lebensäußerungen davon ausgegangen werden kann, dass das Kind gelebt hat; vgl. BeckOK-BGB/Bamberger, § 1, Rn. 28: Alternativ Herzschlag, pulsierende Nabelschnur oder natürliche Lungenatmung; genügend sei aber auch jede andere sichere Lebensfunktion, etwa Hirntätigkeit durch Abbildung von Hirnströmen.
  • 17. MüKo-BGB/Schmitt, § 1, Rn 16; BeckOK-BGB/Bamberger, § 1, Rn. 28. Vgl. hierzu auch I. 1. § 12 ALR: „Bürgerliche Rechte, welche einem noch ungebornen Kinde zukommen würden, wenn es zur Zeit der Empfängniß schon wirklich geboren wäre, bleiben demselben auf den Fall, daß es lebendig zur Welt kommt, vorbehalten.“
  • 18. Mot. I S. 28; Lorenz, Grundwissen – Zivilrecht: Rechts- und Geschäftsfähigkeit, JuS 2010, 11; MüKo-BGB/Schmitt, § 1, Rn 16.
  • 19. Vgl. hierzu BeckOK-BGB/Bamberger, § 1, Rn. 34.
  • 20. Vgl. BeckOK-BGB/Bamberger, § 1, Rn. 26, 29, 39, 40 mit weiteren Verweisen.
  • 21. Offen in etwa BGH, 20.12.1952 - II ZR 141/51; BGH, 11.01.1972 - VI ZR 46/71.
  • 22. BVerfG, 25.02.1975 - 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74.
  • 23. Vgl. hierzu MüKo-BGB/Schmitt, § 1, Rn 25.
  • 24. BVerfG, 25.02.1975 - 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74.
  • 25. Vgl. MüKo-BGB/Schmitt, § 1, Rn 25.
  • 26. BVerfG, 28.05.1993 - 2 BvF 2, 4/90, 5/92.
  • 27. Vgl. MüKo-BGB/Schmitt, § 1, Rn. 25.
  • 28. Vgl. zu diesen einzelnen Vorschriften auch MüKo-BGB/Schmitt, § 1, Rn. 27 f.; BeckOK-BGB/Bamberger, § 1, Rn. 39.
  • 29. Vgl. Mot. I S. 29.
  • 30. MüKo-BGB/Schmitt, § 1, Rn. 31; Staudinger/Weick, § 1, Rn. 11.
  • 31. MüKo-BGB/Schmitt, § 1, Rn. 31; Fabricius, Gedanken zur höchstrichterlichen Rechtsprechung betreffend den Nasciturus, FamRZ 1963, 403, 407; Hähnchen, Der werdende Mensch - Die Stellung des Nasciturus im Recht, Jura 2008, 161, 162.
  • 32. Vgl. MüKo-BGB/Schmitt, § 1, Rn. 33.
  • 33. Staudinger/Weick, § 1, Rn. 16; MüKo-BGB/Schmitt, § 1, Rn. 34.
  • 34. Für Nasciturus: RG, 14.10.1905 - V 90/05; für Nondum conceptus: RG, 09.03.1907 - V 27/07.
  • 35. RG, 09.03.1907 - V 27/07.
  • 36. Vertragliche Ansprüche hingegen nicht, OLG Celle 15.12. 1955 = VersR 1955, 408.
  • 37. Vgl. MüKo-BGB/Schmitt, § 1, Rn. 36.
  • 38. BGH, 11.01.1972 - VI ZR 46/71; BGH, 06.12.1988 - VI ZR 132/88.
  • 39. Rolfs, Pränatale Schädigung des Menschen, JR 2001, 140, 141; MüKo-BGB/Schmitt, § 1, Rn. 39.
  • 40. BGH, 20.12.1952 - II ZR 141/51.
  • 41. RG, 09.03.1907 - V 27/07.
  • 42. Vgl. MüKo-BGB/Schmitt, § 1, Rn. 43; BeckOK-BGB/Bamberger, § 1, Rn. 27, 54.
