Ungewöhnliches Doppelspiel – Alfred Kroth im Europäischen Bürgerkrieg
In die politischen Konflikte während des Kalten Krieges waren auch Rechtsanwälte einbezogen. Einer von ihnen, Dr. Alfred Kroth aus München, war seit seiner Studentenzeit Mitglied der KPD und wurde von ihr beauftragt, der NSDAP beizutreten, um auf diese Weise in Schlüsselpositionen zu gelangen, in denen es möglich war, geheime Informationen zu sammeln. Das ist ihm auch gelungen. In der Nachkriegszeit konnte er kurzzeitig politische Ämter übernehmen, danach konzentrierte er sich auf den Ost/West-Handel. Die KPD verließ er erst in den Fünfzigerjahren. Im Spruchkammerverfahren schrieb er: »Nur mein sich stets neu entzündender Hass gegen die Nazis, die in einer jeder Menschenwürde Hohn sprechenden Weise das deutsche Volk sowie andere Völker und Rassen unterdrückt und misshandelt, meine Freunde ermordet und auch mich persönlich und meine Familie an den Rand des Nichts geführt haben, ließ mich überhaupt eine Rolle glücklich zu Ende führen, die mir meiner ganzen Person nach … in keiner Weise liegt.«*
- 1. Vorwort
- 2. Rechtshistorisches Forschungsprojekt: Rechtsanwälte im Kalten Krieg
- 3. Chinesische Teppiche
- 4. Am Chinesischen Turm
- 5. Links oder rechts?
- 6. Die ideologische Generation
- 7. Die Zeit der Anarchie
- 8. Die Machtergreifung
- 9. Gefährliches Doppelspiel
- 10. Aus der Versenkung
- 11. Entlastung
- 12. Ein Berufsanfänger
- 13. Interzonen Handel: die Lücke im Embargo
- 14. Die Anfänge in Düsseldorf
- 15. Internationale Geschäfte
- 16. Das Ende der Ideologien
- 17. Chronologische Übersicht 1912 - 1978
1. Vorwort
»Dass das ungewöhnlich gefährliche Doppelspiel, das ich zu führen gezwungen war, meine Nervenkraft in ganz außerordentlichem Maße beansprucht hat – ich habe eine Frau, ein Kind sowie eine alte Mutter – sei am Schluss noch erwähnt. Nur mein sich stets neu entzünden der Hass gegen die Nazis, die in einer jeder Menschenwürde Hohn sprechenden Weise das deutsche Volk sowie andere Völker und Rassen unterdrückt und misshandelt, meine Freunde ermordet und auch mich persönlich und meine Familie an den Rand des Nichts geführt haben, ließ mich überhaupt eine Rolle glücklich zu Ende führen, die mir meiner ganzen Person nach, was ich aufs Stärkste hervorheben möchte, in keiner Weise liegt. Die Angaben in diesem Lebenslauf sind wahr. Ich bekräftige Sie hiermit an Eides statt.«
(Erklärung im Spruchkammerverfahren vom 09.07.1945)
2. Rechtshistorisches Forschungsprojekt: Rechtsanwälte im Kalten Krieg
Der Kalte Krieg (1945-1989) prägte nicht nur die Politik, er wirkte sich auch auf die Arbeit der Rechtsanwälte aus. In jedem juristischen Arbeitsfeld vom Verfassungsrecht bis zum Strafrecht, aber auch im Handelsrecht spielten ideologische Hintergründe und Entscheidungen für die Arbeit der beteiligten Anwälte eine große Rolle.
Das vorliegende Projekt ist ein Beitrag zur Anwaltsforschung, die in der deutschen wie internationalen Rechtsgeschichte noch in ihren Anfängen liegt. Große Prozesse haben Eingang in unser geschichtliches Bewusstsein gefunden, deren Akteure aber selten. Einer der Gründe ist die anwaltliche Schweigepflicht, der andere die Tatsache, dass öffentliche Berichte sich überwiegend auf dem Gebiet des Strafrechts bewegen.
Das Teilprojekt »Ost-West-Handel« bewegt sich auf dem Feld des Handelsrechts, weil hier die Quellenlage einfacher ist, als bei Streitigkeiten zwischen Privatpersonen: große Verträge geraten ins Blickfeld der Presse, Firmenarchive stehen zur Verfügung usw.
Der Osthandel beginnt unmittelbar nach der Währungsreform 1948.
Wir finden schon am Anfang eine Reihe von Akteuren, die später im Wirtschafts-leben der Bundesrepublik eine hervorragende Rolle gespielt haben, wie etwa Otto Wolff von Amerongen, der spätere Staatssekretär im Verteidigungsministerium Wolf Mommsen und andere.
Wie nicht anders zu erwarten war der Ost-West Handel ebenfalls Gegenstand nachrichtendienstlicher Aktivitäten. Markus Wolf, Spionagechef der DDR, Günter Nollau, zunächst Rechtsanwalt in Dresden, danach Beamter und zuletzt Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz nehmen hierzu in ihren Memoiren ausführlich Stellung. Seit 1989 ist die Quellenlage relativ offen.
Das erste Ziel des Teilprojekt ist es, besonders hervorgehobene Ereignisse der ersten Jahre (1948-1953) – wie etwa den ersten deutsch-chinesischen Handelsvertrag von 1951 – näher zu untersuchen, dabei vor allem die Rechtsanwälte unter den handelnden Personen zu identifizieren und zu fragen, ob ihre berufliche Sozialisation und ihr Handeln als Anwälte sie von anderen Akteuren unterscheidet.
3. Chinesische Teppiche
Rechtsanwalt Dr. Alfred Kroth hatte in seinem Büro am Nymphenburger Kanal (gleichzeitig seine Privatwohnung) kein Kanzleischild. Die Rechtsanwaltskammer hätte das beanstanden können. Aber er war für sie nur ein Name in der Kartei, bei Gericht sah man ihn nicht. Sie führte nur eine sehr dünne Akte über ihn, in der sich außer den üblichen Formalitäten nur einige Briefe aus der Zeit zwischen 1950 und 1960 befanden. Zwei kleine Mandatsbeschwerden, der übliche hysterische Ton, wenn nichts an der Sache dran ist. Sie wurden nicht weiterverfolgt. Gelegentlich suchten Freunde oder Bekannte seinem Rat und obwohl er viele Jahre nicht als Anwalt, sondern als Stahlhändler tätig gewesen war, nahm er sich der Sachen aus Freundschaft an, stellte oft keine Rechnungen und gab gute Ratschläge. Dafür braucht er kein Kanzleischild. Er arbeitete ohne Sekretärin. Gelegentliche Schreibarbeiten gab er außer Haus.
Spätestens ab 1960, also mit 48 Jahren, war er finanziell unabhängig, weil er in den 15 Jahren zuvor im Osthandel hohe Provision verdient hatte. Davon hatte er sich schon 1951 ein Haus durch den bekannten Münchner Architekten Georg Henneberger bauen lassen, Grundstücke und Wohnungen erworben – darunter auch ein Ferienhaus in Österreich – und immer noch ergaben sich aufgrund der alten Kontakte hier und da Geschäfte und flossen einige Provisionen.
Seine Mandanten empfing er im Arbeitszimmer. Da hing neben dem verglasten Bücherschrank mit den Klassikerausgaben sicherheitshalber noch seine schwarze Robe, die er nie gebrauchte, aber der Blickfang der Wohnung waren die chinesischen Teppiche, die er von seinen Reisen nach Peking oder Pjöngjang mitgebracht hatte. Er war über 1 m 80, dunkler Typ mit silbernen Haaren, starker Raucher und füllte kleinere Räume aus, wenn er sie betrat. Neben ihm die zierliche Ehefrau, beide sprechen hochdeutsch, obwohl sie aus Oberbayern stammen. In Glasvitrinen sah man Ming-Vasen, asiatische Antiken und die bunten Moriskentänzer aus Nymphenburger Porzellan – Zeichen dafür, dass man die lokalen Traditionen des höheren Bürgertums verstanden hatte und pflegte. Auf einem Sims im Eingang fanden sich aber auch moderne Porträts seiner beiden Kinder, die ein Münchner Bildhauer angefertigt hatte. Im Garten der Schäferhund. Unten der Weinkeller.
Er lebte seinen intellektuellen Interessen. Die Rechtswissenschaft war schon während seines Studiums nur für den Brotberuf bestimmt. Schon 1935 mit 23 Jahren hat er parallel dazu in der Volkswirtschaft über das anspruchsvolle Thema Indexwährungen promoviert. Dann ist er 1937 in die NSDAP eingetreten und 1938 Beamter in der Rechtsabteilung der Münchner Stadtverwaltung geworden, bei seinen offensichtlichen Begabungen keine nahe liegende Entscheidung. Er hat keine Parteikarriere gemacht und auch in der Stadtverwaltung keine führende Position übernommen. Auch das hätte nahe gelegen.
Erst nach 1945 konnte man das Rätsel entschlüsseln, wenn man die Süddeutsche Zeitung las: er war 1932 insgeheim als Student in die Kommunistische Partei Deutschlands eingetreten und in deren Auftrag 1937 (mit einiger Mühe) in die NSDAP aufgenommen worden, um als verdeckter Ermittler innerhalb der lokalen NS-Bürokratie interessante Nachrichten zu beschaffen. Nach Kriegsende wurde das von der KPD-Führung, die aus dem schweizerischen Exil zurückgekehrt war, innerhalb einer Woche bestätigt. Der neue Münchner Oberbürgermeister Karl Scharnagl (CSU) berief ihn sofort wieder als Stadtrat für Wirtschaftsreferat (die Schlüsselstellung innerhalb des Gremiums) und das gleiche Vertrauen erhielt er von Wilhelm Hoegner (SPD), der ihn als Staatssekretär haben wollten: aus beiden Ämtern musste er nach wenigen Wochen gehen, weil die amerikanische Militärregierung ihn nicht akzeptierte. Anders als Herbert Wehner fand er danach keinen Weg mehr in die Politik: im Entnazifizierungsverfahren hat man ihn vollständig entlastet, aber in der Zwischenzeit boten sich ihm Chancen im Osthandel an, für die er die alten Kontakte nach Berlin und Moskau nutzen konnte. Er hat sie entschlossen ergriffen. Er war der erste Deutsche, der mit Mao Tse Dong persönlich einen Vertrag über die Lieferung von Stahlprodukten im Wert von 2 Milliarden DM abschließen konnte. Sein KPD-Parteibuch öffnet ihm über seine Kontakte in Ostberlin die Türen, die Otto Wolff von Amerongen 1951 noch verschlossen waren.
Als ich ihn das erste Mal traf, sprach ich mit ihm über seine Bibliothek, das Theater, die Konzerte (er war musikalisch sehr begabt), die er regelmäßig besuchte und über die er am anderen Tag eine private Kritik schrieb, um sich bei den nächsten Aufführungen an seine damalige Auffassung zu erinnern.
Über juristische Probleme haben wir nur gesprochen, wenn er mir einen Fall übertragen hatte, über den er informiert sein wollte, weil der Mandant ihn wohl gelegentlich nach dem Stand der Dinge fragte. Diese Art Arbeit hat ihn nicht interessiert, obwohl er unverkennbar in der Lage war, auch komplexere juristische Fragen, ohne jede Detailkenntnis in wenigen Schachzügen strategisch richtig zu durchdenken. Auf den Teppichen türmten sich Bücher über Physik, die Relativitätstheorie, die Weltraumforschung und eine Fülle naturwissenschaftlicher Wissensgebiete, für die er sich interessierte. Er plante auch, darüber zu schreiben, verriet aber nie Thema oder Details; vermutlich, weil er genau wusste, dass er ein Autodidakt war und sich keinen kritischen Fragen aussetzen wollte. Nach dem Gabelfrühstück um 11:00 Uhr begab er sich mit seinem Auto häufig in die Staatsbibliothek. Kein Daimler, sondern ein Citroen DS – das war die künstlerische Note des ausgezeichneten Musikers, der den späteren Generalmusikdirektor der Münchner Oper Wolfgang Sawallisch (geb. 1923) als Student musikalisch trainiert hatte. Außerdem kostete das Auto weniger und aufs Geld musste er achten, weil er von seinem Vermögen lebte.
In der Staatsbibliothek wurde er als Privatgelehrter besonders entgegenkommend behandelt und durfte die Bücher, mit denen er arbeitete, für Tage, manchmal für Wochen stehen lassen. Er dachte über die Quantentheorie ebenso nach wie über klassische Literatur (die Moderne interessierte ihn nicht) oder wirtschaftliche Zusammenhänge, die er immer mit großer Kompetenz beurteilen konnte. In philosophischen Fragen kannte er sich natürlich aus, sie spielten bei seinen naturwissenschaftlichen Überlegungen immer eine große Rolle.
Er sprach über die englische, die russische, die französische, auch die chinesische Geschichte.
Nur über die deutsche Geschichte sprach er nie – und schon gar nicht über die Rolle, die er selbst darin gespielt hatte. Seine Kinder haben ihn nur als Händler erlebt. Über seine politischen Entscheidungen, in denen er anders als viele seiner Zeitgenossen das gesamte Spektrum der Probleme einschließlich Schuld und Scham auf sich lud, blieb ihnen verborgen. Sein Sohn, ebenfalls Anwalt, der 1982 zusammen mit seinem Mandanten in dessen Privatflugzeug tödlich abstürzte, hat von seinem Vater gewiss nur eine Fassade gesehen.Er sah ihm Mitte Zwanzig zum Verwechseln ähnlich.
Vor 1968 war es nicht üblich, als jüngerer Mensch ungefragt politische Themen anzuschneiden, geschweige denn Ältere nach ihren Auffassungen oder Rollen in der Vergangenheit zu befragen. Immerhin hätte ich mich darüber wundern können, dass es da offenbar einen blinden Fleck gab, über den mein gebildeter Gesprächspartner nicht sprechen wollte.
Aber ich war darüber nicht erstaunt, denn auch meine Eltern haben uns außer sehr allgemeinen Bemerkungen über das Dritte Reich über jedes Detail ihres eigenen Verhaltens im Unklaren gelassen. Nicht dass es da etwas zu entdecken gegeben hätte: Sie waren brave und angepasste, vor allem aber im katholischen Glauben fest verwurzelte Leute des mittleren Bürgertums und anders als Alfred Kroth politisch nirgendwo engagiert. Aber über die Tatsache, dass am 08.11.1938 in der Fasanenstraße in Berlin, in der meine Mutter damals wohnte, die Synagoge abgefackelt wurde – was sie zweifellos unmittelbar erlebt hat – oder wie sie im Februar 1943 auf Goebbels Sportpalastrede reagierte, die sie ein einziges Mal beiläufig erwähnte, verlor sie nie ein Wort.
Sein Lebenslauf bietet ein exemplarisches Beispiel für seine Generation, die in den ideologischen Kämpfen des Europäischen Bürgerkriegs – wie Ernst Nolte die Zeit zwischen 1918 und 1945 bezeichnet hat – hin und her gerissen wurde. Nolte sah die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg in erster Linie als ideologische Auseinandersetzung zwischen dem sowjetischen Kommunismus und anderen ideologischen Strömungen, so vor allem den Faschisten und Nationalsozialisten. Nach seiner Analyse war es den Nationalsozialisten gelungen, massiven Ängste des Bürgertums vor den drohenden Kommunisten für ihre Zwecke auszunutzen. Wenn man berücksichtigt, dass das Bild der friedliebenden und auf Völkerverständigung gerichteten Sowjetunion, das über die Komintern in ganz Europa verbreitet war und durch den Überfall Hitlers noch verstärkt wurde, durch diese Einschätzung einfach weggewischt wurde, kann man sich die Empörung anderer Historiker gut vorstellen. So entstand 1986 der »Historikerstreit« – noch heute steckt er in den Köpfen. Vor allem Jürgen Habermas hatte Nolte vorgeworfen, mit seinem Begriff die Einmaligkeit des Judenmordes verschleiern zu wollen, was mit dem Grundthema, das Nolte angeschlagen hatte, nur ganz am Rande verbunden war. Viele – darunter auch Joachim Fest – haben das als unlauter betrachtet.
Alfred Kroth steckte mitten in diesem Konflikt. Das »ungewöhnliche Doppelspiel« als das er sein Leben bis 1945 bezeichnet hat, setzte sich danach noch Jahrzehnte fort. Ob unter den unzähligen Texten, die er im Lauf der Jahre für sich schrieb, nur Intellektuelles zu finden war, ob er nicht doch autobiografische Aufzeichnungen oder Reflexionen über sich selbst niedergeschrieben hat, wissen wir nicht. Seine Witwe, die seine Konfliktlage in allen Details kannte, aber auch mit ihren Kindern nie darüber sprach, hat nach seinem Tod alle persönlichen Aufzeichnungen vernichtet (»Die Schrift kann ja doch niemand lesen«).
Er wie meine Eltern gehörten zur Generation der Schweigenden. Sie lebten in einer bleiernen Zeit, die erst durch die Revolte von 1968 endgültig beendet wurde.
4. Am Chinesischen Turm
Die Kobingers sind bäuerliche Leute aus Weißenhorn bei Dillingen1. Für Anna Kobinger, die mit 23 Jahren nach München heiratet, ist bereits der Zug in die Großstadt ein Ereignis. Ihr Mann Jacob Kroth, der ebenfalls aus einer bäuerlichen Gegend in Unterfranken stammt und zehn Jahre älter ist, bekleidet den Posten eines städtischen Amtsdieners, erhält ein ordentliches Gehalt und sie verleben fünf glückliche Jahre in ihrer Schwabinger Wohnung. Er ist so klein, dass er sich auf dem Hochzeitsfoto auf einen Schemel stellen muss, um wenigstens gleich groß mit seiner Frau zu wirken. Ihr Sohn Alfred – 1912 geboren – wird seine Umgebung meist überragen, er ist größer als 1 m 80.
Er kann sich an seinen Vater nicht erinnern: im August 1914 bricht der Erste Weltkrieg aus, der die letzten (fast) absoluten Monarchien vernichten und Europa endgültig verändern wird und schon am 9. Oktober ist Anna Kroth Witwe – ihr Mann fällt bei Antwerpen.
Sie hat nie wieder geheiratet, lebt von anfangs 100 Reichsmark Rente mehr schlecht als recht (erstaunlicherweise reicht es trotzdem, denn sie übernimmt keine Arbeit) und widmet sich ganz ihrem Sohn.
Die ersten Jahre nach dem Zusammenbruch der Monarchie sind besonders in München wild: Alfred wird die Schießereien wohl bemerkt haben, die erst bei der Zerschlagung der Räterepublik 1919 und später beim Hitler/Ludendorff Putsch (1923) die Stadt erschütterten.
Damals lebten die Kinder auf der Straße, sammelten die herabgefallenen Geschosse und Patronenhülsen, sprangen hinter den Straßensperren umher und spielten Krieg. Seine vielfältigen Begabungen werden schon in der Volksschule sichtbar. Er ist in allen Fächern hervorragend, auch in Sport und Musik und wird ans Ludwigsgymnasium empfohlen. Kirchliche Institutionen fördern ihn auch mit Stipendien. Er wechselt dann zum Alten Realgymnasium, möglicherweise auch aus finanziellen Gründen, denn er muss schon während der Schulzeit Geld mit Nachhilfestunden und Geigenstunden für andere, weniger begabte Schüler verdienen. Am Wochenende gibt es einen Job im Englischen Garten am Chinesischen Turm. Dort steht auch heute noch das bunte Karussell, das man gerade in seinem Geburtsjahr 1912 gebaut hatte, damals aber noch nicht elektrisch betrieben wurde. Hilfsbereite Kinder schieben es unter einer großen Plane im Kreis herum wie die Maultiere und erhalten von dem Besitzer ein paar Groschen. Um die Ecke steht der Eiswagen. Alfred engagiert sich in katholischen Jugendverbänden, wo seine musikalischen Kenntnisse gefragt sind – gewiss auch, um Dank für die Förderung abzustatten, die er erhält.
5. Links oder rechts?
Mit 19 Jahren (1931) macht Alfred als bester Schüler seiner Klasse Abitur. Er ist in allen Fächern von Latein bis Chemie und Physik »hervorragend« (Note 1) oder »lobenswert« (Note 2) mit der einzigen Ausnahmen in Englisch und im Zeichnen (Note drei). Als Klassenbester hält er die Abschlussrede. In dem damals üblichen Kommentar zum Zeugnis heißt es unter anderem:
»…Betragen und Fleiß während seines Aufenthaltes an der Anstalt waren musterhaft… Sein allgemeiner Bildungsstand und sein überaus reges Bildungsstreben verdienen hohes Lob… er beteiligte sich mit großem Eifer und hervorragendem Können an den Orchester-,, Musik-und Chorübungen… Aufgrund der Ergebnisse der schriftlichen Prüfung des Jahresfortganges wurde ihm die mündliche Prüfung erlassen.«
Damals war es in den Schulen noch üblich, charakterliche Gutachten abzugeben. In diesem Gutachten heißt es unter anderem:»Kroth hat eine idealistische Grundhaltung und neigte, wie erwähnt, früher zu einer jugendlich unbesonnenen Vielseitigkeit seiner Betätigung. Er hat aber gelernt sich zu konzentrieren und seine Kraft auf ein bestimmtes lebensnotwendiges Ziel zusammenzufassen. Seine Begabung ist noch höher einzuschätzen als es die Noten des an sich ja ganz ausgezeichneten Reifezeugnisses… ausweisen. Kroth wurde von vielen Lehrern als Führernatur bezeichnet und er gewährt die Aussicht zu tüchtigen Leistungen in der Zukunft. Die Vielseitigkeit seiner Begabung ist merkwürdig: er ist ein ausgezeichneter Musiker und ein glänzender Turner. Schon frühzeitig hat er die Not des Lebens kennen gelernt und durch Privatunterricht seinen Lebensunterhalt teilweise mitverdient. Sein sittliches Verhalten war jederzeit musterhaft, dabei frisch und sympathisch.«
Er beginnt, parallel Jura und Volkswirtschaft zu studieren. Jetzt bekommt er Stipendien von der katholischen Freitags-Stiftung (Vinzenz-Kongregation). Jedes Jahr muss er die Stipendiumsprüfung an der Uni Städte München ablegen und hat sie stets bestanden. Er braucht nicht viel Geld, denn er lebt bei seiner Mutter, die ihm aus ihrer Rente noch 75 Reichsmark dazu gibt. Aber wie schon als Schüler verdient er sich durch Musikunterricht und Nachhilfestunden zusätzlich Geld.
6. Die ideologische Generation
Hätten die drei Kaiser von Deutschland, Russland und Österreich geahnt, dass sie mit den Kriegserklärungen 1914 ihren eigenen Untergang besiegelten, hätten sie sich die Sache bestimmt noch einmal überlegt.
Der russische Zar wurde ermordet, Franz Joseph II starb 1916 in Wien und Wilhelm II. ging nach Holland ins Exil.
Jetzt, im Jahr 1919, sollten die Deutschen zum ersten Mal die Demokratie lernen. Alfred Kroth war sieben Jahre alt, aber zwischen 1924, als Hitler aus der Festungshaft entlassen worden war und 1928, seinem 16ten Geburtstag wurde das politische Leben in München durch die Nationalsozialisten geprägt – da wird schon der Schüler sich seine Gedanken gemacht haben. Es war die Zeit der Ideologien, der Weltanschauungen der unbedingten Identifikation des eigenen Lebens mit einer politischen Idee. Jetzt kämpften stattdessen Kommunisten, Nationalsozialisten, unterschiedliche Splittergruppen der Sozialisten, die Leute vom Stahlhelm, die Freischärler und viele andere mit Waffen gegeneinander, die ihnen der Krieg geliefert hatte.
Vor allem zwischen Nationalisten und Kommunisten (die mit straffer Führung bald die stets zerstrittenen Sozialisten ausgeschaltet hatten) entwickelte sich der »Europäischen Bürgerkrieg« . In Deutschland, Österreich und Russland entstanden nach innenpolitischen Kämpfen, die mit äußerster Härte geführt wurden, neue politische Systeme. Die Polizei bekommt sie nicht immer in den Griff: auch die Polizisten und ihre Vorgesetzten gehören häufig der Partei an, die sie in ihren Ämtern im Zaum halten sollen und werden von diesen Interessenkonflikten hin und her gerissen. Die junge Weimarer Demokratie wird von beiden Seiten nicht akzeptiert und später zwischen ihnen zermahlen.
Die Demokratie muss einen ständigen Widerspruch in den Griff bekommen: alle müssen alles sagen dürfen, aber keiner darf nach Belieben so handeln, wie er spricht! Es dauert lange Zeit, bis man das lernt – die Engländer und Franzosen haben mindestens 100 Jahre dafür gebraucht. Die Deutschen hatten diese Zeit nicht – und außerdem sehr schlechte Rahmenbedingungen: Der Friedensvertrag von Versailles missachtete alle psychologischen Regeln für eine faire Verhandlungsführung, weil die Franzosen den Deutschen etwas heimzuzahlen hatten und der US-Präsident Wilson war viel zu naiv, um auch nur annähernd vorauszusehen, dass seine Vorschläge Europa völlig destabilisieren mussten, anstatt für Ruhe zu sorgen.
Nicht nur deshalb hatte die Demokratie nach 1919 in Deutschland keine realistische Chance. Die Wirtschaftskrise, die Reparationszahlungen und viele andere unglückliche Umstände hätte man vielleicht in den Griff bekommen. Aber die ganze Bevölkerung war in so unendlich viele Lager gespalten, (vor allem: die Nationalisten und die Sozialisten), zwischen denen keine Einigung möglich war. Es gehört zu einer der instinktsicheren Handlungen Adolf Hitlers, seine Partei, die Nationalsozialisten, so zu nennen, dass sich beide Seiten in ihrem Namen wiederfinden konnten.
7. Die Zeit der Anarchie
Weil die Schiffe der Monarchie in Russland, Österreich und Deutschland gleichzeitig und völlig unerwartet untergingen, war die Anarchie am Kriegsende und die völlige Zerstörung der Welt unserer Großväter unvermeidbar. Einige von ihnen haben darauf mit der richtigen Portion Ironie reagiert. Der Berliner Bankier Carl Fürstenberg blickte 1918 aus seiner Stadtvilla auf eine Horde Spartakisten, die die Straße entlang rannten und fragte seinen Diener:
»Kannst du mir sagen, was der Unsinn da soll?« »Das ist die Revolution, Herr Direktor« sagte der Diener »wir sind jetzt Volksgenossen und es wäre mir sehr recht, wenn sie künftig »Sie« zu mir sagten!« »Du bist ja bekloppt« sagte der Bankier »umjekehrt wird' n Stiefel draus: ab jetzt nennste mir Carl!«. »Sehr gern Herr Direktor!«, sagte der Diener.