  • 43. Inkrafttreten: 01.01.1991, BGBl. I S. 2746.
  • 44. So treffend MüKo-BGB/Schmitt, § 1, Rn. 48.
  • 45. Verboten ist die postmortale (homologe und heterologe) Insemination (§ 9 Nr. 1, § 4 I Nr. 3 ESchG).
  • 46. Definitionen aus BeckOK-BGB/Bamberger, § 1, Rn. 52.
  • 47. Verschmelzung der Zellkerne.
  • 48. Vgl. zum Meinungsstand BeckOK-BGB/Bamberger, § 1, Rn. 52.
  • 49. Vgl. Prot. VIII S. 106.
  • 50. So MüKo-BGB/Schmitt, § 1, Rn. 19.
  • 51. Vgl. hierzu MüKo-BGB/Schmitt, § 1, Rn. 19; Strätz, Zivilrechtliche Aspekte der Rechtsstellung des Toten unter besonderer Berücksichtigung der Transplantationen, 1971, S. 9; BeckOK-BGB/Bamberger, § 1, Rn. 30.
  • 52. So aber BeckOK-BGB/Bamberger, § 1, Rn. 30; auf § 1922 verweisend ebenfalls Schulze/Dörner, § 1, Rn. 5.
  • 53. Vgl. „Abweichend“ in § 5 I 2 TPG.
  • 54. BeckOK-BGB/Bamberger, § 1, Rn. 31 mit weiteren Verweisen.
  • 55. BeckOK-BGB/Bamberger, § 1, Rn. 35.
  • 56. BGH, 20.03.1968 - I ZR 44/66.
  • 57. Beispiele: Gebrauch persönlicher Tonträger, seines Namens oder seines Bildes in der Werbung.
  • 58. Vgl. BeckOK-BGB/Bamberger, § 1, Rn. 57.
  • 59. BGH, 04.06.1974 - VI ZR 68/73; BeckOK-BGB/Bamberger, § 1, Rn. 58.
  • 60. BeckOK-BGB/Bamberger, § 1, Rn. 56.
  • 61. BGH, 26.11.1954 - I ZR 266/52.
  • 62. So MüKo-BGB/Schmitt, § 1, Rn. 55.
  • 63. So BeckOK-BGB/Bamberger, § 1, Rn. 56.
  • 64. Vgl. BeckOK-BGB/Bamberger, § 1, Rn. 56 mit weiteren Verweisen.
  • 65. So Westermann, Das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach dem Tode seines Trägers, FamRZ 1969, 561; aufgreifend MüKo-BGB/Schmitt, § 1, Rn. 51.
  • 66. Vgl. BGH, 26.11.1954 - I ZR 266/52.
  • 67. Vgl. BGH, 04.06.1974 - VI ZR 68/73.
  • 68. MüKo-BGB/Schmitt, § 1, Rn. 51.
  • 69. Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, 1967, S. 342.
  • 70. Hohner, Subjektlose Rechte, 1969, S. 79, 227.
  • 71. Heldrich, FS H. Lange, 1970, S. 163, 170, 171.
  • 72. Vgl. zu diesem kritischen Komplex MüKo-BGB/Schmitt, § 1, Rn. 52 ff; BeckOK-BGB/Bamberger, § 1, Rn. 56.
  • 73. So MüKo-BGB/Schmitt, § 1, Rn. 55.
  • 74. Zur Beauftragten-Wahrnehmung BeckOK-BGB/Bamberger, § 1, Rn. 59.
  • 75. Zur Angehörigen-Wahrnehmung BeckOK-BGB/Bamberger, § 1, Rn. 60.
  • 76. MüKo-BGB/Schmitt, § 1, Rn. 55; Heldrich, FS H. Lange, 1970, S. 163, 171; Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, 1967, S. 347.
  • 77. Antragsberechtigung folgt aus § 16 VerschG.
  • 78. Vgl. BayObLG, 15.01.1999 - 1Z BR 110/98; AG Hameln, 08.09.2005 - 31 F 357/04.
  • 79. BeckOK-BGB/Bamberger, § 1, Rn. 32.