Wir haben später oft den Satz gehört, niemand habe von Kultur und Luxus eine wirkliche Ahnung, der nicht die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg selbst erlebt habe. Wie stets bei solchen Rückbetrachtungen zählt man sich selbst automatisch zur Welt der herrschenden Klasse und vergisst, dass man in der gleichen Zeit nicht gern als Bergarbeiter gelebt hätte.
Die herrschenden Klassen aber hatten ihre Chance vergeben. In Sankt Petersburg, in Kiel und überall, wo sonst die Revolutionen ausbrachen, hätte schon damals auf den Fahnen stehen können: »Macht kaputt, was euch kaputt macht!« (Foto: Kurt Eisner)
Die Räterepubliken, die so in einer Reihe deutscher Städte entstanden sind (Bremen, Mannheim, Braunschweig, Fürth, Würzburg, München etc.), sind über das Stadium der Debattierclubs nie hinausgekommen. Der Slogan »Alle Macht den Räten« hatte sich in der Praxis als Unsinn erwiesen, denn Räte sind nun einmal Leute, die über irgendetwas beraten und vielleicht auch zu einem Vorschlag kommen - für die Umsetzung aber braucht man Macht und Führung. Die ist in den Räten schon wegen ihrer Struktur stets zersplittert und darf selbst dann nicht gezeigt werden, wenn sie unter der Oberfläche vorhanden ist.
Die Räterepubliken und mit ihnen die Anarchie sind so schnell untergegangen, wie sie entstanden. Dem »wilden Denken« folgte bald das wilde Handeln und das gegenseitige Zerfleischen aller, die einen Anteil an der Macht haben wollten. Noch nie in der Geschichte hat die politische Idee sich durchsetzen können, man müsse auf klare Strukturen und politische Führung verzichten und könne jede einzelne Entscheidung grundsätzlich durch alle Beteiligten gemeinsam treffen. Menschen brauchen soziale Strukturen, damit sie innerhalb ihres persönlichen Wirkungskreises leben, arbeiten und vor allem: sich orientieren können. Niemand ist im Stande, sich an allen Debatten zu beteiligen, die das politische Leben bestimmen. Also werden bestimmte Kompetenzen delegiert und man beschränkt sich auf die Abwahl. In sehr überschaubaren kleineren Einheiten lassen sich Grundsatzfragen auch durch Volksabstimmungen regeln (Schweiz), aber auch das gelingt nur nach jahrhundertealter Tradition, wenn die politische Kultur eines Landes solche Verfahren zulässt. Im sozialen Umfeld können wir – anders als in der Welt des Geistes - nicht »ohne Geländer leben« (Hannah Arendt).
Also wurden die Räterepubliken und anarchistischen Kreise durch Regierungen ersetzt, die sich nicht nur mit den Kriegsfolgen beschäftigen mussten, sondern darüber hinaus alle Hände voll zu tun hatten. Die Freikorps verrichteten diese blutige Arbeit für die Demokratie. Der Kampf der Kommunisten gegen die Nationalsozialisten spaltete Deutschland in zwei Lager2: »Nachts schwere Depressionen: dieses in zwei Nationen zerrissene deutsche Volk. Zwischen den beiden Nationen die Eiserne Front der Leichen ihrer Männer. Kriegstreiber und Pazifisten; Fußball spielend, Arbeitslose lungern sich herum, ein 83-Jähriger spricht nur als Hüter dieser Art Ordnung«. Die Weimarer Republik, die schon seit Jahren nur über Notverordnungen zu regieren war, stand vor dem Zusammenbruch. »Seit langem warte ich darauf: Jetzt kommt das Große« schreibt Carl Schmitt am 02.06.1930 und nicht nur er hat auf einen Erlöser gewartet, der auch Ernst Thälmann hätte heißen können.
Zur Instabilität der Weimarer Republik haben auch die Intellektuellen beigetragen, zum Beispiel Kurt Tucholsky oder Bertolt Brecht, die sie in ihren schwierigen Phasen oft genug lächerlich gemacht haben. Es fällt mir schwer, diese Erkenntnis zu akzeptieren, denn wenn es jemanden gab, der mir schon sehr früh einen ganz neuen Blick auf die Welt des mittleren Bürgertums verschafft hat, dann waren sie es! Beide, Tucholsky in seiner Anlehnung an Heinrich Heine und Bert Brecht mit seinen Träumereien vom Sozialismus, der für ihn selbst, wie seine elitären Seiten deutlich zeigten, natürlich niemals hätte gelten sollen, gehören in die romantische Tradition, die unter hohem Außendruck in die Innerlichkeit flieht, in Zeiten des Umbruchs aber zur Revolte drängt. Wenn ein System fällt, hat die Vernunft keine Chance, dann regieren die Gefühle.
So chaotisch diese Zeiten insgesamt waren, so herrschte doch innerhalb der jeweiligen Organisationen, also der NSDAP, der KPD, der Organisation Consul oder der Freikorps die strengste Disziplin. In der gesamten politischen Führung war man sich einig, dass nur strenge Autorität und absoluter Gehorsam zum Erfolg führen konnten. Wer nicht gehorchte, riskierte von den eigenen Leuten umgebracht zu werden (Fememorde). Die kaiserlichen Armeen hatten es ihnen eingeprügelt, und diese Lektion hatte gesessen.
Das war die politische Situation, in der Alfred Kroth irgendwann eine Entscheidung treffen musste.
8. Die Machtergreifung
Die Basis für die Möglichkeit der Nationalsozialisten, die Macht zu ergreifen, ist die Tatsache, dass Hitler quer durch alle Parteien in einigen Kernpunkten seiner politischen Botschaft das Ohr aller Deutschen hatte: die innere Bereitschaft, den »Schandfrieden von Versailles« zu korrigieren, konnten nur wenige leugnen und die anderen hat ihr Bild von der Treue zum Staat bei der Stange gehalten, die sie übergangslos von dem kurz zuvor verschwundenen Monarchen auf den »Führer« übertragen haben. Es war ihnen recht, dass die Kommunisten und Sozialisten beseitigt wurden, den wirtschaftlichen Aufschwung hat jeder bejubelt und die dabei entstehenden Schulden nicht beachtet; vom Bau der Autobahnen, dem Einmarsch in das Ruhrgebiet über den »Anschluss« Österreichs und die Zerschlagung der Tschechoslowakei –hätte man über jede einzelne dieser Maßnahmen abstimmen lassen, wären immer wieder deutliche Mehrheiten entstanden. Die grundsätzliche Bereitschaft der Deutschen dazu ist nirgends besser zum Ausdruck gekommen als im Pressetext zu Leni Riefenstahls Film »Triumph des Willens« (1935):
»Und immer wieder spüren wir es mit einer beinahe mythisch zu nennenden Gewalt: wie sehr gehört dieses Volk zu seinem Führer, wie sehr gehört dieser Führer zu ihm! Aus jedem Blick... spricht das Bekenntnis...: wir gehören zusammen. In ewiger Treue zusammen.«
Wenn in diesem Zusammenhang von den Deutschen die Rede ist, darf man nicht übersehen, dass seit 1938 immer auch die Österreicher gemeint sind, die unter den Nazis von Anfang an eine bedeutende Rolle gespielt haben. Hitlers Flucht vor dem verhassten Wehrdienst in der kaiserlich-österreichischen Armee, die ihn nach München führte, beruhte nur auf seinem persönlichen Hass gegen den Vielvölkerstaat, denn dem deutschen Kaiser hat er 1914 gern freiwillig gedient. Seine politische Botschaft hat viele seiner Landsleute begeistert. Wie in der Nachkriegszeit die hohe Zustimmungsrate zur Eingliederung Österreichs in das Reich und die nachfolgenden Pogrome an den Juden, an denen viele österreichische Nazis beteiligt waren, vergessen werden konnten, ist eines der Geheimnisse der Geschichte. Auch Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek haben es nicht aufklären können.
In den Ferienlagern der Hitlerjugend gibt es eine »Thingwand« mit der Inschrift »Wir sind zum Sterben für Deutschland geboren« und davor stehen Zehnjährige mit militärischem Gruss und klingender Militärmusik. Bis 1945 hat sich das nicht geändert. Am Tag der Kapitulation hieß es im letzten Wehrmachtsbericht:« Die Toten verpflichten uns zu bedingungsloser Treue, zu Gehorsam und Disziplin gegenüber dem aus zahllosen Wunden blutenden Vaterland«. Erst die 68 er haben diesen Kadavergehorsam (hoffentlich endgültig) aufgekündigt.
Das Modell des Parlamentes, also eines Ortes, an dem ohne Gewalt um die politische Macht gekämpft wird, ist in der Zeit zwischen 1918-1933 von vielen Seiten offen bekämpft worden. Die Kommunisten wollten die Diktatur des Proletariats, die Nationalsozialisten die Diktatur eines Einzelnen. Er hätte Hermann Göring, Rudolf Hess, Heinrich Himmler, Ernst Röhm, vielleicht aber auch Otto Strasser heißen können, die lange Jahre mit Hitler um die Macht kämpften. Hitler hat sich aus zwei Gründen durchgesetzt: außer ihm gab es niemand, der ausgestattet mit »kältestem Misstrauen« und ohne jede Rücksicht auf andere seinen Weg verfolgte und der (gerade deshalb) ein strahlendes Symbol für das Ideal von Autorität darstellte, in dessen Willen sich Männer wie Frauen bedingungslos hineinwerfen konnten. Diese Formulierung mag pathetisch klingen, aber wenn man sieht, welchen Terror die Deutschen in den folgenden Jahren über andere Menschen gebracht haben, nur um gehorchen zu dürfen und welche Opfer damit verbunden waren, ist es eher noch zurückhaltend ausgedrückt.
Unzählige sprechen davon, wie faszinierend er auf Menschen gewirkt hat. Viele bezeichnen Adolf Hitler als durchschnittlich, aber gerade dadurch ist er auch zum kleinsten gemeinschaftlichen Nenner von Millionen geworden. Gerade weil er - genauso wie Josef Goebbels - auf viele Leute äußerlich so abstoßend wirkte, war seine Wirkung umso größer, wenn sie schließlich widerwillig in den Beifall der anderen einstimmten; denn der hymnische Ton, den er anschlug, wurde nicht nur von ihm, sondern auch von den Rundfunkreportern und der ganzen Presse in vergleichbarer Weise als Stilmittel benutzt - und nicht nur von denen: mein Vater, ein kämpferischer Katholik und unbedingter Gegner der Nazis, begleitete als 19-jähriger eine Jugendgruppe nach Rom und fand Gelegenheit, in Elberfelder Zeitungen darüber zu berichten. Ich habe ihm einmal in den Zeiten unserer Auseinandersetzungen diesen Artikel vorgelesen und dabei nur die Worte »der Papst« durch »der Führer« ersetzt. Das Ergebnis war nicht nur wegen des rheinischen Sprachklangs ein sortenreiner Josef Goebbels Jahrgang 1925!
Die rätselhafte Macht die Hitler ausgeübt hat, ist ihm nur deshalb zugefallen, weil die meisten Deutschen bereits zu einer Zeit, in der noch Widerspruch möglich war, seine Befehle kritiklos hingenommen und sich ihm gebeugt haben. Einer Autorität gegenüber, die sich anmaßend – aber klar – positionierte, waren sie hilflos.
Nicht so Alfred Kroth: hätte er sich im ideologischen Bürgerkrieg zu den Nationalsozialisten hingezogen gefühlt, wäre er irgendwann in seiner Studentenzeit einer der typischen NS-Organisationen beigetreten. Stattdessen entschied er sich für die SPD. Sie war spätestens nach der verlorenen Wahl im März 1933 und dem nachfolgenden Ermächtigungsgesetz ohne jeden Einfluss. Der Entschluss, nun zur KPD zu wechseln, die im Untergrund Widerstandsarbeit leistete und sie sehr viel besser organisierte, war eine logische Entwicklung.
Alfred hat Sympathien für die Linke. Das ist in seiner Lage keinesfalls selbstverständlich. Die Nationalsozialisten rekrutieren sich eine Vielzahl von Anhängern gerade aus den kleinbürgerlichen Kreisen, die ihre Spargroschen in der Inflation vernichtet sahen. Wer aufs Gymnasium geht und hoffen kann, als Akademiker auf der Leiter der Gesellschaft ein paar Stufen höher zu kommen, würde sich eher ihnen anschließen als den Kommunisten. Liest man die Lebensläufe der Genossen, mit denen er später viele Jahre lang im Geheimen zu tun hatte, so findet sich niemand darunter, der studiert oder gar promoviert hätte. Die meisten sind Facharbeiter, der eine oder andere auch Buchhalter, Schriftsetzer oder Journalist.
Also tritt er zunächst dem Sozialistischen Studentenbund, dann (1932) der KPD bei. Der Terror Josef Stalins (hier ein Foto aus dessen Jugendzeit) hatte noch nicht begonnen. Man glaubte an die guten Absichten der Kommunisten. Alfred war wie so viele aus seiner Generation zutiefst davon überzeugt, dass man eine klare Weltanschauung haben müsse. Die alten Werte waren zusammengebrochen, man musste an den neuen Werten arbeiten. Diese jungen Leute hatten noch eine ganz konkrete Anschauung davon, was die Arbeiterklasse war, wie sie unterdrückt und ausgebeutet wurde und wer die Vorteile davon hatte. Es gab klar getrennte Welten und die der Kapitalisten musste unter allen Bedingungen vernichtet werden. Der linke Flügel der Nationalsozialisten (Otto Strasser) traf sich in diesem Punkt mit der KPD und es war lange nicht entschieden, ob er sich nicht gegen Hitler würde durchsetzen können. So kam es zu häufigen Parteiwechseln, je nachdem, wie die taktische Lage gerade war. Am Ende entschied er sich für die KPD. Er wird wie die meisten erkannt haben, dass die SPD und die KPD sich unversöhnlich gegenüberstanden, weil die KPD einen absoluten Führungsanspruch in jeder denkbaren Volksfront stellte. Vielleicht hat ihn gerade das beeindruckt.
Josef Hirsch, Mitglied des Vorstandes der bayerischen KPD, erzählt diese Geschichte in einer umfangreichen Stellungnahme an die amerikanischen Militärregierung vom 29.10.1945:
»Ich lernte Kroth im Spätsommer 1932 kennen. Damals kam K. nach einer Mieterversammlung im Kreuzbräu, in der ich sprach, zu mir und sagte, dass er der kommunistischen Partei (KPD) beitreten wolle… Ich erwog damals bereits den Gedanken, K. , der aus den unteren Kreisen des Volkes stammt, politisch aus der sozialdemokratischen Partei (SPD) kam, einen intelligenten und gewandten Eindruck machte, und vor allem als Kommunist noch nicht bekannt war, in irgend einer Form in eine Gegenorganisation einzubauen. Als K. nach einigen Wochen wieder zu mir kam, eröffnete ich ihm, dass es für die KPD notwendig sei, dass er in die NSDAP eintrete, um uns laufend Material über die von den Nazis geplanten Aktionen, über ihre verschiedenen Mitglieder, über die vertraulichen Besprechungen et cetera zu übermitteln. K. war über diese Eröffnung sehr bestürzt und wollte unter keinen Umständen dieser Aufforderung nachkommen.
Er wollte es sich noch gründlich überlegen, denn er wollte er in die KPD und nicht in die NSDAP eintreten. Nach der Machtergreifung Hitlers arbeitete K. mit mir für die KPD gegen die Nazis bis zu meiner Verhaftung zusammen. Ich wiederholte noch etwa 2-3 mal meine Aufforderung; das letzte Mal mit der unmissverständlichen Drohung, dass diese Aufforderung, in die NSDAP einzutreten, ein Parteibefehl der KPD sei und dass er, wenn er ein treuer Genosse sein wolle, im Interesse der Partei und ohne Rücksicht auf seine eigene Person diesem Befehl nachzukommen habe. Ich wies darauf hin, dass im illegalen Kampf die Informationen aus dem gegnerischen Lager noch wichtiger seien als früher, und ich drohte K. schließlich, dass ich, falls er auf seiner Weigerung bestehen bleiben sollte, später ein Verfahren gegen ihn wegen »Nichtausführung eines Parteibefehl ist in schwerer Zeit« einleiten werde. Daraufhin sagte K. zu. Dies war kurze Zeit vor meiner Verhaftung im Mai 1933«.
Er brauchte einige Monate für seine Entscheidung, er hat sie sich nicht leicht gemacht. Er war jetzt 21 Jahre alt. Den Ausschlag gab offensichtlich der Befehlston, indem Josef Hirsch zu ihm sprach. Dieser Ton passte gut in die Zeit – heute wäre er ein sofortiger Grund für die Absage. Aber damals konnte man auch Leute, die freudig und freiwillig kamen, ohne weiteres in das Schema von Autorität und Gehorsam einsortiert in. Vom Stil her passte das in die Zeit der Ideologiekämpfe, die den Europäischen Bürgerkriegs damals in allen seinen Details kennzeichneten. Überall wurde Militär gespielt und alle fanden das offenbar überzeugend.
Zwischenzeitlich (Januar 1933) war Hitler Reichskanzler geworden und alle Oppositionsparteien wurden verboten und verfolgt. Vermutlich hat auch das den Ausschlag gegeben. Also muss Alfred illegal weiterarbeiten, denn er ist nicht in die Suchscheinwerfer der NSDAP geraten.
Die Erinnerungen von Josef Hirsch sind glaubwürdig. Wäre Kroth Nazi gewesen oder später geworden, hätte Josef Hirsch keinen Anlass gehabt, ihn in Schutz zu nehmen. 1945 hatten die Russen und mit ihnen die KPD gesiegt und hatten keinen Grund, die Unterlegenen zu schonen. In den Ermittlungsakten ist allerdings beiläufig erwähnt, dass sich die KPD auch um Nazis gekümmert habe, die durch die Militärregierung ihren Job verloren und keine Zukunft mehr hatten. In der DDR hat es einige solcher Fälle gegeben. Diese Leute hatten aber von Anfang an auf die Nationalsozialisten gesetzt und in den Jahren zuvor keine Untergrundarbeit für die Kommunisten geleistet.
Im Juni 1933 reist er in die Schweiz und trifft dort geflohene KPD-Funktionäre, um sich Weisungen zu holen. Vermutlich Bruno Goldhammer und Fritz Sperling. Sie werden als politische Flüchtlinge in der Schweiz geduldet und leben im Tessin.
Nach der Rückkunft bewirbt er sich erfolglos bei der NSDAP: Seit März 1933 hatten sich unzählige Leute als neue Parteimitglieder bei der NSDAP beworben – die Märzgefallenen3.Tausende, die bis dahin noch gezögert hatten, strömten in die Partei, um an ihrer Macht teilzuhaben. Im Mai 1933 wurde eine Mitgliedersperre verhängt. Bei Akademikern wurden Ausnahmen gemacht, so etwa Reinhard Höhn (1904), Walter Schellenberg (1910), Werner Best (1903). Besonders Höhn, später SS-Oberführer, machte eine schnelle Karriere im Dritten Reich, verstand es aber nach dem Krieg, die Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft in Bad Harzburg zu gründen, die eine der prägenden Kaderschmieden der deutschen Wirtschaft wurde (Harzburger Modell). Hätte Kroth in erster Linie seine eigenen Interessen verfolgt, wäre er einen ähnlichen Weg gegangen. Wie Josef Hirsch berichtet, lautete sein Auftrag aber, als »Schläfer« in die Partei einzutreten, d.h., nach außen hin möglichst unsichtbar zu bleiben. Also fing er ganz unten, bei der Hitlerjugend an, für die er eigentlich zu alt war. Er hat sich aber eine Begründung einfallen lassen: dort gibt es einen Musikzug, der vor allem für die klassische Musik noch Leute braucht und ihn aufgefordert hat, sich zu bewerben. In dem Musikzug ist auch Wolfgang Sawallisch (geb. 1923), später ein Pianist und Dirigent mit großen Namen.
So wird er genommen, erreicht – aufgrund seines Alters und seiner musikalischen Fähigkeiten – bald den zweithöchsten Rang als Gefolgschaftsführer und trifft dort Helmuth Haselmayrfn Später Produktionschef des bayerischen Fernsehens, dann Ehrensenator der Hochschule für Film und Fernsehen München., einen Jungenschafsführer, den er beim Aufenthalt in einem Hochlandlager unter seine Fittiche nimmt. Da gibt es eine Thingwand, eine Bretterbühne mit markigen Sprüchen (»wir sind zum Sterben für Deutschland geboren«) und jede Menge Geländespiele, die auch brutal werden können. Er rettet Helmuth bei einem solchen Angriff vor viel größeren Schlägern, sie gehen gemeinsam in der Loisach schwimmen, Alfred gibt ihm Geigenunterricht und später treiben sie gemeinsam Sport, vor allem Bergsteigen und Radfahren.
Dabei kommt sein ungeheurer Ehrgeiz zum Vorschein, den er normalerweise unter großer Liebenswürdigkeit zu verbergen weiß. Helmut ist gerade 15, als die beiden mit dem Fahrrad von München nach Garmisch aufbrechen – das sind knapp 100 km – und unmittelbar nach der Ankunft ihre Rucksäcke und Bergstiefel schnüren, um noch am Abend in den Berg einzusteigen und am Höllentalferner im Zelt zu kampieren. Noch im Morgengrauen geht es den damals teilweise ungesicherten Weg vom Ostgipfel zur Zugspitze hoch. Die Seilbahn am Schneeferner Haus funktioniert schon. Trotzdem besteht Alfred darauf, noch am gleichen Tag wieder abzusteigen. Ein Wettersturz! Helmuts Kräfte lassen plötzlich nach, er hat keine warmen Sachen, der Schnee versperrt jede Sicht und nur mit größter Mühe – vielleicht auch unter Lebensgefahr – erreichen sie den Ort. Für den Zug haben sie kein Geld und so geht es den langen Weg per Rad nach München zurück. Dort werden Erfrierungen festgestellt und Alfred muss sich schwere Vorwürfe von Helmuts Vater anhören. Der ist Ingenieur, steht der SPD nahe und der ganze Hitlerjugend-Zirkus ist ihm sowieso nicht recht. Auch der Altersunterschied zwischen den beiden gibt ihn zu denken.
Alfred zeigt hier einen pädagogischen Willen, für andere das zu sein, was ihm selbst gefehlt hat – ein fordernder Vater. Er hat die Probleme seines jüngeren Freundes offensichtlich nicht sehen wollen. Vielleicht wollte er ihn auch zur Härte erziehen, damals eine Modeerscheinung. Hitlers Wunsch, die Jugend möge sein »schnell wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl« fanden auch die KPD-Leute gut. Sie passte in die Zeit Auch später bei seinen Kindern sieht man immer wieder dieser Härte, die er für ein notwendiges Mittel der väterlichen Rolle ansieht. Autorität und Gehorsam sind ein wichtiges Leitmotiv für seine gesamte Generation.
Ein Jahr später, im April 1934 wird er zwei Tage wegen des »Verdachts der Vorbereitung zum Hochverrat« in der Münchener Ettstrasse eingesperrt. Vielleicht ist sein Name irgendwie im Zusammenhang mit anderen Ermittlungen gegenüber den Kommunisten gefallen, vielleicht handelt es sich aber auch um die gestiegene Nervosität, wie sie nach dem Reichstagsbrand und vor der Beseitigung der SA zu beobachten war, die Ende Juni 1934 bevorstand.
Alfred steht mitten in der Examensvorbereitung. Irgendwie kann er den Verdacht entkräften, denn damals waren immer noch eine Vielzahl von Polizisten nicht parteihörig, sondern versuchten, auf der Basis von Tatsachen zu arbeiten. Die Mitgliedschaft in der Hitlerjugend hat zweifellos geholfen. Tatsächlich gab es im Keller der Wohnung eine Druckmaschine, von der nur Kroth und andere Parteimitglieder wussten. Josef Hirsch berichtet: »… Er verteilte Flugblätter, Zeitschriften und anderes Material (darunter besonders das Braun-Buch über dem Reichstagsbrand) und ließ 1934 sogar die Vervielfältigung der ehemaligen kommunistischen Zeitung »Neue Zeitung« in seiner Wohnung zu. Außerdem verbarg er eine Bibliothek des kommunistischen Jugendverbandes bei sich.« Im Zuge des Ermittlungsverfahrens befragten die Beamten auch Anna Kroth, seine Mutter. Sie wusste nicht, dass in ihrem Keller noch aus früheren Zeiten eine Vervielfältigungsmaschine für Flugblätter stand. Kroth bat einen seiner kommunistischen Parteifreunde, sie dort abzuholen und sich den Schlüssel zum Keller von der Mutter geben zu lassen. Aufgrund seines auffälligen Verhaltens wurde er verhaftet und man fand einen Zettel bei ihm »Mutter weiß nichts«. Man konnte diesen Zettel aber auf nichts beziehen und daraus keinen konkreten Vorwurf herleiten. Vermutlich konnte der Helfer sich herausreden. Das ist die einzige Untergrundgeschichte, die Alfred Kroth seinen Kindern je erzählt hat.
Wenige Monate später, im Juli 1934 zerstörte Hitler seine Privatarmee, die SA, in dem er deren Chef, Ernst Röhm und etwa 200 weitere Parteimitglieder und politische Gegner, die auf einer Todesliste standen, ohne Gerichtsverfahren erschießen ließ. Vorher hatte er einen Deal mit der Spitze der Reichswehr gemacht und ließ sie danach den Fahneneid auf sich persönlich leisten. So ersetzte er die illegale durch die legale Armee. Nur ein gutes Jahr nach der Machtergreifung war diese Tat spektakulär und wurde wegen ihrer offensichtlichen Rechtswidrigkeit unter Juristen, die man noch nicht völlig mundtot gemacht hatte, kontrovers diskutiert. Carl Schmitt, der sie verteidigte4, hat sich damit für alle Zukunft diskreditiert. Kroth, der kurz zuvor aus anderem Anlass verhaftet worden war, hätte auch auf der Liste stehen können.
Da hat er Glück gehabt. Drei Monate später besteht er das Referendarexamen mit der seltenen Note »gut«.
Der Referendardienst (1934-1938) beginnt, er ist unter anderem beim Amtsgericht Fürstenfeldbruck tätig und trifft dort seine spätere Frau, Elisabeth Feistle. Deren Vater ist bei der Post, bläst die Trompete und auch hier passen die musikalischen Interessen wieder zusammen. Er ist ein großer, sehr gut aussehender Mann und seine künftige Frau – wie man auf vielen Bildern sieht – mit ihren tiefschwarzen Haaren eine der Dorfschönheiten, die auch in der Stadt Blicke ernten wird. Sogar Rudolf Augstein, dem erfahrenen Roué, ist sie später einen zweiten Blick wert.
Seine ersten anwaltlichen Erfahrungen macht er im Büro von Rechtsanwalt Dr. Hans Stock, dem Gauführer des NS-Rechtswahrerbundes: er wird Mitglied dort und assistiert ihm bei Ehrengerichtsachen, also zum Beispiel der Bestrafung von Beleidigungen, Schlägereien, vielleicht auch Betrügereien eines NSDAP-Mitgliedes gegen ein anderes. So gerät er auch ins Blickfeld höherer NS-Chargen.
Nebenbei schreibt er an der Staatswirtschaftlichen Fakultät eine volkswirtschaftliche Dissertation, die er im Dezember 1935 mit magna cum laude abschließt.
In den Jahren 1936-1939 festigte sich langsam der Parallelstaat, den die Nationalsozialisten errichtet hatten. Außenpolitische Ereignisse, wie die deutsche Unterstützung des spanischen Bürgerkrieges auf Seiten der Falange (1936-1939) trugen dazu bei. Gleichzeitig verloren die noch erhaltenen staatlichen Institutionen ihre Wirkung. Für Dr. Alfred Kroth, der 1936 zum Gefolgschaftsführer in der H.J (Offiziersrang) befördert worden und nun schon vier Jahre in Parteigliederungen – und nicht zuletzt für deren rechtliche Beurteilungen – tätig war, stellte es nun kein Problem mehr dar, am 03.06.1937 den Aufnahmeantrag in die NSDAP zu stellen (Mitgliedsnummer 4821276). In der NSDAP gab es viele Akademiker, aber sie hoben sich aus der Masse der Parteimitglieder heraus. Josef Hirsch berichtet: »im Jahre 1937 vollzog K. nach nochmaliger Rücksprache mit mir den entscheidenden Schritt und beantragte seine Aufnahme in die NSDAP. Dieser Schritt bedeutete für K. bereits damals ein nicht unerhebliches Risiko, denn es war klar, dass er auf dem Fragebogen der NSDAP seine ganze politische Vergangenheit verschweigen musste. Andererseits war mir klar, dass es K., der inzwischen ein sehr gutes Doktor-Examen abgelegt und durch seine Haft an Reife und Entschlossenheit gewonnen hatte, möglicherweise gelingen konnte, eine einflussreiche Stellung zu erlangen und damit für unsere illegale Tätigkeit von ganz besonderer Wichtigkeit zu werden. Die spätere Entwicklung K' gab mir recht.« Im März 1938 wurde Österreich unter dem Jubel seiner meisten Einwohner besetzt und die Juden in Wien mussten die Bürgersteine wie zuvor schon in Deutschland von ihrem eigenen Blut reinigen. Zwei Monate später bestand Dr. Alfred Kroth das Assessorexamen (»befriedigend bis gut« – eine Note unter den ersten 20 % der Absolventen).
Am 18. Mai bewarb er sich als Jurist beim Reichsarbeitsministerium in Berlin für »Berlin oder München« mit Wunsch nach einer internationalen Verwendung unter Hinweis auf seine englischen Sprachkenntnisse. Die Gauleitung der NSDAP hatte dagegen keine Bedenken. Das Bewerbungsverfahren zog sich allerdings hin und so bewarb er sich parallel im »Werks-und Fiskalreferat« der Stadt München. Das war das Wirtschaftsministerium der Stadt, in der die Elektrizitäts – und Wasserwerke, der Schlachthof usw. betrieben worden. Bei der Bewerbung für beide Jobs hob er seine wirtschaftswissenschaftlichen Qualifikationen hervor. In der Zwischenzeit hat er vermutlich im Büro von Dr. Hans Stock gearbeitet, denn das Referendars-Gehalt entfiel nach dem Assessorexamen.
Die Stadt München gab ihm im September die erste Zusage (Dienstantritt im Dezember als »städtischer Syndikus«) und so verfolgte er die Bewerbung in Berlin nicht mehr weiter.
Am 30.09.1938 schloss Neville Chamberlain das Münchner Abkommen. Die Tschecheslowakei wurde zerschlagen – der letzte außenpolitische Erfolg Hitlers.
Er wohnte immer noch bei seiner Mutter in der Schellingstraße 17 und dürfte spätestens seit dieser Zeit konfessionslos gewesen sein. Die Bindungen zur katholischen Kirche, die ihn als Schüler und Studenten unterstützt hatte, waren zum Zeitpunkt seines Eintritts in die KPD noch nicht zerschnitten. Wie Josef Hirsch berichtet, war seine erste Frage, » ob es notwendig sei, dass er als Kommunist aus der Kirche austreten müsse.« Gewiss hängt seine Frage mit dem Problem zusammen, dass er bei einem Austritt aus der katholischen Kirche das Stipendium verlieren würde. Hirsch erklärte, das sei keinesfalls erforderlich. Später ist er ausgetreten, möglicherweise im Zusammenhang mit dem Eintritt in die NSDAP.
9. Gefährliches Doppelspiel
Einem jungen Juristen mit herausragenden Noten, nicht nur auf dem Gebiet der Volkswirtschaft promoviert, sondern auch mit englischen Sprachkenntnissen, stand trotz der schwierigen wirtschaftlichen Zeiten jede staatliche Stellung, aber auch jedes große Unternehmen offen. Alfred Kroth hat sich nur bei zwei Stellen beworben und von beiden Zusagen erhalten. Sein Interesse galt offensichtlich nur dem öffentlichen Dienst, nicht der Privatwirtschaft. Die Gründe liegen auf der Hand: er sollte als »Schläfer« in eine Position gelangen, in der es ihm möglich war, seiner Partei geheime Nachrichten zu erschließen, die von außen nicht zugänglich waren. Er hätte auf die Zusage des Ministeriums in Berlin warten können, aber vielleicht spielten da auch persönliche Gründe hinein: er war noch nie außerhalb Münchens gewesen, lebte bequem bei seiner Mutter, seine Freundin in Reichweite und die Freizeit-und Sportmöglichkeiten Münchens spielten gewiss auch eine Rolle (er war ein sehr engagierter und ehrgeiziger Bergsteiger). Kurz: das ganze soziale Umfeld hätte er mit einer unbekannten Situation in Berlin tauschen müssen, von der er auch nicht annähernd wissen konnte, ob er dort seine geheimen Aufgaben erfüllen könnte. In München hatte er die ganze Infrastruktur, in Berlin nichts. Und außerdem saßen seine Leute in der Schweiz. Er suchte sie in den folgenden Jahren mehrfach auf, wobei er das als Urlaubsreise eines Bergsteigers tarnen konnte.
Am 1.10. 1938 begann er als angestellter Jurist im »Werks-und Fiskalreferat der Stadt München mit der Berechtigung, den Titel »Städtischer Syndikus« zu führen. Dort geriet er in das Blickfeld des Juristen Dr. Jobst, der als persönlicher Referent des Oberbürgermeisters dessen Büro führte und ein Jahr früher ins Amt gekommen war. Er begriff sofort, dass er diesen begabten Mann vielfältig einsetzen konnte.
Im Mai 1939 reist Kroth in die Schweiz, nach Jugoslawien und Italien, wobei er mit Sicherheit die exilierten Genossen getroffen und über seine neue Position und ihre Möglichkeiten berichtet hat.
Es muss ein Schock für ihn gewesen sein, als Hitler und Stalin am 24.08.1939 den Nichtangriffspakt schließen, der den Zweiten Weltkrieg ermöglicht, weil beide sich die Beute Polen kampflos teilen wollen. Als dieser Vertrag öffentlich wird, gibt es in allen kommunistischen Parteien Europas einen Aufschrei! Die ganzen Kämpfe der letzten Jahre gegen die Nazis sollen sinnlos gewesen sein? Liest man die historischen Dokumente, erschüttert einen die Naivität der Kommunisten weit mehr. Hitler und Stalin haben in jeder einzelnen ihrer Entscheidungen immer die Machtpolitik vor irgendwelche ideologischen Erwägungen gestellt. Es war ihnen völlig gleichgültig, ob eine Entscheidung in irgendein ideologisches Konzept passte, wenn sie nur der Erweiterung der eigenen Macht diente. Von Hitler hat man nie etwas anderes angenommen, aber Stalin wusste seine Absichten immer besser zu verstecken. Nun war das nicht mehr möglich. George Orwell, der kurz vorher in Spanien für die Linke gekämpft hatte, war von dem Vorgang so angewidert, dass er 1984 schrieb, um sich von diesem Trauma zu befreien. Kroth hatte sich schon als Student für die Linke entschieden und musste nun sehen, wie sie mit den Nationalsozialisten kooperierte. Ihm muss eine Welt zusammengebrochen sein. Gleichzeitig ist nicht zu übersehen: diese Entwicklung machte seine Position sicherer! Wäre er entdeckt worden, hätte er in dieser Phase noch eher eine Chance gehabt, davon zu kommen als nach dem Überfall auf Russland. Er durfte sich vorerst sicherer fühlen. Engen Freunden gegenüber wie Helmuth Haselmayr war er aber auch unvorsichtig: er erzählte ihm um 1939 , er habe den Oberbürgermeister im Haus der Kunst beim Vortrag begleitet, Hitler habe unmittelbar gegenüber gesessen und er habe sich gefragt, ob er eine Chance gehabt hätte, ihn zu töten.
Als Kroth im Januar 1940 zum Grundwehrdienst nach Garmisch-Partenkirchen einberufen wurde, blieb viel Arbeit an Dr. Jobst hängen. Also stellte er im September 1940 den Antrag, Kroth als persönlichen Mitarbeiter zu bekommen und überzeugte den Oberbürgermeister davon, diesen Antrag zu unterstützen. Die später einvernommenen Sekretärinnen usw. sagen übereinstimmend, Dr. Jobst habe sorgfältig dafür gesorgt, den Zugang zum Oberbürgermeister für sich zu reservieren. Kroth war der Zuarbeiter für Dr. Jobst, ein »wertvolles Arbeitstier« (Josef Hirsch) die Ergebnisse trug er in der Regel nicht vor. In dieser Position erhielt er Zugang zu Verschlusssachen. Darunter befanden sich Berichte der Sicherheitsdienste der NSDAP (SD) über »Geheimbefehle« der Partei, die ihn zugänglich waren. So berichten jedenfalls Bruno Goldammer und Josef Hirsch im späteren Entnazifizierungsverfahren. Das Doppelspielt hat ihm nervlich zugesetzt. »In seinem Personalakt befindet sich ein Auszug aus den Akten der Gestapo, wo K' s Zugehörigkeit zur SPD, seine Sympathie für den Kommunismus und seine Verhaftung genau vorgemerkt sind. Aus all diesen Gründen musste K. während der ganzen Zeit seine politische Belastung durch seine Arbeit für die Nazis und durch seine äußerlich einwandfreie »nationalsozialistische Haltung« kompensieren.« (Josef Hirsch) »Fräulein Mayr bestätigt auch, dass K. mehrere Male nach Besprechungen mit Fiehler und Jobst derartig deprimiert und seelisch erschüttert war, dass er auf dem Sofa in seinem Büro liegend mit ärztlichen Medikamenten wieder aufgerichtet werden musste.« (Josef Hirsch). Obwohl sich während seiner Dienstzeit (mit Ausnahme einer umstrittenen Einvernahme im Zuge des Komplexes »Weiße Rose« 1944) offenbar kein Verdacht gegen ihn richtete, hat er sich niemals um Karriere bemüht. Seine Leistungen wurden allerdings fachlich sowohl vom Oberbürgermeister5 wie von anderen Stellen, mit denen er in Kontakt kam (Deutscher Städtetag) anerkannt.
Nur eine Woche nach dem Nichtangriffspakt, am 01.09.1939 fielen Hitler und Stalin über Polen her. Hinter der Wehrmacht waren verschiedenen SS-Einsatzgruppen und das berüchtigte Polizeibataillon 101 nachgerückt. Sie hatten den Auftrag, alle Juden in Polen, Lettland und Litauen zu liquidieren, getarnt als Partisanenbekämpfung.
Dazu wurden ganze Regionen abgeriegelt und diese Aufgabe übernahm die Waffen SS, aber auch die Wehrmacht, deren Soldaten sehr schnell merkten, was hinter den Barrieren geschah. Sowohl die unmittelbaren Täter als auch die Soldaten, die sie beobachteten, berichteten ihren Angehörigen in Deutschland und fügten trotz der Postzensur Fotografien bei, aus denen klar erkennbar ist, dass es sich dabei nicht um Partisanenbekämpfung handelte. Nach wenigen Monaten wurde Adolf Hitler gemeldet, Polen sei »judenfrei«. Diese Nachrichten wurden nicht in der allgemein zugänglichen Presse kolportiert, aber von einzelnen Personen von Mund zu Mund weitergegeben. Innerhalb der Parteiorganisationen dürfte offener gesprochen worden sein. Anders als andere politische Verbrechen konnte aber die wahllose Liquidation der jüdischen Bevölkerung durch keine politischen Überlegungen mehr gerechtfertigt werden. Sie wurde daher offiziell totgeschwiegen. Aber die Nachrichten drangen über viele Kanäle auch ins Ausland. Man wird davon ausgehen können, dass Alfred Kroth entweder intern über die Partei oder über seine kommunistischen Gewährsleute in der Schweiz davon erfahren hat. Umso mehr ein Grund, an seinen Plänen festzuhalten, das System zu unterwandern.
In seiner jetzigen Position, die sich mehr mit Sachfragen als mit politischen Inhalten beschäftigte dürfte er keine im wesentlichen geheime Nachrichten erfahren haben, auch wenn man ihn schon Anfang 1940 sehr schnell zum städtischen Amtsrat beförderte. Also bemühte er sich darum, näher ins Zentrum der Macht zu kommen.
Im Entnazifizierungsverfahren kam die nahe liegende Frage auf, ob er nicht nur um eigener Vorteile (auch um den Wehrdienst zu vermeiden) willen in die Partei eingetreten und sich ein regierungsnahes Amt gesucht habe. War er ein Opportunist?
Am 12.11.1945 schreibt Kurt L. Eyermann, ein untergeordneter Ermittlungsbeamter (Private First Class) einen fünfseitigen Bericht, der äußerst negativ klingt: »das Bild, das sich ergibt, zeigt Kroth als einen Nutznießer schlimmster Sorte, der nicht zögern würde, etwas zu tun, solange es in seinem Interesse liegt und so viele Bestätigungen und Aussagen zu bekommen als wie nur möglich ist. Unter den vielen von ihm genannten Leuten… braucht man nur den Bestätigungen von Herrn Steinmetz und Frau Herta Fischer Aufmerksamkeit zu schenken.« Wie sich später herausstellt, ist Steinmetz ein früherer NSDAP-Mann, vorbestraft, der versucht, sich durch Anschwärzen von Parteigenossen beliebt zu machen, Frau Fischer eine neidische Nachbarin. Gegen die Aussage von Josef Hirsch wird ins Feld geführt, er habe den Bericht nicht selbst geschrieben da er nur Eisenbahnhelfer gewesen sei. Wahrscheinlich habe Kroth ihm die Aussage aufgesetzt. Tatsächlich spricht einiges für diese Annahme: das Protokoll des Spruchkammerverfahrens vom 11.12.1946 weist viele Einzelheiten auf, die nur Kroth selbst wissen konnte. Sie finden sich in der Aussage von Josef Hirsch wieder. Kroth muss sie ihm erzählt haben. Aber Josef Hirsch hat sie ihm auch geglaubt und damit auch das als eigene Erklärung akzeptiert, was er nur vom Hörensagen wissen konnte.
Der Ermittler wirft ihm auch vor, im Fragebogen, den er gegenüber den Amerikanern abzugeben hatte, bei seiner Parteimitgliedschaft das Jahr 1937 genannt und die Mitgliedschaft bei der Hitlerjugend verschwiegen zu haben. Tatsächlich haben beide aber nichts miteinander zu tun. Wer Hitlerjunge war, war nicht Parteimitglied. In der öffentlichen Diskussion um die Parteimitgliedschaften von Walter Jens und Günter Grass wird immer wieder hervorgehoben, sie seien »hinter ihrem Rücken« in die Partei übernommen worden. Man hat die Unterschiede also immer klar gesehen. Auf das entscheidende Problem geht der Ermittler nicht ein: Nicht nur Josef Hirsch, sondern auch andere Zeugen bestätigen eindeutig, dass er Mitglied der KPD gewesen ist und damit während der ganzen Dienstzeit das Risiko lief, dass diese Mitgliedschaft entdeckt würde. Dr. Josef Heinhold, ein alter Studienfreund meldet sich, nachdem er den Bericht in der Süddeutschen Zeitung gelesen hat. Ihm sei bekannt, dass Kroth seit 1931/32 Kommunist sei. Noch im Sommer 1944 habe er in seiner Wohnung gesprächsweise einem kleinen Auditorium die philosophische Basis des Kommunismus erklärt. Er sei nicht im mindesten erstaunt gewesen zu hören, dass er ein Untergrundkämpfer gewesen sei. Der Studienrat Richard Vogel begegnete ihm 1934 im Haus des jüdischen Chemikers Dr.Mugdan, mit dem er musizierte. Dort sei seine Mitgliedschaft zur KPD bekannt gewesen. Seinen Eintritt in die Heimat habe er wie folgt kommentiert: »Ich werde auch in meinem Braunhemd Kommunist bleiben. Man muss den Feind mit seinen eigenen Mitteln schlagen« »Ich habe Herrn Dr. Kroth angeboten, diese Erklärung abzugeben, als ich las, dass Zweifel an seiner kommunistischen Haltung aufgekommen seien«. Der Schneider Johann Masilko, ein Nachbar in der Isabellastraße 11: »Bis zu seiner Verhaftung 1934 war die Wohnung von Frau Kroth geradezu ein Asyl für Juden. Ein Freund von Dr. Kroth, der Jude Georg Josephstal lebte zeitweise dort und brachte jüdische Freunde mit, die nach Palästina auswandern wollten und keine Wohnung mehr hatten... Es müssen etwa 15-20 Personen gewesen sein. Ich musste ihn verschiedentlich warnen, und ihn bitten sorgfältiger zu sein und sich in der Art und Weise seiner Rede zurückzuhalten… auch während der Zeit, als Dr. Kroth für den früheren Oberbürgermeister Fiehler arbeitete, hatte ich keinen Zweifel daran, dass er in seinem Herzen Kommunist geblieben war. Die Nachbarin Senta Federmann, Halbjüdin und Verlagssekretärin berichtet davon, er habe niemals mit »Heil Hitler« begrüßt (was auch der Hausmeister bestätigt) und ihrem Chef dabei geholfen, ein Visum für die Schweiz zu bekommen, als dies auf Schwierigkeiten stieß. Verschiedene Zeugenaussagen zeigen, dass er in bestimmten Stresssituationen nicht an sich halten konnte, kritische Äußerungen über die Nationalsozialisten zu machen, obwohl ihm klar sein musste, wie gefährlich das war. Ilse Oiser begegnet ihm als Kurgast im Sommer 1943 in einem Hotel nahe Rosenheim. Dort habe er in bestätigender Weise über die kommunistische Ideologie gesprochen. Zurück in München habe sie ihrem Vorgesetzten, dem Ministerialdirektor Dr. Mensens berichtet, sie halte ihn für einen Kommunisten. Sie habe dies deshalb gesagt, weil ihr Chef ein Anti-Nazi gewesen sei und Dr. Kroth gewiss nicht denunzieren werde. Kroth habe damals Werner Sombarts Buch » Proletarischer Sozialismus« gelesen.
Anton Kern, der ihm im September 1944 als Soldat in Augsburg begegnete, berichtet über Bemerkungen gegen die Nazis gegenüber den Kameraden ebenso wie Walter Schönleben, der vor allem das Karteikartensystem hervorhebt, anhand dessen er die Unterschiede zwischen der Ideologie der Kommunisten und der Nationalsozialisten erklärt habe. Einer der Kameraden habe nach Schweden desertieren wollen und er habe von Dr. Kroth dazu einen guten Rat bekommen. Den Krieg habe er als kriminell bezeichnet. Ebenso äußert sich der Soldat Ferdinand Herzogenrath. Auch er war von dem Karteikartensystem beeindruckt. Ständig habe er daran gearbeitet.
Diesen zahllosen Erklärungen finden sich im Staatsarchiv in englischer Sprache. Sie sind stilistisch sehr einheitlich, lassen also nicht eine individuelle Formulierung dessen erkennen, von dem sie stammen. Allerdings stehen diese deutschen Originale nicht zur Verfügung. Diese Übersetzung kann ein einheitliches stilistisches Bild erzeugt haben. Ähnlich wie bei der Erklärung von Josef Hirsch darf man vermuten, dass Kroth bei der Abfassung der Erklärungen geholfen hat und ebenso ändert das nichts an der Tatsache, dass sie von den Leuten in der beurkundeten Fassung persönlich akzeptiert worden sind. Es findet sich hier auch eine Erklärung von Anna Feistle, seiner Schwiegermutter die man – wie vielleicht auch andere persönlich gefärbte Aussagen – unberücksichtigt lassen kann.
Schließlich sprechen weitere Argumente für sein Doppelspiel: jedenfalls bis zum Eintritt der US-Amerikaner in den Krieg und der Niederlage bei Stalingrad (Januar 1943) waren nicht nur die Parteimitglieder, sondern auch viele andere Deutsche fest davon überzeugt, das Regime werde tausend Jahre erleben. Diese Meinung hat er offensichtlich nicht geteilt, denn bei seiner Begabung hätte er gewiss auch auf höheren Ebenen als der Stadtverwaltung Karriere machen können. In den Parteigliederungen, vor allem der SS, die viele Akademiker anzog, sieht man solche Karrieren. Er hat sie vermieden. Aber entscheidender noch ist sein Verhalten nach 1945: wäre er nur aus taktischen Gründen Mitglied der KPD geworden, um sich für den Fall einer Niederlage des NS-Regimes rückzuversichern (was einige ihm unterstellt haben), wäre es ein Leichtes gewesen, einer Partei schleunigst den Rücken zu kehren, die in Westdeutschland keine Erfolge erzielen konnte. Viele ehemalige Kommunisten sind der SPD beigetreten und haben ihre politische Erfahrung dort eingebracht. Er hat das nicht getan, sondern war noch lange Jahre nach Kriegsende loyal zur Partei. Natürlich hat sie ihn auch reich gemacht. Aber das beruhte auf historischen Zufällen, auf seiner Fähigkeit, den Mantel der Geschichte zu ergreifen, wenn er vorbei weht.
Für seine innere Haltung während der NS-Zeit lassen sich daraus keine Argumente gewinnen. Hätte er innerhalb der Partei eine absichernde Karriere machen wollen, wäre es nahe gelegen, das Amt eines Reichhauptstellenleiters anzustreben, dass ihm angetragen wurde (bestätigt durch seinen Vorgesetzten Dr. Jobst). Das hat er abgelehnt.
Und schließlich: bei einer Entdeckung war die Todesstrafe sicher. Eine ziemlich hohe Versicherungsprämie, wenn nur das sein Motiv gewesen wäre.
Vor dem Wehrdienst schützte ihn seine Position immerhin bis August 1944: vom Januar bis November 1940 musste er zwar zur Grundausbildung bei den Funkern einrücken, wurde aber schon im September auf entsprechende Anträge hin in das Büro des persönlichen Referenten des Oberbürgermeisters Fiehler, Stadtdirektor Dr. Jobst als dessen rechte Hand versetzt. Andere Leute – die vermutlich nicht zur NSDAP gehörten – wurden an die Front versetzt.
Von einer wichtigen Randposition in der städtischen Hierarchie, die zum Beispiel für die Versorgung der Bevölkerung, die Vergabe von Lebensmittel-Marken, vielfache Planungsleistungen und die Infrastruktur der Stadt verantwortlich zeichnete, war er nun im Zentrum des Orkans angekommen. Damit war auch der Wehrdienst kein Thema mehr. Es konnte geheiratet werden. Die jungen Eheleute wohnten bei der Schwiegermutter in der Schellingstraße 17.
Im Juni 1941 bricht Hitler das Bündnis mit Stalin und greift Sowjetrussland an. Wie schon in Polen werden hinter der Front wahllos die russischen Juden vernichtet, in den baltischen Staaten zum Teil auch durch Pogrome, an denen die örtliche Bevölkerung sich beteiligt.
Damit hatte Hitler den seit Bismarck gefürchteten Zwei Fronten Krieg eröffnet. Die Anfangserfolge im trockenen Sommer schienen ihm wieder recht zu geben.
Am 25 November 1941 – ernannte Oberbürgermeister Fiehler Alfred Kroth zum städtischen Rechtsrat und Beamten auf Lebenszeit und versetzte ihm als Sachbearbeiter für rechtliche Fragen in sein »persönliches Büro«, das von Dr. Jobst6 geleitet wurde. Spätestens jetzt war er genau an der Stelle, an der die KPD ihn sehen wollte. Zugleich zeigte die Beförderung aber auch, dass man seine Arbeit und ihn selbst als Parteigänger der NSDAP schätzte. Dieser Schizophrenie kann kein Spion entkommen, der seine Sache richtig macht. Gleichzeitig mussten ihm seine geschichtlichen Kenntnisse sagen: Hitlers Kampf gegen die Sowjetunion war eine schlechte Kopie der Angriffe Napoleons, seine Kriegsziele waren völlig unklar und wichtige Verbündete, wie zum Beispiel die Ukraine wurden genauso schlecht behandelt, wie die Gegner. Die Irrationalität Hitlers zeigte sich, als seine Truppen kurz vor Moskau im Schnee stecken blieben. Anstatt sich zurückzuziehen, wurde die Frontlinie um Stalingrad verstärkt, um wenigstens im Süden auf die kriegswichtigen Ölfelder von Baku vordringen zu können.
Wenige Tage später, nach dem Angriff auf Pearl Harbor (07.12.1941) erklärte Hitler am 11. Dezember auch noch den USA den Krieg. Das war die dritte Front, an der er auf jeden Fall scheitern musste, denn der Kriegseintritt der USA hatte schon den Ersten Weltkrieg entschieden. Ein klares Selbstmordsignal, das vor allem von ausländischen Beobachtern richtig verstanden wurde. Unzählige Immigranten jubelten! Thomas Mann sprach im US-Rundfunk. Man kann sicher sein, dass Alfred Kroth diese Zeichen richtig gedeutet hat. Von da ab konnte er sich auf ein Ende des Krieges einstellen und er tat alles, um ihn zu überleben.
Etwa ein halbes Jahr später, am 16.04.1942 wird der Steuerberater Hermann Frieb7, ein Schulkamerad aus der Schellingstraße, zusammen mit seiner Mutter Paula verhaftet. Beide sind Mitglieder der SPD und gehören der Widerstandsgruppe Neu Beginnen an. Eine Ferienwohnung wird durchsucht, Waffen und Munition gefunden. Frieb wird sofort zum Tode verurteilt und am 12.08.1943 hingerichtet. Paula Frieb gibt am 28.10.1945 gegenüber der Militärregierung folgende Erklärung ab:
»Kroth ist eine der besten Kommunisten, die ich jemals gekannt habe; ich habe den höchsten Respekt für ihn und für seinen Kampf gegen die Nazis… weder ich noch mein Sohn waren je Kommunisten, wir gehörten zur Sozialdemokratischen Partei.« Die Erklärung enthält allerdings keinerlei Aussagen, dass Kroth an den Aktivitäten ihres Sohnes, für die er zum Tode verurteilt worden war, direkt oder indirekt beteiligt gewesen sei. Da sie selbst zu 15 Jahren Haft verurteilt worden war, hätte es nahe gelegen, zur Entlastung Kroths weitere Details auszuführen.
Im Juni 1942 werden die Vernichtungslager mit Zyklon B in Betrieb gesetzt und in der Folgezeit Millionen Juden vergast.
Anfang Dezember 1942 wird Kroth Leiter der Hauptstelle im Büro des Leiters des Amtes »Abteilung Kommunalpolitik« der NSDAP. Das ist ein Organisationsjob, für den er eine Aufwandsentschädigung von 150 Reichsmark erhält. Er soll Kontakt zu Kommunalverbänden und anderen großen Kommunen zum Zweck des Erfahrungsaustausches pflegen und die Einhaltung der Parteilinie überwachen. Die einzige offizielle Position in der Partei, die er übernommen hat. Wie die Quellen zeigen, hat er sie auch deshalb bekommen, weil er in der NSDAP der einzige Fachmann für kommunale Angelegenheiten war. Vermutlich hat ihn sein unmittelbarer Vorgesetzter, Dr. Jobst empfohlen, der Geschäftsführer des Deutschen Städtetages war. Bisher hatte er Einblick in die Stadtverwaltung Münchens, nicht aber in die Angelegenheiten der Partei, soweit sie nicht im Verwaltungsgeschehen sichtbar wurden. Man hat ihm später im Entnazifizierungsverfahren die Übernahme dieses Parteiamtes vorgehalten. Nicht zuletzt auch die Vergütung. Erneut zeigt sich das Problem des erfolgreichen Agenten: die Position in der Partei eröffnete ihm neue Quellen, neue Netzwerke, neue Verbindungen. Gleichzeitig konnte sie nach außen hin nur als besondere Gefolgschaftstreue zu den Nazis interpretiert werden. Dieses Risiko war unvermeidlich.
Nur einen Monat später wird die Sechste Armee unter Generalfeldmarschall Paulus in Stalingrad vernichtend geschlagen. Am 09.03.1943 kommt das erste Kind, die Tochter Gabriele zur Welt. Helmuth Haselmayr wird Pate. Er erhält eine Gehaltserhöhung – und wird, wie er später berichtet, kurz danach verhaftet. Dokumente dazu finden sich in den Akten nicht. Es soll im Zusammenhang mit der Flugblattaktion der Geschwister Scholl geschehen sein, die am 24.02.1943 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und sofort hingerichtet worden waren. So hat Kroth sich im Entnazifizierungsverfahren eingelassen. Man kann seine Darstellung weder bestätigen, noch widerlegen.
Auffällig ist aber, dass er danach ohne weitere Probleme in seinen beiden Ämtern verblieb und seine Vorgesetzten ihn schätzten: der Oberbürgermeister bemühte sich nachhaltig, ihn als Kriegswaisen und unverzichtbaren Fachmann vom Wehrdienst freizustellen und das gelang ihm auch, obwohl der diesbezügliche Führererlass im Herbst 1943 aufgehoben wurde (beim »Heldenklau« wurden auch bis dahin unantastbare Parteigrößen oder Teilinvaliden eingezogen) bis August 1944. Er hatte auch parteiintern keinerlei Nachteile durch seine Verhaftung. Allein der Verdacht, im Zusammenhang mit diesem spektakulären Fall in der Opposition gestanden zu sein, hat andere Leute vernichtet. Es ist nicht auszuschließen, dass er aufgrund anderer – uns unbekannter – Vorwürfe in Untersuchungshaft kam und die Zeitgleichheit mit der Aktion der Geschwister Scholl später für sich nutzte, um den Vorfall vor den Ermittlungsbehörden günstig darzustellen. Oder er ist möglicherweise gar nicht verhaftet worden.
Im März 1944 beantragt er eine Kur im Allgäu, das Haus in der Schellingstraße wird von Bomben getroffen und er zieht mit Frau und Kind in die Isabellastraße elf.
Aber am 31.08.1944 wird er erneut zur Wehrmacht einberufen. Damit endet auch das Parteiamt. Er vermeidet bewusst die Einziehung zu Offizierslehrgängen (die ihn zunächst einmal vor der Front bewahrt hätte) und bleibt einfacher Funker. Später sagt er einmal gesprächsweise, man solle in Kriegszeiten ohnehin die Nase nicht so weit nach oben strecken. Aber tatsächlich wird ihm daran gelegen sein, an Funksprüche zu kommen und von Amts wegen Auslandssender abzuhören, worauf sonst die Todesstrafe stand. Mit viel Glück kann er den Fronteinsatz vermeiden.
Am 28.04.1945 geht er nach Fürstenfeldbruck, zieht sich im Haus seines Schwiegervaters die Uniform aus und nimmt Kontakt zum Landrat auf. Das Vorhaben gelingt, aber es ist Fahnenflucht. Es war nicht ungefährlich, zu desertieren (man konnte auch denunziert werden!), denn die Kapitulation erfolgte erst am 8. Mai und gerade in diesen letzten Tagen sind viele Überläufer oder Leute, die sich nicht eindeutig identifizieren konnten, von den Feldjägern oder der SS am Wege ohne weiteres erschossen worden. Es hat auch Fälle gegeben, in denen eine Stadt sich mit weißen Fahnen ergab, danach aber von SS Truppen wieder erobert worden. Dieses Risiko ist er eingegangen. Die Amerikaner stehen unmittelbar vor der Stadt. Er geht den Besatzungstruppen mit einer weißen Fahne entgegen, um die Stadt zu übergeben und Kampfhandlungen zu vermeiden. Eine eidesstattliche Erklärung von elf Zeugen vom 27.06.1946 bestätigt das.
Er muss nahezu am gleichen Tage mit seinen Genossen in der Schweiz in Kontakt getreten sein, denn die sind schon eine Woche später in München. Josef Hirsch, Ludwig Ficker, Albert Frank und Josef Wimmer bestätigen ihm schriftlich die Zugehörigkeit zur KPD und seine illegale Tätigkeit gegen das Naziregime. Er weiß, dass er diese Papiere bald bitter nötig haben wird.
10. Aus der Versenkung
Nach der Kapitulation übernimmt die US-Militärregierung die politischen Entscheidungen in Bayern. Man arbeitet nach Modellen, die schon lange vor Kriegsende entworfen worden sind. Sie umfassen vor allem die Reintegration der Deutschen, die Darstellung der Kriegsverbrechen, insbesondere der Judenvernichtung und die Rehabilitation der Emigranten. Sie und die Oppositionellen erhalten die ersten Zeitungslizenzen und politischen Ämter.
Die alten Parteien, darunter auch die KPD, werden sofort wieder zugelassen. Aber natürlich gibt es keine freien Wahlen, sie waren nur die geborenen Ansprechpartner der Amerikaner (RMG – Regional Military Government, eine Unterabteilung des OMGUS (Office of Military Government for Germany US)).
Zunächst (vom 28. Mai bis 28.09.1945) setzen sie Fritz Schäffer von der CSU ein (später Finanzminister der Bundesrepublik), dann folgt das Kabinett Wilhelm Hoegner (SPD).
Die KPD hatte es gegenüber den bürgerlichen Parteien nicht leicht, denn ihre arrogante Politik und die harten Straßenschlachten, die sie in der Weimarer Zeit gerade gegenüber den anderen Parteien des linken Flügels geschlagen hatte, waren nicht vergessen. In einigen Bundesländern, so in Bremen und Niedersachsen brachte sie es kurzzeitig zu Ministerposten, konnte aber bis zu ihrem Verbot (1956) in der Bevölkerung keinen Fuß fassen.
Alte Kommunisten wie Herbert Wehner wurden nun Sozialdemokraten. Alfred Kroth ist diesen Weg nicht gegangen. Er blieb bei der KPD, obwohl er sehr schnell merken sollte, dass sie im Westen Deutschlands keine Rolle spielen konnte. Das spricht für seine tiefere innere Bindung an deren politische Ziele und sicher auch für persönliche Freundschaften mit den Parteigenossen, die er seit 1932 in den schwierigsten Situationen kennen gelernt hatte.
Vermutlich schon im Juni/Juli 1945 bietet Oberbürgermeister Karl Scharnagl (CSU), der schon von 1925-1933 dieses Amt innehatte und nun von den Amerikanern wieder eingesetzt worden war, ihm das Amt als Leiter des Ernährungs- und -Wirtschaftsreferates der Stadt München an. Das ist die Schlüsselposition in der Stadtverwaltung,
denn hier geht es um die Verteilung der raren Lebensmittel, die Wiederbelebung der Wirtschaft und den Wiederaufbau der Infrastruktur für die Versorgung von 1 Million Menschen. Scharnagl muss Kroth auch während der NS-Zeit gekannt und vielleicht sogar beobachtet haben. Anders ist es kaum erklärbar, dass er ihm ohne größere Nachforschungen über seine Person und sein Verhalten während der Nazizeit die Leitung einer Behörde anbietet, die großes Vertrauen zwischen dem Oberbürgermeister und seinem führenden Referenten voraussetzt; denn jede Fehlentscheidung wurde nicht nur dem Referenten, sondern auch dem Oberbürgermeister zugerechnet und der Kampf um die Ressourcen würde hart werden. Das wusste er aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg – Scharnagl saß schon 1919 im Münchner Stadtrat. Es war Scharnagls persönliche Entscheidung, denn er war nur den Besatzungsbehörden gegenüber rechenschaftspflichtig. Hätte Scharnagl nicht völlig darauf vertraut, dass Kroth kein Nationalsozialist, sondern ein Undercover Agent der Kommunisten gewesen war und damit moralisch einwandfrei gehandelt hatte, hätte er ihm dieses Amt nicht angeboten. Auch konfessionelle Überlegungen spielten damals eine wichtige Rolle und als konfessionsloser Kommunist war Kroth sicher die letzte Person, die man für ein so wichtiges Amt in Erwägung gezogen hätte – hätte man ihm nicht für einen Mann des Widerstandes und einen besonders fähigen Beamten gehalten.
Kroth hätte auch als untergeordneter Beamter in der NS-Zeit viele Möglichkeiten gehabt, Entscheidungen zu treffen, von denen einzelne Menschen sich ungerecht betroffen fühlten. Kein einziger solcher Fall ist bekannt geworden, auch nicht im Entnazifizierungsverfahren. Dort gibt es allerdings kritische Äußerungen von Nachbarn (von denen im Einzelnen später noch berichtet wird), aber die bewegen sich alle auf der Ebene des Erstaunens über den plötzlichen Wechsel der Weltanschauung und kritisieren die kleinen Vorteile, die man als Parteimitglied zum Beispiel bei der Zuteilung einer Wohnung oder der Lebensmittel hatte. Solche Vorteile konnte er aber nicht zurückweisen, ohne sich verdächtig zu machen. Anders als der NS-Oberbürgermeister Karl Fiehler, ein anmaßender und unfähiger Mann, hatte er sich keine Feinde gemacht.
Karl Scharnagl ernennt ihn am 01.08.1945 zum berufsmäßigen Stadtrat und gibt ihm einen Vertrag auf zwölf Jahre. Gehalt: 10.000 Reichsmark, Wohngeld 2016 Reichsmark, Kindergeld (Gabriele) 240 Reichsmark. Auf diese Zusage kann er später seine Pensionsansprüche stützen, denn das Amt übt er gerade für sechs Wochen aus: die Militärregierung weist den Oberbürgermeister an, Kroth sofort zu entlassen. Erst nach Durchführung der Entnazifizierung könne er gegebenenfalls wieder tätig sein. Gegenvorstellungen bleiben zwecklos. Diese Entscheidung beruht auf allgemeinen Anweisungen, die in Washington auf höchster Ebene getroffen werden. Frühere Parteimitglieder sollen härter behandelt werden. General Patton, ein völlig ideologiefreier Haudegen, wollte das nicht einsehen, aber nachdem er in der Nähe von Bad Nauheim tödlich verunglückt, ändert sich die Wetterlage. So jedenfalls erklärte es der zuständige US-Beamte Parker W. Buhrman. Am 24. September wird Kroth aus dem Amt entlassen.
In der Süddeutschen Zeitung vom 26.10.1945 erschien ein großer Bericht über diese Entlassung mit der Folge, dass sich eine Reihe von Entlastungszeugen meldeten. Der Oberbürgermeister versucht, diese Entscheidung rückgängig zu machen. Am 27.10.1945 schreibt er an Buhrmann:
»Der Fall Dr. Kroth ist eine Angelegenheit von sehr großer politischer Bedeutung. Wir im Stadtrat haben die Meinung, dass Dr. Kroth ein sehr interessierter Kämpfer gegen den Nationalsozialismus war und eine Tätigkeit mit ganz großem Risiko ausübte.« Der Brief bleibt ohne Erfolg.
Schon zwei Wochen später schlägt Ministerpräsident Wilhelm Hoegner (SPD) der US-Militärregierung vor, Kroth zum Staatssekretär im Wirtschaftsministerium zu ernennen. Schon vor der endgültigen Entscheidung nimmt Kroth am 08.10.1945 an der ersten Sitzung der Regierung teil. Diesmal spielen parteipolitische Überlegungen eine Rolle, denn Hoegner will für eine möglichst breite Zustimmung aller vorhandenen Parteien für seine Politik sorgen. Daher ist er an der Mitarbeit der KPD interessiert und will ihr nicht ganz ohne hintergründige Absichten das problematische Wirtschaftsreferat überlassen.
Neben ihm benennt die Partei für Landwirtschaftsfragen Richard Scheringer, einen Großbauern (und früheren Offizier) aus der Nähe von Ingolstadt, dem ein riesiges Landgut gehört und der trotzdem Kommunist ist8. In seinen vielgelesenen Memoiren9 ist die damalige Situation gut dargestellt.
Kroth ist gerade zwei Wochen im Amt, da muss Hoegner ihn wieder abberufen, weil die Militärregierung ihn dazu zwingt. Sie akzeptiert Kroth auch nicht als Mitglied der Landesregierung. In dieser Zeit erfährt er, dass sein Freund Helmuth – Soldat in Erwin Rommels Afrika Korps – in Afrika von den Engländern gefangen gehalten wird. Dem schickt er gleich ein Carepaket – darin auch Marxens Frühschriften. Auf dem Begleitbrief Titel und Siegel des Staatssekretärs. Helmuth, dessen Vater der SPD nahesteht und der ihn nur als Parteigenossen der NSDAP – wenn auch mit gelegentlichen kritischen Untertönen – kennt, versteht die Welt nicht mehr. Ein kommunistischer Agent!
In der Süddeutschen Zeitung finden sich erste Berichte über den zweimal gefeuerten Politiker, den sowohl die CSU als auch die SPD haben wollen – nicht aber die Besatzungsmacht. Kroth steht jetzt ohne Beruf und Einkommen da. Seine Genossen bestätigen ihm zwar im Januar 1946 nochmals, dass er einer der ihren war und er nimmt im Februar 1946 an einer KPD-Parteikonferenz in Berlin teil, in der die bayerische Parteispitze vollständig vertreten ist. Dazu müssen Sie die Zonengrenzen überschreiten. Das ist illegal, er wird festgenommen und verbüßt ab Juni 1946 vier Monate Haft in Landsberg, wo er Filzpantoffel fertigt. Da hat er jedenfalls keine Ausgaben. Vielleicht hat ihn die Partei in dieser Zeit unterstützt.
11. Entlastung
Am 01.07.1946 beginnt das Entnazifizierungsverfahren. Es ist umfassend dokumentiert. Die Militärregierung hat 15 Zeugen aufgeboten, die einerseits seine Mitgliedschaft im Widerstand bestätigen, es gibt aber auch andere, die ihm vorwerfen, aus seiner Mitgliedschaft bei der NSDAP Vorteile gezogen zu haben.
Kroth verteidigt sich selbst. Er legt eine etwa siebzigseitige Zusammenstellung von Dokumenten vor, die sich teils aus kritischen Presseberichten, teils aus eigenen kritischen Bewertungen politischer Vorgänge während der Nazizeit zusammensetzen. Ein Teil dieses Materials gehört zweifellos zu der Kartei, die er im Lauf der Jahre angelegt hatte, um einen Systemvergleich zwischen den Kommunismus und dem Nationalsozialismus anzustellen. Diese Dokumente zeigen, dass er diese Arbeit ebenfalls als subversive Tätigkeit interpretiert hat. Das Material ist im Staatsarchiv München teilweise erhalten. Es beginnt mit Porträts führender Nazis und befasst sich dann mit einzelnen Aspekten der nationalsozialistischen Politik vom Rechtsleben bis zum Rassenwahn usw. In den Porträts ist etwa erwähnt, der Oberbürgermeister erhalte neben seinem Gehalt monatlich noch 3000 Reichsmark Aufwandsentschädigung (etwa das Jahresgehalt eines einfachen Beamten), Göring sei süchtig nach Edelsteinen, Reichswirtschaftsminister Funk ein berüchtigter Säufer. Es wird ein Geheimerlass von Bormann zitiert, dass man nach dem Krieg den Kirchenkampf wieder fortsetzen müsse, die Arisierung wird kritisiert usw. Es gibt keinen Zweifel daran, dass schon für harmlosere Aussagen KZ-Strafen verhängt worden sind. Wenn man sie als Wehrkraftzersetzung oder Vorbereitung zum Hochverrat interpretierte, konnten sie lebensgefährlich sein. Konkrete Hinweise auf gefährliches Material, das er den Parteifreunden ins Exil geliefert hätte, sind nicht vorhanden. Ebenso wenig eine Störung der nationalsozialistischen Aktivitäten, die unter seinen Augen stattfanden. Es hätte etwa nahe gelegen, über die Judenvernichtung nach außen zu berichten, die in den internen »Geheimbefehlen« zweifellos erwähnt worden sind.
Tatsächlich bleibt seine Darstellung sehr im allgemeinen. Es wird nicht konkret gesagt, was er den Genossen im Exil berichtet hat, welche Tätigkeit er für sie entfaltete, ob er wirklich an geheimes Material gelangte und welche Auswirkungen seine Berichte hatten. Die Schwäche dieser Darstellung ist auch dem Gericht aufgefallen. Auch die Genossen berichten in ihren Einvernahmen dazu nichts. Sie wiederholten ihre positiven Aussagen in einer Erklärung vom 26.10.1945. Dort heißt es:
»Dr. Alfred Kroth ist von den Kommunisten sowohl wegen seiner allseits anerkannten fachlichen Qualifikationen als auch wegen seiner Treue und Zuverlässigkeit als Mitglied der kommunistischen Partei vorgeschlagen worden…. In politischer Hinsicht ist Kroths Haltung während des Naziregimes in den Kreisen der wirklich deutschen Antifaschisten über jeden Zweifel erhaben. Kroth hat mehr als einmal den Beweis für außerordentliche Ergebenheit gegenüber den aktiven Antifaschisten erbracht. Entsprechend der grundsätzlichen Anweisung der kommunistischen Partei hat er in direktem Auftrage der verantwortlichen illegalen Funktionäre der KPD seine mit Lebensgefahr verbundene Position innerhalb der Nazi-Organisationen ausgeübt. Er hat den Kommunisten unter ständiger Bedrohung seines Lebens und äußerster Nervenbelastung wertvolles Material für den antifaschistischen Kampf im In-und Ausland zur Verfügung gestellt…. Die Kommunisten und antifaschistischen Teile des Volkes können es nicht verstehen, wenn Männer, die im aktiven Kampfe gegen den Nationalsozialismus ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben, als Mitarbeiter bei den gegenwärtig vor uns stehenden großen Aufgaben abgelehnt werden.«
An anderen Stellen der Akte heißt es: »Er war unser bester Mann in München!«.
Die Erklärungen sind von von Josef Hirsch (Stadtrat), Ludwig Ficker (Staatssekretär) und Bruno Goldhammer (Parteisekretär, Chef der KPD, unterschrieben ist und haben den Sinn die Militärregierung davon zu überzeugen, ihn als Staatssekretär zu bestätigen.
Sie werden auch im Entnazifizierungsverfahren vorgelegt Er selbst schreibt in dem fünfseitigen Lebenslauf, dessen Darstellung auch der Verteidigung dient, vom 09.07.1945 zusammenfassend am Ende:
»Daß das ungewöhnlich gefährliche Doppelspiel, das ich zu führen gezwungen war, meine Nervenkraft in ganz außerordentlichem Maße beansprucht hat – ich habe eine Frau, ein Kind sowie eine alte Mutter – sei am Schluss noch erwähnt. Nur mein sich stets neu entzündender Hass gegen die Nazis, die in einer jeder Menschenwürde Hohn sprechenden Weise das deutsche Volk sowie andere Völker und Rassen unterdrückt und misshandelt, meine Freunde ermordet und auch mich persönlich und meine Familie an den Rand des Nichts geführt haben, ließ mich überhaupt eine Rolle glücklich zu Ende führen, die mir meiner ganzen Person nach, was ich aufs stärkste hervorheben möchte, in keiner Weise liegt. Die Angaben in diesem Lebenslauf sind wahr. Ich bekräftige Sie hiermit an Eides statt.«
Dieser Schlusssatz enthält ein verständliches Plädoyer, aber die dort angedeuteten Tatsachen sollen ein Bild verstärken, dass es in dieser Einheitlichkeit nicht gibt: als er die zweifellos gefährliche Rolle übernahm, war er ledig, die Nazis haben niemanden aus seiner Familie an den Rand des Nichts geführt, und die Zusammenhänge mit den Aktivitäten der weißen Rose und dem Widerstandskämpfer Frieb, die er in anderen Darstellungen andeutet, sind nicht nachweisbar.
Aber eines scheint überdeutlich: Alfred Kroth war kein Mann, der gern im Zwielicht gestanden hat. Er war für besondere Aufgaben begabt, er wäre ein glänzender Politiker, Anwalt oder Unternehmer geworden, vielleicht auch ein Wissenschaftler, Theaterkritiker oder was auch immer. Seine breite Begabung ist unübersehbar. Er hat vielleicht schon in der Schule, spätestens aber beim Studium erkannt, dass seine Chancen als Sohn eines städtischen Offizianten nicht mit den Beziehungsnetzen anderer vergleichbar waren, die aus akademischen oder wohlhabenden Familien stammten. Sein Herz gehörte damals den Verdammten dieser Erde, zu denen er sich trotz seines akademischen Studiums rechnete. Hätte die Weimarer Republik ein paar weitere Jahre überlebt und wären die Nazis nur eine Stimme in der ideologischen Auseinandersetzung geblieben, hätte er einer der führenden KPD-Leute in Deutschland werden können. Und vermutlich hätte er auch dann irgendwann mit steigender Einsicht in die Zusammenhänge die Seiten gewechselt. Aber dass der Idealismus ihn am Anfang zu der Entscheidung bewogen hat, die letztlich sein weiteres Leben bestimmte, daran habe ich keinen Zweifel.
Die Frauen aus der Nachbarschaft Breininger Maria und Fischer Herta (beide Isabella Straße 11) sahen nur die Oberfläche: »Im Haus, in der Nachbarschaft sah man in Dr. Kroth immer einen schweren Nazi, weil es ihm möglich war, sich die meiste Zeit von Heeresdienst zu drücken, andererseits wurde er fast täglich mit einem Taxi oder anderen Kraftwagen in der Wohnung abgeholt und dazu war er auch verschiedentlich in brauner Parteiuniform… Allgemein wurde kritisiert, dass er nach Ausbombung in der Schellingstraße die bisher große Wohnung in der Isabellastraße zugewiesen erhielt, während man für andere nichts übrighatte. Und nun nach dem Einmarsch der amerikanischen Truppen sind die Nichtparteigenossen erstaunt und fühlen sich vor den Kopf geschlagen, weil er als großer Nazi nun anscheinend schon wieder einen guten Posten innehat und dazu noch im eigenen Kraftwagen fährt… Man betrachtet ihn als einen Konjunkturritter.«. (Andere Zeugen wollen nichts von einem Auto wissen: er sei immer mit dem Fahrrad zum Amt gefahren).
Mitten in diesen Ausführungen, die gegen Ende offensichtlich vom Bericht in die Bewertung wechseln, steht ein ganz anderer Satz:
»Seine Einstellung gegenüber dem Nationalsozialismus hat er nie zu erkennen gegeben. Sowohl er selbst als auch seine Frau verhielten sich gegenüber der Nachbarschaft sehr reserviert und auch dieser hat sich in seiner Gegenwart gehütet politische Gespräche zu führen, weil man ihn als großen Nazi fürchtete.«
Um solche Bemerkungen beurteilen zu können, muss man wissen, dass in den ersten Wochen und Monaten nach dem Krieg alle möglichen Leute– nicht zuletzt frühere Nazis – (in der Akte Kroth ist es z.B der vorbestrafte Adolf Steinmetz) aus den Löchern krochen und versuchten, sich bei den Besatzungsmächten dadurch beliebt zu machen, dass sie andere anzeigten. Im späteren Spruchkammerverfahren wurde Steinmetz vorgeladen, weigerte sich aber zu kommen. Ein etwas verwirrter Brief vom 26.06.1946 spricht davon »dass ich aus Gründen des ungeschriebenen Gesetzes des Anstandes eine Zeugenaussage gegen Herrn Dr. Alfred Kroth als – juristisch definiert – befangen ablehnen muss.«
Die Vorteile, die die Nachbarinnen sehen, hängen mit dem Amt zusammen, das Amt mit der Strategie und die Strategie mit einem politischen Ziel, das verborgen bleiben musste. In dieser Hinsicht hat Kroth sich völlig konsequent verhalten. Dr. Drechsler, ein Kollege aus dem Amt, gibt am 12.07.1947 zu Protokoll: »Eine eigentlich politische Tätigkeit hatte er nie erwähnt. Ebenso wenig machte er mir gegenüber sonstige Bemerkungen, die auf einen parteipolitisch aktiven Nationalsozialisten hätten schließen lassen. Meines Wissens hat er sich auch gegenüber den übrigen Referatsangehörigen ebenso verhalten«
Die Spruchkammer München I (Aktenzeichen I/16/46) verurteilte ihn in erster Instanz als »minder belastet« zu einer Sühne von 3000 € auf drei Jahre Bewährung. Hiergegen erfolgt am 2. Juli 1946 die Berufung des öffentlichen Klägers (Michael Pfeuffer im Auftrag des Ministeriums für Sonderaufgaben!) Das bedeutet: das Amt verfolgte ihn nicht, sondern war an seiner völligen Entlastung interessiert.
Am 20.07.1946 wird sein zweites Kind, Wolfgang geboren.
In zweiter Instanz wird er im März 1947 wird als »Mitläufer« beurteilt und die Strafe gesenkt. Dagegen legt er Rechtsmittel in Form der Revision zum Kassationshof ein, denn die Begründung ist alles andere als unbefangen. Dort heißt es unter anderem:
»Der Betroffene ist ein ausgesprochener Opportunist, der es meisterhaft versteht, jede Lage zur Erreichung persönlicher Vorteile auszunutzen. Die SPD war ihm nicht aktiv genug; er suchte eine Partei, die willens und in der Lage war, in autoritärer Weise unter Ausschaltung der übrigen Parteien die Macht an sich zu reißen. Er entschloss sich zum Beitritt zur KPD und als ihm dünkte, dass er dort nicht zum erhofften Ziele komme, trat er zunächst der HJ bei und brachte es dort in kürzester Zeit zum Gefolgschaftsführer. Er zog mit seinem Musikzug durch die Straßen Münchens, dirigierte die berüchtigten und aufreizendsten Nazischlager »Heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt« und andere. Er hat damals ein gutes Teil zur Vergiftung der Jugend an Geist und Seele beigetragen….. als Mann in jungen Jahren… gelang es ihm so und zwar nur vermöge der von ihm hervorgehobenen Verdienste um die Partei10, eine für seine Verhältnisse sehr einträgliche und angesehene Stellung im Stadtkreis München zu erlangen. … Die angeblich ausgeführte Spitzeltätigkeit des Betroffenen ist so nichtssagend, dass sie schlechterdings nicht als solche anerkannt werden kann. Das Ganze angeblich so wertvolle Material hat der Betroffene nur zu Bluff-Zwecken zusammengetragen … der Verkehr des Betroffenen mit jüdischen Bekannten erklärt sich aus seinen opportunistischen Bestrebungen und lässt keinen Zusammenhang mit antinationalsozialistischen Beweggründen erkennen«.
Auf angebotene Zeugen, die das Gegenteil behaupten, hat das Gericht verzichtet und auf die Entlastungserklärungen der KPD-Genossen und der Mutter des ermordeten Schulkameraden Hermann Frieb sowie zahlreichen Erklärungen die bereits im November 1945 zu seinen Gunsten eingegangen waren, nachdem die Süddeutsche Zeitung über seine Entlassung als Stadtrat berichtet hatte, geht der Spruch nicht ein.
Erneut tritt der Öffentliche Kläger für ihn ein, und zwischenzeitlich haben Politiker aus anderen Parteien für ihn gesprochen, die seine Berufung in die Ämter bei der Stadtverwaltung und bei der Landesregierung verfolgt hatten.
Der Spruch wird am 16.07.1947 aufgehoben, da aufgrund der vorliegenden Zeugenaussagen eine aktive antifaschistische Tätigkeit bewiesen worden sei. Die Gesetze über die Entnazifizierung regelten den Fall nicht, dass jemand diese Tätigkeit formal als Mitglied der NSDAP ausgeübt habe. Daraus etwa gezogene Vorteile seien die logische Folge gelungener Tarnung. Kroth sei von diesen Gesetzen nicht betroffen, die Verfahren werden eingestellt (Aktenzeichen 1258/47).
Drei Monate später läuft noch eine Erklärung des inhaftierten früheren Oberbürgermeisters Karl Fiehler bei der Militärregierung in Hamelburg ein. »Kroth verfügt über gute Kenntnisse insbesondere im kommunalen Verwaltungsrecht und hat Talent für Fremdsprachen«. Er bestätigt, dass Kroth keinen besonderen Einfluss innerhalb der Partei hatte und »es ist mir hierbei niemals aufgefallen, dass Kroth im Interesse irgendwelche anderen Stellen oder Organisationen tätig war… davon, dass Kroth im Auftrag der kommunistischen Partei in meinem Büro tätig gewesen sei, erfuhr ich erst einige Zeit nach dem ich mich den amerikanischen Behörden gestellt hatte.«
Jetzt wird er offiziell Mitglied des Vorstandes der bayerischen KPD, die ihn als Mitglied des Bi-Zonen-Wirtschaftsrats zwischen der englischen und amerikanischen Besatzungszone benennt. Der Wirtschaftsrat hat seinen Sitz in Frankfurt. Er bekommt einen Wanderer als Dienstwagen und stellt Helmut Haselmayr, der 1947 aus der Gefangenschaft entlassen worden ist und als freier Journalist beim bayerischen Rundfunk arbeitet, weil er noch keinen Studienplatz bekommt, als Fahrer an. Der beobachtet ihn bei Gesprächen mit dem KPD-Chef Reimann, und fährt ihn auch bei Gelegenheit zu Verhandlungen in die DDR. Das ist die letzte politische Position, die er wahrscheinlich eingenommen hat. Bis zur Gründung der Bundesrepublik und zu Wahlen, in denen er sich hätte bewähren können, sollte es noch zwei Jahre dauern. Als es dazu kam, war er nicht mehr interessiert.
12. Ein Berufsanfänger
Wovon hat er in dieser Zeit gelebt? Vielleicht gab es ein paar Ersparnisse, die Familie in Fürstenfeldbruck half, gewiss hatte er auch manche Beziehungen, in deren Zentrum zweifellos die KPD stand, für die er einen politischen Wert hatte . Er stand jedenfalls nicht ohne Mittel da: Im November 1947 beantragt er die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft und mietet ein Reihenhaus in der Stürzer Straße 29. Diese Gegend liegt am westlichen Stadtrand, das Haus hat einen kleinen Garten, ideal für die Kinder. Am 28.02.1948 wird er als Anwalt zugelassen.
Praktische Erfahrung hat er außerhalb der Ausbildung als Referendar nicht und natürlich keine Kenntnisse des Berufsrechts, also der besonderen Vorschriften, wie ein Anwalt sich verhalten muss. Gleich zu Beginn stolperte er zweimal in Sachen, die bei der Rechtsanwaltskammer München aktenkundig sind:
– Ehesache X/X: der Ehemann verpflichtet sich in einem Gerichtsvergleich zu einer höheren Unterhaltszahlung als dies nach Auffassung von Kroth außergerichtlich vereinbart war. Kroth lässt den Vergleich nicht platzen, bezichtigt aber den Gegenanwalt (Mittelmeier) des Prozeßbetrugs, weil er sich nicht an die Abrede gehalten habe. Daran hält er auf Nachfrage der Anwaltskammer in der Folge nicht mehr fest.
– In einer Armenrechtssache Y/Y : verlangt der Kläger, den Kroth vertritt, nach dem Wechsel zu einem anderen Anwalt eine Uhr und ein Schmuckstück heraus, die er zur Absicherung einer zusätzlichen Honorarforderung bei Kroth hinterlegt hatte. Solche zusätzlichen Honorarforderungen sind rechtswidrig. Er hat auf Hinweis der Kammer daran nicht mehr festgehalten. Aus der Akte ist nicht erkennbar, wie die Auseinandersetzung endet.
Die Unkenntnis in solchen Fragen war damals, wie heute für viele Anwälte üblich: wenn etwas schief lief, legte man Rechtsmittel ein und ließ sich dann vom Gericht erklären, wie es hätte richtig sein sollen.
Er hatte auch genug Geld für ein Büro und wusste seine Beziehungen zu nutzen: am 09.03.1948 bittet Oberbürgermeister Scharnagl Beamte, die für die Zuteilung von Büros zuständig sind, ihm ein Büro zu geben »Herr Dr. Kroth musste aus seiner Stellung als Stadtrat aufgrund von Angriffen ausscheiden, die sich nach Durchführung des Spruchverfahrens als durchaus ungerechtfertigt erwiesen haben.«. Er erhält Räume in der Thalkirchnerstraße 14 und am 15. Juni kauft er sich einen PKW Opel für 1254 Reichsmark. Den Führerschein hatte er schon. Am 20.06.1948 wird mit der Währungsreform die Deutsche Mark eingeführt (kurz danach in der DDR die DDM) und die gesamte Wirtschaft dreht sich auf einmal völlig um: die Schwarzmärkte verschwinden, alles wird teurer, die gebunkerten Produkte kommen aus den Kellern in die Schaufenster und langsam entfaltet sich das Wirtschaftswunder. So kommt es auch zu neuen Verträgen, die führen zu Konflikten und plötzlich haben auch Anwälte viel Arbeit auf dem Tisch.
13. Interzonen Handel: die Lücke im Embargo
Am 14.06.1949 wird in Düsseldorf eine GmbH gegründet und am 04.08.1949 in das Handelsregister unter Nummer HRB 6362 eingetragen. Am 02.11.1949 wird Alfred Kroth ihr Geschäftsführer und das Stammkapital von bis 23.000 DM wird auf 80.000 DM erhöht. Sie heißt zunächst Deutsche Handelsgesellschaft West, danach deutsche Handelsgesellschaft West-Ost. Alfred Kroth übernimmt aus dem Stammkapital von 100.000 DM etwas mehr als ein Drittel, 33.400 DM, Friedrich Pörtner und Friedrich Erdtel sind die beiden anderen Gesellschafter mit je einem knappen Drittel. Wer sind diese Gesellschafter? Was soll diese Gesellschaft tun? Woher stammt das Kapital?
Die Urkundenlage beim Handelsregister Düsseldorf lässt auf der Oberfläche nichts erkennen. Vielleicht würde man näheres in den Beiakten finden, die ausgelagert sind. Die Parteiakten der KPD sind nicht zugänglich. Trotzdem lassen diese Fragen sich mit einiger Klarheit beantworten.
Alfred Kroth hatte sich seit jeher für wirtschaftliche Sachverhalte interessiert. Schon seine Promotion, die sich mit währungstechnischen Fragen befasst, berührt zentrale Fragen der Finanzpolitik. Acht Jahre lang hat er sich mit Finanzierung und dem Management staatseigener Betriebe beschäftigt und in dem ständigen Zusammenspiel zwischen Stadt, Land und Regierung die Zusammenhänge verstehen gelernt. Kunden gab es natürlich nicht, aber Einkauf und Beschaffung setzen laufendes Verhandeln über Verträge voraus. Dabei wurde jeder Schritt auch durch Parteiinteressen bestimmt, die zu berücksichtigen waren.
Das Kriegsende änderte daran zunächst nichts. Wie zuvor wurden alle Aufgaben jetzt mehr oder weniger auf Befehls-oder-Verwaltungsebene erledigt, statt der Interessen der NSDAP war nun die der Besatzungsmächte zu berücksichtigen, die Besatzungszonen behandelten einander zunächst wie das Ausland – und auch daraus konnte man etwas lernen. Der Versuch, all diese Hemmnisse im Bi-Zonen Wirtschaftsrat (er bestand vom 25.06.1947 bis 01.02.1948) zu beseitigen und damit die wirtschaftliche Vorstufe für die Bundesrepublik zu schaffen, hat Alfred Kroth bis 1947 oder 1948 persönlich miterlebt, denn die KPD hatte ihn dorthin entsandt.
Der parlamentarische Rat, der das Grundgesetz entwerfen sollte, konstituierte sich im September 1948. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war klar, dass sich die drei westlichen Besatzungszonen von der sowjetischen Besatzungszone politisch wie rechtlich abgrenzen würden. Diesem Gremium hat Kroth nicht mehr angehört.
Am 08.05.1949 wurde das Grundgesetz durch den parlamentarischen Rat verabschiedet. Der Bundestag konstituierte sich am 07.09.1949, die Regierung am 20. September. Die Reaktion des Ostens: am 07. 1949 wurde die DDR gegründet, die Regierung Ulbricht trat am 12. Oktober an.
Nahezu zeitgleich wurde am 08.10.1949 in Frankfurt ein Interzonen-Handelsabkommen abgeschlossen11. Die Umwandlung der bisherigen Besatzungszonen in politische Einheiten (die allerdings unter starkem Einfluss der jeweiligen Besatzungsmächte standen) machte es erforderlich, den innerdeutschen Warenaustausch über die Grenzen hinweg in irgendeiner Weise zu regeln. Die DDR litt unter der ruinösen Politik der Sowjetunion, ihre Industrieanlagen zu demontieren, die dann in die Sowjetunion geschafft wurden um dort überwiegend
zu verrotten. Man wusste, dass es auf westdeutscher Seite Ersatz gab und versuchte ihn trotz der bestehenden Grenzen zu beschaffen.
Diese Grenzen wurden zunächst durch die »beiden deutschen Staaten« markiert, wie es aus der Perspektive der DDR lautete, aber dieselbe Grenze bestand aus der Sicht der Bundesrepublik zur »Sowjetischen Besatzungszone«. Auf dem einen Gebiet herrschte die D-Mark, auf dem anderen die DDM – die später (1968) so genannte »Mark der DDR«. Lieferungen und Leistungen zwischen beiden Wirtschaftsgebieten waren komplex und wurden daher zu Beginn als Tauschgeschäfte ausgeführt. In der DDR waren eine Vielzahl von Betrieben noch nicht verstaatlicht und hatten über Generationen gepflegte Handelsbeziehungen zu westlichen Firmen und Personen. Diese wurden nun langsam wieder geknüpft, mussten aber die Grenze überwinden.
Wegen der ungeklärten Fragen des Umtausches der Währung und anderer Probleme gründete der Deutsche Industrie und Handelstag eine Treuhandstelle und sowohl die Bundesbank wie die deutsche Notenbank (dpa) richteten Konten ein, über die die Lieferungen und Leistungen beider Seiten bewertet und abgerechnet wurden.
Der Kontakt zu den westlichen Firmen gestaltet sich aber schon wegen einer Vielzahl von Reisebeschränkungen als schwierig. Einzelne Manager, Kaufleute oder Handelsvertreter wurden in der DDR festgehalten, befragt, als Informanten angeworben usw. Mit einer, auf westdeutschem Boden etablierten Firma konnten diese Schwierigkeiten vermieden werden. Auf diese Weise konnte die West-KPD helfen und Provisionen verdienen.
Durch seine Mitwirkung im Bi-Zonen Wirtschaftsrat wusste Alfred Kroth, wie der Westen über die wichtigsten Grundsatzentscheidungen der Wirtschaft dachte, aber er kannte auch die Planungen auf der kommunistischen Seite. Sie wurden in Moskau und Pankow durchgeführt, und die örtlichen Parteigliederungen wie die bayerische KPD erhielten früher als andere Kenntnis von den getroffenen Entscheidungen, auch wenn sie wahrscheinlich nicht in sie einbezogen wurden. Außerdem hatte jeder sein eigenes Beziehungsnetz. Es lässt sich jetzt nicht mehr rekonstruieren, welche Parteimitglieder, die Alfred Kroth kannte, schon 1949 in Ostberlin oder in Moskau tätig waren, aber allein die Tatsache, dass er unmittelbaren Zugang zu dem Vorsitzenden der KPD (seit 1948) Max Reimann hatte, der Delegationsführer im Bi-Zonen Wirtschaftsrats, dürfte dafür gesorgt haben, dass ihm jeder andere Kontakt offen stand, denen er benötigte. Schon ab 1951 tauchen Leute wie Ernst Erben (Direktor der Ost-Berliner China-Export-Corporate) als seine Freunde auf. Der Kontakt zu solch hochrangigen Funktionären konnte mit Sicherheit nicht zu Stande kommen, wenn es keine konkreten Empfehlungen gab. Als Mitglied des Vorstandes der bayerischen KPD konnte er sich solche Empfehlungen gewiss nicht nur von den alten Genossen besorgen, die er seit 1932 kannte.
So kann man sich auf die Gründung der Handelsgesellschaft Ost-West in Düsseldorf im November 1949, also sofort nach Einrichtung der Treuhandstelle der DIHT für den Interzonenhandel sowie nach Gründung der DDR einen Reim machen. Diese Firma gehörte nämlich – wie die nachfolgende Entwicklung zeigt – zu einem europaweiten Netz von Handelsgesellschaften, deren Zweck es war, die rechtliche und tatsächliche Trennung der beiden Deutschland zu überbrücken und daran Geld für die Partei zu verdienen. Das war das grundlegende Geschäftsmodell der Handelsgesellschaft Ost-West.
Seinen Teil des Stammkapitals in Höhe von 33.400 DM kann Alfred Kroth zum damaligen Zeitpunkt nicht erspart haben. Er hat ihn vermutlich auch nicht eingezahlt, denn das war bis zur Liquidierung der Firma damals keine gesetzliche Verpflichtung. Sein Gehalt als städtischer Beamter wie als NSDAP-Funktionär hatte er nur bis 1944 bezogen, danach Wehrsold und ein paar Monate Gehalt als Wirtschaftsreferent und Staatssekretär. Es wird gerade für den laufenden Lebensunterhalt gereicht haben. In rechtlicher Hinsicht war es ausreichend, das Stammkapital nur zu bezeichnen und nicht zum gleichen Zeitpunkt einzubezahlen. (Heute muss 50 % einbezahlt werden). Vermutlich hat die KPD den Gesellschaftern ein Überbrückungsdarlehen gegeben, um die ersten 2-3 Monate zu finanzieren, bis die ersten Provisionszahlungen einliefen, die auch die nachfolgende Liquidität sicherten.
14. Die Anfänge in Düsseldorf
Nun ging es daran, in Düsseldorf – dem Schreibtisch des Ruhrgebiets – das Geschäftsmodell in die Tat umzusetzen. Im innerdeutschen Bereich wurde das Frankfurter Abkommen vom 08.10.1949 durch das Berliner Interzonenhandels-Abkommen von 1951 ersetzt und weiter liberalisiert. Dadurch explodierte dieser Handel geradezu. Betrug 1952 das Volumen nur 0,6 Millionen DM, weitete es sich bis 1956 auf 288,9 Millionen aus.
Am Anfang werden die Geschäfte in Düsseldorf sich – ohne Konzentration auf besondere Branchen oder Produkte – auf persönliche Kontakte gestützt haben, die vor allem Handelsvertreter aufbauten, die sich in der DDR auskannten. Ihr wesentliches Know-how bestand darin zu wissen, welche Produkte wo verlangt wurden, denn alles stützte sich wegen der fehlenden Liquidität auf Tauschgeschäfte (Bartergeschäfte), die den devisenschwachen Osthandel auch heute noch teilweise bestimmen. Aber schon im Juli 1950 müssen sie ein gewisses Ausmaß erlangt haben. Das Düsseldorfer Drei Groschen Blatt ( das nur von 1949-1950 Bestand hatte) schrieb, die Gesellschaft betreibe Interzonen-Schwarzhandel und führe ihre Gewinne entweder an die KPD oder an die Regierung der Sowjetisch Besetzten Zone ab. Dagegen wehrte man sich mit einem Presseprozess, der mit der Einstellung des Blattes endete.
Dann aber konzentrierte die Gesellschaft sich offensichtlich auf den Stahlhandel. Trotz der erheblichen Bombenschäden hatte die deutsche Stahlindustrie bereits 1948 84 % ihrer Kapazitäten von 1936 wieder erreicht. 1951 waren sie überschritten. Deutschland war wieder exportfähig. Das Problem: die Geschäfte mit den Ostblock (RGW)-Staaten war durch internationale Abkommen reglementiert. Vor allem die US-Amerikaner sahen in nahezu jedem technischen Produkts ein kriegswichtiges Erzeugnis, von dem sie nicht wollten, dass es in die Hände der Sowjetrussland und ihrer Satelliten fiel. Der kalte Krieg zeichnete sich ab und eröffnete ein dauerndes Konfliktfeld zwischen der Bundesrepublik und den früheren Besatzungsmächten, denn der Export war neben der Rüstung traditionell das Rückgrat der deutschen Stahlindustrie.
Die Geschäfte liefen gut. Die Graf Adolf Straße 17 ist eine repräsentative Geschäftsadresse in Düsseldorf, nicht weit entfernt liegt das britische Offizierskasino. Helmut Haselmayr , der in den Semesterferien einen Job braucht, hilft auch hier gelegentlich als Fahrer aus, um sein Studium zu finanzieren. Ein stets gut gelaunter Dicker fällt ihm auf: Schulte-Frohlinde ist einer der vielen erfahrenen Handelsvertreter, die sich hier tummeln und denen er später wieder begegnen wird. In der zerbombten Stadt wirken die frisch renovierten Räume elegant und es gibt eine wachsende Anzahl Mitarbeiter. Am Anfang lebte Kroth während der Woche und später für längere Zeit in Düsseldorf. Die Familie blieb in München. Mit seiner Büroleiterin hatte er in dieser Zeit wahrscheinlich auch persönliche Beziehungen. Helmut Haselmayr fand sie attraktiv.
Das Anwaltsbüro in München wurde von Dr. Richard Pitroff (vermutlich in Bürogemeinschaft) weiterbetrieben, der 1950 zum OLG-Vertreter bestellt wurde. Auch dort erweiterte sich das Geschäft immerhin so, dass man (vielleicht gemeinsam) den Assessor Fridolin Thüring einstellen konnte.
In so einer Konstellation wird für den Namensgeber vielleicht 20 % vom Gewinn hängen bleiben – jedenfalls lag das Büro ihm nicht auf der Tasche.
15. Internationale Geschäfte
Neben der innerdeutschen Situation entwickelte sich durch den kalten Krieg eine besondere Konstellation im Außenhandel mit Ostblockstaaten. Erste Schritte waren die Exportkontrollen durch das CoCom (Coordinating Committee on Multilateral Export Controls ,Paris) das am 22. November 1949 installiert wurde und am 01.01.1950 zu arbeiten begann.
Genau in dieser Zeit, also bevor sich gefestigte Regeln über die Exportkontrollen hatten entwickeln können, reiste Kroth von Januar bis Juli und von Juli bis Oktober 1950 zweimal mit einer DDR-Delegation nach China.
Kroth war der einzige westdeutsche Teilnehmer. Zweifellos war die Reise nicht nur über Ostberlin, sondern auch über Moskau eingefädelt, den jeweils nötigen Zwischenlandungen.
Die Chance, auf dieser Reise der deutschen Stahlindustrie Exportgeschäfte zu vermitteln, war gering, obwohl China erst mit dem Koreakrieg voll in das Embargosystem der USA einbezogen wurde: nach Vorgängergesetzen, die schon 1949 erlassen worden waren, verhängten die USA im Mai 1951 gegen die Volksrepublik China wegen des Koreakrieges ein Handelsembargo, im Oktober 1951 wurden durch den Mutual Defense Assistance Control Act of 195112 weitere Exportkontrollen eingeführt. Da war der deutsche Handelsvertrag mit China aber schon geschlossen.
Die Reise wurde ein Erfolg. Eine persönliche Audienz bei Mao Tse Dong krönte die Verhandlungen, die das Ziel hatten, eine chinesische Wirtschaftsdelegation nach Westdeutschland zu senden, um dort Stahlprodukte einzukaufen.
Am 10.01.1951 berichtete der SPIEGEL über das Eintreffen dieser Delegation, die dann tatsächlich mit dem führenden deutschen Firmen einen Kontrakt über Stahlprodukte im Wert von 2 Milliarden DM abschloss. Kroth hatte dazu Verbindungen mit den führenden Managern hergestellt, die alle seiner Generation angehörten: Wilhelm Dietrich von Menges (Ferrostaal* 1909), Ernst Wolf Mommsen (Klöckner 1910), Willy Schliecker (1914). Berthold Beitz gehörte nicht dazu, denn er stieß erst 1953 zu Krupp.
An Kroths offensichtlicher (und andauernder) Mitgliedschaft zur KPD hat sich offenbar niemand gestoßen, weil man selbst einen solchen Türöffner nicht hatte. Zudem glich er in keinem Detail dem typischen Bürgerschreck wie Ernst Thälmann (Lederjacke, Schiebermütze): er war gebildet, erfahren im Management, zog sich richtig an und sah genauso aus, wie man sich einen erfolgreichen Kapitalisten vorstellt.
Diese Entwicklung konnte Alfred Kroth 1949 noch nicht voraussehen. Aber die Chancen des grenzüberschreitenden Handels zwischen der DDR und der Bundesrepublik hat er sofort verstanden. Wenn er seine Situation als Allgemeinanwalt (Verkehrsunfälle, Scheidungen, kleine Erbsachen et cetera) mit den Chancen verglich, die er als Geschäftsführer und Gesellschafter einer Handelsfirma hatte, konnte ihm die Entscheidung nicht schwerfallen. Bestimmt spielten aber auch ideologische Gründe eine Rolle. Er war kein Parteiwechsler und hat zur KPD auch dann gehalten, als sie ihm politisch keine Entwicklungsmöglichkeiten verschaffen konnte. Ganz sicher hatte er die Gründung der Handelsgesellschaft und seine Tätigkeit als Geschäftsführer zunächst mit der Aufgabe verbunden, der Partei die nötigen Geldmittel zu sichern, die sie für ihren Bestand und ihre absehbaren Kämpfe im Westen würde brauchen können. Marx hatte vorausgesagt, der Kapitalismus werde an seinen Widersprüchen ersticken und der Konflikt zwischen den deutschen Staaten bot dazu das klassische Szenario. Auch Lenins und Stalins Ratschlag, man müsse den Feind mit seinen eigenen Waffen schlagen, gehörte zu den wichtigen strategischen Grundsätzen des Marxismus-Leninismus, die er gewiss beherrschte.
Die Handelsgesellschaft Ost-West erhielt für ihre Tätigkeit eine Provision. In der Akte des MfS »Holzhändler« wird der Provisionssatz mit 1,5 % vom Umsatz angegeben. Helmut Haselmayr meint, es seien – jedenfalls bei sehr großen Umsätzen – eher 1,5 Promille gewesen. Bei einem Auftrag über 2,0 Milliarden DM hätte die Provision also mindestens 3,0 Millionen DM betragen, 10 Millionen DM sind nicht ausgeschlossen, 30 Millionen DM eher unwahrscheinlich. Vermutlich wurden sie mit der DDR-Delegation geteilt, ohne die das Geschäft nie möglich gewesen wäre. Wir wissen nicht, wie diese Teilung ausgesehen hat, aber in der Gesellschaft entstand (nach Abzug der Steuern) ein Gewinn, von dem ihm ein Drittel zustand. Selbst nach Rückführung der Startfinanzierung durch die KPD war das mit Sicherheit ein erheblicher Betrag. Er könnte zwischen 0,5 Millionen und 1 Million DM gelegen haben.
Jedenfalls zögerte er nicht, unmittelbar nach seiner Rückkehr das Grundstück in der Meyerbeer Straße 1 zu kaufen und sich eine Villa bauen zu lassen. Die Kosten werden um 300.000 DM gelegen haben. 1953 zog die Familie ein.
In der DDR hatte Willi Stoph (Mitglied des Zentralkomitees)13 am 27.09.1950 die Gründung der China Export Corporation (CEC) genehmigt, die die Aufgabe hatte, in ganz Europa eine Hand voll KPD-naher Firmen zu koordinieren, um chinesische Waren nach Europa einzuführen.Ernst Erben (42)wurde ihr Direktor. Dazu gehörten unter anderem:
- Deutsche Warenvertriebsgesellschaft (DWV)
- Sorice (Paris) mit ihrem Geschäftsführer M.Sulhefer (Seide/Tee/Moschus)
- Metalimport Zürich
Erben war am 07.08.1908 auf dem Gebiet der heutigen Tschechoslowakei als Volksdeutscher geboren und mit 16 Jahren der kommunistischen Partei beigetreten. Während der NS Zeit war er als Annoncen-Akquisiteur in Prag tätig. Das gab ihm offenbar Gelegenheit, auch weiterhin illegal für die Partei tätig zu sein, die nach 1945 eine entsprechende Bestätigung schrieb. Gleichwohl wurde er wie viele Deutsche 1946 ausgesiedelt und kam nach Berlin. In einer biografischen Notiz heißt es in seiner Akte: »Alle anderen Personen durften damals nur 70 £ oder 70 kg Gepäck mitnehmen, Erben dagegen hat einen ganzen Eisenbahnwagen gehabt. Nach Angaben des Genossen Kämpf soll Erben in der CSR Schwarzhandelsgeschäfte geführt haben.« Dadurch hatte er eine Menge Erfahrungen auch außerhalb der Grenzen des Protektorats Böhmen und Mähren gewonnen. Zu diesem Zeitpunkt hatte Ernst Erben sich schon so gute Verbindungen geschaffen, dass er deren Direktor wurde. Am 27. 02.1951 unterschrieb er beim Ministerium für Staatssicherheit eine Verpflichtungserklärung. Danach häufen sich seine Auslandsreisen, bei denen er mehrfach Kroth in Düsseldorf, Willi Schlieker14 in Essen, Dr. Bauer, Chemieunternehmer aus Fulda, mit Kontakten zu Wirtschaftsminister Erhard trifft. Kroth verfügt über hochrangige politische Kontakte, so trifft er zum Beispiel am 14.10.1950 Franz Blücher, Bundesminister für die Angelegenheiten des Marschallplanes.
Neben seinen Handelskontakten baut Erben ein europaweites Netzwerk von Finanzierungsfirmen auf, die dafür sorgen, dass Geld gewaschen werden kann:
»Ich schlage mit Genossen Ramlow vor, dass Genosse Möhl mit eingeschaltet wird, ich bei diesen Konten nicht als Erben, sondern als Erkner mit Unterschrift in Erscheinung trete und dass eine Disposition bei diesen beiden kleinen Konten mit zwei Unterschriften bezeichnet und gedeckt sein müssen. Als Bezeichnung der Konten schlage ich vor »BEREXIM«, d.h. Berliner Ex-und Import. Diese Konten werden auch benötigt zur Verschleierung von Dollar-Dispositionen.«
Da es damals praktisch unmöglich war, eigene Banken zu gründen, wurden vertrauenswürdigen Firmen beauftragt, besondere Beziehungen zu dazu bereiten Banken herzustellen. Dazu gehörten unter anderem:
- Simpex S.A., Brüssel
- Mercanta AG Vaduz
- Anglo-Austrian Trading Comp. (Genosse Stern) Bankverbindung zu: Brown, Shipley, & Co, London.
Auch die Transportkapazitäten zur Verschiffung der Waren zwischen Asien und Europa beschäftigen ihn intensiv. Schalck-Golodkowski konnte 1966 dieses europaweit eingespielte System übernehmen.
Die Stellung als Direktor der China Export Corporation (CEC) war für einen Anfang 40-Jährigen ein großer Karrieresprung. Aber er behielt sie nicht lange. Er hatte Schwierigkeiten auf beiden Seiten: im Oktober 1951 wurde er bei einer seiner vielen Westreisen in West-Berlin wegen Zollvergehen verhaftet, aber gleich wieder freigelassen. Schon 1953 wurde seine Geschäftsführung überprüft, es besteht auch der Verdacht persönlicher Bereicherung (der sich nicht bestätigt), aber er wird verhaftet, wegen Devisenvergehen am 21.08.1953 zu einer Gefängnisstrafe von acht Monaten verurteilt und am 31.7.53 aus der Partei ausgeschlossen. Ein Ausschluss der Partei befasste sich mit der Tätigkeit von Ernst Erben, Ernst Ramlow und Eugen Richter in der CEC. Aus den Anlagen zu dem zweiundzwanzigseitigen Protokoll der Anhörung von Ernst Ramlow ergibt sich, dass im Jahr 1951 und 53 Millionen $ mithilfe von 30 verbundenen Firmen kontrahiert worden, die alle zum KPD-Netzwerk gehörten. Ramlow verteidigt sich geschickt: es hatte eine Menge Chaos gegeben, für das die Führung der CEC nicht allein verantwortlich war.
Anfang Januar 1955 floh Erben aus der DDR und machte in Frankfurt/Main ein Fischlokal auf. Da fühlte er sich unglücklich. Ein auf ihn angesetzter IM berichtet: »Wenn er von der DDR spricht oder von unseren Maßnahmen (meint er) immer…. Die DDR«. Erben ließ ihn wissen, er würde gern wieder zurückkommen. Ein wankelmütiger Charakter.
Kroth trifft ihn Ende 1951 auf einer seiner Reisen nach Ostberlin im Kreis hochrangiger Genossen. Darüber berichtet der Genosse Lange am 07.02.1955:
»Im Jahre 1951 und Anfang 1952 (sind) Besprechungen in den Büroräumen des Erben durchgeführt worden, an denen im besonderen teilnahmen: Dr. Bauer, Dr. Kroth und Genosse Willy Stoph. Auch fanden Besprechungen statt und Teilnahme des Genossen Willy Stoph mit führenden westdeutschen Wirtschafts- und anderen Persönlichkeiten. Dort ging es um jene Fragen der Möglichkeit von Westdeutschland Lizenzen für China Lieferungen zu erhalten und um die Einflussnahme auf Regierungsstellen in Bonn. … Ich bitte, den Genossen Mischa Wolf15 von dieser Mitteilung in Kenntnis zu setzen, derselbe interessiert sich für diese Sachen.«
Das waren die Themen der Gespräche im Gästehaus der China Export Corporation in Bad Saarow (Brandenburg) mit Ernst Erben oder (gemeinsam mit Ehefrauen) im Hotel Newa in Ostberlin, an dem Ernst Erben und M.Sulhefer (Paris) teilnahmen. Diese Treffen dienten dazu, die einzelnen Gesellschaften miteinander bekannt zu machen und Synergie-Effekte zu entwickeln. Kroth war kein informeller Mitarbeiter der Stasi – in den MfS Akten wird mehrfach erwähnt, dass über ihn keine Akte existiert.
Der Artikel im SPIEGEL über den Deal mit den Chinesen und dem Vulkan-Affäre hatten ihnen so bekannt gemacht, dass der Herausgeber des Blattes Rudolf Augstein ihn 1953 einmal – durch Zufall wohl zur Faschingszeit – in Köln auf einer Party traf. Da gibt es ein Foto16, wie er der noch jungen und attraktiven Frau Kroth auf einem Sofa sitzend tief in die Augen schaut.
Helmut Haselmayr war immer noch Student und freier Journalist. Er hatte gelegentlich Zeit, er suchte vielleicht auch nach Themen. So wird er auch bei Kurierfahrten in die Schweiz (Zürich-Genf-Basel) eingesetzt, wo ihm auffällt, dass die Zollfahndung sich für Schulte-Frohlinde interessiert. Aber nicht nur das: Kroth bittet ihn, unter dem Decknamen Helmut Quilling bei einer Bank in Augsburg ein Konto zu eröffnen, dann schreibt er in diesem Namen fingierte Rechnungen an die Handelsgesellschaft Ost-West, erhält die Zahlungen, gibt sie wieder weiter. Geldwäsche. Damals gibt es noch keine Gesetze dagegen, aber wohl ist ihm bei der Sache nicht. In St. Gallen wird ihm auch eine junge Frau vorgestellt, Gärtnerin von Beruf. Sie bleibt Kroth über lange Jahre verbunden. Auch seine Frau weiß von diesem Verhältnis und duldet es.
Im Januar 1952 berichtet Kroth der Anwaltskammer, er habe mit Dr. Richard Pitroff unter der neuen Adresse Sonnenstraße 3 eine Sozietät abgeschlossen. Daraus kann man schließen, dass er sich für das Anwaltsgeschäft immer weniger interessierte. Bisher hatte er es wohl als Sicherheitsanker gesehen. Den hatte er nach dem China Geschäft offenbar nicht mehr nötig, denn mit diesem Geschäft hatte er den Grundstock zu seinem Vermögen gelegt.
Es machte ihn unabhängig – und davon machte er Gebrauch: am 5. Februar 1952 legte er überraschend das Amt als Geschäftsführer der Deutschen Handelsgesellschaft West-Ost nieder. Möglicherweise hängt das mit der Ablösung von Ernst Erben als Direktor der CEC zusammen, es hat aber gewiss auch andere Gründe: das große China Geschäft, das ihm 1951 ein Vermögen verschafft hatte, würde sich nicht noch einmal wiederholen lassen, denn die westdeutsche Industrie hatte im gleichen Jahr in Köln den Ostausschuss der deutschen Wirtschaft gegründet, der bis heute existiert. Sein Ziel ist die Förderung des Osthandels, was damals identisch war mit den RWG-Ländern des Ostblocks.
Interessanterweise hat sich nie ein vergleichbarer Ausschuss für den Westhandel gegründet, denn nur in Richtung auf die Ostblockstaaten war eine einheitliche Politik notwendig, um zum Erfolg zu kommen. Es war nötig, die Beziehungen zu östlichen Ministerien und Wirtschaftsunternehmen durch einen einheitlichen Auftritt zu stärken. Heute dient er gewiss immer noch ähnlichen Zwecken, und bietet seinen Mitgliedern einen exklusiven Informationsaustausch auf dem Gebiet des Osthandels. Seine Träger sind große Verbände, unter Führung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, darunter vor allem der Bundesverband deutscher Banken, der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft, die Außenhandelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels und der Zentralverband des Deutschen Handwerks. Jetzt konnte man sich wieder an den Möglichkeiten des Interzonenhandels zuwenden, um die alliierten Embargobestimmungen zu umgehen. Man ging verschlungene Wege.
Schon 1950 musste der Hohe Kommissar John Mc Cloy deshalb in Einzelfällen intervenieren.
Wenn der Ostausschuss eng mit einer Handelsfirma zusammengearbeitet hätte, die offensichtlich der KPD nahestand, wäre nach außen möglicherweise der Eindruck entstanden, er sei nicht unabhängig genug, um die westdeutschen Interessen zu vertreten. Vielleicht hat man Kroth aus diesem Grund nahegelegt, die Geschäftsführung niederzulegen. An seinen persönlichen Kontakten war man nämlich nach wie vor interessiert. Jetzt arbeitet er unmittelbar mit einzelnen der Stahlmanager, die er zuvor kennen gelernt hat, oder auch im Auftrag des Ausschusses selbst. Mit einiger Sicherheit stellt er seine Honorare/Provisionen im eigenen Namen in Rechnung. Man setzt ihn überall dort ein, wo man mit eigenen Kontakten nicht mehr weiterkommen.
Der Rückzug aus der Geschäftsführung im Jahr 1952 bot sich vermutlich auch an, weil er Schwierigkeiten mit der Anwaltskammer hatte: nach dem die Neue Zeitung – die amerikanische Zeitung in Deutschland in einem Artikel vom Januar 1951 auf dem Hintergrund der notwendigen Exportkontrollen kritisch über seine Tätigkeit berichtet hatte, verlangte sie gleichzeitig bei der Rechtsanwaltskammer Auskunft über seine Zulassung. Damals sah man jede wirtschaftliche Betätigung eines Anwalts äußerst kritisch und als standeswidrig an. Offenbar vergebens suchte man ihm auf dieser Ebene zu schaden.
Auch das bayerische Landesamt für Verfassungsschutz fragte am 18.04.1952 bei der Rechtsanwaltskammer unter Hinweis auf seine wirtschaftlichen Tätigkeiten an, erhielt jedoch keine Auskünfte. Es war auch nichts in der Akte, das ihm hätte Probleme bereiten können. Aber natürlich beobachtete man ihn nicht nur im Westen, sondern – das musste ihm klar sein – auch im Osten. Der geschwätzige Ernst Erben schreibt in einer Aktennotiz für den Genossen Stoph vom 05.06.1951: »Dr. Kroth ist morgen, 06.06.1951, in Berlin und betone ich bei dieser Gelegenheit nochmals, es ist höchste Zeit, dass jemand Dr. Kroth zur Verfügung steht, um seine Eigenbröteleien durch eine klare politische Linie irgendwie günstig zu beeinflussen.« Offensichtlich hatte er hier und da Weisungen eigenwillig interpretiert und seine Gewährsleute nicht immer über alle Dinge informiert, die sie gern gewusst hätten. Die Zeit im Untergrund hatte seine Bereitschaft, zu gehorchen, übermäßig beansprucht. Er wollte sich nicht erneut abhängig machen und hat sich schrittweise – durchaus auf seinen Vorteil bedacht – von den Parteiorganisationen gelöst.
Der Rücktritt als Geschäftsführer löste diese Probleme und vielleicht liegt darin das eigentliche Motiv für seinen Rücktritt als Geschäftsführer, denn wahrscheinlich ist er noch einige Jahre lang Gesellschafter der Firma geblieben und hat so an den Gewinnen teilgenommen.
Nur ein Jahr danach, im April 1953 wird er im Zug der Aktion Vulkan17 wegen Spionage zu Gunsten der DDR verhaftet. Es geht um 38 westdeutsche Kaufleute, die in Geschäfte mit der Bundesrepublik verwickelt sind. Sie wird ausgelöst durch den Referenten der Abteilung III (Wirtschaft) in der DDR-Regierung, Gotthold Kraus (*1920), der seit 1952 der CIA berichtet. Er wechselt im Februar 1953 die Fronten und übergibt Listen mit Namen, darunter den von Alfred Kroth.
Die Ermittlungen liegen bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe und dort sitzt er in Untersuchungshaft. Dr. Alfred Seidl, ein alter Kumpel aus dem Rechtsamt der Stadt (damals NSDAP, danach CSU, später 1977/78 Innenminister unter Alfons Goppel) verteidigt ihn. Kroth hält sich an die alte Regel, dass der Angeklagte sich in Prozessen aus dem politischen Umfeld am besten jemanden sucht, der formal auf der Gegenseite steht. Diesen hier kannte er aus der gemeinsamen Arbeit in der Partei. Mit Frontwechseln und der Arbeit hinter den Kulissen kannte sich Alfred Seidl. bestens aus:
Er trat gemeinsam mit Kroth 1937 in die NSDAP ein. Später war er umfangreich in den Nürnberger Prozessen tätig, sowohl für Rudolf Hess, als Hans Frank, aber auch in Augsburg für Ilse Koch. Er zögerte aber auch nicht, den ersten Schadensersatzprozess eines Zwangsarbeiters gegen die IG-Farben zu führen – so meint man auf den ersten Blick, eine nach allen Seiten kämpferischen Anwalt vor sich zu haben. Aber tatsächlich hat er trotz seiner führenden Positionen in der CSU genauso wie Theodor Maunz im Geheimen bis zu seinem Lebensende für die NPD Presseartikel geschrieben. Dass er auch noch die Todesstrafe wieder einführen wollte, sei nur am Rande erwähnt.
Unter den Verhafteten befinden sich einige sehr angesehene Stahlmanager, deren Firmen gemeinsam mit der Presse erheblichen Druck auf die Bundesregierung ausüben. Ähnlich wie später in der Spiegelaffäre spricht Adenauer allerdings auch hier wieder von Landesverrat, bevor man überhaupt weiß, was geschehen ist. Markus Wolf, der Spionagechef der DDR, wusste es genau: es waren sechs Informelle Mitarbeiter darunter18, die anderen waren von Gotthold Kraus einfach auf die Liste gesetzt worden, damit sie länger aussieht und seinen Wert bei den Amerikanern erhöht.
Nach drei Wochen ist dieser Spuk vorbei, er wird mit etwa 30 anderen entlasteten Managern wieder freigelassen und erhält eine kleine Haftentschädigung.
Wie aus Trotz beantragt er gerade jetzt am 21.05.1953 die Zulassung zum Oberlandesgericht. Das ist im Grunde genommen eine reine Formsache, aber die Kammer verzögert die Entscheidung mit Hinblick auf die Vulkanaktion. Am Ende muss sie natürlich nachgeben. Am 10.01.1955 wird er dort zugelassen. Kurz danach stellt er einen Antrag an das bayerische Landesentschädigungsamt, um wegen der unberechtigten Inhaftierung als »politisch Verfolgter« behandelt zu werden. Er verfolgt den Antrag aber dann nicht weiter, als man ihm eine Menge Papier schickt, das er ausfüllen müsste. Vielleicht war das seine letzte Aktion, die ihn auf der Seite der KPD zeigt. Die Nähe zur Partei wird ihm schon damals fragwürdig geworden sein.
Kroth hatte in den letzten drei Jahren eine Vielzahl in – und ausländischer Manager getroffen, Geschäfte mit ihnen gemacht, Vertrauen aufgebaut und die Wirtschaft von einer Seite kennen gelernt, die ihm bis dahin als Beamten verschlossen gewesen war: in der Verwaltung kennt man die Hierarchie, Verträge hingegen bedeuten den Ausgleich von Interessen. Vielleicht hatte das sein ideologisches Misstrauen gegenüber der kapitalistischen Wirtschaft angekratzt.
Seine endgültige Entscheidung war aber noch nicht gefallen, vielleicht auch deshalb, weil er jetzt wirklich Arbeit auf den Tisch bekam. Kaum aus der Untersuchungshaft entlassen und bittet ihn Moskau, Anfang 1954 einen Kontakt zur »Gruppe Walzstahl« herzustellen, einer Vereinigung von Stahlherstellern, denen die Russen bisher ganz bewusst nicht geantwortet hatten, weil sie sich nicht sicher waren, welche Motive dahinterstanden. In diesem Kreis hat er Otto Wolff von Amerongen, den »Vater des deutschen Osthandels« (Otto Wolff Konzern *1918) erstmals kennen gelernt, der zunächst gegen ihn als »bekannten Kommunisten« wegen der Verhaftung im Rahmen der Vulkanaktion misstrauisch war19. (Mit den Mitarbeitern der Firma Wolff (Herr Steinrücke) bestand schon 1951 ein enger Kontakt).
Im gleichen Jahr geht es um Geschäfte mit Russland, die auf einer großen Konferenz in Moskau abgesegnet werden sollen – »als Bote zwischen dem Ostausschuss in Köln und der sowjetischen Landesvertretung in Berlin diente weiterhin Rechtsanwalt Kroth«20 seine Korrespondenz insbesondere mit Otto Wolff von Amerongen findet sich in den Archiven des Bundesverbandes der Deutschen Industrie.
In den folgenden Jahren zwischen 1954 und 1961 ist Kroth in vergleichbaren Aufträgen im Osthandel tätig. Willi Kling21, ist einer seiner wichtigen Ansprechpartner. Daneben trifft er Dr. Freund, einen gebildeten Manager aus Ostberlin, Schulte-Frohlinde aus Düsseldorf, Gutgesell aus Hamburg, Jergitsch aus Wien – Leute die teils auch eine kommunistische Vergangenheit haben, teils aber nur im Osthandel stecken mit all seinen Gefährdungen und Problemen.
Diese Probleme sind ihm gewiss an vielen einzelnen Schicksalen früherer Genossen klar geworden. Fritz Sperling, einer jener Emigranten, die er im Tessin aufgesucht und der ihm seinen Status als Widerstandskämpfer bestätigt hatten, wurde 1954 im Rahmen der letzten stalinistischen Säuberungswelle in Ostberlin mit einem Verfahren überzogen und zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt. (Zwei Jahre später, nach dem XX. Parteitag aber begnadigt). Immer wieder gab es solche Fälle, an denen die Willkür der DDR-Behörden sichtbar war. Es war dünnes Eis, auf dem er sich da bewegte.
Warum ist er nicht damals auf die kapitalistische Seite gewechselt und hat sich als Manager versucht? Er kannte führende Leute aus der Stahlindustrie und dem Stahlhandel, er hatte Erfahrung im politischen Umgang, er kannte große Unternehmen, war gebildet, sprachbegabt, wie es schon im Abiturzeugnis heißt, eine geborene »Führernatur« und hatte beste Umgangsformen. Vermutlich hat die Solidarität mit der KPD eine Rolle gespielt, die ihm sein Vermögen verschafft hatte. Seine Frau erinnerte sich daran, dass noch bis Anfang der sechziger Jahre alte Genossen, die zu Besuch in München waren, ihn aufsuchten, auch um Geld baten oder um sonstige Unterstützung. Dann aber ist keiner mehr erschienen.
Aber er wird auch bei den Unternehmern auf Zurückhaltung gestoßen sein. In der Zeit des kalten Krieges war jede Verbindung zu den Kommunisten ein rotes Tuch für jeden Unternehmer und es wäre für jedes Unternehmen schwer geworden, zu erklären, warum man jetzt einen früher führenden Kommunisten in seinen Reihen aufnimmt. Gegenüber früheren Nazigrößen, wie insbesondere den Wert Wirtschaftsführern (Herbert Tengelmann/Alfred Krupp/ /Ferdinand Porsche) gab es solche Vorbehalte nicht.
Als Geschäftspartner brauchte es keine ideologischen Übereinstimmungen. Er arbeitete sowohl für die Handelsgesellschaft West-Ost , als auch auf eigene Rechnung oder für andere Auftraggeber.
Darunter befinden sich namhafte westdeutsche Stahlhändler und ihre Manager, vor allem Wilhelm Dietrich von Menges, der Ferrostaal von 1938-1961 in wichtigen Positionen geleitet hat (s. Foto rechts stehend). Aber auch die Metallfirma Mayer in Düsseldorf und der Flick Konzern gehören zu seinen Auftraggebern. Dafür reist er regelmäßig nach Ostberlin oder Moskau, vielleicht auch einmal nach Korea.
1956, am XX. Parteitag der KPDSU in Moskau rechnete Chrustschow drei Jahre nach Stalins Tod mit dem stalinistischen Terror ab. Der Schock, den das auslöste, war ungeheuer, obwohl erst in den folgenden zehn Jahren der Tauwetterperiode das ganze Ausmaß seiner Verbrechen erkennbar wurde. Für den Osthandel war das alles eine positive Entwicklung. Vor allem die Manager in der DDR sahen sich nicht mehr an strikte Vorgaben aus Moskau gebunden und konnten freier agieren als zuvor.
Am 17.08.1956 wird die Deutsche Kommunistische Partei vom Bundesverfassungsgericht auf Antrag der Bundesregierung verboten. Die Partei hatte damals noch zwischen 78 - 85000 Mitglieder. Ihr Vermögen wird beschlagnahmt. Die führenden Funktionäre haben sich in die DDR abgesetzt, da das Urteil so zu erwarten war. Bis dahin war die Mitgliedschaft in der KPD ein staatsbürgerliches Recht, danach war sie rechtswidrig. Falls Alfred Kroth zu diesem Zeitpunkt noch offiziell Mitglied war, dürfte er ausgetreten sein, denn die Gefahr, dass er erneut in das Visier der Staatsanwälte geraten würde, war groß: die Staatsanwaltschaften leiteten etwa 120.000-150.000 Ermittlungsverfahren gegen Personen ein, von denen vermutet würde, dass sie der Partei noch angehörten. Kroth wurde von solchen Ermittlungen nicht mehr betroffen.
Die KPD-nahen Firmen in ganz Europa sind zu diesem Zeitpunkt mit hoher Wahrscheinlichkeit entweder in die privaten Hände der bisherigen Treuhänder übergegangen (ähnlich wie nach dem Zusammenbruch der DDR) oder in irgendwelchen verdeckten Konstruktionen (auch über Deckfirmen in der Schweiz und in Liechtenstein) weitergeführt worden. Wie immer diese Konstruktionen aussagen – Kroth hat in dieser Zeit gewiss ein ordentliches, wenn nicht sogar überdurchschnittliches Einkommen erzielt. Über seine Vermögenslage bei seinem Tod ist nur soviel bekannt, dass sie einem gehobenen Lebensstandard entsprach.
Kroth verfolgte ein neues strategisches Ziel: er war jetzt 47 Jahre alt und die letzten 25 Jahre im Zentrum der ideologischen Kämpfe gestanden, die Deutschland in diesen Jahren geprägt hatten. Er wollte seine Ruhe haben vor dem ständigen politischen Hin und Her, das ihn sein ganzes Leben begleitet hatte. Seine geschäftlichen Kontakte liefen häufig über die Schweiz. Die Verlegung des Wohnsitzes sollte eine Aufenthaltsgenehmigung für die Schweiz ermöglichen. Dazu musste man ausreichendes Vermögen und eine nachhaltige Tätigkeit nachweisen.
Am 15.12.1959 verlegt er offiziell seinen Wohnsitz nach St. Gallen, meldet eine Firma dort an, mietet sich ein und sieht sich nach Grundstücken um. Bei der Rechtsanwaltskammer in München beantragt er die Befreiung von der Residenzpflicht » aus Gründen der Wirtschaftsberatung verschiedener schweizerischer Firmen«, darunter wahrscheinlich auch die altbekannte Metalimport Zürich.
Das ist überkorrekt, denn in dem Büro, in dem nun statt Dr. Pitroff Herr Dr. Erich Carstens (Sonnenstraße 15) tätig ist, ist seit Jahren für einen reibungslosen organisatorischen Ablauf im Fall seiner Abwesenheit gesorgt. Die damals noch gültige »Residenzpflicht« ging von dem Modell aus, dass der Anwalt allein arbeitet und jederzeit für gerichtliche Zustellungen oder Empfangsbekenntnisse persönlich erreichbar ist. Die Sozietät als Modell war völlig unbekannt. Wenn aber – wie hier – mehrere Kollegen vor Ort sind, kann jeder den anderen zu seinem Vertreter beauftragen und kann herumreisen, solange er will. Natürlich sieht die Rechtsanwaltskammer das anders. Wie üblich, wenn sie irgendetwas zu entscheiden hat, geschieht entweder nichts und auf jeden Fall nicht das, was der Antragsteller möchte. Sie erklärt ihm die Rechtslage, so wie sie sie haben will und er zieht den Antrag zurück, nachdem er erkannt hat, wie überflüssig er ist. In München ist er jetzt zwei Jahre lang nur sehr selten.
Die Gespräche mit den schweizerischen Behörden machen ihm in der Folgezeit klar, dass er keine Aufenthaltsgenehmigung erhalten wird.– sei es aufgrund der früheren Zugehörigkeit zur NSDAP oder diejenigen zur KPD. Solche Beschränkungen sind ihm bekannt, denn auch für die USA bekommt er kein Visum. Am 20.04.1961 verlegt er seinen Wohnsitz wieder nach Deutschland, trennt sich von seinen bisherigen Anwaltspartnern und verlegt auch das Anwaltsbüro als Einzelanwalt in die Marsop Str. 15 (später: Meyerbeer Straße 1).
Aber er will auch einen Fuß außerhalb Deutschlands haben. Im Jahr 1962 kaufte er sich ein Grundstück in Rackersing an den Trumer Seen (Salzburger Land) und lässt es von einem dortigen Architekten mit einem schönen Bungalow bebauen, den er und die Familie in den folgenden Jahren häufig nutzen.
Seine Beziehungen zur Stahlindustrie wie zu den DDR Ministerien bilden nach wie vor der Kern seiner Tätigkeit. Zusammen mit Ernst Wolf Mommsen (Thyssen) traf er auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1965 die Minister Markowitsch und Pasold (Chemieanlagenbau) um den Bau und Vertrieb von Kleinanlagen für Düngemittel zu betreiben22. Mommsen schlug noch weitergehende Kooperationen vor, an denen er vermutlich beteiligt war. 1969 liefen diese Kontakte wieder so gut, dass er bei der Rechtsanwaltskammer den Kollegen Bernd-Michael Manthey als neuen oberlandesgerichtlich bestellten Vertreter anmeldet. Grund: »Tätigkeit im Rheinland«. Manthey oder andere Kollegen erhalten die Fälle, die gelegentlich auf ihn zulaufen.
Mit 60 Jahren hat er möglicherweise noch hier und da ein Geschäft gemacht, aber jetzt gelten seine Interessen für die nächsten Jahre den Wissenschaften. 1977 wird er als städtischer Amtsrat pensioniert und ist im Juni 1978 nach kurzer Krankheit verstorben.
16. Das Ende der Ideologien
Wer in Deutschland zwischen 1900 und 1930 geboren wurde, teilte mit seinen Zeitgenossen ein schwieriges Schicksal. Diese beiden Generationen erlebten bewusst den Zusammenbruch des Kaiserreiches, den Beginn des Europäischen Bürgerkrieges, den Zweiten Weltkrieg und danach den Kalten Krieg, dessen internationale Grenze sich mit Mauern, Stacheldrahtverhauen, Schäferhunden und Selbstschussanlagen quer durch Deutschland zog. Die Zeit nach 1945 zeigte stets ein doppeltes Antlitz: der Kampf zwischen dem Kommunismus und dem Kapitalismus und die Erfahrungen der beiden Weltkriege schweißten Europa näher zusammen und mitten zwischen den ideologischen Auseinandersetzungen blühte das Wirtschaftswunder zwischen den Ruinen.
Obwohl Alfred Kroth den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik im Jahr 1989 nicht mehr erlebt hat, gehört er zu den wenigen seiner Generation, die einen tiefen Einblick in beide Systeme gewonnen haben. Die Teilung Deutschlands war die logische Fortsetzung der Spaltung der Weimarer Republik in zwei ideologische Lager, deren eigenes Interesse stets größer war als das Wohl des Landes, dem sie entstammten. Es waren nahezu Religionskriege, die da stattfanden. Wer sein Gewissen spürte, konnte leicht aus den besten Motiven auf die eine oder andere Seite geraten. Dass sich ein 20-Jähriger schon mit solcher Entschiedenheit entschließt, Spion zu werden, ist erstaunlich. Immerhin stammt er nicht aus der Arbeiterklasse und trotz wirtschaftlicher Schwierigkeiten hat er auf allen Ebenen eine frühe Förderung erfahren: auch wenn sein Vater nur ein städtischer Amtsbote war, haben die Witwen und Waisenpension und verschiedene Stipendien kirchlicher Institutionen ihn und seine Mutter einigermaßen durchgebracht und ihm einen erheblichen beruflichen und persönlichen Aufstieg ermöglicht. Alles sprach dafür, sich in dieser Situation den neuen Herren, den Nationalsozialisten anzupassen und nichts, sich den Kommunisten anzuschließen, deren Organisationen gerade zerschlagen wurden. Er war gewiss intellektuell davon überzeugt, dass dem Sozialismus die Zukunft gehört. Aber den entscheidenden Ausschlag gab der »Parteibefehl«, den Josef Hirsch ihm gab: es war die Zeit von Autorität und Gehorsam, die alle Deutschen prägte, gleichgültig, auf welcher Seite sie standen. Er hat seinen Entschluss eisern so lange durchgehalten, bis ihm klar wurde, dass er keine politische Zukunft haben würde.
Natürlich fällt auf, dass er bei all dem die persönlichen und beruflichen Vorteile nicht verachtet hat, die ihm in den Jahren zwischen 1938 und 1945 zuteilwurden. Wäre er wie die meisten seines Jahrgangs sechs Jahre lang an der Front gelegen, hätte er kaum überleben können. Er genoss gewiss die Ersatzwohnung, nachdem sie ausgebombt waren, eine bessere Lebensmittelversorgung usw. – aber diese Bevorzugung konnte er nicht vermeiden, ohne seine Ziele zu gefährden. Ihnen stand ein Todesrisiko gegenüber, das man damit gar nicht vergleichen kann. Diesen Zwiespalt wird man ihm moralisch nicht vorhalten können.
Bemerkenswert ist der Wechsel vom Politiker zum Manager, den er in wenigen Monaten etwa um 1947 vollzogen hat. Wer ihn auf Idee gebracht hat, seine Parteibeziehungen nicht politisch, sondern wirtschaftlich zu nutzen, ist nicht bekannt. Da er unter den Parteimitgliedern, die in Bayern führende Positionen einnahmen, einer der ganz wenigen Akademiker und mit Sicherheit der Einzige war, der Jura und Volkswirtschaft studiert und jahrelang im Wirtschaftsreferat einer Großstadt tätig war, sind gewiss immer wieder fachliche Fragen an ihn gestellt worden. Auch die Situation des Interzonenhandels lag im Blickfeld der Politik. Dazu kommen seine Englischkenntnisse und sein grundsätzliches Interesse an internationalen Handelsbeziehungen, über die er schon 1937 bei seiner Bewerbung zum Reichsarbeitsministerium schreibt.
Was sich aus diesen Interessen entwickelte, konnte er nicht ahnen, aber wie gefährlich auch das war, hat er bis in die Vulkanaffäre hinein und am Schicksal früherer KPD Genossen gut genug sehen können: Noch 1951 wurde Fritz Sperling, Vorstand der bayerischen KPD und stellvertretender deutscher KP Vorsitzender unter einem Vorwand nach Ostberlin gelockt und dort am 18.03.1954 wie so viele Kommunisten, die im Exil im Ausland gewesen waren, in einem der letzten stalinistischen Prozesse zu einer Haftstrafe verurteilt. Ob die Chance, kurzfristig viel Geld zu verdienen, damit aufgewogen wird, dass man jeden Tag im Westen in Prozesse verwickelt oder in der DDR grundlos inhaftiert und abgeurteilt wird?
Seine Intelligenz, sein taktisches und strategisches Geschick, aber vor allem ein Haufen Glück haben ihm geholfen, durchzukommen. Und irgendwann, wohl spätestens 1956, als die KPD in Westdeutschland verboten wurde, hat er sich entschlossen, den Europäischen Bürgerkriegs für sich zu beenden.
Gewiss hätte er danach wie viele andere Stahlhändler Karriere machen können. Wir wissen nicht, ob das ruhige Leben, das er danach führte, von einem grundsätzlichen Bruch mit seinen sozialistischen Ideen zeugte. Man wüsste das besser, wenn er sich wirklich für Geld und Karriere interessiert hätte. Aber das war nicht der Fall. Im Grunde hatte er in den wenigen Jahren zwischen 1948 und 1956 genug verdient, um auskömmlich damit leben zu können. Das scheint sein Ziel gewesen zu sein, denn danach hat er sich nur noch mit intellektuellen Gegenständen beschäftigt.
Vergleichen wir sein Schicksal etwa mit Manfred Augst1, einem Apotheker und Mitglied der SS in Stuttgart, der ein begeisterter Nationalsozialist war und bis in die letzten Tage des Zusammenbruchs als Soldat für seine Ideologie gekämpft hat. Schon kurz nach dem Krieg engagiert er sich wieder politisch – und diesmal bei den Atomkraftgegnern! Schon als Nationalsozialist wollte er für eine bessere Welt sorgen, nun also auf diese Weise. Er schließt sich kirchlichen Friedensbewegungen an, läuft auf Ostermärschen mit, verfällt in tiefste Depressionen und am Ende bringt er sich 1969 auf dem evangelischen Kirchentag in Stuttgart vor aller Augen mit Zyankali um: »Ich grüße meine Kameraden von der SS«. Sein Bedürfnis, sich in irgendwelche gedanklichen Modelle zu verirren, die Grundkrankheit der Ideologie hat ihn nie losgelassen.
Alfred Kroth ging es anders. Er hat zu sich selbst gefunden. In den letzten zehn Jahren seines Lebens, in denen er überwiegend für seine wissenschaftlichen Interessen lebte, wird er Zeit genug gehabt haben, die Ereignisse zu bewerten, deren unmittelbarer Teilnehmer und Zeuge er war. Weder der Politiker noch der Anwalt noch der Händler waren das Rollenmodell, mit dem er sich völlig hat identifizieren können. Und trotzdem wirkte er manchmal – wie die Spanier sagen –, wenn sie einen Menschen beschreiben wollen, der sich am falschen Platz findet »wie ein Tintenfisch in der Garage«. Ob er am Ende glücklich war, kann ich nicht sagen.
»Unheimlich, wenn man ein langes Leben hinter sich hat, wie alle Erinnerungen durcheinander fluten, wie man kaum mehr Partei ergreifen, kaum mehr urteilen kann, nur noch staunen vor der Unheimlichkeit des menschlichen Geschicks, der völligen Sinnlosigkeit des politischen Geschehens, das immer auf einer so mittelmäßigen und deshalb so bösen Ebene in so völliger Unfreiheit ausgelöst wird.«
(Carl Jakob Burkhardt)
17. Chronologische Übersicht 1912 - 1978
1912 10. März, Alfred Jacob Johann Kroth, geboren in München , Lindwurmstraße 2a , als Sohn des »Offizianten« (städtischen Amtsdieners) Jacob Kroth (geboren 26. Juni 1876 in Kleinwallstatt, Unterfranken,), Mutter: Anna Kobinger, geboren 22. Januar 1886 bei Dillingen, Heirat 9.10.1909, später wohnhaft Schellingstraße 17/I in München.
1914 9. Oktober, Der Vater fällt bei Antwerpen. Alfred wächst bei der Mutter (damals 28) auf.
1919 7. April bis 2. Mai, Münchner Räterepublik. Kurt Eisner wird am 21. Februar ermordet.
1923-1923 Wirtschaftskrise: am 15.11.1923 kostet 1,0 $ 4,2 Billionen Reichsmark
1923 8. - 9. November, Hitler/Ludendorff Putsch
1926-1931 Altes Realgymnasium. Während der Schulzeit verdient Alfred nebenbei Geld mit Nachhilfestunden und schiebt am Wochenende das Karussell am Chinesischen Turm, denn die Witwenrente seiner Mutter beträgt nur circa 100 RM. Sie nimmt aber auch keine Arbeit an.
1931 Abitur mit der Bemerkung »Der beste Schüler seiner Klasse«
1931- 1934 Studium von Jura und Volkswirtschaft. Jetzt erhält er von der katholischen Vinzenz-Kongregation Stipendien. Beitritt zum Sozialistischen Studentenbund (SPD)
1932 Beitritt zur Kommunistischen Partei Deutschlands, geworben von Josef Hirsch im Bierkeller Kreuzbräu (Staatsarchiv München SpkA K 972)
1933 30. Januar, Hitler wird Reichskanzler, innerhalb kürzester Frist werden alle Institutionen und Parteien der Weimarer Republik beseitigt und/oder entmachtet. Viele Mitglieder anderer Parteien werden illegal auch von NSDAP-Leuten »verhaftet« und in Konzentrationslager etc. eingewiesen. Im Lauf der nächsten zwölf Jahre entstehen etwa 1000 Lager für politische Gegner und Zwangsarbeiter in ganz Deutschland.
1933 Juni, Im Auftrag der KPD Reise in die Schweiz. Er sammelt Geld für die Genossen und bringt illegale Schriften mit.
1933 1. Dezember, Aufnahme in die Hitlerjugend (HJ). Er führt einen Musikzug als Gefolgschaftsführer. Mehrfach reist er nach Österreich, unterstützt Juden und andere Nazigegner.
1934 Helmut Haselmayr (*1921) wird als HJ-Jungenschaftsführer Mitglied des Musikzuges. Seine Familie steht der SPD nahe. Er bleibt ihm über Jahrzehnte freundschaftlich verbunden
1934 8. März bis 13. April, Untersuchungshaft nach Verhaftung durch die Bayerische Politische Polizei in München Ettstr. wegen »Verdachts der Vorbereitung zum Hochverrat«. Er kommt frei, weil ihm nicht nachgewiesen werden kann
1934 1. Juli, In der »Nacht der langen Messer« lässt Hitler einen seiner Konkurrenten, Ernst Röhm, den Chef der SA in München Stadelheim verhaften und zusammen mit anderen, im ganzen Reichsgebiet aufgegriffenen Opfern, die auf einer Todesliste standen, erschießen, da Röhm offen gegen ihn aufgetreten war. Carl Schmitt rechtfertigte die Tat mit einem beschämenden Aufsatz Der Führer schützt das Recht, DJZ vom 1. August 1934, Heft 15, 39. Jahrgang, Spalten 945 – 950.
1934 27. Oktober, Erstes juristisches Staatsexamen Note »gut«
1934 6. Dezember, bis 1938, 12. Mai: Referendardienst unter anderem beim Amtsgericht Fürstenfeldbruck, wo er seine spätere Frau, Elisabeth Feistle kennen lernt. Ferner bei der Stadtverwaltung München und bei Arbeitsverwaltungsbehörden (Beurteilung »Fähigkeiten liegen erheblich über dem Durchschnitt«), aber auch bei Rechtsanwalt Dr. Hans Stock, dem Gauführer des NS-Rechtswahrerbundes: diesem assistierte er bei Ehrengerichtsachen des NSRB Gau München Oberbayern.
1935 20. Dezember, Promotion an der staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität München, »Indexwährung (Kritik und ein Vorschlag)«, Note »magna cum laude« (schriftlich und mündlich)
1935 Aufnahme in den NS-Rechtswahrerbund(NSRWB), dem parteipolitischen Zusammenschluss aller Juristen in der NSDAP
1936-1939 Spanischer Bürgerkrieg. Deutsche Luftwaffe bombardiert am 26.04.1937 Guernica
1937 1. Mai, Aufnahme in die NSDAP Mitgliedsnr. 4.821.276, damals immer noch wohnhaft bei seiner Mutter Schellingstraße 17 erster Stock, Aufnahmeantrag 3. Juni 1937 (Aufnahme also rückdatiert). Vermutlich spätestens seit diesem Zeitpunkt »konfessionslos«.
1938 12. März, Anschluss Österreichs
1938 13. Mai, Zweites Juristisches Staatsexamen, Note »befriedigend bis gut« (nach anderen Quellen: befriedigend)
1938 18. Mai, Bewerbung als Jurist beim Reichsarbeitsministerium in Berlin für »Berlin oder München« mit Wunsch einer internationalen Verwendung unter Hinweis auf englische Sprachkenntnisse. Die Gauleitung der NSDAP hat »keine Bedenken«.
1938 7. Juni, Nachfrage über den Verbleib seines Antrags und Angebot persönlicher Vorsprache in Berlin am 10. Juni 1938
1938 30. August, Der Reichstreuhänder der Arbeit für das Wirtschaftsgebiet Bayern, Frey (Trautenwolf Straße 4) entscheidet sich für ihn und gegen einen anderen, 12 Jahre älteren Kandidaten (Büttner), Gehalt:TOA III.
1938 29 September, Der Reichstreuhänder teilt dem Reichsarbeitsministerium mit, Kroth habe den Antritt der Stelle abgesagt. Er habe stattdessen eine »besser bezahlte Stelle unter gleichzeitiger Zusicherung der endgültigen Einstellung beim Oberbürgermeister der Hauptstadt der Bewegung« angenommen.
1938 30. September, Münchner Abkommen: die Tschechoslowakei wird zerschlagen
1938 9.-10. November, Reichspogromnacht: der Münchner Oberbürgermeister Karl Fiehler lädt Joseph Goebbels mit führenden Parteimitgliedern zu einem Kameradschaftsabend ein. Joseph Goebbels hält eine antisemitische Hetzerede. In der Folge verwüsten, verbrennen und plündern Parteimitgliedern und andere in ganz Deutschland Synagogen, jüdische Geschäfte usw. Die Bevölkerung ist schockiert, bleibt aber reglos.
1938 1. Oktober, Tätigkeit als angestellter Jurist zunächst in der Devisenabteilung, dann im »Werks-und Fiskalreferat der Stadt München mit der Berechtigung, den Titel »Städtischer Syndikus« zu führen. Eingangsgehalt im Oktober 1938: 290,38 Reichsmark pro Monat (circa 3600 pro Jahr). Neben ihm ist Alfred Seidl tätig, ebenfalls NSDAP und später – zur CSU gewechselt – sein Verteidiger in der Vulkanaffäre.
1939 24. August, Hitler und Stalin schließen einen Nichtangriffspakt, auf den weltweit angesichts der bisherigen scharfen politischen Gegensätze der Faschisten und der Kommunisten mit Entsetzen reagiert wird.
1939 Mai, Reise in die Schweiz, und nach Jugoslawien und Italien
1939 1. September, Beginn des Zweiten Weltkriegs durch Überfall auf Polen. Hinter der Front rücken das Reserve-Polizeibataillon 101 und SS Einsatzgruppen nach und erschießen wahllos jeden Juden, dessen sie habhaft werden können. Auch Polen, Litauer beteiligen sich an öffentlichen Massakern dieser Einheiten. Die Opfer werden verbrannt oder in Massengräbern verscharrt. Soldaten der Waffen SS und der Wehrmacht riegeln solche Aktionen ab, erfahren davon und berichten teilweise mit Fotografien nachhause. So erfahren auch Angehörige der Soldaten in Deutschland davon. Die Erklärung lautet: Partisanenvernichtung, obgleich die Fotografien auch ältere Frauen und Kinder zeigen. Hitler erhält Anfang 1940 die Meldung »Polen ist judenfrei«.
1939 1. Oktober, Ernennung zum städtischen Amtsrat Gehalt 4800 Reichsmark pro Jahr, Wohngeldzuschuss 864 Reichsmark pro Jahr
1940 8. Januar bis 1. November, Grundausbildung bei der Wehrmacht
1940 28. Oktober, Kroth wird befördert: Sein Vorgesetzter, Dr. Jobst erreicht es, dass Kroth ihm als Mitarbeiter zugeordnet wird und bis auf weiteres für die Wehrmacht unabkömmlich gestellt wird. Durch mehrfache Verlängerungsanträge kann er bis August 1944 weiter als Verwaltungsbeamter tätig sein. Jobst ist der persönliche Referent des Oberbürgermeisters Karl Fiehler. Dieser ist seit 1920 mit der Mitgliedsnummer 37 eines der ältesten Mitglieder der NSDAP. Er nimmt neben seinem Amt den hohen Rang eines Reichsleiters der NSDAP ein, gehört (formal) zu den 20 engsten Mitarbeitern Adolf Hitlers und ist seit 1934 SS Gruppenführer (ab 30.01.1942 SS-Obergruppenführer (Generalsrang)) mit unmittelbarem Zugang zu Heinrich Himmler.
In dieser Position hat Kroth Zugang zu Verschlusssachen: er informiert bis zum Kriegsende die in der verborgen arbeitenden örtlichen Parteileitung der verbotenen KPD sowie in der Schweiz (Tessin) im Exil befindlichen Kommunisten mit Informationen und Dokumenten, die er teils auch auf Auslandsreisen sammelt. Er berichtet über Mitglieder des Sicherheitsdienstes der NSDAP (SD) und über »Geheimbefehle« der NSDAP, die ihm zugänglich sind. Dies bestätigen ihm 1946 im Rahmen des Entnazifizierungsverfahrens insbesondere der Parteisekretär Bruno Goldhammer, aber auch KP Funktionäre wie Joseph Hirsch.
1940 September, Eheschließung mit Elisabeth Emilie Feistle, geboren 15. Mai 1917 in Dinkelsbühl
1941 22. Juni, Hitler bricht den Pakt mit Stalin: Angriff auf Sowjetrussland. Wie auch in Polen folgt unmittelbar hinter der Front die Vernichtung der russischen Juden. Auch offene Pogrome finden vor allem in den baltischen Staaten statt.
1941 25. November, Ernennung zum Städtischen Rechtsrat und zum Beamten auf Lebenszeit
1942 20. Januar, Wannseekonferenz: einer Handvoll Vertretern unterschiedlicher Organisationen (SS, SA, Ministerien usw.) wird Hitlers Entschluss mitgeteilt, die Juden europaweit zu vernichten »Endlösung der Judenfrage« und unverzüglich damit zu beginnen. Im polnischen Oświęcim (Auschwitz) wird das größte von siebenVernichtungslagern errichtet.
1942 16. April, Der Steuerberater Hermann Frieb, zusammen mit seiner Mutter Paula Mitglied der SPD und der Widerstandsgruppe »Neu Beginnen« wird verhaftet. Bei einer Hausdurchsuchung der Ferienwohnung wird eine Vielzahl von Waffen und Munition entdeckt. Am 12. August 1943 wird er hingerichtet. Frieb wohnte in der Schellingstraße und war Schulkamerad von Kroth. Seine Mutter bestätigt, dass Kroth aufgrund seiner Tätigkeit, die ihr bekannt war, erhebliche Risiken eingegangen sei. Nach einem eigenen Bericht von Kroth gegenüber seinen Kindern hat er eine Vervielfältigungsmaschine im Keller des Hauses in der Schellingstraße aufbewahrt . Als ein Parteifreund sie abholen wollte, wurde er verhaftet. Man fand bei ihm einen Zettel mit der Aufschrift »Mutter weiß nichts«. Daraufhin sei nichts weiter geschehen.
1942 Juni, in Auschwitz und in sechs anderen Lagern beginnt die fabrikmäßige Tötung der Juden.
1942 2. Dezember, Kroth übernimmt ein Parteiamt der NSDAP : er ist Leiter der Hauptstelle im Büro des Leiters des Hauptamtes Abteilung Kommunalpolitik und erhält hierfür eine Aufwandsentschädigung von 150 Reichsmark. Dies steht auch in Zusammenhang mit seiner Tätigkeit für den deutschen Gemeindetag, in der der Münchner Oberbürgermeister (aufgrund seiner Parteiämter) eine wesentliche Rolle spielt. Aufgrund seiner Sprachkenntnisse wird er für Auslandsreisen nach Dänemark und Rumänien eingesetzt, da der Oberbürgermeister Präsident des Internationalen Gemeindeverbandes wird und Auslandskontakte aufnimmt. Auf die Reise nach Kopenhagen hat er im Auftrag von Joseph Hirsch (KPD) einen chiffrierten Brief für Stadtrat Hirsch mitgenommen. Er ist auch als »Politischer Leiter« innerhalb der Behörde vorgesehen, versteht es aber, diese Berufung zu vermeiden.
1943 Januar, Hitler verweigert den Rückzug der Front bei Stalingrad. Die Sechste Armee wird vernichtet. Für die meisten Beobachter ist dies die entscheidende Wende im Zweiten Weltkrieg. Der Untergang ist abzusehen.
1943 9. März, Geburt der Tochter Gabriele
1943 Gehaltserhöhung auf jährlich 5700 Reichs Mark zuzüglich Wohngeld 1584 Reichsmark und Kindergeld (Gabriele) 240 Reichsmark.
1943 Frühjahr, Kroth wird nach eigener Aussage durch die Gestapo verhaftet und zwar in Zusammenhang mit den Aktivitäten der Geschwister Scholl. Nach zwei Tagen Verhör wird er freigelassen. Diese Aussage kann derzeit durch Zeugen und Dokumente weder verifiziert noch widerlegt werden.
1943 20. November, Oberbürgermeister Fiehler stellt den Antrag, Kroth weiterhin vom Wehrdienst freizustellen. Er führt aus: bis November 1943 sei Kroth, dessen Vater gefallen war als Kriegswaise des Ersten Weltkrieges laut Führererlass vom Frontdienst befreit gewesen. Dieser Erlass wurde im Herbst 1943 aufgehoben. Der daraufhin erforderliche individuelle Antrag wurde bis 1. Mai 1944 genehmigt und später bis August 44 verlängert.
1944 6. März bis 26. März: Kur wegen nervösen Magenleidens etc. in Isny (Allgäu)
1944 Das Haus in der Schellingstraße 17 wird von Bomben getroffen. Umzug in die Isabella Straße 11.
1944 31. August, Endgültige Einberufung zur Wehrmacht. Damit endet auch das Parteiamt. Kroth vermeidet bewusst die Einziehung zu Offizierslehrgängen und bleibt einfacher Funker. Kein Fronteinsatz.
1945 28. April, Kroth geht auf Anregung des Landrates in Zivilkleidung mit einer Gruppe von Bürgern aus Fürstenfeldbruck den Besatzungstruppen der Amerikaner mit einer weißen Fahne entgegen, um einen Beschuss der Stadt zu vermeiden, was gelingt. Er ist kurz zuvor möglicherweise desertiert, da eine förmliche Entlassung aus der Wehrmacht nicht festzustellen ist.
1945 16. Mai, Die führenden KP Mitglieder Joseph Hirsch, Ludwig Ficker, Albert Frank und Josef Wimmer bestätigen schriftlich die Zugehörigkeit von Kroth zur KPD und seine illegale Tätigkeit zu Gunsten der Partei
1945 28. Mai bis 28. September: Fritz Schäffer (CSU) - der spätere Finanzminister der Bundesrepublik - regiert nach entsprechender Einsetzung durch das RMG (Regional Military Government). Schon für sein Kabinett gibt es eine Vorschlagsliste mit »Wirtschaftsminister Kroth«, den die KPD aber nicht durchsetzen kann. Nach Ansicht des RMG betreibt Schäffer die Entnazifizierung nicht konsequent und achtet zu sehr auf religiösem Proporz. Schäffer tritt zurück und es folgt das Kabinett Hoegner (SPD), dem Kroth für die KPD als Staatssekretär angehören soll. Dazu kommt es nicht. In anderen Ländern hingegen gelingt es der KPD, in die Regierung zu kommen, so in Bremen in das Kabinett Kaisen 1945 bis 1946 und in Niedersachsen 1946 bis 1948 (Karl Abel, Minister für Volksgesundheit und Staats Wohlfahrt).
1945 1. August, Kroth wird zum Berufsmäßigen Stadtrat und Leiter des Ernährungs-und Wirtschafts- Referates der Stadt München durch Oberbürgermeister Karl Scharnagl für einen Zeitraum von 12 Jahren ernannt. Gehalt: 10.000 Reichsmark pro Jahr, Wohngeld 2016 RM, Kindergeld (Gabriele) 240 RM
1945 24. September, Oberbürgermeister Scharnagl erhält durch das RMG (Regional Military Government), Unterabteilung des OMGUS (Office of Military Government for Germany (U.S.) die Anweisung, Kroth zu entlassen. Grund: die Mitgliedschaft zur NSDAP, die erst später im Zuge der Entnazifizierungsverfahren (1946) als formal und im Auftrag der KPD erfolgt erkannt wird. Gegenvorstellungen bleiben zwecklos. Der »Politische Berater« des RMG, Parker W. Buhrmann verweist am 30. Oktober 1945 auf die politische Kritik an einem zu liberalen Umgang mit früheren Parteigenossen. General George S. Patton hatte am 20.09.1945 US Präsident Truman gegenüber verharmlosend die Nationalsozialisten mit den Republikanern in den USA verglichen und war daraufhin abgelöst worden (am 21.12.1945 verstarb er bei einem Autounfall in der Nähe von Bad Nauheim). Truman verschärfte die Anforderungen an die Entnazifizierung. Kroths Gehaltszahlungen werden Ende Oktober eingestellt.
1945 5. Oktober, Ministerpäsident Hoegner (SPD) schlägt dem RMG vor, Kroth für die KPD neben Richard Scheringer zum Staatssekretär im Wirtschaftsministerium zu ernennen. Kroth nimmt an der ersten Sitzung der Regierung vom 8.10.1945 teil und wird dann aus den oben dargestellten Gründen wegen fehlender Bestätigung durch die Militärregierung entlassen.
1945 26. Oktober, Die Süddeutsche Zeitung und einige weitere bayerische Blätter berichten ausführlich über Kroth als illegales Mitglied der KPD.
1946 24. Januar, Auf Antrag der KPD, einer der drei »in München«, (das heißt aber auch: für ganz Bayern) zugelassenen demokratischen Parteien (CSU, SPD, KPD) kommt der »Beirat des Staatsministers Sonderaufgaben über Dr. Kroth« zu dem einstimmigen Ergebnis »dass Sie nach deutscher Auffassung nicht als Nationalsozialist, sondern als aktiver Antifaschist zu betrachten sind« (gezeichnet Schmitt, Staatsminister). Dies beruht auf entsprechenden persönlichen Erklärungen über die Tätigkeit von Kroth zu Gunsten der KPD während der NS Zeit durch die KP Mitglieder, Stadtrat Joseph Hirsch und Albert Frank: Beide bestätigen, dass Kroth seit 1932 im unmittelbaren Auftrag und »auf Befehl« der Partei gehandelt habe (Frank: »er war einer der besten aus unserer Truppe«!)
1946 27./28. Februar, in Berlin findet die erste offizielle KPD Parteikonferenz statt. Aus Bayern nehmen teil: Georg Fischer, Fritz Sperling, Bruno Goldhammer, Fritz Abel und Alfred Kroth. Dazu müssen sie die Grenze illegal überschreiten. Kroth wird deswegen vom »Mittleren Militärgericht« mit Urteil vom 15. Juni 1946 zu vier Monaten Haft in Landsberg verurteilt, die er dort abbüßt (Fertigung von Filzpantoffeln).
Fritz Sperling (Buchhalter, 1911-1958) war während der Nazizeit als KPD- Funktionär zum Tode verurteilt worden und konnte in die Schweiz fliehen. Dort befand er sich wegen kommunistischer Agitation in einem Internierungslager im Tessin. Er kehrte 1946 nach Bayern zurück und wurde sofort Landesvorsitzender der KPD in Bayern.
1946 1. Juli, Das Entnazifizierungsverfahren wird durchgeführt. Es stützt sich auf circa 15 Zeugenaussagen, die die Ermittler die Militärregierung eingeholt haben. Sie bestätigen die Tätigkeit von Kroth für die verbotene KPD, einige (darunter auch anonyme) Zeugen werfen ihm aber vor, Vorteile aus seiner Mitgliedschaft bei der NSDAP gezogen zu haben. Kroth legt eine etwa 70 seitige Zusammenstellung von Dokumenten vor, die sich teils aus kritischen Presseberichten, teils aus eigenen kritischen Bewertungen politischer Vorgänge während der Nazizeit zusammensetzen. Die Spruchkammer München I (Aktenzeichen I/16/46) verurteilte ihn in erster Instanz als »minder belastet« zu einer Sühne von 3000 € auf drei Jahre Bewährung. Hiergegen erfolgt am 2. Juli 1946 die Berufung des öffentlichen Klägers (Michael Pfeuffer im Auftrag des Ministeriums für Sonderaufgaben!
1946 21. März 1947, Die Berufungskammer beurteilt ihn als »Mitläufer« und senkt die Strafe (Aktenzeichen 41/46). Hiergegen legte Kroth Rechtsmittel zum Kassationshof ein.
1947 16. Juli, Auf Antrag des öffentlichen Klägers wird der Spruch aufgehoben da aufgrund der vorliegenden Zeugenaussagen eine aktive antifaschistische Tätigkeit bewiesen worden sei. Die Gesetze über die Entnazifizierung regelten den Fall nicht, dass jemand diese Tätigkeit formal als Mitglied der NSDAP ausgeübt habe. Daraus etwa gezogene Vorteile seien die logische Folge gelungener Tarnung. Kroth sei von diesen Gesetzen nicht betroffen, die Verfahren werden eingestellt (Aktenzeichen 1258/47).
1947 Kroth wird nach Abschluss seines Entnazifizierungsverfahrens in den Vorstand der bayerischen KPD gewählt. Es ist unklar, wann dieses Amt formal endet. Der späteste Zeitpunkt dürfte 1950 gewesen sein, als ein anderes Mitglied dieses Vorstandes, Bruno Goldammer aufgrund einer haltlosen Denunziation von der KPD aus der Partei ausgeschlossen wird.
1946 20. Juli, Geburt des Sohnes Wolfgang
1947 21. Juni, Der Bi-Zonen-Wirtschaftsrat zwischen der englischen und amerikanischen Besatzungszone wird gegründet. Er setzt sich im Proporz aus Mitgliedern der, in den beiden Zonen zugelassenen und gewählten Parteien zusammen. Nach einigen Quellen (Protokolle des bayerischen Ministerrats) war Kroth Mitglied dieses Gremiums, in anderen (Overesch) ist er nicht erwähnt.
Aus dem Wirtschaftsrat entsteht später der Parlamentarische Rat, der den Herrenchiemseer Entwurf, die Grundlage des heutigen Grundgesetzes erarbeitet hat. Diesem Gremium hat Kroth nicht angehört.
1947 November, Antrag auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft, Umzug privat zur Miete in ein Reihenhaus in die Stürzerstr. 29
1948 28. Februar, Zulassung als Rechtsanwalt,
1948 9. März, Oberbürgermeister Scharnagl bittet das »Direktorium A« um Zuweisung von zwei Büroräumen: »Herr Dr. Kroth musste aus seiner Stellung als Stadtrat aufgrund von Angriffen ausscheiden, die sich nach Durchführung des Spruchverfahrens als durchaus ungerechtfertigt erwiesen haben.«. Er erhält daraufhin das Büro Thalkirchenerstr 14.
1948 15. Juni, Kauf eines Pkw Opel für 1254 RM
1948 20. Juni, mit der Währungsreform wird die Deutsche Mark eingeführt und die Reichsmark eingezogen.
1949 24. Februar, Urteil des Ehrengerichts der Rechtsanwaltskammer München: Verurteilung zu einer Geldstrafe von 1000 DM, die später vom Gerichtshof auf 500 DM ermäßigt wird. Grund unbekannt. Die Akte ist nicht mehr erhalten.
1949 2. November, Geschäftsführer der »Deutsche Handelsgesellschaft West-Ost mbH« Düsseldorf, Graf Adolf Straße 17,und Friedrich-Ebertstr. 59/61 (privat: Hüttenstraße 5).
Amt niedergelegt am 5. Februar 1952, Stammkapital 100.000 DM, davon sein Anteil 33.400 DM.Friedrich Pörtner und Friedrich Erdtel. Zweck der Gesellschaft ist es, Interzonen Handel zu betreiben. Der übliche Provisionssatz beträgt 1,5 Promille, nach anderen Quellen 1,5 % (Major Henning MfS-HA II Nr. 33027, S. 5) . » Aus diesen Beträgen sollten in Westdeutschland verschiedene Friedensorganisationen finanziert werden.« (aaO)
1959 25. Juli, die Rechtsanwälte Dr. Cüppers aus Düsseldorf zeigen der Rechtsanwaltskammer in München an, Kroth sei Geschäftsführer der Handelsgesellschaft West-Ost mbH. Das war damals formal mit der Zulassung eines Anwalts nicht vereinbar. Die Rechtsanwälte vertreten den kurz danach insolventen Verlag Drei Groschen Blatt, der den offen darauf aufmerksam macht, dass der KPD nahestehende Firmen in einem, nur ihnen zugänglichen Ost-Westhandel ihre Gewinne an die Partei abführten. Hier wird ein Nebenkriegsschauplatz aufgemacht.
1950 1. Mai, Wegfall der Lebensmittelkarten
1950 Bruno Goldhammer (Journalist 1904-1970) befand sich gemeinsam mit Fritz Sperling im Internierungslager im Tessin, wurde 1950 wegen dieses »Auslandsaufenthalt« ebenfalls von diesen Maßnahmen erfasst, der »Noel-Field-Gruppe« zugerechnet und aus der Partei ausgeschlossen
1950 Juli, Pressebehauptung des »Drei-Groschen-Blatts«: die Gesellschaft betreibe »Interzonen-Schwarzhandel« und führe ihre Gewinne entweder an die KPD oder die »SBZ« (Sowjetisch Besetzte Zone) ab (Aktenzeichen 4 Q 26/50 Landgericht Düsseldorf
1950 Dr. Richard Pitroff wird zum OLG Vertreter bestellt. Ferner ist im Büro Assessor Fridolin Thüring tätig.
1950 Januar bis Juli und Juli bis Oktober: zwei Reisen nach China zu Vertragsverhandlungen im Auftrag der »Deutsche Handelsgesellschaft West-Ost mbH«. Dabei Einbeziehung großer Hersteller von Stahlprodukten wie Thyssen, Krupp, Ferrostaal und Managern wie Otto Wolff von Amerongen, Ernst Wolf Mommsen, Berthold Beitz etc.
1951 10. Januar, »Der SPIEGEL« berichtet in Heft 2/1951 über das Eintreffen einer rotchinesischen Wirtschaftsdelegation in Westdeutschland als Ergebnis der Verhandlungen von Kroth im Vorjahr: er habe Geschäfte über 2 Milliarden DM zwischen Rotchina und Westdeutschland eingefädelt, indem er einer Delegation der deutschen Ostzone nach Moskau und Peking begleitet habe. Dort sei er persönlich von Mao Tse Dong empfangen worden. Nur durch seine Vermittlung sei eine gleichzeitig anwesende westdeutsche Delegation auch zum Zuge gekommen. Konrad Adenauer habe ihm eine Privataudienz gegeben. Die Lieferfähigkeit der westdeutschen Stahlindustrie befand sich bereits 1948 auf 84 % des Standes von 1936.1951 war sie absolut gesichert.
1951 18. Januar, »Die Neue Zeitung - die amerikanische Zeitung in Deutschland« will bei der Rechtsanwaltskammer Akteneinsicht wegen der allgemein bekannt gewordenen Wirtschaftsverhandlungen zwischen der deutschen Stahlindustrie und der Volksrepublik China
1951 Gespräch im Gästehaus der China Export Corporation in Bad Saarow (Brandenburg) mit Ernst Erben, 1. Direktor der CEC(China-Export-Corporation), der in ganz Europa die Aufgabe hat, verschiedene Firmen zu koordinieren, die den jeweiligen kommunistischen Partei nahe stehen und Teile ihrer Erlöse an sie abführen, darunter:
- AGI (All Goods International), Berlin Oranienburger Straße 3-5
- Deutsche Warenvertriebsgesellschaft (DWV)
- Sorice (Paris), 17, Rue Bachaumont und Frankfurt/Main, Alte Gasse 14-16, M. Sulhefer, engagiert im Handel mit chinesischen Produkten (Seide/Tee/Moschus)
- Metalimport Zürich, Gebrüder Abel.
Näher dazu die Akte Allg.P 4988/65 des MfS Zentralarchivs betreffend den Vorgang »Holzhändler« (Agent des US Geheimdienstes, der zum MfS übergelaufen ist), der dem MfS im Jahr 1964 Anlass gibt, sich näher mit Kroth, Erben, Schröder, Kling, Rechtsanwältin Gentz, Abel und Sulhefer zu beschäftigen.
Andere Quellen (Major Henning) beziehen noch eine Reihe kleinerer Firmen in Deutschland in das Netzwerk ein, so Herrn Berger (Moers), Herrn Weichert (Duisburg), Frau Weißenfels (Essen), Herr Link (Stuttgart)
1951 Treffen mit Ernst Erben , und Herrn Sulhefer im Hotel »NEWA« in Ostberlin »mit Ehefrauen«.
1951 Kauf des Grundstücks in München Obermenzing Marsopstr. 1 und Bebauung durch ein großzügiges Haus, geplant durch den in München bekannten Architekten Georg Henneberger. Fertigstellung 1952. Danach bis 1960 Erwerb zweier Grundstücke in Gauting und weiterer kleinerer Eigentumswohnungen in München.
1952 Januar, Sozietät mit seinem früheren Mitarbeiter Dr. Richard Pitroff, Sonnenstraße 3/VI, später mit Dr. Erich Carstens: Sonnenstraße 15/IV
1952 8.Februar, Niederlegung des Amtes als Geschäftsführer der Deutschen Handelsgesellschaft West-Ost in Düsseldorf
1952 18. April, Anfrage des bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz bei der Rechtsanwaltskammer
1953 5. März, Stalin stirbt, seine Politik wird aber bis 1956 (XX. Parteitag der KPDSU) nicht kritisiert.
1953 April, Aktion Vulkan: Gotthold Kraus (geboren 1920), Referent der Abteilung III (Wirtschaft) in der SBZ (sowjetisch besetzten Zone) ist seit 1952 CIA-Spion und wechselt 1953 die Fronten. Dabei bringt er 38 Namen von Personen mit, die am Ost-West Handel beteiligt sind, darunter Alfred Kroth. Alle werden unter dem Verdacht verhaftet, für Ostberlin und/oder Moskau Spionage betrieben zu haben. Der Generalbundesanwalt leitet persönlich eine bundesweite Verhaftungsaktion.
Unter den Verhafteten befinden sich hochrangige westdeutsche Manager insbesondere aus der Stahlindustrie, die unverzüglich mit ihren Anwälten tätig werden. Kroth kommt in das Untersuchungsgefängnis in Karlsruhe. Er wird nach drei Wochen zusammen mit circa 30 anderen wieder freigelassen. Der Verdacht bestätigt sich nur bei sechs der Verhafteten. Die Presse berichtet sehr kritisch. In den Akten des Ministeriums für Staatssicherheit MfS befinden sich zurückhaltende Berichte, die zeigen, dass das Ministerium in Art und Umfang des Netzwerks der Ost-West Handelsgesellschaften nicht informiert war. (Aktenzeichen MfS – HA II Nr 33027).
1953-1961 Tätigkeit als Stahlhandelskaufmann und/oder Handelsvertreter mit Schwerpunkt in Düsseldorf für die West-Ost Handelsgesellschaft und/oder andere Firmen. Ziel ist es, Waren aus der Sowjetisch Besetzten Zone, der Sowjetunion, Chinas und Koreas in den Westen zu importieren und/oder Tauschgeschäfte mit Stahlprodukten aus dem Ruhrgebiet durchzuführen. Das geschieht gestützt auf Kontakte aus der KPD, in Deutschland vornehmlich über Ernst Erben.
1954 Fritz Sperling, der frühere Genosse aus dem Schweizer Exil wird im Zuge der zweiten stalinistischen Säuberungswelle, die sich ab 1949 vor allem gegen Parteimitglieder richtete, die im Exil gewesen waren, in Ostberlin am 18.3.1954 zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt, nach dem XX. Parteitag der KPD zu 1956 aber begnadigt.
Weitere Kontakte auf KP Seite: Dr. Freund (Berlin), Gutgesell (Hamburg),Schulte-Frohlinde (Düsseldorf), Jergitsch (Wien); Willi Kling (1902-1973, Mitarbeiter im Politbüro des ZK der SED 1951-1953, gleichzeitig Mitglied des Präsidiums des Komitees der Antifaschistischen Widerstandskämpfer.
Vertragspartner auf westdeutscher Seite waren unter anderem:
- Metallfirma Mayer Düsseldorf
- Ferrostaal( Dietrich Wilhelm von Menges)
- Flick Konzern
Die Provision für vermittelte Geschäfte betrug 1,5 % des Umsatzes- je nach Umsatz im Einzelfall auch geringer. Sie floss zunächst den beteiligten Firmen zu, die nach Abzug der Kosten und Steuern einen Teil davon an einzelne kommunistische Parteien abführten. Aufgrund des Gesellschaftsanteils von einem Drittel, den Dr. Alfred Kroth persönlich an der West Ost Handelsgesellschaft hielt, kann vermutet werden, dass er von dem verbleibenden Gewinn persönlich ein Drittel erhalten hat.
Die Nutzung des Netzwerkes der europäischen KP Firmen dürfte mit dem Austritt aus der Partei beendet worden sein. Kroth reist aber auch danach mehrfach nach China, Korea und in die Schweiz, jetzt möglicherweise im Auftrag der westdeutschen Firmen, die er im Zuge seiner früheren Geschäfte kennen gelernt hatte. Der Versuch, einen US-amerikanisches Visum zu erhalten, scheitert an der Mitgliedschaft in der KPD (vielleicht aber zusätzlich auch: in der NSDAP).
1953 21. Mai, Antrag auf Zulassung beim Oberlandesgericht. Der Antrag wird bei der Rechtsanwaltskammer zögerlich behandelt, da man die endgültigen Ergebnisse aus der Vulkan Aktion abwarten will.
1955 10. Januar, Zulassung zum Oberlandesgericht.
1955 3. Februar, Antrag an das Bayerische Landesentschädigungsamt, als »Politisch Verfolgter« behandelt zu werden. Nähere Begründungen fehlen, der Antrag steht aber offenbar im Zusammenhang mit der Vulkan Affäre. Er wird danach nicht weiter verfolgt.
1956 XX Parteitag der KPDSU in Moskau: Chrustschow kritisiert erstmals öffentlich Stalin. Die Tauwetterperiode beginnt, endet aber mit Chrustschows Rücktritt 1966. Vermutlich zeitnah zu diesem Zeitpunkt: Austritt aus der KPD
1956 17.8., Verbot der KPD durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 5, 85) .Vermutlich zeitnah zu diesem Zeitpunkt: Austritt aus der KPD, jedenfalls keine Tätigkeit mehr für die Partei.
1959 15. Dezember, Mitteilung der Wohnsitzverlegung nach CH- St. Gallen, Iddastr. 60 (Schweiz) mit Antrag auf Befreiung von der Residenzpflicht gemäß Paragraphen Zeichen 27 BRAO »aus Gründen der Wirtschaftsberatung verschiedener schweizerischer Firmen«.
1960 In einer Erbsache beschwert der Mandant Guilherme Nascimento sich bei der Rechtsanwaltskammer darüber, dass eine Fehlbehandlung der Sache zu einer Verschlechterung seiner Position geführt habe. Es bleibt bei diesem Brief.
1961 21. April, Rückverlegung des Wohnsitzes nach Deutschland (München)
1961 12./13. August, Bau der Berliner Mauer
1961 29. September, Verlegung des Anwaltsbüros in die Meyerbeerstraße 1
1962 27. Oktober, Kubakrise: die Sowjetunion stationiert Raketen auf Kuba, die Situation eskaliert bis hin zur Drohung mit Atombomben. Chrustschow und kenne die einigen sich darauf, dass die Raketen zurückgezogen werden, wenn die USA ihre Raketenstellungen in der Türkei räumt, die dort die UdSSR bedrohen.
1962 Die Bemühungen, über den Wohnsitz in St. Gallen (Schweiz) eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung für die Schweiz zu erhalten, scheitern endgültig, vermutlich an der früheren Mitgliedschaft in der KPD. Der Wunsch, ein Standbein außerhalb Deutschlands zu haben, bleibt – gewiss auch verstärkt durch diese Nation Berlins und de Kubakrise. Kauf eines Grundstücks in Rackersing Hanglage oberhalb der Trumer Seen (Salzburger Land) und Bebauung durch einen Salzburger Architekten mit einem Bungalow.
1967 19. April, Konrad Adenauer stirbt
1967 2. Juni, Benno Ohnesorg wird anlässlich der Schah Demonstrationen in Berlin erschossen. Die außerparlamentarische Opposition entsteht. »Trau keinem über 30«.
1969 3. Januar, Neuer OLG-Vertreter ist Rechtsanwalt Bernd-Michael Manthey Grund »Tätigkeit im Rheinland« § 53 BRAO
1969 22. Oktober, Willy Brandt wird Bundeskanzler
1970 14. Mai, Andreas Baader wird aus der Haft frei geschossen. Die RAF beginnt mit dem Kampf in den Städten.
1973 Neuer OLG Vertreter ist Rechtsanwalt Dr. Benno Heussen
1975 Neuer OLG-Vertreter ist Rechtsanwalt Dr. Justin von Kessel
1977 10. März Pensionierung als städtischer Amtsrat mit Ruhegehalt 761,08 DM
1977 17/18. Oktober, Deutscher Herbst: Andreas Baader, Gudrun Enßlin und Carl Raspe begehen in Stammheimselbstmord, nachdem die Entführung der Lufthansa-Maschine Landshut gescheitert ist. Damit enden die Nachwehen der ideologischen Bürgerkriege, die die Deutschen nach 1918 gegeneinander geführt haben.
1978 29. Juni, Nach kurzer Krankheit stirbt Alfred Kroth an Bauchspeicheldrüsen-Krebs in München im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder.
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- 1. Auf dem Dorfplatz in Weißenhorn sangen die Kinder noch Jahrzehnte später sinnlose Abzählreime: »Z‘ Weißehoore, Weißehoore hat dr Mann sei Frouw verlore…«
- 2. Carl Schmitt, Tagebuch Anfang April 1932, Akademieverlag 2011 Seite 44.
- 3. Dieser Begriff ist eine ironische Anspielung der alten Parteimitglieder mit den niedrigen Nummern auf die Opportunisten: im März 1848 waren in Wien und Berlin richtige revolutionäre von den Monarchen niederkartätscht worden.
- 4. Der Führer schützt das Recht, DJZ vom 1. August 1934, Heft 15, 39. Jahrgang, Spalten 945 – 950.
- 5. Oberbürgermeister Karl Fiehler in Parteiuniform.
- 6. Jobst war ebenfalls Mitglied der NSDAP und Geschäftsführer des Deutschen Städtetages. Nach dem Krieg geriet das in Vergessenheit. Er wurde Rundfunkrat des bayerischen Rundfunks und war nicht ohne politischen Einfluss.
- 7. Eine Realschule in München ist heute nach ihm benannt.
- 8. Von seinen vielen Kindern wandern zwei später in die DDR aus, um dort Leiter großer landwirtschaftlicher Kombinate zu werden.
- 9. Siehe Literaturverzeichnis.
- 10. Gemeint ist hier die NSDAP!
- 11. Zu den Einzelheiten: Michael Lemke, Die Deutschlandpolitik der SED 1949-1961, Böhlau 2001 (Zeithistorische Studien Bd. 17), Seite 177 ff.
- 12. Benannt nach dem Antragsteller, dem demokratischen Kongressabgeordneten von Alabama Laurie C. Battle »Battle Act«, (65 Stat. 644; 22 U.S.C. 1611 et seq.).
- 13. Willi Stoph war 1951 und auch später noch Mitglied des Zentralkomitees, ab 1952 Innenminister und ab 1973 Vorsitzender des Staatsrates der DDR.
- 14. Willi Schliecker (1914-1980) entwickelte sich aus einem Stahlhändler schon um 1952 mit Hilfe der britischen Besatzungsmächte sehr schnell zu einem Stahlfabrikanten und Werftinhaber. Sehr riskant fremdfinanziert und von den Banken bewusst alleingelassen, fiel er 1962 in Konkurs.
- 15. Markus Wolf (1923-2006, s. Foto oben) war damals Hauptabteilungsleiter III des Nachrichtendienstes der DDR. Später wurde er Chef der Auslands-Abteilung. Nach 1989 versuchte er sich als Reformpolitiker und erklärte »Ich bin kein Spion«, was das Oberlandesgericht Düsseldorf ihm später durch Freispruch bestätigte. Zeitweise flüchtete er nach Moskau und schrieb ein Kochbuch »Die Geheimnisse der russischen Küche«. Sein Vater war Schriftsteller, sein Bruder ein bekannter Regisseur und er selbst fühlte sich als Künstler. Im Tarnen und Täuschen war er das zweifellos.
- 16. Rudolf Augstein (30) Elisabeth Kroth (36).
- 17. Helmuth Müller-Ellenbergs (Herausgeber), Inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit, Teil 2 Seite 246, Verlag Christian Links, 2. Auflage 1998.
- 18. Markus Wolf, Spionagechef im geheimen Krieg, 1997 Seite 74.
- 19. Karsten Rudolph, Wirtschaftsdiplomatie im kalten Krieg, Seite 73, 74.
- 20. Karsten Rudolph, ebda, Seite 78.
- 21. Mitarbeiter im Politbüro des ZK der SED von 1951-1953 und gleichzeitig Mitglied des Präsidiums des Komitees der Antifaschistischen Widerstandskämpfer.
- 22. Karsten Rudolph, Wirtschaftsdiplomatie im kalten Krieg – die Ostpolitik der westdeutschen Großindustrie 1945-1991, Seite 264.