  • 80. Vom 16.2.2001, BGBl. I S. 266.
  • 81. BGBl. I S. 2787.
  • 82. Mot. I S. 26.
  • 83. KG NJW 1965, 1084; OLG Frankfurt NJW 1976, 1800.
  • 84. KG NJW 1965, 1084; LG Frankenthal FamRZ 1976, 214.
  • 85. OLG Frankfurt NJW 1966, 407; LG Frankenthal FamRZ 1976, 214.
  • 86. § 259 der Dienstanweisung für die Standesbeamten, BAnz 1987, Beilage Nr. 227a.
  • 87. BGBl. I 2013, 1122.
  • 88. Verwendung dieser Terminologie etwa bei Sieberichs, FamRZ 2013, 1180.
  • 89. Hierzu Sieberichs, FamRZ 2013, 1180; ferner Heribert Prantl, „Männlich, weiblich, unbestimmt“, 16.08.2013, Süddeutsche.de.
  • 90. BGBl. I S. 2635.
  • 91. BVerfG, 10.10.2017 - 1 BvR 2019/16.
  • 92. Vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache 19/29911; Laura Sophia Jung, So viele Menschen haben die dritte Geschlechtsoption genutzt, WELT.
  • 93. Deutscher Bundestag, Änderungen beim Geschlechtseintrag werden einfacher.
  • 94. Bekannt im Albanischen als burrnesha (zu Deutsch: „Mannfrau“). Mehr hierzu unter Eingeschworene Jungfrau in Wikipedia.
  • 95. Vgl. Robert Elsie: Albanian Symposium: Kanun of Lekë Dukagjini, 10.11.2012, Leiden, abrufbar auf Youtube, Minute 18:40.
Literaturverzeichnis
Zitierte Literatur: 
  • Bamberger, Heinz Georg / Roth, Herbert (Hrsgg.): Beck'scher Online-Kommentar BGB, 26. Ed., 02/2013, Verlag C.H. Beck
    BeckOK-BGB/Bearbeiter, §, Rn.
  • Fabricius, Gedanken zur höchstrichterlichen Rechtsprechung betreffend den Nasciturus, FamRZ 1963, 403
  • Fabricius, Relativität der Rechtsfähigkeit, 1963
  • Hähnchen, Der werdende Mensch - Die Stellung des Nasciturus im Recht, Jura 2008, 161
  • Heinze, Rechtsnachfolge im Unterlassen, 1974
  • Heldrich, FS H. Lange, 1970
  • Hohner, Subjektlose Rechte, 1969
  • Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, 1967
  • Keller, Beginn und Stufungen des strafrechtlichen Lebensschutzes, in: Günther/Keller (Hrsg), Fortpflanzungsmedizin und Humangenetik – strafrechtliche Schranken?, 2. Aufl 1991
  • Lorenz, Grundwissen – Zivilrecht: Rechts- und Geschäftsfähigkeit, JuS 2010, 11
  • Müller-Freienfels, Die Vertretung beim Rechtsgeschäft, 1955
  • Rolfs, Pränatale Schädigung des Menschen, JR 2001, 140
  • Sauer, Juristische Methodenlehre, 1940
  • Säcker, Franz Jürgen / Rixecker, Roland (Hrsgg.): Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 6. Aufl., 2012, Verlag C.H. Beck
    MüKo-BGB/Bearbeiter, §, Rn.
  • Schulze, Reiner (Hrsg.): Bürgerliches Gesetzbuch – Handkommentar, 7. Aufl., 2012, Nomos Verlag
    Schulze/Bearbeiter, §, Rn.
  • Sieberichs, Wolf: Das unbestimmte Geschlecht, FamRZ 2013, 1180
  • Strätz, Zivilrechtliche Aspekte der Rechtsstellung des Toten unter besonderer Berücksichtigung der Transplantationen, 1971
  • Westermann, Das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach dem Tode seines Trägers, FamRZ 1969, 561
  • Wolf/Naujoks, Anfang und Ende der Rechtsfähigkeit des Menschen, 1955
Rechtsprechung: